Vorschau: TSG Hoffenheim – FC Bayern München
Die Bilanz ist eindeutig. Bayern gewann 12 der insgesamt 18 Duelle, 5 endeten mit einem Remis und das besagte letzte Aufeinandertreffen der beiden endete 1:0 für die TSG. Nagelsmann hat die Aufmerksamkeit auf sich gezogen – auch die des FC Bayern.
Variabilität ist Trumpf
Kaum jemand hatte die Sinsheimer vor der vergangenen Saison auf dem Zettel, als es um die Champions-League-Qualifikation ging. Der Kader war ein guter, aber mit dem der Wolfsburger oder Leverkusener nicht vergleichbar.
Am Ende unterstrich Hoffenheim aber, dass individuelle Qualität nicht alles ist. Darauf können sich höchstens der große FC Bayern und mit Abstrichen auch Borussia Dortmund verlassen. Nagelsmann setzte auf Variabilität und Anpassung.
Je nach Gegner wechselte er nicht nur Grundformation, sondern auch Spielweise. Mal ließen die Hoffenheimer ihre Kontrahenten etwas kommen, um im richtigen Moment zuzuschlagen. Einige Male waren sie das Ballbesitzteam, das aus längeren Zirkulationen etwas kreieren musste. Dennoch waren feste Muster zu erkennen, die es auch in den ersten Pflichtspielen der diesjährigen Saison zu beobachten gab.
Hoffenheim liebt es, mit klugen, automatisierten Bewegungsabläufen Räume zu öffnen. Beim Sieg gegen den FC Bayern war dies ebenfalls ein probates Mittel. Rudy verstand es gut Vidal zu binden und sich so zu bewegen, dass auch Sanches zum herausrücken gezwungen wurde. Dies öffnete vor der Abwehrkette einen Raum, den Demirbay als herausschiebender Achter abdeckte und der auch durch die Viererkette nicht verteidigt werden konnte.
Während die zwei Innenverteidiger durch die Stürmer gebunden wurden, sah sich der ballnahe Außenverteidiger meist zum Pressing gezwungen, weil die Flügelverteidiger der Hoffenheimer klug positioniert waren. Rudy, aber auch die Dreierkette fanden so Wege, die Pressinglinie des Rekordmeisters locker zu überspielen.
Antworten auf Veränderungen?
Ähnlich wird es auch am Wochenende sein, doch Hoffenheim hat enorm an Qualität verloren. Die Abgänge von Süle und Rudy sind schwer zu kompensieren. Gerade für den Sechserraum hat Nagelsmann noch keine adäquate Lösung gefunden.
Die Automatismen sind weiterhin ähnlich. Außenverteidiger und zentrales Mittelfeld des Gegners zur Aktion bewegen, um als Reaktion einen gefährlichen, meist diagonalen Ball zwischen die Ketten zu bekommen. Anschließend wird versucht, mit Tempo und Hirn auf die verbleibende Restverteidigung zuzugehen.
Ancelotti wird die bestmögliche Kombination an Spielern finden wollen, die seine Grundidee – Kontrolle mit und ohne Ball sowie schnelles, vertikales Spiel in die Spitze – ideal umsetzen können. Spannend wird dann, wie die Münchner mit ihrem doch sehr statischen Plan auf die Variabilität des Gegners reagieren.
Nagelsmann stellt gerne mal um. In der letzten Saison, aber auch gegen Leverkusen merkte man den Bayern an, dass sie mit Umstellungen zu kämpfen haben. Gerade wenn diese funktionieren und die Münchner die Kontrolle verlieren, haben sie nur selten etwas entgegenzusetzen.
Bei den genannten Personalentscheidungen dürfte auch die Länderspielpause helfen. Vidal könnte von den langen Reisen erschöpft sein. Vielleicht wird der Italiener deshalb auf Rudy und Thiago auf der Doppelsechs setzen. Deren Vorteile liegen nicht nur darin, dass sie das stark strukturierte Pressing des Gegners spielerisch aushebeln können, sondern auch in ihrer Spielintelligenz gegen den Ball punkten.
