Torlose Schlacht gegen Liverpool
Niko Kovač gilt als Trainer, der solche Abende kann. Eintracht Frankfurt führte er bereits zweimal ins DFB-Pokalfinale. Doch Liverpool und die Champions League sind eine andere Hausnummer.
Falls Ihr es verpasst habt:
Der 47-Jährige machte sich nach eigenen Angaben viele Gedanken, wie er das Hinspiel an der Anfield Road angehen würde. Manuel Neuer und die Viererkette waren davon weniger betroffen.
Zwischen Kimmich und Alaba begannen erwartungsgemäß Süle und Hummels. Im Mittelfeld wurde bereits mehr spekuliert. Da Goretzka kurzfristig mit einer Sehnenverletzung ausfiel, brachte Kovač Martínez in die Partie. Ihn sollten James und Thiago unterstützen. Lewandowski, Coman und Gnabry komplettierten die Elf.
Bei Jürgen Klopp war es schon etwas klarer, wie die Elf aussehen würde. Das Innenverteidiger-Duo aus Fabinho und Matip wurde wegen des gesperrten van Dijk und dem immer noch angeschlagenen Lovren so erwartet. Firmino wurde hingegen rechtzeitig fit. Klopp setzte somit auf ein 4-3-3. Dass der spielstarke Keïta für das Arbeitstier Milner startete, war vielleicht die einzige kleine Überraschung.
Während Klopp mit Milner, Sturridge und Shaqiri namhafte Einwechselspieler auf der Bank hatte, rückten bei den Münchnern Mai und Shabani auf die Bank. Immerhin schaffte es Ribéry noch in den Kader, nachdem er wegen seiner fünften Vaterschaft nur nachreisen konnte.
Und dann ging es los. Die Spieler beider Teams betraten das Feld und “You’ll never walk alone” erfüllte in all seiner Pracht das legendäre Stadion an der Anfield Road. Alles war angerichtet für einen großen Abend.
Nachdem die Münchner die ersten 12 Minuten ziemlich gut überstanden, gab es in der Folge die ersten Chancen auf beiden Seiten. Erst vergab Salah, der nach hohem Schlag in den Strafraum zum Abschluss kam. Kurz darauf waren es ein Beinahe-Eigentor von Matip und ein Abschluss von Kimmich, die für Gefahr sorgten. Die Bayern waren da und strahlten zu Beginn eine Grundsicherheit aus, die es brauchen würde.
Ab jetzt nahm die Partie Fahrt auf. Wieder gab es für beide Mannschaften gute Gelegenheiten. Zunächst Mané, der von Kimmich gut verteidigt wurde und dessen Abschluss somit ungefährlich war (16.). Dann Coman, der nach hoher Balleroberung nur das Außennetz traf (17.).
Das Spiel wechselte zwischen längeren Ballbesitzphasen der Bayern und kürzeren Ballbesitzphasen der Engländer, wobei die jeweils gegnerische Mannschaft hoch störte. Nach rund 21 Minuten eroberte Bayern so den Ball und Gnabry hatte die Chance, den Gegenspieler zu überlaufen und auf Lewandowski quer zu legen. Es wäre die sichere Führung gewesen. Gnabry legte sich den Ball aber zu weit vor und so gab es Abstoß.
In der 25. Minute gab es auf der anderen Seite den nächsten gefährlichen Abschluss durch Salah. Knapp vorbei. Nach anfänglichen leichten Vorteilen für die Bayern, war die Partie nun komplett offen und ausgeglichen. Liverpool kam nun besser in die Zweikämpfe und wurde sicherer im eigenen Passspiel.
Bitter für die Münchner war zudem, dass Kimmich sich eine gelbe Karte abholte und somit im Rückspiel gesperrt ist. Ungefähr ab diesem Moment begann Liverpool auch, die Partie in den Details an sich zu reißen. Mehrfach gelang es den Reds, sich durchs Mittelfeld der Bayern zu kombinieren. In der 32. Minute hatte Mané die nächste Großchance, die er wenige Meter vor Neuer vergab.
Die Bayern verlagerten ihr Spiel jetzt auf die Umschaltmomente nach Ballgewinnen, kamen allerdings nicht mehr so richtig gefährlich vors Tor. Liverpool erhöhte die Schlagzahl kurz vor der Pause nochmal und kam mit Mané (36.), Matip (40.) … nochmal zu guten Abschlüssen.
Bei den Gästen waren es lediglich schlecht ausgespielte Konter oder Halbchancen, die für Gefahr sorgten. So ging es mit dem 0:0 in die Pause.
