Vorschau: Hat Kohfeldt Bundesliga-Niveau?

Justin Trenner 17.12.2021

Viele englische Wochen bedeuten durchaus auch viele Themen beim FC Bayern, der auch außersportlich immer wieder für Schlagzeilen gut ist. Es bedeutet aber auch, dass sich sportliche Themen in den Berichten und Analysen dazu doppeln. Was will man also wenige Tage nach einem 5:0-Sieg gegen Stuttgart noch schreiben, was in den letzten Wochen womöglich zu wenig thematisiert wurde?

Für die letzte Vorschau des Jahres haben wir euch mit ins Boot geholt.

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Ich muss an dieser Stelle etwas ausholen, bevor ich zu einer konkreten Antwort auf die Frage komme. Wenn selbst ein Trainer des Formats von Julian Nagelsmann aktuell keine Patentlösung parat zu haben scheint, werde ich sie wohl auch nicht haben. Vorab ist es deshalb wichtig zu erwähnen, dass ich einerseits viel zu wenig Einblicke in die alltägliche Arbeit des Teams habe und andererseits nur das anmerken kann, was mir aus reiner Beobachtung auffällt. Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen der Beobachtung von Fehlern und dem nicht selten längeren Prozess, um diese Fehler zu beheben.

Ein simples Beispiel: Für mich als Beobachter ist es relativ simpel, die Fehler zu benennen, die Alphonso Davies und Leroy Sané im Zusammenspiel mit dem Ball und gegen den Ball zuletzt gemacht haben (=> siehe hier). Im nächsten Schritt ist es aber für ein Trainerteam erheblich schwerer, diese Fehler zu beheben. Reicht es, diese nur anzusprechen und womöglich in einer Videoanalyse aufzuzeigen? Stecken da grundlegendere Probleme mit drin, wie beispielsweise ein Unbehagen in einer bestimmten Rolle oder in einem bestimmten Aspekt einer Rolle? Oder sind beim Spieler noch veraltete Automatismen vorhanden, die sich im Verlauf der Karriere so sehr gefestigt haben, dass es mehr als nur einen oder zwei Fehler braucht, um diese konstant beheben zu können?

Dafür müssen Trainer:innen alltäglich viele Gespräche mit ihren Spieler:innen führen. Das ist vergleichbar mit Schüler:innen, die einen Rechenweg für eine bestimmte Aufgabe verwenden, der sie zwar ans Ziel bringt, oft aber zu umständlich oder zu ineffizient. Wenn Lehrer:innen jetzt einen neuen Rechenweg präsentieren, der effizienter sein kann, dauert es bei jedem Individuum unterschiedlich lange, bis dieser komplett verinnerlicht ist.

Ursachenforschung für Probleme auch im taktischen Bereich?

Es ist durchaus möglich, dass der eine oder andere Spieler des FC Bayern einen solchen Prozess durchmacht. Denn ausschließlich taktisch begründet sehe ich keines der defensiven Probleme unter Julian Nagelsmann. Oft sind Gegentore eine Mischung aus individuellen Fehlentscheidungen, mangelnder Bereitschaft einzelner Spieler oder Unkonzentriertheiten.

Allerdings kann man den Trainer auch nicht komplett außen vor lassen. Dass die Bayern gegen Stuttgart stabiler wirkten, hatte aus meiner Perspektive zwei entscheidende Ursachen: Ein Gegner, der das Niveau von Mainz und Dortmund nicht erreichen konnte – aber auch mehr Stabilität im zentralen Mittelfeld.

Marc Roca und Jamal Musiala haben sich deutlich häufiger gemeinsam(!) im Sechser- beziehungsweise Achterraum angeboten als beispielsweise Corentin Tolisso und Leon Goretzka gegen Dortmund. Nagelsmann ließ in den vergangenen Wochen häufig ein 3-1-5-1 in unterschiedlichen Offensivstaffelungen spielen. Das funktioniert immer dann gut, wenn der Ball das letzte Drittel erreicht und die Spieler dort gut gestaffelt sind. Es funktioniert weniger gut, wenn der Ball vom Gegner noch vor den sechs hoch positionierten Spielern abgefangen wird oder der alleinige Sechser mit seiner Rolle überfordert ist.

