EM-Zeugnisse: Ein bitteres Turnier für den FC Bayern

Daniel Trenner 05.07.2021

14 Spieler schickte der FC Bayern ins Rennen um die kleine silberne Trophäe. Niemand von ihnen kam auch nur bis ins Viertelfinale. Ein für Bayern-Spieler rundum enttäuschendes Turnier neigt sich seinem Ende.

Deutschland

Manuel Neuer

Mit breiter Brust konnte Manuel Neuer in die EM gehen, nach meinem Dafürhalten hatte er gerade nicht weniger als die beste Saison seiner Karriere hinter sich. Im Turnier konnte er das leider nicht bestätigen. Aktiv schwach war er nur im letzten Gruppenspiel, als er mindestens für das zweite Gegentor die Hauptverantwortung trägt, doch das macht Neuers EM auch nicht automatisch gut.

Jede Großchance, die auf sein Tor kam, war drin. Das hat natürlich etwas mit den Abwehrproblemen der Nationalmannschaft zu tun, vier dieser Gegentore waren einfache Einschiebe-Tore. Die Nationalmannschaft muss seinem Keeper wieder Chancen geben sich auszuzeichnen.

Positiv sei abschließend erwähnt, dass er mit Ball am Fuß exzellent war. In diesem Sektor war er nach meiner Empfindung sogar der beste im Turnier. Ein wenig habe ich den Eindruck, dass die Anzahl guter mitspielender Keeper wieder abnimmt. Möglicherweise vermisse ich aber auch einfach die brasilianischen Torspieler. Leider wird das nie der wichtigste Aufgabenbereich eines Torwarts sein. Neuer hat Glück, dass der kommende Trainer sein alter ist. Ein anderer würde jetzt womöglich den Schlussstrich ziehen.

Niklas Süle

Als der Bundestrainer einst Jérôme Boateng und Mats Hummels aus der Nationalmannschaft schmiss, galt Süle als Abwehrchef um den es die Innenverteidigung zu bauen galt. Zweieinhalb Jahre später war davon nichts mehr zu spüren, nichts mehr zu hören. Der zweite Kreuzbandriss hat Süle viel gekostet. Nach einer dürftigen Saison war er nun nur noch der fünfte Innenverteidiger in Löws Ranking. Dabei überzeugte er sogar ganz ordentlich in den 17 Minuten, die er gegen Portugal bekam. Jedenfalls mehr als Emre Can. In einem Viertelfinale hätte er nach Matthias Ginters Sperre möglicherweise wieder Einsatzzeiten bekommen.

Süles Karriere steht an einem Wendepunkt. Im Verein mehr als in der Nationalmannschaft. Kommt er nochmal komplett zurück? Seine Zusatzschichten beim Training vor Turnierbeginn deuten darauf hin, dass er die Probleme bei sich erkannt hat. Glücklicherweise ist es wieder stiller um einen möglichen Wechsel geworden, neuere Gerüchte über eine Ein-Jahres-Verlängerung dürften im Sinne aller Beteiligter sein.

Niklas Süle wird möglicherweise der Spieler sein, der von Hansi Flick erstmal am wenigsten profitieren könnte beim DFB. Man konnte in der Rückrunde durchaus den Eindruck gewinnen, als schwinde Flicks Vertrauen in seinen Schrank zunehmend. Eigentlich wäre die Innenverteidigerpaarung Rüdiger-Süle für die nächsten Jahre wie gemalt. Eigentlich.

Joshua Kimmich

Tja. Was macht man nun mit Kimmichs Europameisterschaft? Es hätte sein erstes Turnier als wirklich gereifter Weltklassespieler werden sollen. Herausgekommen ist ein Mischmasch, wo der Spieler an den Problemen größtenteils keine Schuld trägt.

Gegen Frankreich dürftig, gegen Portugal nicht weniger weltklasse als sein Shootingstar-Pendant auf der linken Seite, gegen Ungarn eine Halbzeit unwirksam, eine Halbzeit ganz ordentlich und gegen England verschenkt. Gerade hier wurden seine Abwehrschwächen auf dieser Position deutlich (der Großteil der Schuld am 0:1 liegt aber anderswo, etwa bei Rüdiger). Offensiv jedoch konnte er kaum stattfinden, eben wegen Löws vorsichtigem Ansatz. Viel mehr als eine gefährliche Flanke auf Gosens kam nicht dabei heraus. Es war nicht seine Schuld, dass sein Team mit so wenigen Spielern angriff.

