Die Zeit der Strategen – Wie Guardiola, Löw, Mourinho und Co. den Fussball neu denken
„Ein guter Trainer kann den Unterschied machen zwischen einer durchschnittlichen und einer sehr guten Mannschaft“, so Escher, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Er ist bekannt geworden als einer der besten und kompetentesten Taktik-Experten dieses Landes. Allerdings auch und gerade weil er neben seiner Kenntnisse in der Lage ist, komplexe Sachverhalte erzählerisch so darzustellen, dass sie Laien und Nerds zugänglich gemacht werden.
In „Die Zeit der Strategen“ schafft der Autor es erneut, Fachwissen, Anekdoten und Nacherzählungen so zu verknüpfen, dass sein Buch für eine breite Masse an Lesern interessant sein dürfte. Besonders sympathisch an seinem Stil ist, dass er keine Erkenntnis als absolut darstellt, sondern Argumente für sich sprechen lässt. Das gibt dem Buch eine gewisse Lockerheit und dem Leser die Freiheit, sich selbst eine Meinung zu bilden.
Die Veränderung des Trainerberufs
Beim Lesen wird eines aber deutlich: natürlich geht es ein Stück weit um 11 Persönlichkeiten, die auf irgendeine Art und Weise den Fußball an irgendeinem Ort verändert haben. Aber sie sind alle Teil einer größeren Sache. Einer Entwicklung, die in den letzten Jahren stattgefunden hat und den Beruf des Trainers maßgeblich verändert hat. „Der Wandel des Fußballs hängt eng zusammen mit dem Wandel des Trainerberufs“, schreibt Escher schon zu Beginn.
Der Sport ist komplexer geworden und der Trainerberuf sei „das kleine Rädchen im Zahnradgetriebe Fußball, um das sich alle anderen Rädchen drehen.“ Escher macht diesen Wandel aber bei weitem nicht nur an taktischen Innovationen fest, die Guardiola, Mourinho, oder auch ein Tuchel hatten. Belastungssteuerung, Digitalisierung, Trainingsmethodik, wissenschaftliche Erkenntnisse und Scouting spielen ebenso eine große Rolle wie ganz klassische Themen – beispielsweise die Menschenführung.
Im Buch erfährt man nicht nur, dass Maurizio Sarri herausragende fachliche Qualitäten hat, die dazu führen, dass seine Mannschaften – egal ob das kleine Empoli oder das große Neapel – Fußball spielen und nicht verhindern. Man erfährt auch biografische Details, die den Leser durchaus zu fesseln wissen und die weit über „er mag Wein, auch wenn das mit Fußball wenig zu tun hat“ hinausgehen.
Genau an diesen Stellen wird nämlich deutlich, wie viel Recherchearbeit der Autor in sein Werk gesteckt hat. Jedes der 11 Kapitel ist ein Kunstwerk, in dem Escher einen komplett neuen, aber immer wieder packenden roten Faden findet. Obwohl er nach eigener Aussage nicht einen der 11 Trainer persönlich sprechen konnte, hat man den Eindruck, dass er jeden von ihnen seit Jahrzehnten persönlich kennt. Diese Anekdoten, Biografien und Besonderheiten bilden die Kirsche auf einer Torte, die aufgrund ihrer Zutaten ohnehin schon lecker ist.
Das Kapitel über Maurizio Sarri lehrt uns aber eine weitere wichtige Lektion: „Auf die Frage, was ihn am Leben eines Fußballtrainers am meisten stört, antwortet Sarri: ‚Schubladen.'“ Guardiola sei ein Ballbesitzfetischist, Mourinho habe wenig Interesse an methodischem Vorgehen, Nagelsmann sei viel zu unerfahren – wir neigen dazu, Trainer zu schnell in eine Schublade zu stecken und verpassen dabei, was wirklich dahinter steckt.
Escher widerlegt mit Mourinhos „Bibel“, Nagelsmanns Karriereverlauf und einer eigenen Fehleinschätzung Jürgen Klopps eindrucksvoll, dass man sich nicht auf Vorurteile oder Schubladendenken versteifen sollte. Ohnehin sei der Trainer der Zukunft mit Flexibilität ausgestattet. Obwohl Trainer wie Guardiola, die eine feste Ideologie verfolgen, derzeit den Weltfußball dominieren, sind es die Nagelsmänner, denen die nächsten Jahre gehören.
