Vorschau: Grauer Novembertag in Augsburg

Justin Trenner 19.11.2021

Es ist November und in München wie auch im restlichen Deutschland hängen nur noch wenige Blätter an den Bäumen. Der graue Herbst bereitet dem Winter den Weg. Schon am Nachmittag geht die Sonne unter, noch weit bevor der Abend wirklich beginnt. Wirklich hell ist es nur in wenigen Momenten dieser Tage.

Auch an der Säbener Straße ist etwas Ruhe eingekehrt – sportlich betrachtet. Zumindest war das Training zuletzt nicht so üppig besucht, weil die Länderspielpause dafür gesorgt hat, dass ein Großteil des Profikaders der Herren durch die Welt reist. Es ist abermals ein Kontrastprogramm zur gesellschaftlichen Situation. Das graue Wetter, es passt zur Stimmung.

Medial dominiert Corona. Anderthalb Jahre nach dem großen Ausbruch der Pandemie in Europa fühlen sich viele Menschen in Deutschland so, als hätte sich nichts getan. Als wäre der nahende Winter 2021 einfach nur ein Abbild des Winters 2020. Wieder steht die Politik im Fokus, die sich eingestehen muss, im Sommer und Frühherbst die Zügel verloren zu haben. Wieder steigen die Zahlen in Regionen, die eine ernsthafte Bedrohung fürs Gesundheitssystem darstellen.

Mit einer Impfquote von rund 67 % liegt Deutschland weit hinter Ländern wie Portugal (rund 88 %) und Spanien (rund 80 %). Die Gefahr einer Infektion und die dadurch entstehenden Folgen, sie ist für viele wieder greifbarer geworden – sei es bei sich oder bei anderen.

Fußball ist mal wieder Nebensache

Womöglich liegt hier auch schon der Kern des Problems: Warum gelang es vielen Ländern erheblich besser, einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung zu impfen als Deutschland, Österreich oder auch anderen mittel- und osteuropäischen Ländern? Ist es ein Problem der Desinformation? Ein Problem der falschen Gewichtung von Fakten rund um die Nebenwirkungen des Impfstoffes im Vergleich zu jenen einer Infektion? Fakt ist, die Situation wird zwangsläufig zu schärferen Maßnahmen führen. Das lässt sich ab diesem Punkt wohl kaum noch verhindern. Der Winter und auch das Weihnachtsfest drohen abermals eine dem aktuellen Wetter angepasste Zeit zu werden.

Wenn die Antwort auf die Frage, wie man diesen Zustand beenden möchte, für rund ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland nicht der Impfstoff sein sollte, dann ist der Ausblick mit der aktuellen Sonnenzeit zu vergleichen: Es wird lange dunkel bleiben.

Und inmitten dieser großen Sorgen wird eben auch noch Fußball gespielt. Was für sich genommen kein großes Problem darstellt, wie die Erfahrungen seit Wiederaufnahme des Spielbetriebs größtenteils gezeigt haben. Die Debatte im Fußball befasst sich nämlich längst nicht mehr damit, ob es gerechtfertigt ist, dass gespielt wird, sondern viel mehr damit, unter welchen Bedingungen.

Erhöhter Druck auf Ungeimpfte

Volle Stadionauslastung? 3G-, 2G- oder 2G+-Regel? Was ist mit ungeimpften Spielern? Diese Fragen dominieren aktuell Pressekonferenzen und die Medienwelt. Wie schon so oft in dieser Pandemie wird es im voraus nicht die eine richtige Antwort auf all diese Fragen geben. Auch wenn es Erfahrungswerte gibt, sind viele Situationen nach wie vor zu schwer zu berechnen.

Für Joshua Kimmich und alle weiteren ungeimpften Spieler könnte es aber ein nochmal unangenehmerer Winter werden als für die geimpften Kollegen, weil das Risiko für Ausfälle deutlich steigt. Hinzu kommt eine diskutierte Maßnahme, die an ein Berufsverbot grenzen würde: Eine 2G-Regelung für Fußballprofis. Wie sinnvoll so etwas wäre, wird in den sozialen Netzwerken mitunter hitzig diskutiert. Arbeitsrechtlich dürfte eine solche Durchsetzung aber nicht unkompliziert sein.

Der Druck auf Ungeimpfte wird durch viele der aktuellen Maßnahmen erhöht – und er ist das Resultat einer von Anfang an eher mäßigen bis kaum vorhandenen Impfkampagne, die im deutschsprachigen Raum alles andere als erfolgreich war.

Wie entwickelt sich die Coronasituation bei den Klubs?

