Vorschau: FC Bayern München – Hannover 96

Justin Trenner 01.12.2017

Vor ungefähr einer Woche erlebten die Münchner eine kleine Zeitreise. Nicht etwa in erfolgreiche Zeiten und auch gar nicht all zu weit zurück. Als Fan des Rekordmeisters fühlte man sich zurückversetzt in die Schlussphase der Ancelotti-Zeit.

Es war die 60. Minute im Borussia-Park in Gladbach. Wie so oft in der Vergangenheit lag der Tabellenführer gegen Mönchengladbach zurück. Hazard (39.) und Ginter (44.) stellten den Spielstand auf 2:0 für die Borussia.

Matthias Ginter jubelt über seinen 2:0-Treffer gegen die Bayern.
(Foto: Maja Hitij / Bongarts / Getty Images)

Der FC Bayern musste etwas tun. Bis zur besagten 60. Spielminute schlug die Mannschaft bereits 23 Flanken und hatte nur fünf Abschlüsse innerhalb des gegnerischen Sechzehners. Zwei davon auf das Tor von Sommer. Es war schlicht eine uninspirierte und sehr fehlerhafte Partie.

Was dann folgte, war eine Offenbarung. In der letzten halben Stunde erzielten die Gäste zwar den Anschluss durch Vidal und auch die Fehler nahmen ab, doch die Kreativität fehlte gänzlich. In nur 30 Minuten schlugen sie nochmals 23 Flanken in den Gladbacher Strafraum. Drei weitere Abschlüsse innerhalb des Strafraums gingen auf das Tor der Borussia. Zu wenig.

Die Bayern waren bemüht und Heynckes hat es geschafft, das Team zur Halbzeit zumindest so einzustellen, dass es die Kontrolle über das Geschehen bekam. Doch das Problem war an diesem Abend der Kader.

Mit Tolisso und Bernat auf den Flügeln ging so gut wie nichts. Schon in unserer Vorschau berichteten wir davon, dass Gladbach das Zentrum sehr gut verdichten kann. Dort war James meist auf sich allein gestellt. Vidal, Tolisso, Martínez und auch ein erschreckend schwacher Rudy schafften es nicht, den Kolumbianer zu unterstützen.

Erst als Coman das Spielfeld betrat, der sichtlich noch nicht bei 100% sein konnte, wurde es etwas besser. Doch dann fehlte wiederum James und das Zentrum war nicht in der Lage, kreative Impulse zu liefern.

Eine Offenbarung war diese Leistung nicht deshalb, weil die Mannschaft in dieser Konstellation deutlich besser hätte spielen können. Fakt ist, dass Robben, Thiago, ein fitter Boateng, Neuer und viele andere zu sehr fehlen. Fakt ist auch, dass dieser Kader langsam auf dem Zahnfleisch geht. Man kann schlicht nicht viel mehr von den Spielern verlangen, die in Gladbach auf dem Rasen standen.

Die Offenbarung ist, dass der Kader nicht für drei Wettbewerbe gemacht ist. Nicht mit der Philosophie und schon gar nicht, wenn sich Schlüsselspieler verletzen. Problematisch ist überhaupt nicht, dass die Ausfälle großer Spieler zu merken sind. Jedem anderen Verein erginge es hier ähnlich. Das große Problem ist, dass das Team allein schon ohne Thiago nicht mehr in der Lage ist, die eigene Philosophie zu verfolgen.

Rudy wurde geholt, weil er den Hauch Kreativität mitbringt, um eine Verletzung des Spaniers möglicherweise zu kompensieren, doch auch der deutsche Nationalspieler hat derzeit große Probleme. Dass Vidal mit dem Ballbesitzspiel des Rekordmeisters nicht zurecht kommt, ist keine Neuigkeit und auch Tolisso tut sich seit Beginn der Saison schwer, wenngleich kleine Fortschritte zu erkennen sind.

Man kann die berechtigte Frage in den Raum stellen, ob der Verein sich im für sein Spiel so wichtigen Mittelfeld genügend Gedanken gemacht hat. Es kann nicht sein, dass ein Ausfall die gesamte Philosophie dermaßen über den Haufen wirft.

Natürlich sind einige Spieler platt. Aber die Leistung in Gladbach war nicht allein der Fitness geschuldet. Sie war ein Fingerzeig darauf, dass die Kaderplanung fehlerhaft war. Es gibt zu viele Spieler in den eigenen Reihen, die für die Spielweise der letzten Jahre ein zu großer Kompromiss sind und deren Stärken oft erst in Spielsituationen zum Vorschein kommen, die der FC Bayern eigentlich vermeiden möchte.

Trotz dieser harten Kritik muss selbstverständlich auch etwas eingelenkt werden. Gladbach hat das Spiel am Samstag sicher glücklich gewonnen und die Bayern sind trotz vieler Kompromisse und trotz ihrer Abhängigkeit von individuellen Geistesblitzen immer noch in der Lage, solche Spiele auf Sparflamme zu gewinnen.