Hoffenheims Bewegungsabläufe müssen mit Köpfchen verteidigt werden. Das hat die letzte Partie in Sinsheim gezeigt, in der Vidal und Sanches sich zu oft aus dem Spiel nehmen ließen. Die Zwischenlinienräume müssen gegen Hoffenheim so eng und kompakt wie möglich gehalten werden.
Eine weitere Baustelle hat nun David Alaba unfreiwillig geöffnet. Der Österreicher fällt für unbestimmte Zeit aus. Ancelotti wird ihn eins zu eins mit Rafinha ersetzen. Sicherlich eine solide Variante, die keine größeren Probleme erzeugen sollte.
Allerdings wird es für die Hoffenheimer etwas einfacher sein, die Räume hinter dem Brasilianer zu öffnen, als dies bei Alaba der Fall wäre. So sehr die Form des Österreichers schwankte, er weiß genau wie er sich zu bewegen hat – gerade ohne Ball.
Auch Thomas Müller sollte in Ancelottis Gedanken wieder eine Rolle spielen. Der Nationalspieler zeigte unter der Woche gegen Norwegen, welch enorme Qualität er neben spielstarken Angreifern einbringen kann. Lewandowski hat sein Pendant in Bremen vermisst.
Setzt Ancelotti aber wieder auf ein flaches Dreiermittelfeld, wird er bessere Lösungen in Ballbesitz finden müssen als zuletzt. Taktisch könnte das gegen Hoffenheim durchaus Sinn machen, allerdings wirkte die Offensive der Bayern in dieser Aufstellung sehr zahnlos. Die Zwischenlinienräume zu verteidigen und gleichzeitig Durchschlagskraft mit dem Spielgerät zu erzeugen – das ist das Ziel und dafür braucht es Balance aus Ballsicherheit und Kompaktheit.
Es ist vorstellbar, dass diese mit Rudy, Thiago und Müller am ehesten gegeben ist. Gerade mit Hummels und Süle dahinter dürfte die defensive Absicherung ausreichen. Rudy gelang dies im Sechserraum für Hoffenheim regelmäßig alleine. Auch Thiagos Qualitäten in der Defensive werden häufig unterschätzt.
Müller könnte in dieser Formation zum Puzzleteil werden, das Ancelotti in Bremen fehlte. Er könnte aber auch wieder zum Verlierer der taktischen Überlegung des Italieners werden, dass ein flaches Mittelfeld mit drei Akteuren gegen den Ball stabiler ist.
Automatismen gegen individuelle Klasse
Speziell große Spiele werden im Zentrum entschieden. Die Entscheidung des Trainers über sein Mittelfeld wird also sehr zentral sein. Es ist noch kein großes Spiel, wenn die Bayern gegen Hoffenheim spielen. Aber es ist ein sehr gefährliches für den Rekordmeister.
Waren die meisten Duelle mit der TSG zwischenzeitlich eher Selbstläufer, hat sich dies wieder gedreht. Hoffenheim wird den Münchnern alles abverlangen. Ihnen fehlt zwar die individuelle Qualität, um den Bayern über eine ganze Saison auf Schritt und Tritt zu folgen, aber sie können das in einer Partie mit taktischer Variabilität und all ihren Automatismen ausgleichen.
Sie werden den Serienmeister mit variablem Pressing, gutem Positionsspiel und vielen Laufwegen herausfordern. Bei jedem Sprint eines Achters muss sich der bayrische Gegenspieler fragen, ob er den mitgehen oder übergeben sollte. Öffnet sich dadurch ein Raum, den ein anderer Hoffenheimer bespielt? Wie könnte die Folgesituation aussehen?
All das muss intuitiv geschehen. Nachdenken kostet Zeit, weshalb die Aktionen und vor allem die Reaktionen im Mittelfeld passen müssen. Wagners Physis muss ebenso verteidigt werden, wie die cleveren Bewegungen Demirbays. Der direkte Weg nach vorne liegt den Hoffenheimern und Wagner ist der perfekte Wandspieler, wie Ottmar Hitzfeld sagen würde. Bayern muss als Mannschaft kompakt agieren und in den richtigen Momenten reagieren.
