3:2 in Bremen: Bayern zockt sich ins Finale

Justin Trenner 24.04.2019

Wenn am Osterdeich die Flutlichter angehen, standen in der Vergangenheit viele große Spiele auf dem Programm. Die Fans von Werder Bremen taten bereits vor Anpfiff ihr Bestes, um ein solches zu beschwören: Hunderte Anhänger belagerten den Bremer Bus bei der Ankunft und zeigten ihrer Mannschaft, dass heute ein großer Tag ist.

Falls Ihr es verpasst habt:

Früh war also klar, dass die Bayern eine starke Leistung bringen mussten, um am Ende ins Pokalfinale einzuziehen. Niko Kovač vertraute deshalb größtenteils der Mannschaft, die zuletzt für die richtigen Ergebnisse sorgte.

Lediglich Hummels rückte im Vergleich zur Bundesliga-Partie wieder in die Startelf. Boateng bekam einen weiteren Startelfeinsatz, weil Süle seine Sperre absaß.

Auch Kohfeldt veränderte nicht allzu viel. Für Nuri Sahin brachte er Osako, der wiederum dafür sorgte, dass Kruse und Möhwald jeweils eine Position nach hinten rutschten. Sonst war es die zuletzt erfolgreiche Werder-Raute im 4-3-1-2 – diesmal allerdings mit Kruse in seiner Freigeist-Rolle. Bargfrede wurde nicht rechtzeitig fit.

Werder begann mutig und aggressiv, erspielte sich nach rund 7 Minuten sogar die erste kleine Chance des Spiels, nachdem Lewandowski den Ball verlor. Früh wurde klar, dass es für die Bayern komplizierter werden würde als am Wochenende.

Allerdings nahmen die Münchner die Aufgabe an. In den ersten zehn Minuten waren sie hellwach und konnten Werders Ballbesitzphasen gut verteidigen. Nach vorn entwickelten sie ihrerseits erstmals Gefahr, als Müller mit der Hacke knapp verfehlte (8.). Es war wie erwartet eine Anfangsphase auf Augenhöhe.

So bekamen aber auch die Bayern hin und wieder Raum für Konter. Wie in der 16. Minute als Coman plötzlich mit viel Platz andribbeln konnte, Müller im Rückraum bediente und der die erste Riesenchance vergab, weil Moisander das Bein dazwischen bekam. Auch Thiago vergab in einer Phase eine gute Möglichkeit aus gut 18 Metern, als die Bayern zunehmend dominanter wirkten (22.).

Doch Werder blieb gefährlich, obwohl sie jetzt etwas tiefer standen. Die Gäste ließen sich immer noch zu einigen Risikopässen hinreißen, die die Mannschaft von Florian Kohfeldt ausnutzen konnte. Aus einer ähnlichen Situation entstand auch ein Gegenstoß, den Klaassen fast zum 1:0 genutzt hätte (24.).

Es war ein hart umkämpftes Spiel. Beide Mannschaften schenkten sich nur wenige Räume. Ein Paradebeispiel dafür war der Konter der Bayern nach einer Ecke in der 29. Minute. Obwohl die Münchner viele Spieler in kurzer Zeit in die Offensive bekamen, war Werder den Umständen entsprechend ebenso schnell hinter dem Ball und konnte so Schlimmeres verhindern.

Die wichtigste Bedingung für ein Spiel auf Augenhöhe war gegeben: Bremen schaffte es in den ersten 35 Minuten, Bayerns limitierten Ballvortrag zu verhindern und sie so abhängig von der individuellen Klasse zu machen.

Umso bezeichnender ist es aber, dass die Bayern genau mit dieser und etwas Glück in der 36. Minute in Führung gingen: Nach einem eigentlich zu langen Schlag kam Müller aus unmöglichem Winkel zum Kopfball. Die Verteidiger rechneten bei Müllers Bogenlampe schlichtweg damit, dass der Ball ins Aus gehen würde. Er prallte allerdings vom Pfosten zurück ins Feld, wo Lewandowski einschob. Die Definition eines Kackto … eines Tores mit Müller-Beteiligung.

