Vorschau: Hertha BSC – FC Bayern München

Justin Trenner 04.02.2021

In Berlin wollte man 2019 hoch hinaus, als die Entscheidung gegen Cheftrainer Pál Dárdai gefällt wurde. Auf die Platzierungen 6 und 7 folgten unter ihm nur noch ein zehnter und ein elfter Platz. Das Image der „grauen Maus“ wollte man in Berlin loswerden und sich mit neuem Schwung endlich im oberen Tabellendrittel etablieren.

Mit den Windhorst-Millionen und Ante Čović sollte der Neustart glücken. Doch er glückte nicht. Trotz vielversprechender erster Vorbereitung und gutem Gefühl entpuppte sich Čović nicht als Glücksgriff. Nicht unbedingt, weil er die Qualität für den Job nicht mitbrachte, sondern eher, weil er den gewachsenen Ansprüchen nicht gerecht wurde, vielleicht sogar nicht gerecht werden konnte.

Auch die Nachfolger Jürgen Klinsmann, Alexander Nouri und Bruno Labbadia scheiterten an der Aufgabe, Hertha auch nur in die Nähe eines europäischen Wettbewerbs zu bringen. Nur zwei Jahre und Ausgaben von weit über 100 Millionen Euro später landeten die Berliner hart in der Realität: Abstiegskampf.

Hertha: Zurück in die Zukunft

Labbadia und Preetz sind weg. Übergangslösungen sind da: Für Preetz springt vorerst bis zum Saisonende Arne Friedrich ein, für Labbadia übernimmt eben jener Dárdai, der vor zwei Jahren nicht mehr gut genug war.

Eine große Rolle rückwärts also? Aus diesem Schatten können die Berliner nicht hervortreten. Und doch bietet die Situation mehr Licht, als es den Anschein macht. Mit Dárdai hat man für die jetzige Situation eine Lösung gefunden, die auf dem Papier mehr Sinn macht als jeder externe Neuzugang.

Dárdai kennt nicht nur den Klub und einen Teil des Kaders, er scheint vor allem im psychologischen Bereich große Qualitäten zu haben. Hertha hatte in seiner ersten Amtszeit oft den Ruf, überzuperformen, also stärkere Ergebnisse einzufahren, als es die Leistungen vermuten ließen.

Dárdai ist die einzig richtige Lösung – zumindest für den Moment

Unter Dárdai war die „Alte Dame“ vor allem mental sehr stabil, ließ sich auch in Schwächephasen nicht aus dem Konzept bringen. Und genau das brauchen die Berliner jetzt. Wer aus diesem Status-quo nun mehrere schnelle Schritte nach vorn erwartet, kann nur auf die Nase fallen. Mit Dárdai wird es darum gehen, mindestens zwei Schritte zurückzugehen und Anlauf für die Zukunft zu nehmen.

Fußballerisch bedeutet das, die Basics des eigenen Spiels wieder besser auf den Platz zu bringen: Aggressivität, Zweikampfhärte und -stärke, sicheres Passspiel und defensive Stabilität. Diese Eckpfeiler standen unter Dárdai eigentlich immer mindestens solide.

Wenn es jemand im Umfeld der Berliner schafft, sie trotz der aktuellen Situation und ohne viel Trainingszeit wieder aufzustellen, dann wohl Dárdai. Er bringt die Erfahrung, den richtigen Umgang und das Feingefühl dafür mit.

Hertha fehlt die klare Linie

Und sind nach den zwei Rückschritten erstmal wieder Schritte nach vorn zu erkennen, wird es im Sommer darum gehen, sich neu zu sortieren sowie jede Position zu hinterfragen – auch die des Trainers. Vor allem die Kaderplanung wird aber eine wichtige Baustelle sein. All die Windhorst-Millionen bringen wenig, wenn Spieler überspitzt formuliert nur aufgrund ihres Namens verpflichtet werden.