Trainer, die sich nicht auf einen Stil festlegen, sondern alle miteinander vermischen und in der Lage sind, ihre Strategie von einem Spiel zum Nächsten komplett umzukrempeln. Nagelsmann verkörpert diese Qualität wie vielleicht kein Zweiter. Das lässt auch Erkenntnisse für den FC Bayern zu. Wer Eschers Buch gelesen hat, dürfte im Fall Nagelsmann keine Sorgen haben, dass er zu jung oder unerfahren sei.
Ähnliches gilt für die Ängste vor Thomas Tuchels Menschenführung. Liest man dieses Kapitel ganz genau, erfährt man, mit welchen Spielertypen er Probleme hat und mit welchen nicht, aber auch, dass Tuchel seinen Beruf als Ausbildung sieht, in der er vieles lernen muss. Auch im Löw-Kapitel wird deutlich, welch großartigen Trainer die Nationalmannschaft hat. Sein dort beschriebenes Fähigkeitenprofil, seine Erfahrungen, aber vor allem die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität sprechen für ihn. Ein Trainer solle sich schließlich nicht zu sehr in seine eigenen Ideen verlieben, prädigte schon Bielsa.
„Der Sieger schreibt die Geschichte“ – oder nicht?
Besonders kontrovers ist aber die Nennung von Peter Bosz als einer von 11 Trainern, die den Fußball verändert haben sollen. Tatsächlich avancierte das Kapitel, bei dem ich schon vorher abwinken musste, zu einem der spannendsten überhaupt. Schubladen sind halt wirklich Mist. Hier geht es aber nicht etwa nur darum, wie Bosz den niederländischen Fußball aufgeweckt hat, sondern vor allem auch um eine Legende, die über den von Escher ausgewählten Trainern schwebt: Johan Cruyff.
Cruyff legte nicht nur die Basis für Barcelona und Guardiola, sondern auch für Bosz und sehr viele andere Trainer. Sein Name taucht derart häufig auf, dass man „Die Zeit der Strategen“ gewissermaßen auch als Resultat eines herausragenden Lebenswerkes betrachten könnte.
Alles in allem sollte jeder Fußball-Fan dieses Buch gelesen haben. Das wirklich Besondere daran ist, dass einem andere Perspektiven geöffnet werden. Taktische Tiefe spielt durchaus eine Rolle, doch der Aha-Effekt ist nicht nur, dass diese Entwicklungen wichtig waren und weiter wichtig sind. Der Aha-Effekt ist, dass man Trainer nachher vielseitiger betrachtet. Man steckt sie nicht mehr in eine Schublade, sondern erfährt Dinge, die man sich niemals hätte vorstellen können. Allein dafür bin ich Tobias Escher sehr dankbar.
„Es ist kein Zufall, dass die erfolgreichsten Trainer der vergangenen Jahre auch die taktisch klügsten waren“, so Escher. Er selbst schränkt diesen Satz im letzten Kapitel nochmal ein, wenn es um eine weitere große Persönlichkeit des Weltfußballs geht: Zinédine Zidane. Aber er widerlegt auch den Kritikpunkt, dass Guardiolas Positionsspiel nicht bei Teams wie dem SC Freiburg umsetzbar wäre. Tatsächlich sei es genau andersherum. Zidanes Prinzip, auf die individuelle Klasse zu vertrauen, würde in Freiburg wenig Sinn ergeben. Guardiola hingegen hätte eine Philosophie, die „zumindest theoretisch universell einsetzbar“ wäre.
Mit folgenden Sätzen hätte Tobias Escher es nicht besser treffen können: „‚Der Sieger schreibt die Geschichte.‘ Ich argumentiere andersherum: Zunächst stand bei all diesen Trainern die Spielidee, die Philosophie, nach der sie spielen ließen. Die Erfolge stellten sich erst ein, als ihre Spielideen fruchteten.“
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