Vorschau: RB Leipzig – FC Bayern München
Jupp Heynckes kann durchaus zufrieden sein mit dem Weg, den seine Mannschaft in den vergangenen Monaten ging. Doch das Ziel ist noch lange nicht in Sicht und die nächsten Wochen versprechen in sehr vielen Bereichen spannend zu werden. Die Partie am Wochenende hat aber im Prinzip keine große Bedeutung mehr für die Münchner. Auch die vorzeitige Meisterschaft ist dank des knappen Schalker Sieges nicht mehr möglich.
Zwar geht es gegen den Vizemeister aus Leipzig und allein aus Prestigegründen würde man eine Niederlage nur ungern sehen. Allerdings hätte es keinerlei Auswirkungen auf die kommenden Aufgaben, wenn man am Wochenende nicht das gewünschte Ergebnis erzielen sollte. Trotzdem ist auch diesmal zu erwarten, dass die Bayern sich vernünftig in die Länderspielpause verabschieden wollen.
Schwierige Situation für RB Leipzig
Für Leipzig hingegen geht es quasi zum falschen Zeitpunkt um sehr viel. Verlieren sie gegen den Meister, droht der Abstand auf Platz 4 auf bis zu 7 Punkte anzuwachsen. Die Mannschaft steht unter enormem Druck und es ist weiterhin nicht absehbar, ob sie dem standhalten kann. Gewinnen sie auch gegen die Bayern nicht, wären die Roten Bullen seit 5 Ligaspielen ohne Sieg. Auch Trainer Ralph Hasenhüttl scheint derzeit nicht optimal mit der Situation umgehen zu können.
In der vergangenen Saison konnte man noch den Eindruck gewinnen, dass seine Mannschaft auch aus längeren Ballbesitzphasen viele Chancen herausspielt. Ein ordentliches Positionsspiel, viel Tempo und ballsichere Spieler in engen Zonen ergaben ein Gesamtpaket, das RB zur Vizemeisterschaft führte. Im verflixten zweiten Jahr ist davon nicht mehr viel zu sehen.
Gegen Stuttgart bekam die Mannschaft beispielsweise kaum Kontrolle in ihr Spiel. Zwar hatte man etwas mehr Ballbesitz als der Gegner, doch Druck nach vorne ergab sich eher per Zufall oder durch Einzelaktionen. Einen wirklichen Plan konnten die Zuschauer nicht erkennen. Von 144 Zuspielen ins Angriffsdrittel kamen lediglich 90 an. 26 Passversuche gab es in den Stuttgarter Strafraum, wovon wiederum nur fünf ihr Ziel erreichten.
Letztendlich hätte sich aus Leipzigs Perspektive niemand über eine Niederlage beschweren können. Es ist in dieser Saison scheinbar ein großes Problem für die Mannschaft von Ralph Hasenhüttl, mit der Favoritenrolle umzugehen und Spiele von Anfang bis Ende zu kontrollieren. Oft ist nicht zu erkennen, ob die Leipziger nun auf Umschaltmomente lauern oder selbst die Kontrolle übernehmen wollen. Speziell im Rückspiel der Europa League gegen Neapel sah man dem Team an, dass es gegen gut organisiertes Pressing wenig spielerische Lösungen entgegenzusetzen hatte. RB befand sich irgendwo zwischen den Stühlen, konnte aber keinen Spielstil so richtig umsetzen.
Aus eigenem Ballbesitz gab es lediglich Quergeschiebe und Seitenverlagerungen ohne großen Raumgewinn zu beobachten und ohne Ball verschob man zwar ganz gut, doch auch hier fehlte nach Ballgewinnen die zündende Idee, um in gefährliche Zonen vorzustoßen. Vielleicht resultieren all diese Probleme aus der ungewohnten Belastung. Es ist durchaus möglich, dass Leipzig ein typisches Jahr nach dem Erfolg hat und etwas durchhängt. Nach Europapokal-Auftritten gab es zuletzt vier Mal keinen Sieg.
Umso wichtiger wird die nächste Saison für RB. Dann offenbart sich, ob der Verein aus dieser Spielzeit die richtigen Schlüsse gezogen hat und in der Lage ist, den Bayern oben zumindest etwas Druck zu machen. Das Potential ist jedenfalls da.
RB Leipzig will den ersten Sieg gegen die Bayern
In einem Spiel ist RB schon jetzt in der Lage, den Münchnern ordentlich etwas entgegenzusetzen. Das sah man nicht zuletzt im Pokal, als der Rekordmeister auch auf die Spielgeschichte und etwas Glück angewiesen war, um letztendlich in die nächste Runde einzuziehen. Auch der sensationelle 5:4-Sieg im Leipziger Zentralstadion unterstrich, dass da eine sehr gute Mannschaft herangewachsen ist.
All die fehlende Konstanz spielt deshalb am Sonntag nur eine untergeordnete Rolle. Leipzig wird von Beginn an hoch pressen und die Münchner in Unterzahlsituationen bringen wollen. Sie wollen unbedingt den ersten Sieg gegen den Rekordmeister einfahren. Weil es die aktuelle Tabelle so hergibt, aber auch, weil es zukünftige Duelle negativ beeinflussen könnte, wenn sie erneut eine Niederlage einstecken müssten.
