Vorschau: Drei Aspekte, die Bayerns Gastspiel in Stuttgart entscheiden
Mit Selbstvertrauen und Mut will der VfB Stuttgart das Heimspiel gegen den FC Bayern angehen. Die Saison verlief für die Schwaben sehr achterbahnartig. Eine gute Phase im Oktober wurde von zwei schwächeren rundherum begleitet. Jetzt aber scheint sich der VfB wieder gefangen zu haben. Zwei Siege und ein Unentschieden gab es gegen formstarke Mainzer (2:1), Hertha (2:2) und Wolfsburg (2:0).
Zwar stehen die Stuttgarter auf Platz 15 der Bundesliga-Tabelle, doch die ansteigende Formkurve sorgt dafür, dass sie sich Hoffnungen machen für das letzte Heimspiel des Kalenderjahres.
Auch wenn der Tabellenführer aus München anreist, bringt die Mannschaft von Trainer Pellegrino Matarazzo das Rüstzeug mit, um auch in diesem Spiel bestehen zu können. Zumal in den vergangenen Wochen Teams unterschiedlicher Niveaus einen wiederkehrenden Ansatz präsentierten, um die Bayern zu stoppen. Wir nennen euch drei Aspekte, die entscheidend werden könnten.
1. Stuttgarts Chance liegt in der Aktivität
Ein Markenzeichen des in der vergangenen Saison durchaus erfolgreichen VfB Stuttgart war die Aktitivät auf allen Ebenen. Es gibt Trainer, die setzen auf ein eher passiveres Pressing und es gibt welche, die in Ballbesitz statische Strukturen bevorzugen. Und dann gibt es Matarazzo. Der 44-Jährige verlangt von seiner Mannschaft sehr viel.
In den guten Phasen des Kalenderjahres präsentierte sich der VfB flexibel, dynamisch und aggressiv gegen den Ball. Die vielen Positionswechsel und Asymmetrien in Ballbesitz brachten hier und da auch mal wilde Spiele hervor, aber es gelang ihnen immer wieder, sich darauf anzupassen und Vorteile rauszuschlagen.
Mal pressen die Stuttgarter hoch, mal etwas tiefer – oft aber mit einer Intensität, die es jedem Bundesligisten schwer macht, den Ball fehlerfrei laufen zu lassen. Über außen wird der Druck über zwei sehr aktive Flügelverteidiger erzeugt, innen warten meist drei im Zweikampf kompromisslose Mittelfeldspieler. Wobei zwei recht hoch agieren und einer viel Raum auf der Sechs absichern und verteidigen muss.
Bayern braucht mehr Geduld und Ruhe
Zur mutigen Herangehensweise passt es deshalb ganz gut, dass aus der Dreierkette hinten oft ebenso aktiv durchgedeckt wird. Die Verteidiger helfen dabei, den Raum im Zentrum eng zu halten. In schwächeren Saisonphasen fehlte dem VfB Stuttgart aber exakt diese Aktivität. Gegen Hertha beispielsweise ist die Arbeit gegen den Ball nach der 2:0-Führung nahezu komplett eingebrochen. Stuttgart ließ sich zu oft fallen und kam aus der defensiven Haltung nicht mehr heraus.
Allein aus diesem Stärken- und Schwächenprofil ergeben sich auch schon die groben Zielsetzungen beider Teams im taktischen Bereich: Stuttgart muss aktiv im Pressing bleiben, um Bayern zu Fehlern zu zwingen. Gerade weil die Münchner zuletzt große Probleme damit hatten, Ballverluste im Zentrum abzusichern (=> Analyse).
Bayern wiederum braucht mehr Geduld. Stuttgart kann mit seiner wilden und druckvollen Art durchaus auf jedem Niveau Fehler erzwingen. Aber sie haben nicht die individuelle Qualität, um das gegen Bayern über 90 Minuten zu tun. Nagelsmann dürfte im Moment sehr unzufrieden damit sein, wie hektisch sein Team im Spiel nach vorn agiert. Schaffen es die Münchner trotz ihrer Personalnot, den VfB hinten reinzudrücken, wäre das der erste Schritt zum Auswärtssieg. Denn Tiefenverteidigung liegt den Schwaben weniger als ein offener Schlagabtausch.
2. Nagelsmann und sein Prinzip der Breite
Dass die Partien zuletzt etwas offener waren, lag auch an den vielen Angriffen, die die Bayern nicht gut ausgespielt haben. Vor einigen Wochen hatte Nagelsmann zugegeben, dass insbesondere im Offensivspiel noch viel „Freelancing“ dabei sei. Nach der unvorteilhaften Vorbereitung und den vielen Spielen im Terminkalender ist es für ihn auch nahezu unmöglich, zum jetzigen Zeitpunkt ganze Angriffsszenarien zu orchestrieren.
Doch wo viele Freiheiten sind, wird es gern auch mal unstrukturiert. Insbesondere auf der linken Spielfeldseite wirkt das Spiel der Bayern stark improvisiert. Leroy Sané und Alphonso Davies standen in den vergangenen Wochen weniger in der Kritik, dabei ist ihr Zusammenspiel sowohl im Offensivspiel als auch in der Arbeit gegen den Ball fehleranfällig.
Im Spiel nach vorn nutzen beide ihre Seite nicht immer optimal. So kommt es vor, dass beide gleichzeitig stark einrücken oder sich auf den Flügeln auf den Füßen stehen. Stellvertretend dafür steht eine Szene gegen Ende der ersten Halbzeit im vergangenen Spiel gegen Mainz, als beide im Zentrum des letzten Drittels positioniert sind und es so keine Möglichkeit für die Bayern gibt, auf die linke Seite zu verlagern und das Knäuel in der Mitte aufzulösen.
