Vorschau: VfL Wolfsburg – FC Bayern München

Justin Trenner 16.04.2021

Auswärts in Wolfsburg, daheim gegen Leverkusen und dann nochmal auswärts in Mainz – am Ende dieser Woche wird klar sein, wie richtungsweisend der Mai noch wird für den FC Bayern. Klar ist: Sollten die Münchner ihren Vorsprung von fünf Punkten über diese Woche hinaus retten können, ist das Meisterschaftsrennen so gut wie entschieden. Auf das Auswärtsspiel beim 1. FSV Mainz 05 folgt eine zweiwöchige Pause und dann haben die Bayern ihre letzten drei Spiele gegen Gladbach, in Freiburg und gegen Augsburg nur noch im Wochentakt. Eine Situation, die im Endspurt für den Rekordmeister spricht.

Zumal Leipzig in den letzten drei Partien nach Dortmund muss, dann daheim gegen Wolfsburg antritt und abschließend bei Union Berlin zu Gast ist. Ein auf dem Papier schwereres Restprogramm, dem dafür eine theoretisch einfachere englische Woche vorausgeht, in der die Gegner Hoffenheim (Heimspiel), Köln (Auswärtsspiel) und Stuttgart (H) heißen.

Die Luft aus dem Meisterschaftsrennen, so hieß es nach dem direkten Duell der Konkurrenten, sei raus. Aber die verbliebenen fünf Punkte des FC Bayern wirken stabiler, als sie es vielleicht sind. Leipzig hat seine drei Spiele in den kommenden neun Tagen noch nicht gewonnen, hat aber die Möglichkeit, den Druck bereits am heutigen Freitagabend massiv zu erhöhen. Gewinnen sie gegen Hoffenheim, sind es nur noch zwei Punkte. Bayern steht dann mit seiner Rumpfelf ausgerechnet bei den defensivstarken Wolfsburgern nahezu unter Siegeszwang. Eine Situation, die sie im Meisterschaftsfinale in den letzten Jahren nur selten hatten.

Wie spannend wird das Titelrennen?

Es liegt vor allem an den Bayern, wie spannend sie es nochmal machen. Aber dieses Wochenende bringt aus neutraler Perspektive nochmal das Potential mit, das Meisterschaftsrennen zum zweiten Mal in dieser Saison neu zu eröffnen. Die Bayern waren schon mal sieben Punkte enteilt, Leipzig kam nochmal heran, verlor dann rund um das direkte Duell an Boden. Jetzt also der zweite und somit letzte Anlauf: Schafft die Mannschaft von Julian Nagelsmann es, die zuletzt überzeugende Stabilität in die finale Saisonphase zu transportieren?

Die Doppelbelastung aus Pokal und Bundesliga dürfte zunächst keine Rolle spielen für RaBa. Das Halbfinale im Pokal ist an einem Wochenende angesetzt, der Rhythmus bleibt also erstmal normal. Das Finale aber soll am 13. Mai, also am Donnerstagabend vor der Partie gegen Wolfsburg stattfinden. Sollte die Meisterschaft da noch nicht entschieden sein, wäre das ein klarer Nachteil für Leipzig.

Doch im Moment ist das alles Spekulation und Zukunftsmusik. Leipzig muss erstmal die Pflichtaufgabe gegen Hoffenheim erfüllen und dann wird man sehen, wie die Bayern mit ihrer Herausforderung in Wolfsburg umgehen. Gerade nach dem Champions-League-Aus gegen Paris kann ein Spannungsverlust drohen.

Der VfL Wolfsburg läuft unter dem Radar

Flicks Aufgabe ist es, seine Mannschaft für die letzten sechs Spiele zu motivieren und ihr klar zu machen, wie eng dieses Titelrennen nochmal werden kann. Das Spiel in Wolfsburg ist am Samstagnachmittag richtungsweisender, als viele beim Blick auf die Tabelle ahnen würden. Und der Gegner? Er ist stark unterschätzt.

Wolfsburg läuft in dieser Saison trotz des dritten Tabellenplatzes unter dem Radar. Berichtet wird nach dem Meisterschaftsduell an der Spitze vor allem über Eintracht Frankfurt (Platz 4) sowie die enttäuschende Saison von Borussia Dortmund (Platz 5). Danach sind es schon Überraschungen wie Union Berlin (Platz 7), die die ganze Aufmerksamkeit erhalten.

Auf jeden Fall dürfte es daran liegen, dass der VfL nach wie vor vielen Fans in Deutschland egal ist. Mit RaBa oder Hoffenheim gibt es mittlerweile andere Klubs, an denen sich jene aufreiben, die ihr traditionellen Werte längst überschritten sehen. Vielleicht liegt es aber auch ein bisschen daran, dass Glasner und seine Mannschaft einen sehr seriösen, sachlichen, aber tendenziell wenig spektakulären Job machen. Trotz einiger Ausnahmen, darunter ein 5:3 gegen Werder Bremen sowie das 3:4 in der vergangenen Woche in Frankfurt, steht Wolfsburg eher für minimalistische Ergebnisse.