Joshua Kimmich kann das spielen. Marcel Sabitzer konnte das in Leipzig, bisher aber nicht bei den Bayern spielen. Tolisso und Goretzka sind nicht die Typen dafür, wobei der Franzose zumindest keine schlechten Ansätze hat. Roca wiederum zeigte gegen Stuttgart, dass er mit dem Ball große Qualitäten hat – allerdings ist es fraglich, ob er so weiträumig agieren könnte wie Kimmich. Die Umstellung auf zwei klarere zentrale Mittelfeldspieler war deshalb aus meiner Sicht folgerichtig und gut.

Schaffen Transfers Abhilfe?

Was die Transferfrage anbelangt, glaube ich deshalb, dass ein weiterer Spieler im Zentrum notwendig sein wird. Da Tolisso wahrscheinlich geht, wäre auch Platz für einen solchen. Thiagos Abgang schmerzt hier immer noch. Das Triple haben die Bayern meiner Ansicht nach vor allem deshalb gewonnen, weil sie mit Kimmich und Thiago zwei der besten Spielgestalter der Welt auf ihrer Position hatten. Fiel einer von ihnen aus, oder musste Kimmich außen aushelfen, war der jeweils andere zur Stelle. Ohne diesen spürbaren Niveauverlust, den wir jetzt bei den Bayern erleben.

Marc Roca und Marcel Sabitzer hießen die beiden Lösungen auf den Wechsel des Spaniers. Beide konnten die Erwartungen (noch) nicht erfüllen. Gerade bei Sabitzer muss man in der Rückrunde aber mal abwarten, wie er sich entwickelt. Ich traue ihm zu, ein adäquater Ersatz für Kimmich zu werden. Schafft er den nötigen Sprung aber nicht zeitnah, wird man hier im Sommer justieren müssen. Die Rechtsverteidigerposition ist bekanntermaßen auch eine Dauerbaustelle. Allerdings eine, der ich weniger Priorität geben würde als andere Expert:innen und Beobachter:innen.

Die Hybridlösung aus Dreier- und Viererkette finde ich taktisch charmant. Dafür braucht es links einen offensiven Spieler wie Davies und rechts einen defensiver orientierten Außenverteidiger mit besonderen spielerischen und technischen Fähigkeiten – entweder als einrückender Rechtsverteidiger oder als tiefer und aufbauender Rechtsverteidiger. Holt man ein Davies-Pendant, läuft man Gefahr, sein Spiel zu destabilisieren (klarere Viererkette), oder den offensiven Außenspielern eine Position zu klauen (klarere Dreierkette).

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Zu Florian Kohfeldt komme ich später, zu Waldschmidt möchte ich mich nicht äußern. Solche Entscheidungen aus der Ferne zu beurteilen finde ich problematisch. Meine Meinung ist da auch nicht fundiert genug. Deshalb zur goldenen Mitte: Bekommt Roca jetzt mehr Spielzeit?

Wie oben ausgeführt, ist er in Ballbesitz ein Spielertyp, der den Bayern durchaus abgeht, wenn Kimmich fehlt. Die Frage ist für mich, ob er seine Aggressivität gegen den Ball noch besser kanalisieren und strukturieren kann. Wenn Nagelsmann ihn da auf Kurs bringt, ist er sicher eine Option für deutlich mehr Spielzeit als zuletzt. Seine Fähigkeit, sich in engen Räumen zu bewegen und fast immer die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist eine, die nicht viele Spieler besitzen. Trotz der ansprechenden Leistung in Stuttgart ist sein Verhalten ohne Ball aber trotzdem noch zu naiv und unbedarft. Davon wird einiges in der Rückrunde abhängen – aber auch von der Form der anderen Mittelfeldspieler. Und daraus resultierend ergibt sich für mich auch, dass er am besten in der Kimmich-Rolle funktionieren kann. Weiter vorn fand ich ihn nie so wirklich gut, als Taktgeber im Zentrum schon eher. Goretzka, Tolisso und Sabitzer erscheinen mir da logische Partner zu sein, Musiala geht in Einzelfällen auch, den sehe ich aber weiter vorn. In jedem Fall braucht Roca mehr Unterstützung als Kimmich.

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Das ist okay. Your time to shine will come soon.

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Ich finde das Thema zu ca. 70–80 Prozent überbewertet. Musiala beispielsweise hat eine schreckliche Körpersprache und würde für sein Defensivverhalten in einigen Situationen deutlich mehr Kritik kassieren, wenn er vorn und mit dem Ball nicht so ein überragendes Talent hätte. Dann würden in den gängigen Medien auch wieder Körperspracheexpert:innen analysieren, dass er an seinen hängenden Schultern arbeiten müsse.

