Kingsley Schneeman entscheidet Winterkick in Berlin

Justin Trenner 05.02.2021

Bei den Berlinern war die Lage vor der Partie relativ unklar. Wie weit ist die Mannschaft schon unter dem neuen alten Coach Pál Dárdai? Und würde man versuchen, gegen die Bayern Beton anzurühren? Auf dem Papier gab die Aufstellung einigen Raum zur Spekulation.

Falls Ihr es verpasst habt:

Die Heimmannschaft startete bei starkem Schneefall mit einem Personal, das für ein 4-3-3 oder 4-3-1-2 optimal ausgelegt gewesen wäre. Auf dem Platz blieb es aber größtenteils beim gewohnten 4-2-3-1. Überraschend war dabei, dass Mattéo Guendouzi nicht von Beginn an auflief.

Auch Hansi Flick wusste bei den Gästen aber zu überraschen: Angesichts dessen, dass man mit einer defensiv ausgerichteten Hertha rechnen konnte, stellte Flick nahezu alles auf, was ihm an Offensivkräften zur Verfügung stand: Leroy Sané, Serge Gnabry, Kingsley Coman, Thomas Müller und Robert Lewandowski spielten alle von Beginn an. Einziges Bindeglied auf dem Papier: Joshua Kimmich. Hinten stellte Flick ebenfalls erstmals seit längerer Zeit wieder um. Lucas Hernández rückte für Alphonso Davies auf die Linksverteidigerposition, Niklas Süle begann für Jérôme Boateng innen.

1. Halbzeit

Die ersten Minuten waren geprägt durch einen relativ wilden Spielverlauf. Hertha agierte sehr aggressiv und giftig, erspielte sich sogar einige gute Abschlussmöglichkeiten. Den Bayern war anzumerken, dass sie insbesondere hinten noch nicht optimal aufeinander abgestimmt waren. Gleichwohl erspielten sich die Münchner aber auch ihre Chancen in der Offensive. Nach rund 10 Minuten tauchte Sané erstmals alleine vor dem Tor der Berliner auf, wurde von Jarstein aber gefoult. Folgerichtig gab es einen Elfmeter, den Lewandowski aber nicht verwandeln konnte, weil der Keeper parierte.

Für Hertha war das ein wichtiger Moment. Sie blieben defensiv aggressiv und warteten auf Ballverluste der Bayern auf schwierigem, weil glattem Untergrund. Und die kamen auch relativ häufig, weil die Gäste es nicht schafften, das Spiel mit Geduld und Ruhe zu kontrollieren. Der Elfmeter hätte dabei sicher helfen können, doch das Glück war diesmal nicht auf Lewandowskis Seite. Dafür hatte Coman dann aber in der 21. Minute großes Glück. Sein abgefälschter Abschluss segelte über alle Herthaner hinweg ins Tor und besorgte die nicht gänzlich unverdiente, aber doch etwas schmeichelhafte Führung.

Diese schien ihnen nun etwas Rückenwind zu geben. Coman verpasste wenig später das 2:0 nur knapp, nachdem Kimmich ihn sehenswert mit einem langen Ball freispielte. Statt aber dran zu bleiben, zogen sich die Bayern zurück und ließen Hertha so mehrfach in gefährliche Zonen kommen. Das einzige, was sich in der Berliner Hälfte festsetzen konnte, war der Schnee. Wirklich souverän war das Spiel der Münchner nicht, aber das war bei den Wetterbedingungen auch nicht so einfach.

2. Halbzeit

Im zweiten Durchgang ging es mit grünem, durch Laubgebläse vom Schnee befreiten Rasen weiter und den Bayern schien das entgegenzukommen. Zumindest begannen sie druckvoller als in den ersten Minuten der ersten Halbzeit. Vor allem aber schaffte die Mannschaft von Hansi Flick es nun, das Spiel in mehr Phasen zu kontrollieren.

Hertha blieb aber nicht ungefährlich. Zu Beginn des letzten Spieldrittels kamen sie dreimal gefährlich vor das Tor von Neuer, einmal war der Ball sogar drin – allerdings waren sie zweimal im Abseits. Gerade der mittlerweile eingewechselte Guendouzi konnte das Berliner Umschaltspiel beleben. Flick reagierte erst spät und brachte in der 73. Minute Costa für Sané und Tolisso für Gnabry.

Beide fügten sich gut ein und trugen dazu bei, dass die Bayern in der Schlussphase weiter die Kontrolle behielten. Gerade Costa wusste als Anspielstation im Mittelfeld zu überzeugen. Allerdings verpasste man es, den Sack zuzumachen und das 2:0 zu erzielen. Immer wieder scheiterten gut herausgespielte Angriffe mit der letzten oder vorletzten Aktion. Die erhoffte sich Flick vielleicht von Joker Choupo-Moting, der in der 86. Minute Coman ersetzte. Stattdessen musste er aber mit ansehen, wie Hertha beinahe der Ausgleich gelang: Cunha war in der 89. Minute frei durch, weil sich die Innenverteidigung der Bayern komplett verschätzte. Sein Lupfer ging aber am Tor vorbei. Und so blieb es beim verdienten, aber sehr knappen 1:0 für den Rekordmeister.