Es braucht eine klare Idee, eine Identität: Wofür will Hertha stehen? Welche Spieler braucht es dafür? Wo finden wir diese Spieler? Klubs wie der SC Freiburg, Eintracht Frankfurt, Borussia Mönchengladbach oder der ungeliebte Nachbar aus Köpenick zeigen auf unterschiedlichen Niveaus seit geraumer Zeit, wie das im Idealfall aussehen kann. Gerade Frankfurt dient dabei durchaus als vergleichbarer Standort.

Es ist zweifelsohne einfacher in einen Artikel gegossen als in der Realität umgesetzt, aber dass Hertha trotz des riesigen Potentials seit Jahren im Niemandsland der Bundesliga verschwindet, ist kein Qualitätsmerkmal der bisherigen Arbeit.

Bayern-Schreck Dárdai?!

Bis zum Neuanfang im Sommer geht es nun aber um den Klassenerhalt. Dass es nicht unmöglich ist, die ersten Punkte schon gegen den FC Bayern einzufahren, zeigt allein das Hinspiel, das nur knapp mit 3:4 in München verloren wurde.

Die Münchner sind in dieser Saison defensiv anfällig und auch offensiv weniger effizient als noch in der Vorsaison. Dárdai weiß zudem, wie man die Bayern ärgert. Zwar gelang ihm in zehn Aufeinandertreffen nur ein einziger Sieg, aber gemeinsam mit drei Unentschieden blieb er zwischen dem 18.02.2017 und dem 28.09.2018 viermal ungeschlagen. Im Februar darauf folgte streng genommen noch ein weiteres 2:2 nach 90 Minuten, das die Bayern in der Verlängerung des Pokals für sich entschieden.

Zugegeben: Aus Berliner Sicht sind das nur Strohhalme. Aber genau darum wird es jetzt für Dárdai auch gehen. Er muss die positiven Dinge greifen, fokussieren und nutzen, um die Mannschaft vor allem psychologisch wieder in die Spur zu bringen.

Hertha noch ohne Khedira?

Gegen den FC Bayern ist damit zu rechnen, dass er es über eine sehr kompakte und recht defensive Ausrichtung probiert. Seine favorisierte Grundausrichtung ist das 4-2-3-1, mit dem er schon die eine oder andere Top-Mannschaft in der Liga ärgern konnte. Zwar ist es typisch für seine Ausrichtung, dass meist der ballnahe Außenverteidiger höher agiert, während der ballferne absichert, doch es ist gut möglich, dass der Trainer seiner Mannschaft zunächst einen defensiven Fokus aufdrückt. Es geht darum, bei Ballgewinnen mit wenigen Kontakten in die Spitze zu spielen, wo Top-Scorer Matheus Cunha (6 Tore, 3 Vorlagen) mit seinen technischen Fähigkeiten Tiefe und Chancen kreieren kann.

Damit es Dárdai am Freitagabend erneut gelingt, die Bayern zu ärgern, muss einiges zusammenkommen. Neuzugang Sami Khedira wäre mit seinen Qualitäten sicher jemand, der in einer solchen Ausrichtung helfen könnte. Allerdings trat Dárdai schon auf die Euphoriebremse. Gut möglich, dass der Weltmeister noch nicht so weit ist. Selbiges gilt für den schnellen Neuzugang Nemanja Radonjić. Umso mehr Verantwortung wird auf den Schultern von Mattéo Guendouzi lasten, der mit seinen vertikalen Läufen für Entlastung sorgen kann.

Und so wird es wohl größtenteils die Elf richten müssen, die den Dárdai-Auftakt gegen Frankfurt mit 1:3 verlor. Vieles wird davon abhängen, wie kompakt die Berliner das Zentrum halten und wie sehr sie Druck auf die Außenverteidigerpositionen der Bayern machen können.

Bayerns Defensivprobleme

Für den FC Bayern sind die Außenbahnen aktuell nämlich die größten Problemstellen. Gerade defensiv fällt es ihnen schwer, Zugriff auf den Gegner zu bekommen. Gegen Hoffenheim gab es gleich mehrere Szenen, in denen den Bayern Flanken oder Pässe von außen um die Ohren flogen.