Im zweiten Durchgang ging Liverpool noch etwas mehr Risiko und setzte die Bayern noch früher unter Druck. So richtig große Chancen gab es für die Reds aber zunächst nicht. Bayern verteidigte meist konsequent, in einigen Situationen aber auch glücklich und im letzten Augenblick.
Je länger die Partie aber dauerte, umso größer wurde der Druck für die Bayern, die kaum für Entlastung sorgen konnten. Umso mehr kam der fünfmalige Champions-League-Sieger aber über die Einstellung und den Kampf. Mit Erfolg. Liverpool entwickelte nach vorn nicht die Durchschlagskraft, um das Tor zu erzielen.
Auch die Bayern kamen nicht mehr so richtig gefährlich vor das Tor von Alisson, sicherten sich mit dem 0:0 aber einen kleinen Achtungserfolg, der für das Rückspiel wichtig sein könnte. Es ist weiterhin alles offen. Und das ist schon mal äußerst wichtig.
5 Dinge, die auffielen:
1. Die gehemmte Offensive
Kovač machte sein Versprechen wahr, dass die Bayern agieren werden und sich nicht nur hinten reinstellen. Gerade in der Anfangsphase zeigte seine Mannschaft viel Mut und zockte teilweise im eigenen Strafraum – mit Erfolg. Nach rund 15 Minuten war die Anfield Road erstmals still. Die Münchner hatten die schwere Anfangsphase überstanden und Liverpool vom eigenen Tor weitestgehend distanziert.
Das lag auch daran, dass der Trainer seine Offensive bewusst beschränkte. Ein Beispiel: Nach rund einer halben Stunde leitete Thiago einen Konter über die Außenbahn ein. Statt Coman anschließend zu unterstützen, um vielleicht in den Strafraum zu kommen, brach er seine Bewegung nach vorn ab. Es war der Lúcio-Gedächtnis-Move. Hitzfeld verbot dem Brasilianer damals, über die Mittellinie zu laufen, um seine Vorstöße zu unterbinden. Thiago fehlte den Bayern dadurch zwar im Angriff, konnte gegen den Ball aber Martínez unterstützen.
Bei Ballverlusten schoben beide dann aggressiver nach, um ein effektives Gegenpressing zu ermöglichen. In der ersten Halbzeit funktionierte das bis zur 30. Minute sehr gut. Bayern bekam eine – in Relation zu den letzten Wochen – sichere Ballzirkulation auf den Platz und erzwang einige Ballverluste der Engländer. Danach verstand es Liverpool, im eigenen Spielaufbau Sicherheit zu erlangen. Bayerns erste Pressinglinie wurde häufiger überspielt und die Reds kamen zuverlässiger in die Zwischenräume. Manchmal durch Dribblings der zentralen Mittelfeldspieler, manchmal durch sehenswerte Kombinationen. Plötzlich waren die Viererkette der Bayern sowie die defensiven Mittelfeldspieler wieder in Gleich- oder Unterzahlsituationen gefordert.
Es kam so zur ersten richtig guten Druckphase der Klopp-Elf, die dort auch 1-2 Tore hätte machen können, vielleicht sogar müssen. Die Bayern beschränkten sich dann nur noch aufs Kontern, kamen wegen ihrer gehemmten Offensive aber nicht mehr gefährlich nach vorn. Es fehlte in diesen Momenten an Entlastung und einigen beruhigenden Ballbesitzphasen.
Auch in der zweiten Halbzeit zeigte der Plan Licht und Schatten. Es blieb das Gefühl, dass mit etwas mehr Mut nach vorn mehr drin gewesen wäre. Liverpool war keinesfalls sattelfest in der Defensive, konnte die drei, vier Spieler der Bayern, die nach vorn durften, aber relativ einfach verteidigen. Gerade gegen Ende der Partie bezahlten die Bayern dann dafür. Von der Bank kam erst in der 81. Minute mit Ribéry frische Kraft und hinten wurde das Konzept zunehmend zum Kampf. Ein Kampf, den die Bayern aber annahmen. In der zweiten Halbzeit kam Liverpool nur zu wenigen guten Torchancen und das ist den Münchnern hoch anzurechnen.
Herauszuheben ist hier auch nochmal, wie diszipliniert der FC Bayern die Positionen hielt. Kimmich und Alaba gingen nur dosiert nach vorn, Thiago brach häufig Läufe nach vorn ab und von vorne wurde engagiert nach hinten gearbeitet. Auch Klopp zeigte sich überrascht und sagte, dass er selten einen Gnabry so stark in der Verteidigungsarbeit gesehen habe.
