Der FC Bayern im Winter: Drei kluge Entscheidungen
Es ist nicht einfach auf diesem modernen Transfermarkt. Talente müssen früh erkannt und gefördert, sie müssen dann noch integriert werden. Wo sind die Baustellen eines Kaders? Und sind sie sofort zu schließen? Oder verbaut man durch unnötig viele Transfers nicht sogar die Zukunft eines aufsteigenden Talents, das man bereits im Blick hat?
All diese Faktoren und noch viele mehr müssen berücksichtigt werden, wenn es darum geht, einen Kader und einen Klub für die Zukunft auszurichten. Das führte insbesondere bei den Bayern auch zu vielen Diskussionen.
Allein im letzten Transfersommer waren viele Fans unzufrieden. Warum? Weil im Kader offensichtlich nicht alle Baustellen behoben wurden. So pendelte Joshua Kimmich weiterhin zwischen Rechtsverteidigung und zentralem Mittelfeld und sind Serge Gnabry sowie Kingsley Coman mal nicht in Form, hapert es an Kreativität auf den Flügeln. Mit Blick auf eine Entscheidung, die der FC Bayern kürzlich bekannt gab, wird retrospektiv aber einiges klarer.
1. This is Fein
Adrian Fein, derzeit an den Hamburger SV ausgeliehen, hat seinen Vertrag beim FC Bayern bis Juni 2023 verlängert. Der defensive Mittelfeldspieler glänzt aktuell in der zweiten Liga als Spielgestalter, Takt- und Balancegeber. Ein Spielertyp also, der den Bayern nach Thiago und Kimmich abgeht.
Wie die verschiedene Medien berichteten, soll Fein im kommenden Sommer die Chance erhalten, sich bei den Münchnern zu etablieren. Am Ende der Vorbereitung soll es dementsprechend eine Entscheidung geben, ob Fein ein weiteres Jahr ausgeliehen wird, oder ob er als Ergänzung bei den Profis bleibt.
Dass sich die Bayern im vergangenen Sommer gegen Marc Roca entschieden haben, ist mit Blick auf diesen Weg durchaus in einem positiven Licht zu sehen. Man vertraut der Entwicklung von Fein und erhofft sich, dass er bald eine Verstärkung für den FCB sein kann. Unabhängig davon, ob er es schon im Sommer 2020 packt oder vielleicht erst später, wäre seine Chance jetzt deutlich geringer, hätten sich die Bayern bereits auf seiner Position verstärkt. Von daher: This is Fein!
2. Nicht so Nübel oder ziemlich Nübel?
Viel diskutiert wurde in den letzten Tagen auch die vermeintliche Entscheidung der Bayern, Schalke-Torwart Alexander Nübel im Sommer 2020 ablösefrei zu verpflichten. Das hat zumindest die Sport Bild berichtet. Die Argumente, die vorrangig gegen einen Transfer ins Feld geführt wurden: Christian Früchtl wird der Weg verbaut, Nübel ist gar nicht so überzeugend, Neuer wird noch mehrere Jahre im Kasten stehen und für Nübel selbst kommt der Schritt viel zu früh.
Was Früchtl angeht, muss konstatiert werden, dass seine Entwicklung in den letzten Jahren nicht zwingend darauf hindeutet, dass er der nächste Manuel Neuer wird. Bei all seinem Talent scheint eine Leihe zunächst angebracht. Zumal die Bayern sich mit der Verpflichtung Nübels nicht zwingend gegen Früchtl entscheiden müssen. Zwei Optionen auf die Neuer-Nachfolge sind immer noch besser als eine.
Nübel selbst mag in den letzten Wochen und Monaten für den einen oder anderen Fehltritt gut gewesen sein. Sein Talent steht aber zumindest bei denen außer Frage, die sich professionell und langfristig mit ihm auseinandergesetzt haben. Sollte er zu den Bayern wechseln, wird er Entwicklungsschritte machen müssen. Ein mögliches Modell: Er bekommt wertvolle, vorher festgelegte Spielzeit bei einem Top-Klub, lernt den Großteil der Saison aber hinter Neuer. Ein Modell, das auch Marc-André ter Stegen so ähnlich bei Barcelona durchlief.
Fakt ist: Sollte diese Entscheidung so getroffen werden, wird sie nicht ohne das Wissen von Manuel Neuer durchgezogen. Seine Bereitschaft dazu wäre unabdinglich. In jedem Fall hätten die Bayern aber mit Nübel einen Torwart mit großem Potential. Ein passendes Modell für ihn zu finden, sollte möglich sein. Der Schritt kommt für Nübel selbst auch nur dann zu früh, wenn er selbst nicht in der Lage ist, sein Talent umzusetzen.
Früchtl und Nübel – es scheint als hätten die Bayern jetzt schon zwei Alternativen in der Hinterhand. Erneut ein Indiz für weitsichtige und strategische Planung. Risiko für den Klub? Gibt es hier nicht. Daher kann auch diese Entscheidung, sollte sie im neuen Jahr so bestätigt werden, wie medial berichtet wird, sehr positiv betrachtet werden.
3. Loch geflickt?
Die dritte Entscheidung, die immerhin Weitsicht andeutet, ist die Verlängerung der Interimszeit mit Hansi Flick. Erstmal war es bereits eine strategisch sehr kluge Entscheidung, im Sommer um Niko Kovač herum das Trainerteam zu erweitern. Dadurch gab es zwei realistische Szenarien: Entweder bekommt Kovač durch die Verstärkung seine Probleme in den Griff, oder die Bayern haben sofort Alternativen parat, sollte es nicht klappen.
Letzteres traf ein, Flick konnte sofort übernehmen und sich zunächst beweisen. Nicht problemlos, wie ich in diesem Artikel für n-tv analysierte. Doch immerhin so gut, dass seine Chance für die Rückrunde gerechtfertigt ist. Durch die Klarheit der Pressemitteilung wird auch deutlich, dass die Bayern aus dem Jahr 2018 gelernt haben. Flick wird als gleichwertige Alternative für den Sommer aufgebaut.
Das hat zur Folge, dass eine Entscheidung pro Flick nicht im Lichte einer Notlösung stehen würde. Andererseits stärkt es die eigene Verhandlungsposition. Will ein anderer Trainer unbedingt zu den Bayern, muss er Argumente liefern.
Fakt ist aber auch, dass die Situation Gefahren birgt. Flick hat noch viel Arbeit vor sich und muss beweisen, dass er dem gewachsen ist. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Verantwortlichen bereits im Februar oder März abschätzen müssen, ob Flick der richtige Mann für die langfristige Zukunft ist. Sind sie dann nicht zu 100 % überzeugt, müssen die Alternativen schnellstmöglich bewertet und eingetütet werden, um nicht doch noch in eine ähnliche Situation wie 2018 zu laufen.
Und doch sind die ersten Schritte nach der Entlassung von Niko Kovač richtig. Sie zeugen von Weitsicht und strategischem Handeln. Mit der Einschränkung, dass das kommende Halbjahr diesen Eindruck auch wieder zunichte machen kann. Alles in allem hat der FC Bayern aber, sollte die Nübel-Geschichte stimmen, drei kluge Entscheidungen getroffen. Entscheidungen, die teilweise auch den einen oder anderen vermeintlichen Fehler in der Vergangenheit rechtfertigen. Denn wo wäre denn jetzt Platz für Talente oder Entwicklung, wenn der Kader nur so vor Stars strotzen würde? Das kommende Halbjahr muss diese Lücken nun aber schließen.