Und nun zum Sport? So einfach lässt sich das nicht trennen. Dass Julian Nagelsmann auf der Pressekonferenz deutlich mehr Fragen zur Coronasituation beantworten musste als zum Spiel in Augsburg, ist der beschriebenen Situation geschuldet – aber auch der Tatsache, dass der FC Bayern selbst durch Corona gebeutelt ist. Neben Kimmich, der in Quarantäne verweilt und auf einen negativen Test einer Kontaktperson wartet, haben sich Niklas Süle und Josip Stanišić infiziert. Hinzu kommen zwei Betreuer.

Beim FC Bayern sei man wie auch bei anderen Klubs darum bemüht, mit den Ungeimpften Spielern zu sprechen und ihnen eine Impfung nahezulegen, heißt es immer wieder aus dem Umfeld. Pellegrino Matarazzo, Trainer des VfB Stuttgart, sagte kürzlich bei Sky: „Es ist nicht so, dass wir nicht mit den Spielern sprechen. Aber sie haben auch andere Ansprechpartner, die haben unterschiedliche Einflüsse, die lesen auch vieles im Internet, was auch ein Stück weit Müll ist.“

Für die Klubs wird es im Winter eine große Rolle spielen, wie hoch die Impfquote innerhalb der Kader ist. Und auch rein zwischenmenschlich wird es eine spannende Zeit. Wie reagieren Mitspieler darauf, wenn Ungeimpfte häufig ausfallen sollten, weil sie beispielsweise wie Kimmich wegen einer womöglich infizierten Kontaktperson in Quarantäne sind?

Das erwartet die Bayern in Augsburg

Das alles sind Themen, die die Trainer aktuell in der Kabine moderieren müssen – neben den sportlichen Aspekten. Nagelsmann zeigte sich auf der Pressekonferenz zumindest ein wenig genervt davon, dass diese aktuell keine übergeordnete Rolle spielen: „Wir spielen in fast 24 Stunden gegen den FC Augsburg und es kam noch keine einzige Frage dazu.“ Es sei schließlich auch eine Frage des Respekts, den Gegner nicht zu ignorieren.

Stimmt. Deshalb soll auch an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, was den FC Bayern am heutigen Freitagabend erwartet. Augsburg spielt bisher eine recht durchwachsene Saison. Zwei Siege, drei Unentschieden, sechs Niederlagen und 9:20 Tore bedeuten im Moment Platz 16. Leichte Kritik an Trainer Markus Weinzierl ist bereits zu vernehmen. Dass diese aber noch nicht übermäßig laut ist, hat seine Gründe.

Der FCA hat sich in den letzten Jahren zunehmend seiner eigenen spielerischen Qualitäten beraubt – und das gleich auf mehreren Ebenen. Den Tiefpunkt der spielerischen Armut erlebten sie wohl unter Heiko Herrlich. Destruktiver Fußball, der ausschließlich darauf ausgerichtet war, das eigene Tor irgendwie zuzumauern und vorn ein paar Zufallstreffer zu erzielen. Wie das zwischenzeitlich erfolgreich sein konnte, wissen sie in Augsburg wohl bis heute nicht.

Weinzierls Kampf gegen die Vergangenheit

Diese Hypothek schleppt der Klub letztendlich immer noch mit sich herum. Von diesem Extrem in eine spielerisch anspruchsvollere Philosophie zu wechseln, ist eine komplizierte Aufgabe. Zumal an dieser Stelle eben eine weitere Ebene ins Spiel kommt: Mit Daniel Baier hat 2020 nicht nur ein Spieler seine Karriere beendet, sondern DER Spieler des FC Augsburg. Er war gegen den Ball ein Spielertyp, der von anderen stets gehasst und von den eigenen Fans immer geliebt wurde. Weil er sich in jeden Zweikampf warf und das Mittelfeldzentrum zusammenhielt.

Mit dem Ball war er der Denker und Lenker des Spiels. Seine linienbrechenden Pässe, seine Positionierung zwischen den Linien und sein Gefühl für Raum und Zeit waren für das Niveau, auf dem sich der FC Augsburg befindet, einmalig. Baier hätte auch im oberen Drittel der Bundesliga spielen können, blieb dem FCA aber treu.

Schaut man sich den Kader jetzt an, gibt es durchaus Spieler, die diese Qualität auf dem Papier gemeinsam auffangen könnten. Niklas Dorsch beispielsweise kam für geschätzte sieben Millionen Euro Ablösesumme nach Augsburg. Der U21-Europameister hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen und kann mittelfristig sicher in die Rolle wachsen, die Baier über Jahre bekleidet hatte.

Offensive Tristesse

Doch so richtig angekommen ist er in Augsburg noch nicht. Das gilt auch für Arne Maier, der von Hertha BSC ausgeliehen wurde. Und so ist das größte Problem der Augsburger vielleicht gar nicht jenes, das am offensichtlichsten erscheint: Die fehlende Durchschlagskraft in der Offensive.