2. Gnabry, Thiago, Martínez, Hummels
Vier Absätze. Vier besondere Würdigungen. An diesem Abend in Liverpool könnte man jeden einzelnen Spieler allein dafür loben, dass der Alltag aus den Knochen geschüttelt wurde und jeder kämpferisch und mental auf der Höhe war. Doch diese vier Spieler haben ein Extralob verdient.
Bei Serge Gnabry war lange nicht klar, ob er das Niveau beim FC Bayern erreichen würde. In den letzten Wochen entwickelte er sich aber zunehmend zu einem der wichtigsten Offensivspieler. Auch gegen Liverpool überzeugte er auf ganzer Linie. Nicht nur mit seiner Laufbereitschaft nach hinten, sondern auch mit seiner Dynamik vorn. Gnabry ist ein Spielertyp, der die Verteidiger herausfordert und nur selten abdreht. Meist geht er auf seinen Gegenspieler zu und erzwingt damit Aktionen, die er für sich nutzen kann. Sein Zug zum Tor ist in diesen Wochen entscheidend für die Bayern.
Thiago wird gern vorgeworfen, dass er in großen Spielen nicht auftauchen würde. In diesem Spiel marschierte er voran. Mit wichtigen Pässen nach vorn, ständiger Präsenz und viel Sicherheit mit und gegen den Ball. Gemeinsam mit Martínez war er der Staubsauger vor der Abwehr und stopfte Löcher, die das mangelnde Positionsspiel in beide Richtungen ließ. Obwohl der Spanier aufgrund seiner Rolle fast keine Akzente nach vorne setzte, spielte er drei Chancen heraus (alle aus dem Spiel heraus). Hinzu kamen vier wichtige Klärungen.
Martínez wiederum bot den Mehrwert, den sich alle von ihm versprachen. Er war aggressiv, konzentriert und ein wichtiges Element in der Konterabsicherung. Ein Hauch von 2013 wehte durchs Stadion. Doch Martínez machte auch mit dem Ball in seinem Rahmen alles, um sein Team nach vorn zu bringen. Nach Ballgewinnen eröffnete er mehrfach Kontersituationen. Er war da, wenn er gebraucht wurde und zeigte eine Partie auf hohem Niveau. Sechs Ballgewinne, sechs Klärungen und ein Block unterstreichen seine Leistung in der Defensive.
Zum Abschluss sei auch erwähnt, dass Mats Hummels mal wieder gezeigt hat, dass er ein ganz Großer dieses Sports ist. Das ist dieser Tage keine Selbstverständlichkeit mehr. Oft wurde in der jüngeren Vergangenheit über individuelle Fehler diskutiert. Die Bayern haben diese an der Anfield Road minimiert. Das lag auch an einem Hummels, der herausragend verteidigt hat, im Spielaufbau Sicherheit ausstrahlte und auch sonst eine Bank war. Aus Pats Hummels, wie er liebevoll von einem Teil der Redaktion genannt wird, wurde an diesem Abend wieder Mats Hummels. Er machte keinen einzigen Fehler, klärte siebenmal in engen Situationen, gewann alle seiner drei Kopfballduelle und sorgte für drei Interceptions. Chapeau!
3. Liverpools Plan
Von Jürgen Klopp war zu erwarten, dass seine Mannschaft den Bayern ein hohes Tempo abverlangen würde. Tatsächlich traf aber das ein, was wir in der Vorschau bereits analysiert hatten: Liverpool hat unter ihm eine gute Balance aus Angriffs- und Mittelfeldpressing gefunden. Die Reds sind in der Lage, ihre Kräfte über 90 Minuten zu verteilen, ohne irgendwann den Zugriff auf den Gegner zu verlieren.
Zu Beginn der Partie lief Liverpool hoch, aber nicht sehr hoch an. Der Druck begann meist, wenn Neuer, Süle oder Hummels eröffneten. Pressingfallen stellte Liverpool vor allem im MIttelfeldzentrum und auf den Außenbahnen. Sie wollten damit die langen Flachpässe der Bayern provozieren, die jedoch eher selten kamen.
Insgesamt stand die Mannschaft von Klopp sehr diszipliniert, organisiert und weitestgehend sicher. Allerdings zeigte sie Schwächen im Spielaufbau. Ohne van Dijk gab es ein paar frühe Ballverluste, die von den Bayern ungenutzt blieben. Im zweiten Durchgang verlagerte Klopp das Konstrukt etwas tiefer in die Hälfte der Bayern. Die Münchner wurden nun früher gestört. Sicherlich auch unter dem Eindruck der letzten 15 Minuten in der ersten Halbzeit, dass Fehler im Spielaufbau zu erzwingen sind.
