Vorschau: Arminia Bielefeld – FC Bayern München

Justin Trenner 16.10.2020

Als Arminia Bielefeld im Sommer den Aufstieg und somit die Rückkehr in die Bundesliga perfekt macht, scheint Corona für kurze Zeit keine Rolle mehr zu spielen. Hunderte Fans lassen ihren Emotionen freien Lauf und feiern ihre Helden. Nicht viele hätten dem DSC vor der Saison einen solchen Erfolg zugetraut.

Nachdem sich Bielefeld Ende der 2000er Jahre in der Bundesliga zu etablieren schien, folgten schwierige Jahre. Abstieg in die zweite Bundesliga, Abstiege in die 3. Liga und finanzielle Sorgen prägten diese Zeit. Auch in der Saison 2018/19 drohte lange Zeit ein enger Abstiegskampf. Am 10. Dezember 2018 aber übernahm Uwe Neuhaus den Trainerjob auf der Alm.

Arminia Bielefeld: Plötzlich neu im Oberhaus

Folglich ging es bergauf. Durch den Verkauf des Stadions konnten zudem die Schulden erheblich verringert werden. Neuhaus hatte bereits mit Union Berlin einen Klub in der zweiten Liga etabliert, den er selbst aus der 3. Liga dorthin geführt hatte. Und nicht nur das: Neuhaus formte aus den Köpenickern innerhalb weniger Jahre ein Team, das perspektivisch um den Aufstieg mitspielen kann, sodass die Platzierungen 7 und 9 irgendwann nicht mehr ausreichten und er seinen Hut nehmen musste.

Neuhaus wechselte nach Dresden, stieg mit Dynamo ebenfalls in die zweite Liga auf und erreichte auf Anhieb einen starken fünften Platz. Dann aber folgte eine schwache Saison, in der Dresden am Ende nur 14. wurde – und Neuhaus musste wieder gehen.

Auf der Alm fand er dann aber sein großes Glück. In der Rückrunde der Saison 2018/19 erreichte er mit Bielefeld noch den 7. Platz, im Jahr darauf folgte der souveräne wie für viele überraschende Aufstieg in die Bundesliga. Neuhaus hat in all den Jahren seine Idee vom Fußball weiterentwickelt, aus seinen Fehlern gelernt und schlussendlich in Bielfeld so viel richtig gemacht, dass ihm der Aufstieg im dritten Anlauf endlich gelang.

Neuhaus hat aus seinen Fehlern gelernt

Doch wie sieht dieser Fußball aus? Letztendlich ist wohl Pragmatismus das Wort, auf das sich vieles herunter brechen ließe. Gerade bei Union waren mit dem steigenden Anspruch irgendwann viele genervt vom Ballgeschiebe ohne großen Raumgewinn. Neuhaus etablierte einerseits eine Spielkultur, die an guten Tagen für sehenswerten, taktisch durchaus anspruchsvollen Fußball, an weniger guten Tagen aber für viel Langeweile sorgte.

Zu statisch, zu wenig Tempowechsel, zu wenig Risiko – die Kritik an ihm wiederholte sich auch in Dresden irgendwann. Der Sprung ganz nach oben schien ihm einfach nicht zu gelingen. Seine Bielefelder Mannschaft wirkt nun aber wie das Endprodukt seiner jahrelangen Arbeit.

In die Karten spielt ihm dabei eine sehr kluge Transferpolitik. Für wenig Geld wurden im vergangenen Jahr talentierte Spieler wie Marcel Hartel, Ritsu Doan oder Arne Maier und gestandene Spieler wie Cebio Soukou oder Mike van der Hoorn geholt. Diese Liste ließe sich sogar noch fortführen. Eine gesunde Mischung aus kleinen Ablösesummen, Leihgeschäften und ablösefreien Transfers ist die eine Seite, die andere ist das offensichtliche System dahinter. Die Spieler passen gut zur Ausrichtung von Uwe Neuhaus.

Bielefelds Spielaufbau in der Analyse

In dieser liegt der Schlüssel zum Erfolg zentral: Die Achse bestehend aus Torhüter, Innenverteidiger und Stürmer gilt es in den Griff zu bekommen, will man gegen Bielefeld erfolgreich sein.

Was für viele Klubs der Sechser oder ein Innenverteidiger ist, ist Torwart Stefan Ortega für Bielefeld: Taktgeber und Herz des Spielaufbaus. Der 27-Jährige macht oftmals den Unterschied, wenn es darum geht, das gegnerische Pressing zu umspielen.

Im Spielaufbau fächern die Innenverteidiger breit auf. Statt nun aber den Sechser in den entstehenden Raum kippen zu lassen, rückt Ortega meist ein bisschen auf. Er, die beiden Verteidiger und der Sechser bilden eine Raute, die es Bielefeld erlaubt, den Gegner zu locken und dann über das Mittelfeldzentrum zu überspielen. Gegen die Bayern könnte das so aussehen:

Ortegas spielerische Klasse ist wohl ein Mittel, das trotz des Risikos eines Ballverlustes lohnend im Spiel gegen die Münchner sein kann. Denn dann muss die Mannschaft von Flick sich etwas einfallen lassen.