Dinge, die auffielen:

1. Flick löst das Mittelfeld (fast) auf

Eines der größeren Probleme in den letzten Wochen war die mangelnde Raumkontrolle im Mittelfeldzentrum. Kimmich glänzt zwar seit Wochen mit überragender Form und schafft es auch alleine gut, ausreichend Bälle in die Spitze zu verteilen. Aber irgendwie fehlte ihm dann doch immer mal jemand, der ihn beim Gestalten des Spiels im Sechserraum unterstützt und bei Ballverlusten mit absichern kann.

Vergangene Woche durfte Marc Roca sich an dieser Aufgabe probieren. Er machte es zumindest mit dem Ball so gut, dass die Bayern in vielen Phasen des Spiels kontrolliert und sauber aufbauen konnten. Letztendlich war es keine überragende Leistung des Spaniers, aber ein kleiner Fingerzeig, dass es mit einem zweiten Spielgestalter gerade gegen defensiv gut organisierte Mannschaften besser funktionieren könnte.

Gegen Hertha entschied sich Flick nun aber dazu, Kimmich noch mehr zu isolieren. Zwar wechselten sich Gnabry und Müller regelmäßig ab, um den Sechser zu unterstützen, aber mitunter war dieser Support doch recht inkonsequent. Und so war Kimmich vor allem in der ersten Halbzeit zu oft das alleinige Bindeglied zwischen Offensive und Defensive, was Hertha mehrfach für sich nutzen konnte. Auf schwierigem und glattem Untergrund gelang es den Berlinern immer wieder, Bälle zu erobern und mit wenigen Kontakten umzuschalten. Zwar erspielten sich die Münchner auch viele gute Chancen in der Offensive, aber zu oft kam Hertha in gefährliche Räume. Zur Pause hätte es auch gut und gerne 1:1 stehen können, wenngleich die Bayern ein Chancenplus hatten.

In der zweiten Halbzeit lief es dann etwas besser. Die Bayern waren grundsätzlich geduldiger und kontrollierter in ihrem Spiel nach vorn, verloren dadurch seltener den Ball. Auch die Tiefenstaffelung war dann verbessert. Hertha bekam zwar immer noch kleine Chancen, aber wirklich gefährlich wurde es bis zur Schlussphase kaum. Weil man es jedoch abermals verpasste, rechtzeitig das zweite Tor zu erzielen, lief man in den letzten Minuten Gefahr, noch den Ausgleich zu kassieren. Das Comeback der „Lineup of death“ ist also durchaus ambivalent zu bewerten. Offensiv war das mitunter stark, defensiv fehlte vor allem im Sechserraum zu oft Druck auf den Ball, wenn Hertha die vorderste Pressinglinie überspielen konnte oder in Umschaltmomente kam.

2. Kimmich

Über Kimmich gibt es aktuell eigentlich nicht mehr zu sagen als: „Weltklasse!“ Zwar hatte er gegen Hertha als einziger echter Mittelfeldspieler einen schweren Job, aber wie er den löste, war bemerkenswert gut. Seine Passrange ist schlicht beeindruckend. Jeder Angriff trug in irgendeiner Form seine Handschrift und auch gegen den Ball war er stets ein Anker in teils schwierigen Kontersituationen.

3. Gnabry als Achter

Erstmals seit längerer Zeit nahm Flick mehrere Veränderungen an seiner zentralen Achse vor. Hinten kam Süle für Boateng in die Startelf und im Mittelfeld agierte Gnabry als Achter. In der Offensive tat es dem Spiel der Bayern gut, jemanden im Zentrum zu haben, der Tempo, Dribblings und Zug zum Tor mitbringt. Gnabry belebte das Spiel im letzten Drittel merklich. In der Absicherung gab es aber mitunter Probleme, weil Kimmich zu oft auf sich allein gestellt war. Das führte auch dazu, dass Müller noch intensiver mit nach hinten arbeiten musste und in manchen Situationen in seiner wichtigen Offensivrolle fehlte. Man merkte der Mannschaft aber auch an, dass sie mit andauerndem Spielverlauf besser damit zurechtkam.

4. Erneuter, aber wichtiger Arbeitssieg

In Berlin ist es traditionell schwer für die Bayern und Pál Dárdai hat es tatsächlich geschafft, zuletzt sehr angeschlagene Herthaner auf ein Niveau zu bringen, das gegen im Moment vor allem defensiv anfällige Bayern fast ausgereicht hätte. Am Ende fehlte seiner Mannschaft vor allem die Effizienz vor dem Tor. Gelegenheiten zum Ausgleich gab es einige, genutzt hat Hertha keine. Die größte Möglichkeit war Cunhas Sololauf auf das Bayern-Tor kurz vor dem Ende. Es wäre wohl der sichere Punkt gewesen.

Effizienz fehlte aber auch den Bayern, die an diesem Abend immerhin in der Offensive ein paar Glanzmomente zeigen konnten. Alles in allem war es aber erneut nicht mehr als ein Arbeitssieg, der lange auf der Kippe stand. Im Vergleich zu den Fortschritten in den vergangenen Partien war es eher ein kleiner Rückschritt, was die defensive Stabilität anbelangt. Aufbauen kann die Mannschaft von Hansi Flick aber auf die Phase nach dem Seitenwechsel. Bis zu Cunhas Riesenchance hatte man die Partie erstmals konstant im Griff. Das zweite Tor schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Stattdessen hat man sich das Leben aber selbst erschwert. Aber Müller hat es gut zusammengefasst: Man kann nicht erwarten, dass die Mannschaft in jedem Spiel ein Feuerwerk abbrennt.