Die Bayern hingegen müssen nicht zwingend gewinnen, aber sie werden dennoch alles versuchen, um ein positives Ergebnis zu erzielen. Auf Arjen Robben werden sie dabei verzichten müssen. Auch Tolisso und Thiago stehen noch nicht zur Verfügung. Dafür wird James in die Startelf zurückkehren. Unabhängig vom Personal wäre am Sonntag aber schon im Ballbesitz eine gute Staffelung wichtig. Eine Fähigkeit, die in den letzten Monaten langsam zurückkehrte, aber immer noch ausbaufähig ist.
Vergleicht man die aktuellen Leistungen mit denen von 2017, sind klare Fortschritte erkennbar. Die Bayern sind in der Lage, die Halbräume zu überladen und so auch mal mit Kurzpassspiel hinter die Abwehrkette des Gegners zu gelangen. Darüber hinaus schaffen sie es zunehmend, nicht jeden Angriff in einer sinnlosen Flanke versanden zu lassen. Hier ist die Strafraumbesetzung aber häufig schwach, wenn es doch mal eine hohe Hereingabe braucht. Oft führen schlechte Flanken zu Kontermöglichkeiten, die es zu vermeiden gilt.
Die Mentalität stimmt und die Hoffnung lebt
Der größte Unterschied dürften ganz allgemein betrachtet aber die gegenseitige Unterstützung sowie die große Mentalität des gesamten Kaders sein. Jeder ist für den anderen da und die Laufbereitschaft ist enorm. Gerade taktisch läuft vieles noch nicht rund, aber bisher ließ sich das immer verstecken.
Egal ob in Freiburg oder Istanbul – die Mannschaft zeigt immer die Bereitschaft, sich von ihrer besten Seite zu präsentieren. Jupp Heynckes hat es wieder geschafft, den kompletten Kader zusammenzuschweißen. Vergleiche mit der Vergangenheit sind in der Regel schwierig, doch wenn sich irgendwo einer mit 2013 anbietet, dann sicherlich hier.
Schon damals schaffte der Trainer es, große Spieler ins zweite Glied zu stellen, ohne Unruhe zu erzeugen. Auch in dieser Saison macht Heynckes das sehr clever. Jeder weiß, woran er ist und jeder bekommt mit der nötigen Geduld seine Minuten. Unter der Woche ließ Heynckes Rafinha spielen und auch Wagner bekam seine Einwechslung. So kamen beide zu wertvollen Champions-League-Minuten.
Die Motivation im Team stimmt und niemand sorgt für negative Schlagzeilen. Auch ein Sebastian Rudy nicht, der zwar von einer unglücklichen Situation sprach, aber sie nicht überdramatisierte. Heynckes weiß ganz genau, wie wertvoll die Stimmung im Kader ist und kann seine Erfahrung voll ausspielen.
Noch genauer weiß er aber selbst, dass es taktisch und spielerisch derzeit sicher nicht reicht, um mit Manchester City oder Barcelona auf Augenhöhe zu konkurrieren. Dafür fehlt es noch an Sicherheit. Sowohl im Positions- und Passspiel als auch in den Umschaltmomenten in die Defensive.
Allerdings liegt die Betonung eben auf dem Wort „derzeit“. Wer weiß, ob die genannten Mannschaften ihre tolle Form in den April transportieren können und ob da noch viel Luft nach oben ist. Bei den Bayern sieht man hingegen seit einigen Wochen kleine Fortschritte und eine realistische Selbsteinschätzung des gesamten Teams.
Sie haben definitiv noch Steigerungspotential. Das kann man durchaus negativ sehen, weil in dieser Form der Weg zu einem Triumph in der Champions League zu sehr von äußeren Faktoren abhängt. Doch man kann es eben auch positiv sehen, weil die Schritte nach vorn erkennbar sind. Heynckes kann die Situation sehr gut einschätzen und bewerten.
Während es unter Ancelotti ein großer Mythos blieb, dass er seine Mannschaft auf einen Punkt hintrainieren kann, wächst unter dem 72-Jährigen der Glaube daran, dass es mit der richtigen Mischung aus Glück und harter Arbeit noch weit gehen kann. Der Unterschied zum Vorjahr ist nämlich, dass man wirklich erkennt, dass es langsam nach vorne geht.
Vielleicht etwas zu langsam, denn so ist der FC Bayern maximal im erweiterten Kreis unter den Anwärtern auf den Titel in der Königsklasse. Aber die Münchner sind in einer guten Ausgangslage. Sie haben mit Sevilla einen schweren, aber machbaren Gegner für das Viertelfinale zugelost bekommen und so möglicherweise auch noch weitere Wochen Luft erhalten, um ihre Bestform zu finden. Und schafft Heynckes es, seinen Kader weiter Stück für Stück an dieses Ziel heranzuführen, rückt auch der große Traum vom Henkelpokal näher. Wenngleich dafür noch sehr viel passieren muss.
Aus Zeitgründen (der Autor erlaubte sich mal etwas Urlaub) fällt der Fantipp in dieser Woche leider aus. Wir sind in alter Frische nach der Länderspielpause zurück!