Die drittwenigsten Tore (9), der schlechteste Expected-Goals-Wert (9,3), die zweitwenigsten Abschlüsse (109), die viertgrößte durchschnittliche Distanz zum Tor bei Abschlüssen (16,5 Meter) und die wenigsten Abschlüsse innerhalb des Strafraums (5,3 pro Spiel) – dieser Ligavergleich zeigt, wie harmlos die Augsburger im Angriff sind.

Ist die Schlussfolgerung jetzt zwangsläufig, dass die Angreifer nicht gut genug sind? Es ist schon so, dass dem Team eine echte Nummer 9 fehlt, auf die sie sich verlassen können. Zwar stehen mit Michael Gregoritsch, Florian Niederlechner und Alfred Finnbogason durchaus Namen im Kader, die mindestens in Phasen ihrer Karrieren gezeigt haben, dass auf sie Verlass ist, aber sie haben auch alle mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen.

Strukturelle oder individuelle Probleme im Angriff?

Finnbogason scheint über seinen Zenit hinaus zu sein, bekommt nur noch wenige Einsätze und ist darüber hinaus häufig verletzt. Bei Florian Niederlechner scheint die Formkurve ebenfalls stark nach unten zu tendieren. Seine 13 Tore und acht Torvorlagen aus der Debütsaison beim FCA (2019/20) konnte er nicht mehr bestätigen. Und Gregoritsch? Der Österreicher steht ebenfalls häufig nicht zur Verfügung und hat in den letzten Jahren für einen Stürmer eher unterdurchschnittliche Werte geliefert.

Ja, die Besetzung der Neunerposition ist sicher ein Grund dafür, dass der FC Augsburg taktisch den Fokus eher auf den Bereich lenkt, der üppiger besetzt ist, nämlich die Defensive. Aber alles darauf abzuladen, dass man vorne schlicht keinen Torjäger hat, ist vermutlich auch zu kurz gedacht.

Denn schaut man sich an, wie wild und unstrukturiert das Spiel nach vorn häufig ist, dann wäre es eine ebenso berechtigte Schlussfolgerung, dass aus dem Mittelfeld zu wenig kommt, um die Stürmer entsprechend in Szene zu setzen. Wer kaum Ballkontakte und Abschlüsse hat, kann sich vor dem Tor auch nicht beweisen.

Lange Bälle als Mittel zum Zweck

Augsburg wird es gegen die Bayern womöglich mit einer tiefen Fünferkettenformation versuchen. Zwar hat Weinzierl zuletzt häufiger mit Viererkette spielen lassen, aber gegen offensivstarke Teams war die Fünferkette dann doch meist das Mittel der Wahl.

Nagelsmann stellte auf der Pressekonferenz richtigerweise heraus, dass die Augsburger sicher auch mal Phasen haben werden, in denen sie höher anlaufen, um überraschend Druck auf den Rekordmeister auszuüben. Darauf müssen sich die Bayern einstellen. In den allermeisten Phasen des Spiels ist jedoch eine tiefe Augsburger Formation zu erwarten, die mit Physis und Aggressivität den eigenen Strafraum verteidigen will.

Im Spiel nach vorn sollten sich die Münchner eher nicht erhoffen, dass Augsburg ein gepflegtes Kurzpassspiel aufzieht. Stattdessen wird das Mittelfeld häufig überbrückt. Der FCA spielt sehr direkt und sehr simpel. Man wird versuchen, die schnellen Flügelspieler nach Ballgewinnen schnellstmöglich lang zu schicken.

Wie kommen die Bayern aus der Länderspielpause?

Alternativ haben sie im Zentrum mit Dorsch oder Maier auch technisch starke Spieler, die Drucksituationen auflösen und die schnellen Angreifer schicken können und auch in der Verteidigung haben sie in Ballbesitz durchaus Qualität. Gerade beim 4:1-Erfolg über Stuttgart zeigten sie in der einen oder anderen Situation, dass sie durchaus Anlagen haben, die ein sauberes Spiel nach vorn ermöglichen.

Nur zeigen sie es im Ligaalltag zu selten. Die Frage wird sein, ob die Bayern es schaffen, die Augsburger am eigenen Sechzehner festzuschnüren und sie dort immer wieder zu Ballverlusten zu zwingen.

Die Rotation, zu der Nagelsmann jetzt gezwungen ist, könnte den Plänen einen Strich durch die Rechnung machen. Es wird interessant zu beobachten, wie die Bayern mit veränderter Startelf aus der Länderspielpause kommen.

Das Wetter wird ihnen eher nicht dabei helfen, sofort wieder auf Temperatur zu kommen. Auch in Augsburg verliert der Herbst langsam seine bunten Farben, während sich die Sonne zunehmend versteckt. Werden die Bayern, wenn sie heute Abend unter Flutlicht ins Stadion einlaufen, auch die letzten Blätter von den Augsburger Bäumen wehen? Es ist eine Frage, die in der aktuellen Situation an Bedeutung verloren hat. Mal wieder.