Guardiolas Lineup of Death
Die Warriors haben viele taktische Trends im Basketball verknüpft und in den vergangenen Monaten auf die Spitze getrieben. Schnelles, positionsloses Spiel mit hoher Effizienz im Abschluss. Besonders innovativ ist dabei eine Aufstellung mit dem nur 2.01m großen Draymond Green auf der Center-Position, die ansonsten von deutlich größeren und schwerfälligen Spielertypen besetzt wird. Die Warriors sind so deutlich kleiner aufgestellt als ihre Gegner, aber auf Grund der Geschwindigkeitsvorteile kaum zu verteidigen. „Lineup of Death“ oder „Nuclear Lineup“ wird die Formation auf Grund ihrer herausragenden statistischen Überlegenheit deshalb schon genannt. Wichtiger als die Körpergröße ist aber der Fakt, dass die Warriors in der beschriebenen Formation fünf echte Playmaker gleichzeitig aufs Feld bringen. Spieler also die auf einem hohen Niveau dribbeln, werfen, passen und verteidigen können. Allrounder mit bestimmten Spezialfähigkeiten, statt Spezialisten mit vielen Defiziten.
Alle 15 Minuten ein Tor
Der Bogen zum Fußball und zum FC Bayern mag etwas weit erscheinen, doch Pep Guardiola hat in den vergangenen Wochen vielleicht so etwas wie seine eigene „Lineup of death“ gefunden. In drei der letzten vier Heimspiele brachte Guardiola mit Douglas Costa, Coman, Robben, Müller und Lewandowski fünf nominelle Angreifer von Anfang an aufs Spielfeld. Das Ergebnis ist bisher herausragend.
Gegen Köln, Stuttgart und Piräus sammelte diese Formation insgesamt 157 Minuten gemeinsam auf dem Feld und erspielte in dieser Zeit ein Torverhältnis von 10:0 Alle 15 Minuten klingelte es im Schnitt. 52 Mal schoss die Mannschaft in dieser Zeit aufs Tor. Das sind hochgerechnet fast 30 Torschüsse pro 90 Minuten. Fast 10 Torschüsse mehr als im Schnitt in dieser Saison. Neun der zehn Treffer wurden von den fünf genannten Spielern erzielt. Auch vier Assists gehen auf das Konto des Offensivquintetts. Fünf der 10 Tore fielen zudem in den ersten 20 Minuten des jeweiligen Spiels. Ein ganz wichtiger Faktor für Bayerns Spiel.
Guardiolas Kalkül ist eindeutig. Er schwächt nominell das zentrale Mittelfeld, weil er weiß, dass gegen spielerisch unterlegene Gegner das Aufbauspiel problemlos auch von einem Sechser und den kombinationssicheren Spielern der Viererkette übernommen werden kann. Er braucht insofern nicht zwingend einen spezialisierten 8er oder 10er, weil die übrigen sechs Spieler auch so in der Lage sind den Ball konstruktiv und schnell in den Offensivbereich zu spielen. Auch das Gegenpressing funktionierte gegen die genannten Gegner so gut, dass die potenziellen Freiräume um den zentralen Mittelfeldspieler herum vom Gegner kaum bespielt werden konnten. Thiagos Verletzung kam nun als zusätzliches Argument wenn man so will noch oben drauf.
Quintett nur schwer zu stoppen
Fraglos ist der Vergleichswert nach 157 Minuten noch etwas gering und Stuttgart und Piräus sind nicht unbedingt das Ebenbild einer gefestigten Defensivorganisation. Trotzdem ist Guardiola gut beraten in diese Richtung weiter zu denken. In der Vergangenheit ist es einigen Mannschaften gelungen einen dribbelstarken Flügel der Münchner durch starke personelle Verdichtung auf einer Seite in seiner Wirkung zu stören. Sehr guten Mannschaften ist das auch gelegentlich gegen zwei Flügel gelungen, wenn die Defensive in der Lage ist gegen Seitenverlagerungen schnell zu verschieben. Gegen drei durchschlagkräftige, dribbelstarke Spieler (Costa, Coman, Robben) auf dem Flügel und in einem der beiden Halbräume plus zwei exzellenten Komplementärspielern, die sich im Strafraum gut bewegen (Lewandowski, Müller) wird das noch einmal deutlich schwieriger.