Wäre Deutschland bei der Portugal-Taktik wirklich geblieben, sprich hätte sich immer die ganze Mannschaft an den Angriffen beteiligt, wäre die Idee mit Kimmich als rechten Schienenspieler gut gewesen, davon bin ich auch nach dem Ausscheiden überzeugt.
So war er tatsächlich verschenkt. Kimmich kann froh sein, dass Flick erst einmal Ridle Baku auf rechts ausprobieren dürfte, seine Zukunft liegt in der Mitte, an der Seite von …

Bitter. Sehr, sehr bitter.
(Bild: Imago Images)

Leon Goretzka

Erst wurde er herbeigesehnt, als alle ihn in die Startelf schrieben. Dann wurde er gegen Ungarn irgendwann zur letzten Hoffnung, bei seinem Jubel gar Sympathieträger einer ganzen Nation. Und doch gehört zu seinem Turnier, dass er nach starkem Beginn gegen England einbrach. Ab Mitte der ersten Hälfte sah man recht wenig von ihm, dazu gesellten sich erstaunliche Fehlpässe.

Ein Jammer, dass kurz vor seinem ersten Turnier als Weltklasse-Achter ihn seine überwunden geglaubte Verletzungsanfälligkeit wiedereinholte. Ihm gehört die Zukunft, sportlich sowieso, aber auch als Gesicht der Mannschaft, falls Oliver Bierhoff vor lauter Marketingwald seinen besten Baum nicht übersieht. Wenn der DFB die Liebe der Fans wirklich zurückgewinnen will, lassen sie ihn im Bezug auf Katar 2022 einfach reden und machen. Werden sie aber natürlich nicht.

Thomas Müller

Ein schwer einzuschätzendes Turnier. Auf der einen Seite ist in allen guten Phasen deutlich geworden, dass diese Mannschaft diesen erwachsen gewordenen Spielertrainer Müller braucht, auf der anderen Seite konnte er sportlich nur gegen Portugal überzeugen. Das ist alles gerade deshalb bitter, weil er ja auch auf dem Platz diese Saison so großartig spielte.

Viele meinen, er hätte nicht auf seiner richtigen Position gespielt, ich bin da nicht ganz dabei. Man hat eben keinen Mittelstürmer beim DFB. In vorderster Reihe drei flexible Spieler hinzustellen und ihnen auftragen, sie sollen um die Neun schwimmen, macht da schon viel Sinn. Und in den besten Situationen war das ja auch gut, gegen Portugal etwa.

Das Problem des fehlenden Mittelstürmers wird auch Hansi Flick erben, auch wenn die ARD natürlich schonmal Lukas Nmecha in die Nationalmannschaft spricht. So sehr wie Flick Werner zum FC Bayern holen wollte, kann ich mir gut vorstellen, dass er es noch einmal mit ihm als Stoßstürmer versuchen könnte. So wäre Müller wenigstens frei wieder auf seine Zehn zu gehen.

Leroy Sané

Endlich haben wir ihn! Den neuen Sündenbock der Nation! Was wurde auf Sané nicht eingeschlagen nach dem Ungarn-Spiel. Besonders hässlich natürlich von den ganzen Ex-möchtegern-Weltklassespielern, die es eigentlich besser wissen müssten.

Und doch war auch Sanés nunmehr zweite Europameisterschaft eine riesige Enttäuschung, wenn man ehrlich ist sogar noch bevor angepfiffen wurde. Denn seinen lange Zeit sicher geglaubten Stammplatz verlor er in der Vorbereitung und das auch sehr verdient. Gegen Ungarn überzeugt er nur mit Einsatz, aber offensiv konnte er es nicht richten, obwohl er irgendwann sogar auf seiner besten Position spielte. Er bekam ja zum Ende hin wirklich die isolierten Duelle auf der Außenbahn, er nutzte sie nur nicht.

Hansi Flick fiel in seiner einen Saison als Sané-Trainer auch als harter Lehrer für diesen auf. Sané wird seine Chancen weiterhin erhalten, diese Mannschaft braucht seine Fähigkeiten, niemand hat das was er hat. Es liegt nicht an der falschen Position oder Rolle. Einige machen Sané kleiner als er ist, wenn sie nur an die eine erfolgreiche Saison bei City denken, als Guardiola ihn gezielt Linksaußen isolierte. Sané muss sich selber helfen.

