Die Herkulesaufgabe des Carlo Ancelotti
Pep Guardiola hat den Verein in den letzten drei Jahren verlebt, wie vorher wohl kein weiterer Trainer beim FC Bayern. Die Akribie und Leidenschaft, die der Katalane ans Werk legte, suchte seinesgleichen. Die Folge waren viele kleine aber auch große Baustellen. Dem Erfolg wurde alles untergeordnet. Wer sich nicht einfügen konnte, musste seinen Platz räumen. Angefangen mit einem latenten Streit mit seinem Stürmer Mario Mandzukic, der vor dem Pokalspiel gegen Borussia Dortmund eskalierte. Über den großen und offen ausgetragenen Disput mit der medizinischen Abteilung. Vor allem in der zweiten Saison, aber auch am Anfang des dritten Amtsjahres von Guardiola. Die Konsequenz war die Trennung von Müller Wohlfahrt. Meist setzte sich Guardiola durch. Die sportliche Leitung um Matthias Sammer und Karl-Heinz Rummenigge war mit dem Aufsammeln der Scherben beschäftigt. Viele Wünsche von Guardiola wurden respektiert und zumeist erfüllt. Manchmal auch schleichend, wie beispielsweise die Reduktion von öffentlichen Trainingseinheiten.
Verstärkt wurden viele dieser Punkte durch Guardiolas umstrittene Medienpolitik. Die ausgelobte Gleichbehandlung der Journalisten, wurde an einigen Stellen wohl als zu ‚gleich‘ empfunden. Was zunächst schleichend begann, endete im vollständige Bruch mit der schreibenden Zunft. Der Austausch beschränkte sich auf Pressekonferenzen. Die Informationspolitik des Vereins – so wirkte es – wurde reduziert. Gut ließ sich das auch an den Pressemitteilungen zu Verletzungen ablesen. Diese wurden immer kryptischer und nebulöser. Arjen Robbens Blessur entpuppte sich dann schnell als frühzeitiges Saisonende. Die regulären Pressekonferenzen hatten im Verlauf der Zeit immer weniger Informationsgehalt.
Neuer Führungsstil als Chance?
Ancelotti wird also abgesehen von den sportlichen Herausforderungen noch viele weitere Aufgaben im Verein angetragen bekommen. Die Erwartungshaltung ist wohl, dass seine ruhige und moderierende Art den Verein wieder ein Stück weit erdet und ihm ein menschliches Antlitz verleiht. Zum einen wird es darum gehen, eine neue Gesprächskultur im Verein zu etablieren. Der Trainer ist hier besonders gefragt, da er zu vielen anderen ‚Abteilungen‘ das Bindeglied ist und letztendlich den sportlichen Erfolg (mit) verantwortet. Also den Aspekt, der bei einem Fußballverein an erster Stelle steht.
Es wird zunächst darum gehen, die Erwartungshaltungen, die von Außen herangetragen werden, auf ein gesundes Maß schrumpfen zu lassen. Natürlich ist der FC Bayern der Favorit auf die Meisterschaft und den nationalen Pokal. Beide Titel werden aber nicht vor der Saison an die Münchner verliehen, sondern müssen auf dem Rasen verdient werden. Wichtiger ist aber den Wunsch eines erneuten Champions-League-Sieges auf ein erwartbares Niveau zu stutzen. Ein knappes Ausscheiden im Halbfinale ist kein Scheitern ersten Grades, sondern eine Bestätigung unter die vier besten europäischen Vereine eines Jahrgangs zu gehören. Eine Garantie auf einen Titelgewinn kann es nicht geben. Erst recht nicht bei der Konkurrenz aus Spanien, Italien und mit Abstrichen England. Eine Situation in der ein verlorenes Champions League-Finale als Misserfolg bewertet wird, kann auf Dauer nicht gesund für den Verein sein.
Ein weiterer Punkt in der Schaffenszeit von Ancelotti wird sein, ein Team zu Formen, das nicht nur auf dem Platz steht, sondern auch im Hintergrund wieder an dem berühmten ‚einen Strang zieht‘. Die Nebenkriegsschauplätze, allen voran natürlich mit dem medizinischen Betreuerstab, waren nicht besonders zuträglich für den Erfolg. Die fehlende kommunikative Stärke Guardiolas muss Ancelotti in den ersten Wochen und Monaten überkompensieren.
Weiterhin wird beachtenswert sein, wie Ancelotti mit den vielen kleinen Nuancen auf der Bühne Bundesliga umgeht. Guardiola hat vor dem Spiel selten für Interviews zur Verfügung gestanden. Diese sind bei Sky, dem übertragenden Sender aber gute Sitte. Meist sprangen hier Matthias Sammer, aber auch Paul Breitner und Hermann Gerland ein. Es mag nicht das wichtigste Detail sein, würde aber nach Außen hin demonstrieren, dass Ancelotti ein Auge für Feinheiten besitzt. Dies wird auch ablesbar sein, ob er für Pressevertreter in einer anderen Form als nur einer Pressekonferenz zur Verfügung steht.
In dieses Vakuum hinein fallen zudem noch die Rücktritte von Markus Hörwick und Matthias Sammer. Beide hatten tragende Rollen im Verein. Der eine als die Schaltzentrale auf der Medienseite, der andere als Sportvorstand. Gerade Matthias Sammer hat mit seiner Professionalität und Einstellung eine neue Haltung in den Verein gebracht. Ihre Rücktritte hinterlassen Lücken, die nun gefüllt werden müssen.
Die Aufgaben und Erwartungen an Ancelotti sind dementsprechend riesig. Auch er wird keine Wunderdinge vollbringen können. Allerdings ergibt sich nach drei Jahren ein leichter Perspektivwechsel. Dinge, die vorher vielleicht als zu wichtig erschienen, sollten mit dem nötigen Augenmaß betrachtet werden. Nicht immer sollte das Absolute die erste Handlungsoption sein. Vielleicht vermittelt die erste Pressekonferenz von Ancelotti schon einen Eindruck wie es weiter gehen wird.
Der FC Bayern wird sowohl die Pressekonferenz mit Carlo Ancelotti um 11:00 Uhr als auch das erste Training ab 16:30 Uhr live via YouTube übertragen.