Fünf Weihnachtswünsche für ein Hallelujah
Erster Schnee fiel dieser Tage in Deutschland, die Supermärkte werden wieder mit Adventskalendern und besonderem Gebäck befüllt und die Temperaturen bewegen sich langsam in den Keller. Weihnachten nähert sich und diese Zeit war für den FC Bayern in der jüngeren Vergangenheit stets ein versöhnliches und ruhiges Fest. Dieses Jahr droht der Weihnachtsbaum jedoch zu brennen.
Doch es ist nicht der Trainer, der die Hauptverantwortung für die jetzige Situation trägt. In einem langen Prozess hat sich der FC Bayern in den letzten Jahren selbst in diese Lage gebracht. Nun muss er sich selbst auch wieder herausarbeiten. Wir haben Santa Claus schon Anfang November unseren Wunschzettel geschrieben.
Der Miasanrot-Wunschzettel
1. Die Strategie
Auch wenn der FC Bayern selbst in den erfolgreichsten Zeiten nicht den Anschein machte, als gebe er eine den ganzen Klub betreffende Strategie vor, so kam mit Louis van Gaal 2009 ein Hauch von Barcelona an die Säbener Straße. Seitdem hat sich der Klub wieder in die Elite Europas begeben. Philipp Lahm war es, der damals in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kritisierte, dass eine klare Philosophie fehlen würde. Spieler und Trainer wurden nach Namen verpflichtet, ein Konzept war dahinter aber nur mit viel Wohlwollen zu erkennen.
Im Jahr 2018 befindet sich der Klub in einer ähnlichen Position. In Ansätzen ist zwar immer noch zu erkennen, dass die Münchner gerne dominanten Fußball spielen wollen, doch die Bemühungen der letzten Jahre passten auf allen Ebenen nur in Teilen dazu. Gerade auf der Trainerposition wurden mit Ancelotti und später Kovač eher Trainer geholt, die in der Vergangenheit vor allem mit Mannschaften auf dem Zenit oder mit jungen Teams erfolgreich waren. Beim FC Bayern trafen sie beide auf eine Mannschaft, die längst über dem Zenit ist.
Schlüsselspieler haben ihre besten Jahre hinter sich, junge Spieler sind in ihrer Entwicklung noch nicht an dem Punkt, wo sie mal sein sollen. Kaderpolitik und Trainerverpflichtungen passten deshalb nicht zusammen. Auch deshalb, weil die jeweiligen Trainer entweder keinen adäquaten Ersatz für die alternden Stars hatten oder sich nicht trauten, ein gewisses Risiko mit einer radikalen Verjüngung einzugehen. Es braucht wieder eine klare Strategie auf fußballerischer Ebene, die dieser Mannschaft ein Konzept gibt und dafür braucht es wiederum einen Trainer, der dazu in der Lage ist. Die Frage sollte also nicht sein, welche Erfolge ein Trainer zuletzt hatte, sondern wie sehr seine fußballerischen Ideen zum Kader und den Zukunftsvorstellungen passen.
2. Der Kader
Das führt uns direkt zur Kaderpolitik. Spieler wie Thomas Müller, Jérôme Boateng, Franck Ribéry, Arjen Robben, Mats Hummels und auch Javi Martínez sind allesamt in der Hierarchie des Kaders weit oben anzusiedeln. Sie geben den Ton neben dem Platz, leider aber nur selten auf dem Platz an. Als Führungsspieler haben sie eine große Verantwortung dafür, dass der Kader sich auch in schweren Zeiten als Einheit versteht.
Allerdings ist ein klarer Bruch zu erkennen. Die jungen Spieler merken, dass die Namen der Stars oft größer sind als die eigentlichen Leistungen. Spielen die Führungsspieler aber mal weniger, gehen plötzlich Interna an die BILD-Zeitung und es wird gegen den Trainer gearbeitet. Carlo Ancelotti erlebte dieses Phänomen ebenso wie nun Niko Kovač und deshalb ist der Trainer in diesem Fall in Schutz zu nehmen. Stand jetzt war die Mannschaft in beiden Fällen sehr erfolgreich. Dass sie derart mächtig ist, dass sie jeden Trainer problemlos kippen kann, ist allerdings besorgniserregend und wäre für jeden anderen Trainer eine ebenso schwer zu lösende Aufgabe wie für Niko Kovač selbst.
