No Schale, no Party
Wer am Samstagnachmittag in München unterwegs war, wird nichts wirklich Besonderes festgestellt haben. Der Bayern-Schal konnte nach einigen kühlen Tagen bei sonnigem Wetter im Schrank bleiben. Die U- und Trambahnen fuhren im normalen Wochenend-Takt. Die Leopoldstraße blieb ebenfalls frei von irgendwelchen Polizei-Absperrungen und die leicht vergilbte Bayern-Fahne, die in der Widenmayerstraße am Isarufer tagein, tagaus ein Wohnhaus ziert, war auch an diesem Tag das einzige hausschmückende Bekenntnis eines Bayern-Fans zu seinem Verein.
Man musste am Samstag, den 29. April, an dem der FC Bayern seine historische fünfte Meisterschaft holte, schon genau hinblicken, um wahrzunehmen, dass sich darüber doch mehr Menschen freuen, als man gemeinhin denken würde. Beim ATP-Tennisturnier etwa, das gerade in der Stadt gastiert, leerten sich gegen 17 Uhr doch merklich die Ränge und immer mehr Menschen drängten sich vor dem Fernseher im Clubhaus, um die letzten Minuten des Leipzig-Spiels zu verfolgen.
Die Meisterschafts-Formel
„Jetz’ kenna ma Meister wer’n“, hieß es, nachdem das 0:0 beim letzten verbliebenen Verfolger feststand. Und ja, in diesem Moment, unter der Münchner Mitt-Fünfziger-Tennis-Klientel, merkte man, dass in all der Frustration über Champions-League- und Pokalausscheiden, die Meisterschaft doch noch wahnsinnig viel bedeutet. Dass Karl-Heinz Rummenigges Zitat „Die Meisterschaft ist der ehrlichste Titel“ keine leeren Worte sind. Und dass es in München eine Logik gibt, auf der der Erfolg dieses Vereins basiert.
Die Grundformel aller Erfolge ist, entgegen der Meinung all derer, die in den frühen Meisterschaften der letzten Jahre eine Problematik sahen, dass es nur mit der Meisterschale eine großartige Saison geben kann. Den Beweis für diese These liefern die Jahre 2012 und 2013: Die Niederlage im Finale Dahoam war eine bittere Erfahrung, aber sie war nur der Gipfel des Frustrations-Eisbergs, dessen Fundament die an Dortmund verlorene Meisterschaft war. Der umgekehrte Fall 2013: Hätten die Münchner das Finale in Wembley nicht aus dem Bewusstsein heraus gespielt, dass Dortmund in der Liga klar geschlagen wurde, es wäre eine komplett andere Situation gewesen. Eine Saison mit Meisterschaft muss keine historisch erfolgreiche sein, aber eine historisch erfolgreiche Saison gibt es nicht ohne Meisterschaft.
Im Schatten der Schalen
Selbstverständlich würde jeder Bayern-Fan lügen, wenn er behaupten würde, dass sich die Meisterschaft 2013, nach zwei erfolglosen Jahren, nicht euphorischer angefühlt hat als die Meisterschaft 2017. Aber es ging in München ohnehin nur in sehr speziellen Situationen der Vereinsgeschichte (siehe 2013) darum, die Meisterschaft zu gewinnen. Vielmehr verschaffte man sich innerhalb der letzten 50 Jahre so häufig einen so großen Vorsprung, dass zweite, dritte oder vierte Plätze sowohl in der öffentlichen als auch in der eigenen Wahrnehmung als Niederlagen zählten.
Ohne Meisterschaft wäre die Saison 2016/17, wie so manche vor ihr, als Niederlage in die Geschichte eingegangen. Doch dank einer Saison, in der die Mannschaft zwar manchmal taumelte, aber nie kurz davor war zu fallen, wird man die 2010er-Jahre als die erfolgreichsten in der Vereinsgeschichte im Kopf behalten. Der Blick zurück wird zeigen, dass fünf (oder mehr) Meisterschaften in Folge eine herausragende und vielleicht unübertreffbare Leistung sind.
Und die vergilbte Fahne in der Widenmayerstraße wird auch in der nächsten Saison wieder tagein, tagaus vor sich hin wehen. Die Meisterschaft 2017 wird den Besitzer wohl kaum genug in Euphorie zu versetzen, um sich eine neue anzuschaffen. Für die ganz großen Investitionen wird es weiterhin die ganz großen Würfe und die ganz großen Trophäen brauchen. Aber diese werden, historisch gesehen, immer im Schatten der Meisterschalen stehen.