FC Bayern – Miasanrot-Adventskalender, Nummer 33: Mario Gómez
Der Quotenstürmer
Mario Gómez ist der bis dato letzte Weltklassestürmer, den das Fußballland Deutschland produziert hat. Zwar wird er bedauerlicherweise nicht so wertgeschätzt, wie seine großen Vorgänger in diesem Land, so muss er sich keinesfalls vor den Hrubeschs, Fischers, Klinsmanns oder Bierhoffs verstecken. Bei Neunern genügen ja oft einfach die simplen Zahlen um die Extraklasse zu zeigen und Gómez’ Zahlen sprechen für sich: 87 Tore in 156 Spielen als zum Teil noch junger Spieler während seiner ersten Zeit in Stuttgart. 113 Tore in 174 Spielen in seiner Zeit beim FC Bayern. 31 Tore in 78 Spielen für die deutsche Nationalmannschaft.
Auf den ersten Blick erkennt man Spitzenklasse, auf dem zweiten offenbart sich Unfassbares: Schließlich war Gómez’ erstes Jahr bei den Bayern bekanntermaßen desaströs. Wenig Spielzeit, wenig Tore schmälern Gómez Zahlen. Nimmt man diese heraus, wird seine ohnehin unheimliche Quote noch besser: 99 Tore in 129 Spielen, also 0,77 Tore pro Partie. Das ist eine Dimension, die man so eigentlich bei kaum anderen Spielern als Lionel Messi und Cristiano Ronaldo findet. Und geht man noch einen Schritt weiter und verkleinert den Blickwinkel noch ein letztes Mal, so bessern sich die Zahlen noch einmal: In seiner letzten Saison bei den Bayern verlor er über weite Strecken seinen Stammplatz bekanntlich, trotzdem gelangen ihm 19 Treffer in 32 Partien. Eine erneut unfassbare Quote, für sich stehend. Doch tatsächlich waren es ja gar nicht 32 Partien, so oft, wie er nur für die letzten Sekunden kommen durfte. Betrachten wir also ausschließlich seine absolute Blütephase der Saisons 2010/11 und 11/12, sind wir bei finalen 80 Toren in 97 Spielen oder 0,82 Toren pro Spiel.
Das ist eine unfassbare Quote. Philosophische Diskussionen über Pressingverhalten oder Mitspielen, außen vor: Diese Trefferquote an sich ist Zeugnis von Weltklasse, nein von Weltspitze.
Ein Konterspieler in einer Ballbesitz-Welt
Als Mario Gómez vor zwei Jahren seine Karriere mit dem Wiederaufstieg des VfB Stuttgarts beendete, sang ich schon einmal eine Ode auf ihn. Details über sein unerwartetes Comeback unter van Gaal oder welche sogenannten “Weltklassestürmer” er mühelos in der Champions League hinter sich gelassen hat, sind dort aufgeschrieben und werden hier deshalb nicht wieder aufgetaut.
Stattdessen soll es hier um den Spielertypus Mario Gómez gehen. Durch seine Jahre beim FC Bayern, dem DFB und seine zahlreichen Verletzungen, mochten viele es vergessen haben, doch eigentlich war Gómez mal ein klassischer Konterstürmer. Er mochte die Ausmaße eines Sturmtanks haben, nicht jedoch die Spielweise. Mit viel Tempo auf eine unsortierte Abwehr zu rennen, das war des Raubtiers Mario Gómez liebste Speise in seinen großen Stuttgarter Tagen.
Es ist nur logisch, dass der FC Bayern dies sah und auch bei sich repliziert sehen wollte. Tatsächlich kann man sich sehr gut vorstellen, wie ein Mario Gómez beim FC Bayern der 00er Jahre oft in ganz ähnliche Angriffssituationen hätte kommen können, wie beim VfB. Zwar nicht minder Favorit als im darauffolgenden Jahrzehnt, waren die Spiele damals doch noch ganz anders. Ausgeglichene Ballbesitzverhältnisse waren an der Tagesordnung, kein Gegner verschanzte sich mit Mann und Maus am eigenen Strafraum. Ein gewonnenes Dribbling Zé Robertos und schon war viel Wiese vor den Angreifern. Roy Makaay mochte ein guter Stürmer gewesen sein. Luca Toni in seiner Hochphase gerne auch ein sehr guter. Mario Gómez jedoch? Mit dem damals üblichen Freiraum hätte er die Liga in Grund und Boden geschossen.
Doch nun schwelgen wir im seeligen Konjunktiv. Tatsächlich nämlich ging Gómez’ Schritt zum Top-Club im Einklang mit einer Spaltung im Weltfußball. Die einen horteten den Ball, die anderen konterten. Das Letztere auch Lösungen mit Ball bräuchten, wurde nur später klar, als sich Teams einfach hinten reinstellten und sich schlicht dem Auskontern lassen verweigerten.
Es ist schon eine beißende Ironie des Schicksals, dass in der Hochphase des Konterteams Borussia Dortmund der geborene mitspielende Ballbesitzstürmer Robert Lewandowski stürmte, während ganz vorne des ballschleppenden Monstrums Bayern München Mario Gómez einsam eine Bude nach der anderen machte und trotzdem Kritiker nicht vollends verstummten. Gewiss, Lewandowski erfand sich als Wandspieler erst später bei den Bayern, doch schon damals war seine Technik und Spielfertigkeit so ausgeprägt, dass er sich zunächst im Mittelfeld festspielte, bevor Jürgen Klopp ihn auf die Position packte, auf der er den Weltfußball prägen sollte.