Doch einfach machten es die Bayern ihrem Gegner nicht. Liverpool lief zwar vermehrt an und kam zu gefährlichen Situationen, doch meist war noch ein Bein dazwischen oder es wurde im letzten Moment eine Fehlentscheidung getroffen. Gerade in der Entscheidungsfindung hatte Klopps Offensive beachtliche Probleme. Dabei gelang es ihnen im Ansatz gut, die Bayern hinten reinzudrücken und anschließend die zweiten Bälle im berüchtigten Gegenpressing zu holen. Abschließend scheiterte es am Abschlussglück, eigener Cleverness und hochmotivierten Bayern.
4. Kovač – das K steht für Kampf
Was wurde Niko Kovač in dieser Saison schon auseinander genommen. In Liverpool bot seine Mannschaft aber eine Leistung, die erneut dafür sprach, dass sie ihrem Trainer noch folgt. Zwischenzeitlich war es eine Schlacht, die der deutsche Rekordmeister den Reds bot. 21 Ballgewinne, 3 Blocks, 29 Klärungen, 21 Kopfballduelle (9 gewonnen) – es waren für Münchner Verhältnisse hohe Zahlen im Defensivbereich.
Kovač predigt immer wieder Kampf, Mentalität und Laufbereitschaft. In diesen Bereichen haben die Bayern tatsächlich Fortschritte gemacht. Sie verlangten Liverpool alles ab, warfen sich in jeden Zweikampf und taten alles, was in ihrer Macht stand, um das Gegentor zu verhindern. Je länger das Spiel dauerte, umso erzwungener und verkrampfter wirkte das aber.
Dem Trainer der Bayern fehlte an dieser Stelle auch Power von der Bank, um die Müdigkeit der Münchner zu entschleunigen. Doch es fehlte eben auch an Entlastungsphasen, in denen die Schlacht beruhigt wurde und der Kampf weniger notwendig war.
Es muss Niko Kovač und den Bayern das große Kompliment ausgesprochen werden, dass sie auf den Punkt eine Leistung boten, die ein gutes Ergebnis möglich machte. Damit hatten nicht alle vorher gerechnet. Doch es bleibt auch der Kritikpunkt, dass die Münchner auf ganz hohem Niveau nur noch über den Kampf kommen können. Die eigene Spielidee reicht nicht aus, um Augenhöhe zu erreichen. Liverpool war in den Anlagen die bessere Mannschaft und hatte auch die besseren Chancen. Die Bayern hingegen hatten das nötige Quäntchen Glück, eine herausragende Einstellung und einen starken Teamgeist.
Wie ein mutiger Außenseiter, der den großen Gegner an solchen Tagen ärgern kann. Niko Kovač – das K steht eben für Kampf. Und das S für Spielkultur. Das muss ob der großen individuellen Qualität für den Moment nichts Schlechtes sein. Denn Kovač hat offensichtlich verstanden, dass er im Moment nicht die Mittel für eine Favoritenposition hat. Umso sinnvoller war auch die Idee, wie ein sehr mutiger Außenseiter aufzutreten. Kovač fand die Balance aus eigener Spielkontrolle und geordneter Defensivpower in den meisten Phasen der Partie. Für die Zukunft ist die fehlende Idee nach vorn aber weiter bedenklich. Denn der FC Bayern wird diese Rolle nicht oft einnehmen können.
5. Ausblick
Was bedeutet dieses Ergebnis nun aber für den FC Bayern? Fakt ist, dass ein 0:0 besser ist, als viele es vorher gedacht hätten. Es ist sogar das zweite 0:0 in dieser Woche, das einen psychologischen Push bringen müsste. Fakt ist aber auch, dass die Bayern im Rückspiel mehr Risiko gehen müssen. Und dann öffnen sich automatisch wieder Räume für den Gegner, die wiederum verteidigt werden müssen. Kovač muss an der Idee nach vorn schrauben, um das Ticket für die nächste Runde zu buchen.
Macht Liverpool nur ein Tor, müssen die Bayern schon gewinnen. Mit dem 0:0 haben sie aber alles offen gehalten. Und die Allianz Arena ist an Europapokal-Abenden eine unterschätzte Festung. Das, was die Anfield Road an diesem Abend bot, kriegen die Bayern-Fans ebenso hin. Und das wird es mindestens brauchen, um einen FC Bayern zu pushen, der sich als vermeintlich leichter Außenseiter zunehmend in seiner Rolle gefällt und wohl fühlt.