Serge Gnabry 

2018 verpasste er noch die WM verletzt. Ein Umstand, der damals merkwürdig unterberichtet war. So ein dribbelstarker, wendiger Spieler mit Auge für das Tor fehlte dem DFB schon lange. Nur logisch, dass für Jogi Löw lange die Devise galt: “Der Serge spielt immer.” Doch in seinem ersten Turnier enttäuschte er auf ganzer Linie. Gegen Frankreich vergab er die einzige Chance seiner Mannschaft, gegen Ungarn blieb er wirkungslos. Nur gegen Portugal überzeugte er, wenn auch dort ohne eigenen Scorerpunkt. Verständlich also, als der Bundestrainer gegen England Timo Werner ihm vorzog. Als spät gekommener Joker blieb auch er wirkungslos.

Um ihn wird man auch weiterhin die Nationalmannschaft bauen, dafür hat Deutschland einfach zu wenige Spieler mit einem Fokus auf den schnörkellosen Abschluss. Vielleicht vermeidet es Flick in Zukunft ihn in die Sturmspitze stellen zu müssen.

Jamal Musiala 

Musiala hat kaum zehn Minuten gespielt und ist trotzdem so etwas wie der Shootingstar der Nationalmannschaft. Zu sehr hat er gegen Ungarn überzeugt, zu sehr wurde der Bundestrainer kritisiert ihn gegen England nicht früher gebracht zu haben. Die Kritik kam dabei von allein Seiten, ich hingegen möchte Löw hier in Schutz nehmen. Alle Welt, inklusive und vor allem Bayern-Fans sehen Musiala viel weiter als seine beiden Trainer es tun.

Dafür, dass er offenbar schon so sehr bereit sein soll, um lange Strecken im Wembley-Stadion zu gehen, ließ ihn auch Hansi Flick erstaunlich wenig spielen. Musiala kommt nur auf eine knapp vierstellige Anzahl Spielminuten in allen Profiwettbewerben, Löws Anmerkung die Öffentlichkeit sehe ihn weiter als er ist, teilt Flick also auch. Überhaupt brachte er ihn meist in der Rotation gegen schwächere Gegner, zögerte bis zuletzt um ihn gegen PSG einzuwechseln. Einzig Lazio bleibt die große Ausnahme hier. Wenn Hansi Flick auf ihn ähnlich gesetzt hätte, wie es die Dortmund-Trainer Favre und Terzić bei Jude Bellingham taten, wäre ich bei der Löw-Kritik dabei, doch hier sehe ich einfach zu deutlich einen roten Faden.

Musiala wird beim DFB seinen Weg gehen, auch bei ihm sind die Fähigkeiten einfach viel zu einzigartig für einen deutschen Spieler, das ja sonst eher Passmaschinen ausbildet. Womöglich findet man ihn in der Nationalmannschaft dann aber dauerhaft eher auf den Flügeln.

Frankreich & die anderen

Frankreichs Turnier ist eine noch viel größere Enttäuschung als Deutschlands. Als himmelhoher Topfavorit gingen sie ins Turnier, selbst die größten Deschamps-Kritiker endeten ihre eigentlich-müsste-diese-Mannschaft-besser-spielen-Segmente mit einer achselzuckenden Prognose, dass man dieser Mannschaft nicht den Titel nehmen könnte. Und dann spielten sie eine nur im ersten Spiel überzeugende Europameisterschaft und scheitern an einem schwächeren Team als Deutschlands Nemesis. Gerade ihr letztes Spiel ist hier beispielhaft für das ganze französische Chaos dieser Nationalmannschaft. Erst gehen sie merkwürdig defensiv in die Partie, spielen eine hundsmiserabele erste Halbzeit, drehen dann 25 Minuten lang komplett auf, um sich schließlich mit unangebrachter Vorsicht selbst aus dem Turnier zu befördern. Die französischen Bayern waren daher ebenfalls sehr wechselhaft.

Benjamin Pavard

Machte drei Spiele über die volle Distanz. Nur drei, weil er nach dem zweiten aufgrund seiner schlechten Leistung gegen Ungarn auf der Bank blieb. Hier war er hauptverantwortlich den ungarischen Torschützen laufen zu lassen. Da sein Vertreter Koundé ebenfalls blass blieb, rutschte Pavard gegen die Schweiz wieder in die Mannschaft. Dort allerdings auf die rechte Seite einer Fünferkette, zu der Deschamps warum auch immer wechselte. Wie man auf die Idee kommt bei einem derartigen Offensivpotenzial ausgerechnet eine Wingback-Paarung Pavard-Rabiot auf das Feld zu schicken, wird Deschamps Geheimnis bleiben.