Auf der gesamten horizontalen Linie am Strafraum zu jedem Zeitpunkt eins gegen eins oder Unterzahlsituationen zu verhindern wird beinahe unmöglich, vor allem dann wenn die Münchner den Ball so präzise aus der Defensive durch einen Diagonalball auf den ballfernen Flügel verlagern wie zuletzt. Köln, Stuttgart und Piräus wirkten damit phasenweise sowohl individuell als auch im kollektiv völlig überfordert.
Selbst wenn die Tore gegen Piräus ein wenig glücklich entstanden wurde auch hier der systemische Vorteil der hohen Positionierung des Quintetts deutlich. Bei Boatengs Schuss aus der Distanz vor dem 1:0 warten alle fünf Offensivspieler wie an einer Perlenkette an der Strafraumkante auf einen Abpraller, den letztlich Costa durch einen schnellen Antritt erreichen konnte. Costa, Lewandowski und Müller standen beim Schuss sogar im Strafraum und schafften so eine 3 gegen 3 Situation zentral vor dem Tor. Beim 2:0 zieht Coman aus 25 Metern ab und hat vier Teamkollegen zwischen sich und dem gegnerischen Tor – der Ball landet schließlich etwas glücklich bei Lewandowski, der nur noch einschieben muss. Auch beim 3:0 positionieren sich alle fünf Offensivspieler bei einer Flanke von Lahm im Strafraum und schaffen so am Fünfer eine 5 gegen 3-Situation. Über Coman und Robben, landet der Ball letztlich bei Müller. Die Beweglichkeit und Präsenz der Fünf am und im Strafraum sorgte wie schon in den Spielen zuvor für ständige Überforderungen der gegnerischen Defensive in Tornähe. Torschüsse und Tore sind dann nur ein ein logisches Produkt.
Und irgendwie erinnerte das Quintett in den vergangenen Wochen dann in der Tat an die Golden State Warriors in der NBA. Da spielten fünf Playmaker in der Offensive, die in jeder Situation in der Lage waren gemeinsam etwas zu kreieren und die Defensive zur Reaktion zu zwingen. Durch ein Dribbling, durch einen schnellen Doppelpass, durch eine Hereingabe oder ansatzlosen Schuss. Nachhaltig gestoppt wurden beide bisher nicht. Der Begriff Playmaker ist dabei auch ein anderer als der im Fußball geläufige „Spielmacher“. Er meint weniger die Fähigkeit ein Spiel zu gestalten und zu leiten, als mit dem Ball Abschlüsse zu kreieren (für sich oder für andere) und die Defensive unter Druck zu setzen. Xabi Alonso ist ein Spielmacher. Douglas Costa und Arjen Robben sind eher Playmaker in dieser Definition.
Der Verzicht auf Spezialisten zu Gunsten von Allroundern ist übrigens eine weitere erkennbare Gemeinsamkeit. Der großgewachsene Center im Basketball ist dabei vielleicht der kopfballstarke 9er im Strafraum. Der passorientierte Point Guard der strategische, aber wenig durchschlagkräftige 10er im Fußball. Guardiola verzichtet bereits seit längerem auf diese beiden Spielertypen, die den Fußball zuvor so lange maßgeblich geprägt haben.
Aus zwei 6ern und einem 10er machte Guardiola nach seiner Ankunft in München zunächst einen 6er und zwei 8er. In dieser Saison war es häufig nur noch ein 6er und ein 8er oder wie zuletzt sogar nur noch ein nomineller zentraler Mittelfeldspieler hinter einem variablen Offensivquintett mit einem spielstarken Stürmer in der zentralsten Rolle.
Weitere Bewährungschancen?
Natürlich birgt diese Ausrichtung auch Anfälligkeiten – gerade in der Rückwärtsbewegung. Wohl auch deshalb verminderte Guardiola in den Auswärtsspielen zuletzt ein wenig das Risiko und verzichtete darauf das Offensivquintett gemeinsam aufs Feld zu schicken. Guardiola wird die kommenden Wochen ohne Thiago nutzen, um dies weiter auszubalancieren. Vor allem die Ausrichtung im Auswärtsspiel gegen Angstgegner Mönchengladbach darf mit Spannung erwartet werden. Es ist eine verlockende Vorstellung Bayerns Quintett, das zudem bald noch von Franck Ribéry unterstützt werden könnte, in der Rückrunde gegen die besten Teams Europas zu sehen. Doch soweit sind wir noch nicht.
Im Moment gilt zumindest sowohl bei den Golden State Warriors als auch beim FC Bayern eines. Die Defensive, die es nachhaltig mit der „Lineup of death“ aufnehmen kann, ist bisher noch nicht gefunden.