Für Bayern wäre in Phasen des Angriffspressings etwa diese Anordnung bei Ballbesitz des Torhüters typisch: Die Flügelstürmer kümmern sich um die breit stehenden Innenverteidiger, der Angreifer läuft den ballführenden Spieler an. Im Mittelfeld wird mit Mannorientierungen gearbeitet und hinten steht die Restverteidigung raumorientiert. Das kann ausreichen, um Bielfeld die Genauigkeit im sonst so gut strukturierten Aufbauspiel zu nehmen. Es kann dem Gegner aber auch in die Karten spielen:

Bayerns Sorgen liegen im Detail

Die Mannorientierung hat den Nachteil, dass Spieler immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein müssen, während bei der Raumorientierung die Abstände durchaus eine Herausforderung darstellen. Funktioniert das Bayern-Spiel so, wie über weite Teile der letzten Rückrunde, haben Mannschaften wie Bielefeld schon allein wegen ihrer individuellen Unterlegenheit keine Chance. In dieser Saison fehlt es den Bayern aber noch an Abstimmung und Präzision.

Kommt der Ball also durch die erste Pressinglinie in die Mitte und von dort auf die Außenverteidiger, die vom Bayernpressing oft bewusst etwas offen gelassen werden, droht ein schneller Ball in die Tiefe, wenn das Nachschieben der Bayern nicht schnell und effizient genug erfolgt.

Kontersituationen wie die oben dargestellte sind recht normal. In der letzten Saison gab es reihenweise solcher Szenen. Doch die große Qualität der Bayern war es, selbst bei überspieltem Pressing den Konter des Gegners ausreichend zu entschleunigen oder über die qualitativ hochwertige Restverteidigung den Ball zu erobern. Es ist quasi ein in Kauf genommenes Risiko, das durch taktisch kluge Bewegungen und Geschwindigkeit sowie Zweikampfstärke der Verteidiger ausgeglichen und durch die Durchschlagskraft in der Offensive gerechtfertigt wird.

Tiefer verteidigen ist auch nicht zwingend eine Option

Fehlt den Bayern im Pressing aber der entscheidende Schritt, oder machen Spieler wie Pavard, Alaba oder Davies plötzlich Fehler, können Spiele wie zuletzt entstehen, wo die Mannschaft eigentlich feldüberlegen ist, hinten aber immer wieder schwimmt.

Flick hat einen Punkt, wenn er hier die fehlende Vorbereitung als Grund anführt. Um den Spielern wieder bessere Entscheidungen auf dem Platz ermöglichen zu können, braucht es Zeit, Rhythmus und regelmäßiges Training. All das hat der Trainer im Moment nicht und so ist es schwer, den Gegner effizient unter Druck zu setzen.

Eine viel tiefere Formation gegen den Ball wäre allerdings auch nicht zwingend des Rätsels Lösung. Letztendlich wäre das eine Umstellung, die noch mehr Disziplin und vor allem neue Laufwege sowie Automatismen abverlangen würde. Das kann wiederum zu noch mehr Fehlern und sogar zu noch mehr Konditionsverlust führen, weil man länger ohne Ball ist und dementsprechend hinterherläuft.

Bielefeld wird es den Bayern schwer machen

Flick wird dementsprechend auf Veränderungen im Detail aus sein. Vielleicht eine etwas tiefere Offensivreihe, die nicht jede Möglichkeit für Druck auf die Verteidiger nutzt, sondern auch mal abwartet, bis der Ball ins Mittelfeld gespielt wird, um dort zuzupacken. Zumindest gegen Borussia Dortmund war das im Supercup vereinzelt zu sehen. Das würde auch den Flügelstürmern erlauben, ihre Außenverteidiger besser zu unterstützen.

Bielefeld wird dahingehend eine echte Herausforderung sein. Zwar sind sie individuell betrachtet eine der schwächsten Mannschaften der Liga, doch gruppentaktisch sind sie gut organisiert. Neuhaus hat aus ihnen eine solide Mannschaft geformt, die gegen den Ball stabil steht und mit dem Ball strukturiert nach vorn spielen kann.

Vor allem aber ist die Arminia flexibel genug, um nicht nur über das oben beschriebene Schema aufzubauen. Den Bayern würde es womöglich entgegenkommen, wenn Bielefeld jede Situation spielerisch auflösen möchte. Wer sich aber in der zweiten Liga so durchsetzt, der hat auch banalere Fähigkeiten in seinem Repertoire. Neben der feinen Klinge spielt Bielefeld immer wieder auch lange Bälle nach vorn auf den Zielspieler: Fabian Klos. Der 32-jährige Mittelstürmer ist mit seinem Körper der perfekte Wandspieler für die Neuhaus-Elf.

Gelingt Bielefeld die Überraschung?

Er macht Bälle fest, verteilt sie und bringt selbst die Qualität mit, im Strafraum zielsicher abzuschließen. Zu einem Top-Stürmer in der Bundesliga fehlt es ihm zwar an Technik und Geschwindigkeit, aber für die Arminia ist er Gold wert, weil er mehrere Gegenspieler an sich binden kann. Gegen Bayerns raumorientierte Restverteidigung womöglich ein weiterer Pluspunkt, um den schnellen Flügelspielern Raum zu öffnen.

Bielefeld lässt hinten ziemlich wenig zu, spielt gut nach vorn, hat dort aber in der Regel Probleme, die Situationen auch zu Ende zu spielen. Man könnte meinen, dass es das klassische Neuhaus-Dilemma ist: Zu pragmatisch, um vorn mal ins Risiko zu gehen. Schafft es die Arminia, im Laufe der Saison mehr Durchschlagskraft zu entwickeln, ist sie sicher zu einer weiteren Überraschung und somit zum Klassenerhalt fähig.

Das Spiel gegen die Bayern ist auf diesem Weg nur ein Bonus. Aber sollten sie auch aus diesem Spiel etwas Zählbares mitnehmen, wäre es nicht das erste Mal, dass ihnen etwas gelingt, was ihnen zuvor kaum jemand zugetraut hätte.


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