Rummenigge, Hoeneß und Salihamidžić stehen in der Verantwortung, den Trainer dahingehend zu schützen und seine Autorität zu stärken. Funktioniert das nicht, muss knallhart aussortiert werden. Keiner der genannten Spieler ist sportlich noch unersetzlich. Der notwendige Umbruch kann nur gelingen, wenn die Hierarchie von unten aufgefrischt wird und junge Spieler zunehmend in verantwortungsvolle Rollen kommen. Das bedeutet nicht, dass jeder der genannten Spieler automatisch ins zweite Glied rücken muss. Es bedeutet nur, dass der Konkurrenzkampf verschärft und die Hierarchie verändert werden muss. Dem Vorstand fehlt auch hier eine Strategie – eine, die zum versöhnlichen Ende mit großen Spielern führt, die das Niveau des FC Bayern nicht mehr erreichen können.
3. Die Außendarstellung
Wie wertvoll Salihamidžić intern für den FC Bayern ist, ist nach wie vor nicht endgültig zu bewerten. Allerdings lässt sich seine Außendarstellung bewerten. Die ist in vielen Bereichen katastrophal. Auf die Frage des Kickers, weshalb derzeit keine Fortschritte erkennbar seien, antwortete der Sportdirektor: “Ja, das ist… das frage ich mich auch. Das ist auch nicht zu beantworten erst mal.”
Ein Sportdirektor als Sinnbild für die Ratlosigkeit eines Klubs, der völlig überrascht tut, dass es die letzten Jahre und insbesondere in dieser Saison rasant bergab ging. Dabei ist das nur ein Resultat der fehlenden Veränderungen. Als Hoeneß vor der Saison bei Sky über den Bayern-Weg sprach, entstand so etwas wie ein “Aha”-Effekt. Erstmals benannte der konkret Punkte, die in den nächsten Monaten und Jahren angegangen werden sollten.
Spieler aus der eigenen Jugend hochziehen, Transfers so früh wie möglich einfädeln, um dem Konkurrenzkampf mit den anderen Top-Klubs zu entgehen, Robben und Ribéry die Spielzeit verkürzen, um jüngeren Spielern die Chance zu geben – viele der Punkte erschienen schlüssig. Stand Oktober ist von der Umsetzung aber immer noch wenig zu sehen. Trotz Verletzungen bekommt die eigene Jugend keine Chance, Robben und Ribéry bilden trotz ihrer stark abbauenden Leistungen den Mittelpunkt des Angriffsspiels und es ist nicht wirklich zu erkennen, wie dieser Klub in Europas Spitze bleiben möchte. Viel schlimmer noch ist aber, dass niemand in der Öffentlichkeit dazu in der Lage ist, diese Situation zu erklären. Es braucht jemanden, der das kann.
4. Die eigene Jugend
Auch der FC Bayern Campus spielt eine Rolle. Voller Stolz eröffneten die Bayern ihre Jugendakademie und blickten in eine rosige Zukunft. Dass sich erst jetzt die ersten Talente zeigen, die das Potenzial haben, mindestens sehr gute Bundesliga-Spieler zu werden, ist nicht überraschend. Niemand konnte ernsthaft erwarten, dass allein die Eröffnung eines Campus sofort zehn Spieler für die Profis hervorbringen würde.
Allerdings ist das Vertrauen in die jetzt hervorgebrachten Talente gering. Zwar könnte mittlerweile ein Kalender mit Fotos gefüllt werden, die Salihamidžić mit jungen Spielern zeigen, die im Sommer einen Vertrag erhielten. Doch Einsatzzeiten kriegen diese weiterhin nicht. In den vergangenen Jahren trauten sich die Trainer des FC Bayern nur dann, einen jungen Spieler zu bringen, wenn das Spiel kaum noch Bedeutung hatte.