Allein das spricht für die Klasse des Kaders. Die Kritik geht vielmehr in Richtung Strukturierung und Abstimmung. Es gab Zeiten, in denen der FC Bayern Amateure einwechseln oder Spieler auf ungewohnten Positionen einsetzen konnte und es war kaum ein Unterschied zu erkennen. Die Philosophie und die Spielidee waren sichtbar und der Gegner wurde weiter dominiert. Aktuell scheint das nicht mehr möglich zu sein.

Gegnervorschau: Spiegelkabinett Hannover

Am Wochenende erwartet den FC Bayern eine Aufgabe, die nicht zu unterschätzen ist. Man könnte an dieser Stelle einfach ein „siehe Augsburg“ schreiben und es dabei belassen. Doch etwas anders ist es beim Aufsteiger dann doch.

Vielerorts wurde auch den Hannoveranern vor der Saison nicht viel zugetraut, aber sie wussten zu überraschen. Gerade in der Defensive stehen sie für einen Aufsteiger sehr stabil. Rund 14 Abschlüsse lassen sie pro 90 Minuten zu. Platz 12 und nur 2 Schüsse mehr als Stuttgart auf Platz 6. 16 Gegentore sind dazu ebenfalls vollkommen im Rahmen.

Ursächlich dafür ist die Stabilität der Grundformation. Breitenreiter möchte, dass seine Spieler eine gewisse Grundordnung beibehalten und lässt deshalb wenige Freiheiten. Das beraubt Hannover zwar der offensiven Durchschlagskraft, sorgt aber für eine Kernstabilität.

Außerdem erfreuen sich die Hannoveraner an der fehlenden spielerischen Idee in der Bundesliga. Breitenreiter setzt häufig auf eine Spiegeltaktik, in der er seine Grundausrichtung an die des Gegners anpasst, um dann mit Mannorientierungen zu agieren.

So erschreckend das auch ist: Es reicht. Hannover startete mit diesem einfachen Trick furios in die Saison, ließ zuletzt aber ein paar Federn. Die einstudierten Abläufe und der hohe Druck durch Mannorientierungen reichen aus, damit der Großteil der Liga sich keine Räume mehr erspielen kann.

Auch gegen die Münchner ist es sehr wahrscheinlich, dass Breitenreiter auf einige Mannorientierungen zurückgreift. Auf das hohe 4-1-4-1 von Jupp Heynckes wäre ein 5-4-1 als Antwort denkbar. Aus dieser Grundordnung heraus könnten die Außenspieler so verschieben, dass auch mal höheres Anlaufen ermöglicht wird. In der Defensive ist zudem eine gewisse Stabilität gegeben, die in der Allianz Arena nötig ist.

Hannovers Mannorientierungen sind vor allem im Zentrum sehr konsequent. Auf den Flügeln wird es auf die Position des Balls, aber auch auf die Anordnung des FC Bayern ankommen, wie die Breitenreiter-Elf spielt. Aus dem 5-4-1 heraus ist auch höheres Anlaufen auf die Innenverteidiger möglich, wenn die Flügelverteidiger nachschieben.

Der FC Bayern sollte allerdings in der Lage sein, diese Spiegelungen für sich zu nutzen. Und wenn nicht, dann wird schon eine von den 50 Flanken zum Torerfolg führen. Wahrscheinlich von Joshua Kimmich. Für die nahe Zukunft bleibt dann nur zu hoffen, dass Heynckes mit den Verletzungen ab jetzt so viel Glück hat wie 2013. Immerhin sind Ribéry und Müller schon auf einem guten Weg.

Expertentipp

Im Expertentipp tippt ein externer Experte den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem zweiten Expertentipp, der vom Autorenteam von Miasanrot.de kommt. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Experten mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.

Der Expertentipp ist zurück. Mit meinem Tipp zum Spiel in Dortmund lag ich richtig. Unser Gast tippte ein 1:4 und somit steht es nun insgesamt 23:14 für die Redaktion. Diesmal haben wir uns Tobias Riemer von Hannoverliebt (meinsportradio) eingeladen.

Tobias Riemer: Ich erwarte offensive und druckvolle Bayern, die unsere Defensive ordentlich beschäftigen werden. Durch die aktuellen Ausfälle – insbesondere im Angriff – wird es für Hannover 96 schwer für Entlastung zu sorgen und daher erwarte ich, dass eher früher als später das erste Tor für München fällt.

Wenn man die 4:0 Klatsche in Bremen als Maßstab nimmt, sollten wir vermutlich zufrieden sein, wenn es nicht mehr Gegentore gibt als an der Weser. Um irgendwie eine Chance in München zu haben, muss der FC Bayern schon einen sehr schlechten Tag erwischen. Mein Tipp: 5:0

Justin: Es wird ein sehr zähes Spiel. Von den Bayern ist derzeit nicht ernsthaft zu erwarten, dass sie ein Feuerwerk abbrennen und Hannover verteidigt leidenschaftlich sowie clever. Bei den Münchnern kommen immerhin einige Verletzte zurück. Ein Aufwärtstrend ist daher schon zu erwarten. Heimvorteil und klar bessere individuelle Qualität reichen daher zum 2:0 Heimsieg.

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