Unterschätztes Mittelfeld

Schon in der letzten Saison deutete sich an, dass die Wölfe unter Glasner viel Wert auf eine stabile Defensive legen. Zwischenzeitlich stellten sie auch da eine der besten Abwehrreihen der Liga, dann aber kam eine Phase mit vielen Gegentoren – allein sechs davon gegen Leipzig. Ausreißer nach unten gab es vor allem formbedingt und weil Glasner es nicht schaffte, die offensive Entlastung sicherzustellen.

Zu viel hing davon ab, dass Wout Weghorst irgendwann etwas einfallen würde. In der aktuellen Saison hat sich das zumindest etwas verändert. Wolfsburg ist flexibler geworden. Zwar ist Weghorst mit 23 Treffern in 35 Pflichtspielen immer noch der mit Abstand beste Torschütze des Teams – Ridle Baku (6) und Renato Steffen (5) folgen. Doch die Spielweise ist insofern besser geworden, dass die Wolfsburger mehr Phasen der Entlastung finden und insgesamt noch ballsicherer geworden sind.

Gerade das zentrale Mittelfeld ist stark unterschätzt. Das Dreieck aus Maxi Arnold, Xaver Schlager und Yannick Gerhardt ist technisch auf einem sehr hohen Niveau unterwegs. Die drei Spieler ergänzen sich sehr gut, finden immer wieder die richtigen Positionen auf dem Platz im Freilaufverhalten und helfen somit, nicht nur die Ballzirkulation aufrecht zu erhalten, sondern auch Räume zu gewinnen. Auch gegen den Ball harmonieren sie gut miteinander, schaffen es häufig, sich gegen das gegnerische Mittelfeld durchzusetzen.

Wie wird Arnold ersetzt?

Umso bitterer ist es für Glasner, dass er am Wochenende auf den gelbgesperrten Arnold verzichten muss. Gerade er war in den Duellen mit Bayern häufig der entscheidende Spieler – in beide Richtungen. Bei den wenigen guten Auftritten des VfL in den letzten Jahren war er oft derjenige, der den Rhythmus vorgab und den bayerischen Rhythmus ein Stück weit zerstörte. Ein Ausfall, der kaum zu kompensieren ist.

Wahrscheinlich rückt für ihn Yannick Gerhardt eine Position nach hinten auf die Doppelsechs in Glasners 4-2-3-1. Auf der Zehn könnte dann Maximilian Philipp spielen, der in dieser Saison erst 694 Minuten sammelte und nur zweimal traf. Immerhin aber einmal davon im Hinspiel gegen die Bayern.

Seit der Hecking-Ära hatte Wolfsburg eigentlich schon immer einen starken Flügelfokus in seinem Spiel. Das Problem in der letzten Saison und auch in den Jahren davor war es meist, dass die Qualität der Außenspieler entweder nicht optimal war und/oder die jeweiligen Trainer es nicht geschafft haben, diese effektiv, aber vor allem auch effizient einzubinden.

Wolfsburgs Star für Baku ist Ridle

Auch in dieser Saison gab es einige Spiele, in denen es dem VfL zum Verhängnis wurde, dass sie auf den Außenbahnen niemanden hatten, der so richtig herausstechen kann. Dann aber fing Glasner an, Rechtsverteidiger Ridle Baku vermehrt auf der rechten offensiven Seite einzusetzen. In den letzten elf Bundesliga-Partien war der 23-Jährige an acht Treffern direkt beteiligt. Ein Gamechanger für das Team. In keiner anderen Saisonphase waren die Wölfe so stabil wie jetzt.

Baku spielte auch als Rechtsverteidiger schon eine wichtige und gute Rolle für den VfL, aber durch den Rollenwechsel konnte Glasner die personellen Probleme besser kaschieren. Der deutsche Nationalspieler wird in den kommenden Jahren sicher den Weg zu einem größeren Klub suchen. Immer wieder wurde er auch mit den Bayern in Verbindung gebracht. Angesichts der Coronakrise und der diesjährigen Wertsteigerung durch konstant gute Leistungen sicher kein einfaches Unterfangen. Doch in München wäre man ziemlich blauäugig, würde man es nicht wenigstens mal beim Rechtsverteidiger versuchen.

Auch der 21-jährige Maxence Lacroix wird bereits mit größeren Klubs in Verbindung gebracht. Der Innenverteidiger spielt eine großartige Saison, reifte zum stabilsten Abwehrspieler seines Teams und erzielte vorn auch schon drei Tore. Neben dem recht inkonstanten John Anthony Brooks ebenfalls ein wichtiger Baustein für Glasner, der es gemeinsam mit dem sportlichen Leiter Jörg Schmadtke geschafft hat, im ersten Jahr ein stabiles System zu etablieren und dieses im zweiten mit noch passenderen Spielern zu bestücken.

Bayern: Mit mehr Dreieraufbau Wolfsburg knacken?