In der Folge waren die Bayern oben auf und Werder etwas durcheinander. Lewandowski erzielte sogar das 2:0 per Kopf – allerdings aus Abseitsposition, weshalb der Treffer zu Recht wieder aberkannt wurde.

Zur Halbzeit stand es deshalb 1:0 für die Gäste aus München. Insgesamt ein nicht unverdientes Ergebnis, obwohl Werder über weite Phasen der ersten Halbzeit auf Augenhöhe agierte.

Im zweiten Durchgang kamen die Bremer wieder stark verbessert aus der Kabine. Der Schock vom Gegentor schien überwunden. Es entstand zunächst ein wilder Schlagabtausch, den die Bayern nach rund zehn Minuten aber wieder unter Kontrolle bekamen.

Kovač reagierte trotzdem und brachte Leon Goretzka für einen glücklosen Serge Gnabry (58.). Vermutlich wollte er damit für noch mehr Ruhe im eigenen Spiel sorgen. Das hat zunächst auch geklappt. Schon in der 63. Minute machte sich der Wechsel bezahlt: Nach Vorlage von Goretzka war es Thomas Müller, der die 2:0-Führung erzielte. Die Entscheidung?

Mitnichten. Kohfeldt ging jetzt volles Risiko und brachte Pizarro für Mittelfeldmann Möhwald. Werder erzwang jetzt wieder einen offenen Schlagabtausch und brachte sich innerhalb von nur 67 Sekunden zurück ins Spiel. Erst war es Osako, der den Anschlusstreffer nach einer Hereingabe in den Rückraum besorgte (74.) und wenig später verloren die Bayern erneut den Ball und Rashica erzielte den Ausgleich (75.).

Kovač sah sich nun erneut zu einem Wechsel gezwungen und brachte James für den diesmal unglücklich spielenden Thiago (76.). Jetzt wurde es richtig verrückt. Nur zwei Minuten später brannte es wieder im Strafraum der Gastgeber: Nachdem Kingsley Coman sich gegen Gebre Selassie durchsetzte, fiel er. Der Schiedsrichter entschied auf Elfmeter.

Mindestens diskutabel, weil Coman sich einerseits den Ball ohnehin zu weit vorlegte und andererseits der Kontakt sehr leicht war. Lewandowski nutzte seine Chance und verwandelte (80.).

Kohfeldt warf nochmal alles nach vorn. Für Augustinsson kam Harnik (81.). Bayern bekam die Partie zu keinem Zeitpunkt mehr richtig unter Kontrolle, hatte aber auch selbst Chancen durch James (87.) und Lewandowski (94.), um für die Entscheidung zu sorgen. Auch die letzten Wechsel von Kohfeldt (Eggestein für Klaassen, 89.) und Kovač (Rafinha für Müller, 89.) sollten aber nichts mehr am 3:2 für die Bayern ändern.

Die Münchner ziehen damit erneut ins Pokalfinale ein. Für Kovač ist es sogar das dritte Finale in Folge als Trainer. In Berlin wartet am 25. Mai RB Leipzig auf den FC Bayern.

3 Dinge, die auffielen:

1. Werder mit richtigem Matchplan

Bremen startete aggressiv und mutig in die Partie. Früh zeigte sich, dass Kohfeldt den richtigen Auftaktplan für die Begegnung wählte. Aus dem 4-4-2 heraus entstanden gegen den Ball schon früh vier verschiedene Muster (4-2-3-1, 4-4-2, 4-1-3-2, 4-3-1-2), die Bremen je nach Positionierung der Bayern und eigenem Pressingdruck variierte. Schoben die Gastgeber sehr hoch, wählten sie meist das 4-1-3-2, um den Gegner beim Übergang ins zweite Drittel zu Pässen auf die Außenbahnen zu zwingen. Die Außenverteidiger waren wiederum dafür verantwortlich, die natürlichen Lücken neben dem Sechser ebenfalls zu verteidigen, sollte der Ball dort hingelangen.