Was vor einigen Jahren aufgrund des Niveaus und des Anspruchs noch verständlich war, ist jetzt allerdings kaum noch nachvollziehbar. Spieler wie Lukas Mai, Oliver Batista Meier und andere Talente haben das Zeug, um zumindest in der aktuellen Verfassung des FC Bayern für frischen Wind zu sorgen. Als van Gaal 2009 Müller, Badstuber und Alaba integrierte, trat er eine Welle des Erfolgs los. Dieser Mut ist dem zukünftigen Trainer des Klubs ebenfalls zu wünschen. Andernfalls kann man den Campus auch wieder schließen.
5. Die Kommunikation des Bayern-Wegs
Allein die Kommunikation ist aber schon ein Problem bei den Bayern. Hoeneß und Rummenigge widersprechen sich nicht nur hin und wieder, sondern lassen auch einen klaren Plan vermissen. Es gibt keinerlei Kommunikation nach außen, wie der Weg des FC Bayern aussehen soll. Dabei wäre es so einfach, der Öffentlichkeit einen Übergang zu verkaufen, der eine Erneuerung von unten herbeiführen soll. Das braucht zwingend Zeit.
Natürlich ist es der Anspruch des FC Bayern, möglichst viele Titel zu gewinnen. Würde man aber endlich klarer formulieren, an welcher Stelle welchen Prozesses sich der Klub befindet, so wäre eine Bewertung der Situation auch deutlich einfacher. Darüber hinaus könnten die Münchner die Erwartungshaltung des Umfelds viel besser steuern. Und auch der eigene Trainer könnte davon enorm profitieren, wenn der Klub seine Vorstellungen auf allen Ebenen konkretisieren würde. Dann hätte dieser nämlich sowohl einen klaren Rahmen für seine Handlungen als auch die Rückendeckung des Klubs in Form einer Philosophie.
Man misst den Erfolg auch oft an den Aussagen. Die Aussagen der Bosse waren in den letzten Monaten aber nicht nur unklar, sondern nicht selten sogar überheblich. Der Höhepunkt war dabei eine Pressekonferenz, bei der eigene Fehler nicht eingestanden wurden. Auf der einen Seite steht der Wunsch nach einer erfolgreichen Zukunft, auf der anderen Seite stehen Verantwortliche, die die dafür notwendigen Schritte nicht gehen. Wo bleibt ein klarer Plan, dem auch Taten folgen, die zu den Zielen passen? Wo bleibt aber vor allem auch ein Plan, wie die Zukunft nach Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß aussehen soll? Auch hier wurde in den letzten Jahren viel geredet und wenig an Lösungen präsentiert.
Fazit: Hört auf zu Klammern!
Im Moment scheint sich der FC Bayern an die Vergangenheit zu klammern. Ein alternder Kader mit einer Hierarchie, die das Leistungsprinzip verhindert, ein Trainer, der mit dieser Situation überfordert ist, weil er sich schwer tut, ein System dafür zu entwickeln, ein Sportdirektor, der sich aus der Öffentlichkeit zunehmend zurückzieht und keine Antworten auf die aktuelle Situation geben kann und Bosse, die das alles mitzuverantworten haben, weil sie entweder keinen Plan haben, ihren Plan nicht umsetzen können oder ihn nicht ausreichend erklären – es fehlt der Glaube, dass diese Situation nicht in einem großen Knall endet.
Es wäre nicht das erste Mal, dass eine große Ära in einer Katastrophe endet. Der direkte Anschluss einer neuen großen Zeit ist auch so gut wie unmöglich. Allerdings ist es die fehlende Entwicklung, die einem Sorgen bereitet. Seit der Saison 2015/16 war absehbar, dass viele Schlüsselspieler ihre letzten Schritte auf ganz hohem Niveau gehen. Mit Süle, Kimmich und ein paar anderen Spielern haben die Bayern auch ein gutes Gespür bewiesen.
Gerade jetzt, wo die Zeit für eine neue Generation gekommen ist, fehlt aber der Mut, den letzten Schritt zu gehen. Der FC Bayern klammert sich an die letzten Jahre und ist nicht bereit, sich davon zu lösen. Bevor das nicht aufhört, wird ein Fortschritt kaum möglich sein.