Tief durchatmen musste Pavard bei dieser EM oft.
(Bild: Imago Images)

Defensive Stabilität brachte es jedenfalls nicht, Frankreich verteidigte schwach, auch Pavard spielte schrecklich, wurde von Zuber streckenweise hergespielt. Beim 0:1 ließ er ihn unbedrängt flanken, noch schlechter allerdings machte er es wenige Minuten nach der Halbzeitpause, als er ihn unbedrängt auf der Strafraumlinie umgrätschte. Höchstwahrscheinlich dachte er, im schlimmsten Fall würde dies höchstens einen Freistoß bedeuten, doch er täuschte sich, Elfmeter gab es und nur Lloris hielt Frankreich im Spiel.

Dieses Turnier dürfte noch einige Konsequenzen mit sich ziehen, auch für den FC Bayern. Pavard ist der Inbegriff des Deschamps-Spielers. Ein defensiver Außenverteidiger, der einfach stabil seinen Job macht und seinen offensiven Vorderleuten den Rücken freihält. Schafft er genau das nicht, hat er seinen Zweck als Startelfspieler dieser Mannschaft verwirkt. Schlimmer wäre es für Pavard wenn Deschamps gehen muss, denn einen treueren Trainer wird er kaum finden. Wer würde schon einen so defensiven Außenverteidiger spielen lassen? Selbst der Heldenfußball Zidanes (Deschamps designierter Nachfolger sollte es soweit kommen) war ja kein Mauerfußball. Und sind andere Außenverteidiger bei Frankreich gefragt, könnte Pavard auch schnell nicht mehr so zufrieden sein diese Rolle beim FC Bayern zu spielen. Auch wenn es an den ganzen französischen Weltklasse-Innenverteidigern eher kein Vorbeikommen gäbe.

Insgesamt reiht sich Pavards EM an seine zweite Saison beim FC Bayern an. Mal unauffällig solide wie gegen Deutschland, sehr häufig aber gerade in seinem Hauptaufgabenbereich -der Defensive- schwach. Er wird sich unbedingt wieder steigern müssen, bei Verein wie Nationalmannschaft, andernfalls hat sein Abenteuer auf diesem höchstem Niveau bald ein Ende.

Lucas Hernández

Ist es an der Zeit dem guten Mann ein waschechtes Verletzungsproblem zu attestieren? Es begann eigentlich sehr gut für ihn. Gegen Deutschland war er der beste Spieler nach Paul Pogba auf dem Feld. Stoppte Deutschlands Schokoladenseite und assistierte zu Hummels’ Eigentor. Gegen Ungarn nahm Deschamps ihn irritierenderweise runter, offenbar weil er mehr offensiven Schwung gegen die defensive Mauer wollte. Irritierend war das deshalb, weil Hernández seine Rolle doch deutlich offensiver interpretiert als Pavard, der wiederum im Team bleiben durfte.

Am Schluss spielte er noch eine Halbzeit gegen Portugal und nun muss er für vier bis sechs Wochen pausieren. Laut Deschamps wollte er weitermachen, ein Glück hielt man ihn auf. Bei nicht wenigen dürften bereits die 2019/20-Flashbacks schrillen, wo sich Lucas von einer Verletzung zur nächsten hangelte und nicht in Tritt kam. Hoffen wir, dass uns so etwas diesmal erspart bleibt. Hätte er mehr Spiele gemacht nach seiner starken Partie in München, wäre er Kandidat für unseren EM-MVP, so reicht es nur zum Lob.

Corentin Tolisso

Tolisso galt vor dem 1. Spiel kurzzeitig als Stammelf-Kandidat, doch musste er sich am Ende wieder mit seinem WM-Status als 12. Mann begnügen. Das klingt natürlich schlechter als es ist, dass Tolisso nach dieser Saison und den Verletzungen überhaupt so nahe an die Startelf rückte, verblüffte manch Münchener Beobachter.

Seine erstes echtes Spiel kam in der letzten Viertelstunde gegen Ungarn, wo er sich von seiner absoluten Sahneseite präsentierte. Eine Seite, die man in München schon lange nicht mehr gesehen hat. Auf seinem absoluten Peak ist Tolisso ein etwas weniger dynamischer, dafür aber vielleicht etwas strategischer Leon Goretzka. Ein Box-to-Box-Spieler, der auch mal eine Kimmichsche Spielverlagerung einstreut. Und genau das tat er, als er für den schwachen Pogba kam. Am Ergebnis änderte sich indes nichts, aber Deschamps war offenbar so angetan, dass er im letzten Gruppenspiel in die Startelf rutschte.