In tieferen Phasen wählte die Kohfeldt-Elf eher ein flaches 4-4-2 oder ein 4-3-1-2 mit Kruse als Störer für vertikale Zuspiele auf Martínez oder Thiago. Trotz des 0:1-Rückstands ging dieser Plan zunächst auf. Werder war aggressiv, sofort am ballführenden Spieler und bekam genügend Chancen zu Kontersituationen. Auch deshalb, weil sie die Bayern damit vertikal auseinander zogen. Sie schafften es, die Passwege zu Lewandowski und insbesondere zu Müller so lang wie möglich zu halten, weil sich abkippende Bewegungen für beide nicht lohnten. Kohfeldt wusste, dass die Bayern gerade in solchen Szenen einerseits für Ballverluste anfällig sind und andererseits danach nicht so stark in der Konterabsicherung sind. Lediglich der letzte Pass und die Chancenverwertung passten zunächst nicht.

Werder zwang die Bayern damit auf Augenhöhe und beschränkte sie auf ihre individuelle Klasse. Sie machten also alles, was nötig war, um eine realistische Chance auf den Sieg zu haben. Dass Bayern lange Zeit nur nach Kontern oder Einzelaktionen Gefahr ausstrahlte, bestätigte Kohfeldt in seinem Ansatz. Auch am Ende bewies der Trainer ein glückliches Händchen, indem er die richtigen Stellschrauben drehte. Im richtigen Moment brachte er seine volle Offensivkraft auf den Rasen, um die Bayern nochmal ins Straucheln zu bringen. Am Ende reichte es deshalb nicht, weil die Münchner einen Tick abgezockter waren und ihre Chancen nutzten. Werder hingegen ließ in diesem Spiel zu viel liegen und kann sich letztendlich auch nur wenig davon kaufen, dass sie die Bayern auf Augenhöhe ziehen und dort bespielen konnten.

2. Bayern


Niko Kovač würde vermutlich sagen, dass seine Mannschaft den Kampf früh annahm. So war es schließlich auch. Die Münchner zeigten sich wenig überrascht vom gut organisierten und mutigen Gegner und schafften es wiederum, ihre Ballverluste bis zur wilden Schlussphase auf ein Minimum zu reduzieren. Aufgrund der bereits bekannten Schwächen im Positionsspiel war dieses Minimum immer noch genug, um Werder im Spiel zu halten. Gerade die langen Passwege im Zentrum sind mittlerweile zu einem Markenzeichen des bayerischen Fußballs geworden.

Gegen den Ball zeigten sich die Münchner meist ebenso gut organisiert wie ihr Gegner. Müller und Thiago schoben in Phasen des Angriffspressings weit und teils sogar mannorientiert nach vorn und Martínez schloss die Lücken dahinter. Werder konnte sich zwar ein paar Mal gut aus dem hohen Pressing befreien, wenn sich die Achter in die Zwischenräume schoben, doch alles in allem war der Druck für sie meistens zu hoch, um dann auch wirklich strukturiert ins letzte Drittel zu gelangen. In tieferen Verteidigungsphasen agierten die Bayern in einem 4-1-4-1 oder 4-5-1, das Bremen wenig Raum zwischen den Linien bot. Allerdings hatten sie immer dann Probleme, wenn Werder sich auf der Außenbahn freispielen konnte oder diagonale Wege in die Räume zwischen die Ketten fand. Gerade bei Bällen von außen in den Rückraum standen die Bayern oft nicht so gut. Wie beispielsweise beim 1:2-Anschlusstreffer im zweiten Durchgang. Darüber hinaus haben die Bayern weiterhin mit ihrer Konterabsicherung zu kämpfen. Vorrangig liegt das aber nicht an der Bewegung der Spieler direkt nach den Ballverlusten, sondern an der Entstehung der Ballverluste und den Bewegungen der Spieler direkt vor diesen.