Im Gegenzug müssen sie vor allem die individuellen Schwächen des Gegners provozieren, um sich selbst genügend Chancen herauszuarbeiten. Das Pressing gegen Hoffenheim ist ein Spiel mit dem Feuer. Aber es ist notwendig. Wer es letztendlich schafft im Mittelfeld die Kontrolle zu übernehmen und die Räume besser zu verteidigen, hat auch die besten Karten auf einen Sieg.
Hoffenheim gegen Bayern München. Alternativ könnte man sagen: Automatismen gegen individuelle Klasse. Hoffenheims größte Stärken liegen im mannschaftstaktischen Bereich. Das fehlt den Bayern momentan. Doch die haben wiederum die nötige Qualität im Kader, die der TSG stark abhanden gekommen ist. Es ist vielleicht der erste richtige Gradmesser der Saison für die Roten und ein erster Fingerzeig, ob sich die Probleme mit variablen Gegnern bestätigen.
Wissenswertes zum Spiel
- Hoffenheim fehlt es in dieser Saison etwas an der letzten Aktion. Rund 10 Abschlüsse pro Bundesligapartie sollten nach nur zwei Begegnungen nicht überbewertet werden, zeigen aber, dass es ihnen noch an einigen Automatismen fehlt. Chance für die Bayern.
- Aktuell haben die Bayern mit rund 61% nur den dritthöchsten Ballbesitzwert. Leipzig (66%) und Dortmund (69%) sind dominanter. Das liegt vor allem am Kontrollverlust, den die Mannschaft gegen Leverkusen nicht vermeiden konnte. Kann Hoffenheim dieses Szenario wiederholen?
- Das letzte Mal, dass die Münchner nach einem 3. Spieltag keine 9 Punkte hatten, war in der Saison 2014/15. Damals wegen eines 1:1-Unentschieden gegen Schalke 04 am 2. Spieltag.
- Anstoß ist Samstag um 18:30 Uhr (Live auf Sky).
Expertentipp
Im Expertentipp tippt ein externer Experte den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem zweiten Expertentipp, der vom Autorenteam von Miasanrot.de kommt. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Experten mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.
2:0! Das war nicht nur das Endergebnis zwischen Bremen und den Bayern, sondern auch der Tipp unserer Experten. Damit steht es insgesamt nun 7:5.
Für den Expertentipp haben wir uns Hoffenheim-Fan Julian eingeladen, der schonmal zu Gast war. Er wird gegen Redaktionsmitglied Felix antreten.
Julian: Für Hoffenheim kommt das Spiel ein wenig ungelegen. Beim linken bis mittleren Teil der Abwehr – Zuber, Hübner und Vogt – ist wegen Verletzungen bei allen dreien noch nicht absehbar, ob sie spielen können, der rechte Teil – Nordtveit und Kaderabek – hat jüngst nicht gut zusammengearbeitet und konnte sich wegen der Länderspielreisen nicht weiter einspielen. Im Mittelfeld hat sich noch kein Rudy-Ersatz festgespielt, vorne fehlen Szalai und Gnabry verletzt. Die Ausgangslage ist weit schlechter als im April, die Spielweise erwarte ich wie damals ziemlich vertikal auf Wagner und – diesmal – Uth ausgerichtet. Mit einem eigenen Mittelfeld, das eher auf zweite Bälle oder Steil & Klatsch als auf kontrollierten, geduldigen Ballbesitz aus ist. Beim vergangenen Mal war der Heimsieg keine große Überraschung. Diesmal ist Hoffenheim wieder klar in der Rolle des Außenseiters. 1:2.
Felix: Eine Reise nach Sinsheim am 3. Spieltag und ein Spiel gegen eine taktisch hervorragende Mannschaft mit einem großartigen, versierten und unheimlich reizvollen Trainer (Ähem) ist nicht das, was man sich als Startpunkt in die erste heiße Saisonphase wünscht. Es spricht überraschend viel gegen den FC Bayern – das scheint unter Carlo Ancelotti jedoch Voraussetzung für große Spiele zu sein. Insofern tippe ich auf einen 3:1-Auswärtssieg.