Guardiola: Der Unverstandene
„Er war perfekt. Perfekt.“ Es war wieder so ein Moment am Dienstag-Abend. Pep Guardiola gab Sky-Moderator Jan Henkel ein Interview nach dem 2:2 gegen Juventus Turin. Ein Standardtermin. Ein Pflichttermin. Guardiola wirkte angespannt, geladen, geradezu entrückt – wie so häufig kurz nach einem Spiel. Er wischte sich immer wieder mit der Hand durchs Gesicht. Wartete geradezu unwirsch auf die leiseste Kritik an der Leistung seiner Mannschaft, um sie mit fast trotzig wirkender Überzeugung abzuweisen.
Guardiolas Überhöhungen in Interviews sind zu einem Running Gag verkommen. Das liegt zum Teil an der immer noch vorhandenen Sprachbarriere, die Guardiolas rhetorische Möglichkeiten einschränkt. Am Anfang war es das „super, super Spieler“, das viele erheiterte. Dann war es das überschwängliche Lob für mausgraue Mittelklasse-Teams der Bundesliga, die – wenn man Guardiolas Aussagen wörtlich nehmen würde – in verschiedenen Bereichen wie Standardsituationen oder Pressing-Fähigkeiten die „besten der Welt“ seien.
Nun also Joshua Kimmich. „Er war perfekt. Perfekt“, sagte Guardiola nach dem Spiel. Joshua Kimmichs Leistung war nicht perfekt. Er spielte über weite Strecken gut, aber er war an beiden Gegentoren direkt beteiligt. Guardiola ging darauf nicht ein. Auch seiner Mannschaft machte er trotz der zwei späten Gegentreffern keinerlei Vorwurf. Es sei unmöglich Juventus Turin über 90 Minuten zu kontrollieren. Außerdem habe sein Team die Vorgaben über 90 Minuten umgesetzt und noch kurz vor Schluss aggressives Pressing gespielt. Den gemeinen Zuschauer und Fan verliert er mit solchen Aussagen. Desinteresse oder Überheblichkeit interpretieren manche in solche Interviews und Pressekonferenzen. Da ist sicher etwas dran. Aber Guardiola offenbart damit auch einen Blick in seine Gedankenwelt, die nicht so richtig zu den Mechanismen des Profi-Fußballs passt.
Im Herbst – nach dem 5:1 gegen den FC Arsenal – brauchte Guardiola ein paar Tage, um wieder neue Motivation zu finden. So beschrieben es zumindest Weggefährten, die ihn persönlich gesprochen haben. Das Spiel gegen Arsenal war für ihn perfekt. Das was seine Mannschaft dort auf den Platz brachte war die perfekte Umsetzung seiner Vorgaben. Guardiola sah offenbar zumindest für den Moment seine Aufgabe als erfüllt an.
Guardiola hört deshalb nicht auf zu arbeiten, aber die Anekdote zeigt, dass Guardiola Fußball anders bewertet und bespricht, als wir es gelernt haben und gewöhnt sind. Guardiola deutete es am Dienstag auch selbst an. „Für mich ist entscheidend wie die Leistung war. Ich bin Trainer. Ich analysiere was wir gemacht haben. Das ist meine Aufgabe. Wenn du das Ergebnis analysieren willst. Ok. Es war 2:2. Wenn du deine Bewertung davon abhängig machen willst, ist das deine Aufgabe. Nicht meine“, so Guardiola am Sky-Mikro.
Triple, Triple, Triple
Profi-Fußball ist ein Ergebnissport. Es zählt das Ergebnis nach 90 Minuten. Das Ergebnis nach einer Saison. Nichts ist unbedeutender als eine Momentaufnahme Anfang November, wenn drei Tage bereits das nächste Spiel ansteht. Es ist die Gefräßigkeit. Dieses „immer weiter“, das gerade den FC Bayern in den letzten 15 Jahren so maßgeblich geprägt hat. Guardiola bricht zumindest gedanklich mit diesen Mechanismen. Die Vermittlung seiner Idee von Fußball steht für ihn im Mittelpunkt. Nicht zwangsläufig ein Titel. All das heißt sicher nicht, dass ihm Meisterschaften und Pokalsiege egal sind. Aber Guardiola ordnet dem Endergebnis nicht alles unter. „Ich weiß, dass in München nur das Triple zählt. Immer Titel gewinnen. Triple, Triple, Triple.“ Auch das ist so eine Aussage von Guardiola aus den letzten Monaten, die ins Bild passt. Er macht sich dieses Ziel nur sehr widerwillig zu eigen.
Wer sich versucht in diese Gedankenwelt hinein zu versetzen, der erkennt hinter all der Fassade und den sprachlichen Hindernissen im Interview mit Henkel am Dienstag-Abend den Funken Wahrhaftigkeit in seinen Aussagen. Guardiola wird Joshua Kimmich sehr genaue Anweisungen mit ins Spiel gegeben haben. Es wird um Abstände in der Kette, um Muster im Aufbauspiel und ums Herausrücken im Pressing-Verbund gegangen sein. Vielleicht bewertet Guardiola genau das, wenn er Kimmichs Leistung als „perfekt“ bezeichnet. Nicht den zu kurz abgewehrten Ball. Nicht die Fußspitze, die er bei einer Hereingabe zu spät kommt.
Genauso wie er seine Mannschaft für die Umsetzung seiner Vorgaben gegen Turin lobt. „Haben wir nicht über 90 Minuten Pressing gespielt? Haben wir in den letzten Minuten am Strafraum verteidigt oder hat Franck Ribéry noch zwei Chancen eingeleitet?“ fragt er Henkel als der vorsichtig nachhakt, warum die Mannschaft nur 60 Minuten richtig gut gespielt und danach noch zwei Gegentore kassiert habe. Wieder so ein Moment in dem völlig unterschiedliche Denkstrukturen – ja Philosophien -aufeinanderprallen. Hier das Ergebnis. Dort die Umsetzung eines Plans. „Ganz verstanden habe ich ihn nicht“, sagte Sky-Experte Franz Beckenbauer nach der Schalte zu Guardiola am Dienstag-Abend. Wie passend.
Guardiolas Ansatz ist der eines Fußballlehrers, der gut beraten ist seine Bewertungen nicht allein vom Ergebnis abhängig zu machen. Dass er erwartet, dass dies auch in der medialen Besprechung des Spiels funktioniert, spricht für seine Konsequenz. Oder eine gewisse Naivität.
Guardiola hat sich in Teilen selbst zuzuschreiben, dass er wohl als Unverstandener in die Bundesliga- und Bayern-Historie eingehen wird. Dass er – wie er vor kurzem monierte – in den wöchentlichen Pressekonferenzen zu selten inhaltliche Fragen über Fußball gestellt bekommen habe, stimmt. Es ist aber in Wahrheit auch nur ein Teil des Problems. Guardiola hat seinerseits viel zu wenig dafür getan seine Ideen und seine Philosophie zu erklären. Das hätte den Widerspruch zwischen der Ergebnis-Logik des Profi-Fußballs und den konzeptionellen Ansätzen Guardiolas sicher auch nicht vollständig aufgelöst. Aber es hätte geholfen Aussagen wie die vom Dienstag-Abend einzuordnen. Zu oft trüben Guardiolas Interviews nämlich den Blick auf die Arbeit dieses genialen Fußballtrainers.