Es ist schon bemerkenswert, wie dieses Duo das gesamte Umfeld wieder beruhigt hat. Und diese Ruhe wird auch dazu führen, dass der VfL ein sehr unangenehmer Gegner für die Bayern wird. Gerade weil die Münchner weiterhin auf Robert Lewandowski verzichten müssen, wird es gegen defensiv stabile Wolfsburger womöglich aufreibendes Spiel.

Wolfsburg wird voraussichtlich in einem kompakten 4-4-2-Mittelfeldpressing versuchen, die Bayern zu Ballverlusten zu zwingen. Mit 1091 erzeugten Drucksituationen im Angriffsdrittel stehen die Wölfe aktuell zwar auf Platz 3 in der Bundesliga, doch gerade gegen individuell so starke Teams wie Bayern attackieren sie im Schnitt gern mal etwas tiefer. Trotzdem ist damit nicht ausgeschlossen, dass es Phasen geben wird, in denen Glasner sein Team nach vorn peitscht. Die Flexibilität in der Arbeit gegen den Ball ist eine Grundstärke der Wolfsburger. Mit 2014 Drucksituationen im Mittelfelddrittel stehen sie ebenfalls auf Platz 3 der Bundesliga.

Im Detail könnte das bei Wolfsburg so ähnlich aussehen wie bei Paris am Dienstagabend, nur mit etwas mehr Laufbereitschaft im Angriff. Also eine stabile Tiefenabsicherung gegen lange Bälle, gleichzeitig aber immer wieder der Versuch, insbesondere den Sechserraum des Gegners sinnvoll zu pressen und situativ sogar weiter herauszuschieben. Darin sind die Wolfsburger stark.

Ein probates Gegenmittel, das die Bayern am Dienstag zu selten einsetzten, ist der Dreieraufbau, um die Kontrolle über den eigenen Spielaufbau zu behalten und sich nicht zu unnötigen Pässen unter Druck zwingen zu lassen. Auch Thomas Müller brüllte es in Paris einmal über den gesamten Platz: „Mehr Dreieraufbau!“ Wirklich bewirkt hat es anschließend nur wenig. Durch einen tiefen Außenverteidiger oder aber einen abkippenden Sechser, der im Idealfall nicht Kimmich heißt, könnten die Bayern gegen Wolfsburg Dominanz aufbauen. Warum nicht Kimmich? Weil der in höheren Zonen wichtig ist, um Wolfsburgs physisch, aber auch technisch starkes Mittelfeld in den Griff zu bekommen.

Duell auf Augenhöhe

Im Hinspiel fehlte Kimmich, was dem Spiel der Bayern deutlich anzusehen war. Im Rückspiel wird der Ausfall von Lewandowski Probleme machen. Allerdings zeigte sich in den letzten Partien auch, dass Eric Maxim Choupo-Moting dem Spielfluss nicht schadet. Im Gegenteil: Je mehr Rhythmus der 32-Jährige bekommt, desto besser integriert er sich in die Mannschaft. Das Zusammenspiel mit Müller sieht immer fluider aus.

Dass er die Qualität eines Lewandowskis nicht ersetzen kann, steht außer Frage. Das könnte niemand. Die Präsenz des Polen, aber auch die vielen extrem sauber durchgeführten Einzelaktionen fehlen sehr. Und dennoch ist die Offensive rund um Choupo-Moting gut genug aufgestellt, um den Ausfall zumindest in der Liga kompensieren zu können. Schwieriger ist es womöglich, Leon Goretzka adäquat zu ersetzen. Spekuliert wird auf einen Martínez-Einsatz, der als Spielertyp nicht die Dynamik einbringen kann, die Goretzka hätte. Vor allem gegen Wolfsburg wäre das ein wichtiges Mittel, um die gut positionierten Ketten auseinanderzuziehen.

Letztendlich hängt der Erfolg beim VfL Wolfsburg wohl an der Beantwortung zweier Fragen: Wie sehr belastet die Mannschaft das Ausscheiden in der Champions League mental? Und kann das Team sich für den Bundesliga-Alltag genauso motivieren wie am vergangenen Dienstag? Nach dem Gewinn der sechs Titel gab es das eine oder andere Spiel, in dem die Münchner gerade in der Anfangsphase nicht so ganz auf der Höhe waren. Durchaus vorstellbar, dass nach dieser Woche ähnliches droht.

Wolfsburg jedenfalls steht nach der Niederlage in Frankfurt nur noch einen Punkt vor der SGE und selbst Dortmund könnte bei einer weiteren Niederlage des VfL auf fünf Punkte herankommen. Für die Wölfe geht es also um sehr viel. Auch wenn der VfL in der Vergangenheit gerade gegen Bayern immer mal wieder fast schon ängstlich wirkte, so ist die Gesamtkonstellation in diesem Jahr eine andere. Es ist das Duell des gebeutelten Tabellenführers mit dem Tabellendritten. Für Wolfsburg gibt es also keinen Grund, das nicht als ein Duell auf Augenhöhe zu betrachten. Zumindest für den Moment.



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