Paradoxerweise steht dieser defensiven Anfälligkeit aber eine gewisse Grundstabilität gegenüber, die die Bayern insbesondere im Abwehrzentrum zurückerlangen konnten. Seit Flick wieder konsequent auf das Duo Alaba/Boateng setzt, haben sich die Fehler dort reduziert.

Beide werden von Spiel zu Spiel stabiler und sind für sich genommen in guter Verfassung. Wenn aber in 90 Minuten der Ball ständig gefährlich in den Strafraum fliegt, ist auch bei einer guten Verfassung nicht auszuschließen, dass ein Innenverteidiger mal einen Tick unaufmerksam ist oder falsch steht. Egal, ob es Alaba, van Dijk oder sonst wer ist. Die Schlussfolgerung ist, dass die Bayern als Team noch besser arbeiten müssen, um es dem Gegner nicht so einfach zu machen, die Innenverteidiger dauerhaft unter Druck zu setzen.

Hier liegt Herthas Chance

Durch die konsequentere Dreierabsicherung ist es immerhin bei Kontersituationen schon stabiler und besser geworden. Es gab weniger Momente, in denen ein langer Ball die ganze Abwehr ausgehebelt hat.

Der nächste Schritt wird es sein, den Sechserraum und vor allem die defensiven Flügel besser abzusichern. Davies und Pavard verlieren im Moment zu viele Zweikämpfe. Mit Süle und Hernández sah das zuletzt besser aus. Ob Flick sich aber dazu bewegen lässt, vier nominelle Innenverteidiger aufzustellen, ist fraglich. Gerade weil ein Spielertyp wie Davies mit seinen Offensivläufen sehr wichtig sein kann.

Für Hertha wird es demnach aber vor allem darauf ankommen, die Außenverteidiger in Eins-gegen-eins-Duelle zu bringen und von den Flügeln nach innen durchzubrechen oder per Flanke erfolgreich zu sein.

Wann schont Flick seine Achse?

Bayern wiederum wird sich darauf konzentrieren müssen, die eigenen Stärken auf den Platz zu bringen. Vereinfacht gesagt geht es dabei einerseits um Raumkontrolle möglichst weit in der Berliner Hälfte und andererseits darum, bei Ballverlusten sofort in Pressingsituationen zu kommen, um präzise lange Bälle gar nicht erst zuzulassen.

Seitdem Flick im Zentrum des Spielfelds weniger rotiert, schienen sich die Leistungen dahingehend zu verbessern. Selbst in einer Achse, die aus nahezu gleichstarken Spielern wie Neuer, Alaba, Boateng, Kimmich, Müller und Lewandowski besteht, kann und muss man aktuell aber einen herausheben: Thomas Müller.

Der Ex-Nationalspieler ist quasi das personifizierte Bayern-Gen und sorgt nicht nur mit seinen üblichen Läufen mit und gegen den Ball dafür, dass die Bayern aktuell so erfolgreich sind, sondern auch mit seinen Schnittstellenpässen sowie seiner Fähigkeit, die Mitspieler mitzuziehen. Er ist der Dirigent der Offensive und ein echter Strukturgeber.

Vielleicht ist Müller aktuell ein so kompletter Fußballer, wie er es noch nie zuvor in seiner Karriere war. In jedem Fall aber ist er das zentrale Element der Bayern-Offensive. Beginnend mit dem Spiel in Berlin wird es deshalb spannend zu sehen, wie Flick die Kräfte seiner Achse einteilt. Vertraut er darauf, dass es im Halbfinale der Klub-WM auch mit viel Rotation reicht? Zieht er die Woche komplett mit dem Kern der Stammelf durch? Rotiert er vielleicht doch schon überraschend gegen Hertha?

Diese Fragen sind von entscheidender Bedeutung und stellen womöglich die größte Herausforderung für das Trainerteam dar. Denn mit jeder Rotation scheinen die Bayern unsicherer zu werden. Und so wird Flick die Frage beantworten müssen, in welchen Spielen diese wachsende Unsicherheit am ehesten aufgefangen werden kann.

Das Spiel wurde wegen Bayerns Katar-Reise und dem damit verbundenen Drumherum auf 20:00 Uhr vorverlegt.