Allerdings nicht etwa da, wo er überzeugte, seiner Acht, sondern wieso-auch-immer auf dem rechten Flügel. Ein klassischer Deschamps. 2016 wurde er fast Europameister mit dem Dynamiker Sissoko auf dem rechten Flügel. Das ergab damals schon noch irgendwo Sinn, weil Coman und Martial zu grün waren, wieso er aber fünf Jahre später schon wieder auf diese Variante zugriff, wo er doch einen mittlerweile reiferen Coman und den jungen Thuram im Kader hat, bleibt ein Rätsel. Tolisso konnte logischerweise nicht überzeugen, für die letzten 25 Minuten kam dann endlich eben jener Coman.

Wenigstens konnte er seine Fitness hinreichend nachweisen. Das könnte für Bayerns Finanzen noch Gold sein, wird er doch in München nie an Leon Goretzka vorbeikommen.

Kingsley Coman

Coman ist wie einige anderen Franzosen ein Kandidat für die Kategorie Opfer-von-Deschamps-Vorsicht. Logisch wäre eigentlich ein vierzackiger Angriff mit Mbappé und Coman als Flügelspieler, doch des Trainers System sah so viele Angreifer eben nicht vor. Also blieb Coman die Ersatzbank, wo er sein ganzes Heimspiel in München verbrachte. Weil seine Freundin hochschwanger war, stieg er so erst am dritten Spieltag ins Turnier ein. Gegen Portugal blieb er noch wirkungslos, gegen die Schweiz drehte er aber auf.

Zur Halbzeit gekommen, legte er die schweizer Hintermannschaft immer wieder komplett auf links. Nach den zwischenzeitlich unfassbar spielenden Benzema und Pogba war er wohl bester Franzose, ganz anders sein blasses Pendant auf der anderen Seite Mbappé. Sekunden vor der Verlängerung nagelte er das Leder gar ans Lattenkreuz.

Die ganze Partie hatte nur zwei Schönheitsfehler: Zum einen verlor er unnötigerweise den Ball vor dem 2:3-Anschlusstreffer der Schweiz, zum anderen konnte er wieder einmal eine Partie nicht beenden. Mal wieder machte eine Verletzung einen Strich durch seine Rechnung. Er versuchte es noch ein paar Minuten und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Auswechslung, dann überstimmte Deschamps den eifrigen Münchener glücklicherweise doch noch. Zu viel Eifer ist eben auch Gift. Wäre Frankreich im Turnier geblieben, dürfte er sich beträchtliche Hoffnungen auf einen Startelfeinsatz im Viertelfinal machen dürfen, so muss er leider geknickt nach Hause fahren. Glücklicherweise ist seine Verletzung offenbar nichts ernstes.

David Alaba

Ein Turnier wie die Verhandlungen zu seiner Vertragsverlängerung. Im Zick-Zack-Kurs hin und her. Ein bisschen stranger Beginn, dann ein großes Highlight, es schaut aus, als sei man durch. Es folgt ein Rückfall in schlechte Zeiten, dann wieder Hoffnung und am Ende steht ein gemischtes Ergebnis und keiner ist wirklich zufrieden oder unzufrieden.

Alaba startete die ersten beiden Spiele im Zentrum einer Dreierkette, der Position, die im modernen Fußball ohne klassische Liberos am wenigsten mit der Offensive zu tun haben. Gegen Nordmazedonien wechselte er in der zweiten Halbzeit auf die linke Halbposition und bereitete von da jeden Angriff Österreichs vor, Vorlage zum 2:1 inklusive. Hier überzeugte er auch defensiv, gegen die Niederlande sah das schon ganz anders aus. Den Elfmeter verursachte er unnötigerweise selbst, beim 0:2 war Alaba auch eher unglücklich unterwegs. Darauf folgte die Gala gegen die Ukraine, wo man den späteren Viertelfinalisten in Grund und Boden dominierte und bloß das Toreschießen vergaß. Hier spielte er ganz klassisch den Linksverteidiger. Wieder sammelte er einen Assist, diesmal nach einer Ecke.