Warum wurde an Gómez trotz der berauschenden Torquote gemäkelt? Wieso zog Joachim Löw ihm beizeiten einen 34-jährigen Miroslav Klose von Lazio Rom vor? Nun, auf der einen Seite ist da natürlich die populistische, zu vernachlässigende Art der Kritik. In diese Kerbe sollte man Uli Hoeneß’ unmögliche Tirade zählen, Gómez sei ja kein sehr guter Stürmer, weil man ansonsten Chelsea im Finale Dahoam geschlagen hätte.
Doch es gibt auch eine legitime Art der Gómez-Kritik und hier reden wir von der B-Note. Zwar legte Gómez sich mit der Zeit Fähigkeiten von mitspielenden Stürmen zu, doch stießen seine Qualitäten beim Ballhalten in letzter Konsequenz doch an eine Grenze. Zwei Jahre kam der FC Bayern einfach nicht mit dem Dortmunder Pressing unter Jürgen Klopp zurecht, ein Schlüssel, warum es im dritten Jahr anders war, war eben auch Gómez’ Nachfolger Mario Mandžukić. Der hatte zwar nicht ansatzweise Gómez’ Riecher vor dem Tor, doch wenn Klopps jedem Ball nachjagende Bluthunde, den eigenen Verteidiger dann eben doch zum langen Hafer nötigten, konnte Mandžukić die Kugel gegen die langen Köpfe der Innenverteidiger behaupten und auf Bayerns Einzelkönner ablegen.
Schicksalshafter Abstieg?
Und doch sollte man in der Nachbetrachtung nicht den Fehler begehen, Dinge als unvermeidlich darzustellen. Es war eben nicht Schicksal, dass der FC Bayern erst die Marios austauschend den letzten Schritt zum Triple gehen konnte. Javi Martínez, das bessere Pressingsystem und weiche Faktoren der Jetzt-erst-Recht-Stimmung im Verein hätten womöglich ausgereicht.
Man darf nie vergessen: Erst Verletzungen bremsten Mario Gómez unfassbaren Lauf. Sofa-Experten hätten sich die Finger noch so sehr wundschreiben können, was Mario Mandžukić dem Bayern-Spiel nicht alles geben würde. Hätte Gómez wirklich seinen Platz verloren, wenn er weiter in jedem Spiel traf? Ist der Weltfußball nicht voll erfolgreicher Teams, deren Mittelstürmer kaum mehr taten, als das Runde ins Eckige zu schweißen?
Real Madrid um Cristiano Ronaldo ist ein Paradebeispiel für ein erfolgreiches Team mit einem Knipser vorne, der dem Team wirklich nichts Weiteres gibt, außer Toren, Treffern und Buden. Wer nun unter Protest den Vergleich mit dem vielleicht besten Stürmer der Fußballgeschichte ablehnt, sei erneut an Gómez’ Torquote erinnert: 0,82 war sein Bestwert. Da ist der Vergleich legitim. Und abseits von Toren, gab Gómez seinen Teams mehr als es der so eigensinnige Ronaldo je tat.
Klassisch verwechselt
Nein, es war nicht in Stein gemeißelt, dass Mandžukić Gómez beim FC Bayern den Rang ablief und es war auch nicht in Stein gemeißelt, dass Gómez nie wieder an die Weltklasse dieser Zeiten herankam. Zunächst kosteten ihn Verletzungen nur den Stammplatz beim FC Bayern, bei seinem nächsten Verein AC Florenz jedoch, kosteten sie ihm seinen kompletten Ruf.
Innerhalb von nur drei Jahren fiel ein Stürmer, der in der Champions League in einer Saison 12-fach traf, auf ein Level, bei dem ihm nur noch der Gang in die Türkei übrig blieb. Verletzungen mochten für den Bruch in der Karriere verantwortlich gewesen sein, doch lag es auch an der sehr schlechten Vereinswahl, dass er bis in die Türkei fiel.
Mario Gómez ist ein schillerndes Beispiel dafür, dass man sich nicht unter Wert verkaufen, dass man nicht auf einen Schlag zu tief wechseln darf. Wechselt man von der Bank des Champions-League-Siegers eine Kategorie tiefer, käme man damals bei Vereinen wie Juventus Turin an. Wäre ihm dort das gleiche Verletzungspech wie in Florenz vergolten, er hätte sicherlich einen guten Verein in einer europäischen Top-Liga gefunden. Doch Gómez wechselte vom Champions-League-Sieger zum 4. der Serie A. Im Jahr davor gar 13.
Ironischerweise zeigt erneut das Beispiel Mario Mandžukićs, wie man den FC Bayern erfolgreich verlässt. Der ging nämlich nicht zur italienischen Mittelklasse, sondern zu Atlético Madrid, die immerhin in der Saison Sekunden vor dem Triumph in der Champions League standen. Und weil es nicht ganz funkte zwischen Atlético und Mandžukić und es ihn weiterzog, landete er nicht im Abseits, sondern bei keinem geringeren Verein als eben Juventus.
Endlich seine Verletzungen auskuriert, konnte Mario Gómez wieder viel spielen und tat das, was ein viel spielender Gómez immer tat: Treffen wie am Schnürchen und eben hier kommt das tragische an seinen Wechselfehlern vergangener Jahre zum tragen: Die Renaissance des nunmehr 30-jährigen Mario Gómez wurde regelrecht verschwendet mit einem Jahr in der Türkei und einem beim völlig dysfunktionalen VfL Wolfsburg. Bei Beşiktaş war der Wettbewerb unter seinem Niveau, beim VfL der gesamte Verein. Im Alleingang hielt er sie in der Klasse. Selbstredend hatte er in beiden Saisons wieder Torquoten jenseits von Gut und Böse.