Denn hier haben die Münchner schon in der gesamten Saison ihr größtes Manko: Es gibt zu wenig Struktur in Ballbesitz, um den Zufall beim Ballvortrag zu minimieren. Offensiv wurden die Bayern auch gegen Bremen vor allem durch Einzelaktionen gefährlich. Die Münchner unterstützten erneut ihre Außenspieler zu wenig. Eine exemplarische Szene war in der ersten Halbzeit Alabas Dribbling nach innen, das er mit einem ungefährlichen Schuss mit seinem schwachen rechten Fuß abschloss, weil kein Spieler den Lauf in die Tiefe suchte oder sich im Zentrum anbot. Die Unterstützung für den ballführenden Spieler ist häufig mangelhaft, was wiederum zu vielen Dribblings oder langen Ballbesitzphasen einzelner Spieler führt. Das Resultat der fehlenden Struktur – besonders im Zentrum – sind Ballverluste, die anschließend nicht abgesichert werden können. So entstehen mitunter wilde Spiele, wie in der Schlussphase gegen Bremen.

3. Wieder nicht verzockt!

Man könnte auch sagen, dass die Bayern sich endgültig zu Zockern gewandelt haben. Sie zocken im Pressing hin und wieder, wenn einzelne Spieler herausschieben und hinter sich Räume öffnen. Sie zocken in Ballbesitz schon im Spielaufbau, wenn die vertikalen Passwege ins Zentrum zu lang sind. Sie zocken vorne, weil sie nicht selten in Unterzahl sind. Selbst bei Ballverlusten zocken sie manchmal, wenn sie auf die Restverteidigung der Mannschaft vertrauen und nur zurücktraben. Sie können sich das auf nationaler Ebene in den meisten Fällen erlauben, weil sie dort eben individuell klar überlegen sind und so die vielen Unter- oder Gleichzahlsituationen ausgleichen können.

Durch das Zocken machen sie sich aber selbst unnötig abhängig von engen Situationen, die letztendlich den Unterschied machen. Hier ein Tackling in letzter Sekunde, dort ein Pass mit zu viel Risiko vertikal durchs ganze Zentrum und wieder an anderer Stelle ein riskantes Dribbling im Eins-gegen-Zwei – die Bayern machen all das im Moment im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut. Keine Frage. Aber es bleibt die Frage, wie viel besser sie sein könnten, wenn sie als Kollektiv noch ein Stück strukturierter und besser wären. Wenn sie dem Zufall noch mehr Ideen entgegensetzen. Gegen den Ball haben wir in dieser Saison bereits einen taktischen Sprung erlebt und gesehen, was er mit der Mannschaft machen kann. Mit dem Ball bleibt es oft zufällig und zäh. Auch die Gegentore entstanden gegen Bremen aus Situationen, in denen die Münchner sich verzockt haben. Verzockt, weil sie sich selbst zum Zocken gezwungen haben.

Umso spannender wird das Saisonfinale. Mit Leipzig (2x) und Frankfurt haben sie in der Liga und im Pokal noch zwei Mannschaften als Gegner, die gruppentaktisch und individuell so gut sind, dass es für den FC Bayern trotz des aktuellen Laufs eng werden könnte. Zocken sie dann den Tick zu viel, können die beiden Titelträume schnell platzen. Kovač scheint dennoch eine Balance gefunden zu haben, die aktuell für die gewünschten Ergebnisse sorgt. Und allein das stimmt bereits positiv, dass sie auch bei den kommenden Herausforderungen den Kampf annehmen und eine gute Leistung abliefern werden. Gegen Bremen haben sie sich ein weiteres Mal nicht verzockt. Auch wenn es knapp war.