Ein Österreicher als schweizer Taschenmesser – hinten spielte Alaba alles.
(Bild: Imago Images)

Zum Schluss war da der große Kampf gegen Italien. Österreich konterte Italiens System perfekt, zwang den Favoriten in die Verlängerung. Alaba durchlebte einen gemischten Abend. Viele meinten danach, es wäre ein wahnsinnig schwaches Spiel gewesen, war er doch mitschuldig am 0:1 mit seinem Stellungsfehler. Ich jedoch sehe das ganze ambivalenter. Wann immer Österreich offensiv agierte, war Alaba dabei beteiligt. Fesselte di Lorenzo und Berardi gerade in Österreichs bärenstarker zweiter Hälfte ständig in der Defensive. Das zurecht knapp Abseits gegebene vermeintliche 1:0 bereitet er perfekt vor, am Abseits ist Arnautović Schuld.

Überhaupt Arnautović; den Führungsspieler Alaba kennen Bayern-Fans natürlich schon länger, der Spaßvogel von einst ist im Verein längst dem Sprachrohr auf dem Platz gewichen. Lehrt dazu jedes Spiel über Alphonso Davies an. Doch in der österreichischen Nationalmannschaft ist er tatsächlich der unumstrittene Anführer, da gibt es keine Müllers, Neuers oder Lewandowskis. Wie er vergeblich versucht Arnautović vor sich selbst zu retten, ist auch ein Stück Euro 20210 Geschichte.

Leider ist dies das letzte Porträt Alabas hier bei Miasanrot. Seit dem 1. Juli steht er bei bei Real Madrid unter Vertrag. Viel Erfolg mit Carlo Ancelotti, David! (Okay das klingt ungewollt böse…)

Robert Lewandowski

Das beste kommt zum Schluss. Doch doch, der einzige Bajuware, der seine Segel schon in der Gruppenphase streichen musste, ist unser bester Bayern-Spieler bei der EM. Im ersten Spiel wirkte er wie die ganze polnische Mannschaft noch reichlich glücklos. Gerade als Polen drauf und dran war mit ihm die Partie zu drehen, bekommen sie einen völlig unnötigen Platzverweis. Sie verlieren das Spiel und im Endeffekt auch die Gruppe. Drei Punkte gegen die Slowakei waren schon fest eingeplant.

Also musste man es nun gegen Spanien und Schweden richten. Und das taten sie auch. Wobei nein, sie taten es nicht, er tat es. Polen hat nur einen gefährlichen Offensivspieler, die ganze Verteidigung muss sich nur auf Lewandowski konzentrieren, ihn aus dem Spiel decken. Aber was 2016 und 18 noch klappte, funktioniert einfach mit diesem Lewandowski nicht mehr. Jeder wusste an wen die Flanke zum 1:1-Ausgleichstreffer gegen Spanien adressiert war. Spanien musste nur Lewandowski im Auge behalten, aber er setzt sich trotzdem in einem wahnsinns Luftzweikampf gegen Aymeric Laporte -seines Zeichen alles andere als Durchschnitt- durch.

Gegen Schweden wird das ganze noch absurder. Hier fängt er an zu zaubern, sein 1:2-Anschlusstreffer ist einer der besten Abschlüsse des Turniers. Wie er die Kugel in den Winkel streichelt – eines Weltfußballers würdig. Minuten später macht er sogar noch den Ausgleich. Polen bei diesem Turnier war einzig und alleine Robert Lewandowski und Robert Lewandowski so etwas wie die manifestierte Wunschvorstellung der Generation Social Media. Fans, die befinden so ein Weltklassestürmer hat auch im Alleingang Tore kreieren zu müssen.

Lewandowski ist gleich mehrfach verflucht. Verdammt dazu mit einer solch viertklassigen Fußballnation wie Polen keinerlei Titelchancen zu haben und verflucht dazu, dass desto stärker er selbst wird, desto schwächer seine polnischen Mitspieler werden. Man stelle sich diesen Lewandowski mit diesem auch manchmal offensivfreudigen Trainer Sousa zwischen 2012 und 16 vor, als Błaszczykowski, Krychowiak und wie sie nicht alle hießen, noch in der Blüte ihres Schaffens waren. Als ihr Trainer nicht einfach alle darin instruierte unglaublich lahmen defensiven Ergebnisfußball zu spielen. 

Diese EM war kein gutes Pflaster für Bayern-Spieler, doch unter den vielen Enttäuschungen war der Enttäuschteste knapp unser Bayern-Spieler der Euro 20210 und soetwas wie der inoffiziele Spieler des Monats Juni.

PS: Ja, Phonzie Davies spielt noch den Gold Cup, sodass es streng genommen nicht stimmt, dass alle Bayern-Spieler im Urlaub sind, aber diesen Wettbewerb begleiten wir nicht, verzeiht uns!

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