Viel Intuition, wenig Struktur
Nagelsmann setzt bewusst auf ein kompakteres Positionsspiel, um das Gegenpressing zu stärken, aber eigentlich auch, um im letzten Drittel die Breite des Spielfelds nutzen zu können. Denn zieht sich ein Gegner zusammen, entstehen Räume für die schnellen Flügelspieler. Sind diese aber auf einer Seite komplett eingerückt, gibt es auch niemanden, der diesen Platz nutzen kann.
„So breit wie nötig, aber nicht so breit wie möglich“ heißt das Nagelsmann-Prinzip. In einigen Fällen machen Sané und Davies aber das Spiel überhaupt nicht breit. Und auch gegen den Ball hapert es hin und wieder an Abstimmung. Manchmal pressen beide einen Spieler und öffnen so den Raum für einen anderen (=> Analyse), manchmal bleiben sie beide fern und ermöglichen einen kontrollierten Pass.
Es ist sicher nicht so, dass beide die Ursache aller Probleme sind. Denn gerade weil sie so intuitive und spontan agierende Spielertypen sind, sorgen sie auch für viele positive Momente im Bayern-Spiel. Insbesondere wenn es aber wie aktuell nicht so optimal läuft, wäre etwas mehr Struktur für den Rekordmeister angebracht.
3. Kann Lewandowski die Aggressivität der Stuttgarter nutzen?
Wie schon weiter oben beschrieben, setzt Stuttgart zumindest in Spielphasen auf ein aggressives Pressing, in dem auch viel durchgedeckt wird. Das bedeutet, dass Spieler aus ihren Positionen nach vorn schieben, während Mitspieler auf ihre ursprüngliche Position nachschieben. Dabei verhält es sich aber so, als hätte man zehn Karten zur Verfügung. Zieht man eine vom Stapel, ist die nächste da. Wird auch diese gezogen, gibt es noch eine, die an oberster Stelle liegt. Irgendwann aber sind die Karten leer.
Presst also ein Angreifer das zentrale Mittelfeld der Bayern, kann es sein, dass ein Mittelfeldspieler ebenfalls nach vorn schiebt. Dahinter ergibt sich dann ein Raum, den beispielsweise Thomas Müller gern besetzt. Hier könnte Stuttgarts Sechser verschieben. Ist dieser aber gebunden, wird es schon komplizierter. Denn jetzt müsste ein Halbverteidiger nachschieben, um Müller einzuschränken.
Der Raum dahinter kann wiederum von den beiden verbliebenen Verteidigern abgedeckt werden. Dafür haben Bayerns restliche Offensivspieler dann aber womöglich mehr Raum für Tiefenläufe. Stuttgart sollte also besser den Ball gewinnen, bevor der Ball in diesen Bereich kommt.
Wer ist Schuld an der kleinen Lewandowski-Krise?
Schaffen die Münchner es aber, Stuttgart dermaßen herauszuziehen und diesen Raum zu bespielen, könnte es auch für Robert Lewandowski wieder ein angenehmerer Abend werden als in den vergangenen Spielen. Der Pole durchlebt trotz seiner beiden Treffer gegen Dortmund gerade so etwas wie eine „Krise“.
Im kompakten System seines Trainers fällt es ihm schwer, die Räume für Abschlüsse zu finden. Oftmals wirkt es so, als wäre er gar nicht auf dem Platz.
Ob diese Problematik ihren Ursprung im System und den durch das enge Positionsspiel zusammengezogenen Gegnern hat, oder ob es nicht doch auch daran liegt, dass es den Bayern ohne Joshua Kimmich und mit den Formschwächen anderer Mittelfeldspieler schwer fällt, die entsprechenden Räume zu bespielen, ist unklar.
Für einen Stürmer ist es immer problematisch, wenn er zu wenig gute Abschlüsse bekommt. Das muss aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass er selbst sie sich nicht erarbeitet. Genauso gut kann es sein, dass das Bayern-Spiel in den vergangenen Wochen einfach zu monoton war und es an Dynamik fehlte, die zu Saisonbeginn noch da war.
Der Weihnachtsmann ist nicht der Osterhase
Trotz aller Probleme sind die Bayern erneut auf bestem Wege zu einer Bundesliga-Saison mit 80-84 Punkten. Trotz aller Probleme schießen sie die meisten Tore (47), haben die meisten Abschlüsse (fast 20 pro Spiel), die meisten Expected Goals (40,8), die zweitwenigsten Gegentore (16), den mit Abstand geringsten Expected-Goals-against-Wert (12,6) und die wenigsten Abschlüsse gegen sich (8,5 pro Spiel).
Die Probleme in München, sie beginnen traditionell auf einem Niveau, von dem mindestens 99 % aller Klubs auf der Welt nur träumen. Im späten Herbst und frühen Winter gab es schon häufiger Phasen, in denen die Bayern ins Straucheln kamen.
Gegen Stuttgart und Wolfsburg ist nicht damit zu rechnen, dass sich das Formtief in Luft auflöst. Zwei Siege sind dennoch Pflicht. Und dann wird es im neuen Jahr darauf ankommen, mit der weihnachtlichen Verschnaufpause im Rücken neu anzugreifen – und die stark schwankende Formkurve hinter sich zu lassen. Denn der Weihnachtsmann ist nicht der Osterhase. Zum Glück, wird sich Julian Nagelsmann denken.