Gleichzeitig sollte man aber nicht abstreiten, dass die Präsenz von Spielern wie Thomas Müller, Kimmich oder Goretzka dem Team gut tut. Nur darf man das eben nicht von allen elf Spielern erwarten. Es gibt unterschiedliche Spielertypen und auch Charaktere. Sowohl Musiala als auch Kimmich bringen somit verschiedene Aspekte ein – sie aber in Sachen Körpersprache zu vergleichen, fände ich albern.

Was mir hingegen durchaus negativ auffiel in den letzten Wochen, war die oben angesprochene Bereitschaft zur Defensivarbeit. Und das nicht nur bei ein oder zwei Spielern, sondern bei einigen. Darunter eben auch die Mentalitätsmonster Goretzka und Müller. Als würden sich die Bayern mitunter zu sehr darauf verlassen, dass die Restverteidigung das schon lösen würde. Dadurch verlieren sie an Kompaktheit und es kommt immer wieder zu gefährlichen Verlagerungen des Gegners auf die ballferne Seite, wo dann Defensivspieler schlecht aussehen, weil sie in Unterzahl sind. Ein gutes Beispiel ist das Tor von Erling Haaland im Topspiel (ab 04:20). Einfach mal auf Tolisso, Goretzka und Coman achten.

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Und nun zum Bayern-Gegner …

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Insbesondere bei Werder Bremen fiel mir das auch auf. Damals lag das aber auch daran, dass die Offensive Werders zunehmend an Qualität verlor und man im Mittelfeldzentrum nicht die Spieler hatte, um diesen aktiven und mutigeren Ansatz durchzuziehen. Kohfeldt sah sich taktisch also dazu gezwungen, das Team vor allem hinten zu stabilisieren und mehr über langatmige Kontersituationen zu kommen. Ob das jetzt richtig war, sei mal dahingestellt, aber ich persönlich kann diese Entscheidung nachvollziehen. Wenn man sieht, wo Werder in der zweiten Liga seine großen Baustellen hat (und da müssen sie ja aktiveren Fußball spielen), dann wird auch klarer, warum Kohfeldt so agierte.

In Wolfsburg hat er jetzt aber einen anderen Kader zur Verfügung. Einen, der in einzelnen Spielen dieser und nahezu in der kompletten vergangenen Saison unter Beweis gestellt hat, dass er im oberen Drittel der Tabelle konkurrenzfähig ist. Umso enttäuschender sind selbstverständlich die ersten Partien unter ihm.

Besonders seltsam finde ich, dass er das eigentlich so spielstarke Zentrum nicht eingebunden bekommt. Gegen Mainz konnten sich die Wolfsburger beispielsweise kaum mal vom Flügel befreien. Bei der 1:3-Niederlage gegen Dortmund wiederum gelangen ihnen ein paar gute Verlagerungen, aus denen sehenswerte Angriffe wie vorm 1:0 entstanden.

Kohfeldt ein guter Bundesliga-Trainer?

Ich würde der These des Fragestellers also teilweise zustimmen. Wolfsburg fehlt es durchaus an Aktivität – aber schon mit dem Ball. Zu wenig Freilaufverhalten, zu wenig Dynamik, zu viel Statik, zu leicht pressbar auf den Flügeln – das sind zum Teil auch noch Lasten aus der schnelllebigen Van-Bommel-Phase. Aber auch gegen den Ball setzt Kohfeldt zunehmend auf eine eher passivere Defensivausrichtung, was den Wolfsburgern nicht so richtig steht.

Aber: Kohfeldt jetzt schon in die Pfanne zu hauen, fände ich unfair. Er hat das Team in einer schwierigen Situation übernommen, hatte nun auch viele englische Wochen am Stück. So richtig bewerten kann man ihn erst im kommenden Jahr.

Und das schließt dann auch den Kreis zur oben gestellten Frage, ob er ein guter Bundesligatrainer ist. Diese Station in Wolfsburg wird uns viel darüber verraten. Aber noch nicht jetzt. Und auch noch nicht nach dem Bayern-Spiel.

Damit schließen wir das Kalenderjahr 2021 für unser Vorschauformat. Vielen Dank an alle, die auch dieses Jahr wieder mit Interesse gelesen haben, was mir zum FC Bayern oder den jeweiligen Gegnern gedanklich entsprang.



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