5 Gründe für die historische Saison des FC Bayern – Teil 2: Das Heynckes-Pressing

Steffen Trenner 08.06.2013

Teil 2: Das Heynckes-Pressing 

Spätestens seit dem Jahr 2008 nach den national erfolgreichen, aber international desillusionierenden Jahren der Magath– und zweiten Hitzfeld-Ära war der FC Bayern auf der Suche. Auf der Suche nach einer Spielphilosophie. Der internationale Fußball hatte sich verändert. Es reichte nicht mehr aus Mannschaften durch teure Transfers hochzurüsten und zu versuchen aus einer Summe an herausragenden Einzelspielern und einigen Wasserträgern eine Mannschaft zu formen. Die Champions League wurde seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts von gewachsenen Mannschaften wie dem FC Liverpool oder AC Mailand gewonnen. Außerdem stand die Barcelona-Ära vor der Tür.

Barcelona spielte genau wie die spanische Nationalmannschaft einen Fußball in dem Superstars wie Messi glänzen können weil sie in ein komplexes System eingebettet sind. Die mediale Sprachlosigkeit für diese Entwicklung wurde gern im Schlagwort „Tiki-Taka“ verkürzt. Doch Barcelonas Fußball war in den vergangenen 5 Jahren immer mehr, als die unendliche Aneinanderreihung von Ballzirkulationen. Die Katalanen hatten alles. Herausragende Einzelspieler wie Messi, Villa oder Iniesta, die im letzten Spielfelddrittel glänzen konnten, ein klares offensives System, das auf Ballbesitz, einem hohen Passrhythmus und der Schaffung von Überzahlsituationen in Ballnähe ausgelegt war. Und oben drauf ein unerbittliches Gegenpressing, das dafür sorgt, dass ein verlorener Ball binnen Sekunden zurück gewonnen wird. Umgesetzt wurde das alles von einer Mannschaft, die in weiten Teilen seit Jahren zusammenspielte und in Barcelona ausgebildet wurde. Das war der Maßstab.

Erst Heynckes findet die Balance zwischen Offensive und Defensive

Der FC Bayern machte sich also auf im Jahr 2008 verlorenes Terrain zurückzugewinnen und ein eigenes fußballerisches System, eine eigene Spielphilosophie zu entwickeln. Die erste Antwort daruf hieß Klinsmann, der einige Jahre zuvor den DFB erfolgreich umkrempelte. Ein Experiment, das in München scheitern musste. Am Anspruch, am Spielermaterial, an der Vorgeschichte, am Co-Trainer, an allem. Es war ausgerechnet der FC Barcelona, der dem FC Bayern mit einem 4:0 im Camp Nou aufzeigte wie weit der Abstand zwischen beiden Vereinen zu diesem Zeitpunkt war. Auf Klinsmann folgte Louis van Gaal, der es als erster schaffte dem FC Bayern ein erkennbares Spielsystem zu verpassen. Hohe Positionstreue, sehr breite Flügel, hochstehende Außenverteidiger und konsequenter Ballbesitzfußball. Bayern machte seit 2009 mit van Gaal einen ersten wichtigen Schritt. Bayern kämpfte sich mit ein wenig Losglück und einer Willensleistung gegen Manchester United sogar ins Champions League-Finale. Was fehlte in der van Gaal-Ära war die Balance zwischen Offensive und Defensive, die von Spielern wie Philipp Lahm immer wieder vergeblich angemahnt wurde. In der Saison 2010/2011 schoss der FC Bayern zwar 11 Tore mehr, als Borussia Dortmund, kassierte aber auch 14 Gegentore mehr als der Konkurrent aus dem Westen, der vormachte wie effektiv ein klares Pressingsystem sein kann. Für van Gaal kam noch im Frühjahr 2011 das Aus.

Es folgte Jupp Heynckes. Viele Journalisten interpretierten in seine Verpflichtung die Abkehr des FC Bayern vom Experiment „moderner Systemfußball“ hinein. Der Zeit-Journalist Oliver Fritsch schrieb im Jahr 2011: „Er ist die Sicherheitsvariante. Mit einem entsprechend aufgerüsteten Kader wird Heynckes Bayern wieder zu einem Titelkandidaten machen, das wars dann aber auch. (…) Das Wohlwollendste, was man über Heynckes sagen kann: Er ist nicht die schlechteste Lösung. Das Format eines José Mourinho oder Josep Guardiola hat er jedoch nicht. Was dem Leitbild des FC Bayern widerspricht, dessen Anspruch zumindest rhetorisch nur das Beste vom Besten ist.“ Er sollte sich wie viele seiner Kollegen kolossal irren. Es ist der 68-jährige Fußball-Lehrer Jupp Heynckes, der das Ziel der Bayern nach einer international erfolgreichen Spielphilosophie vollendete. Er bediente sich bei der Vorarbeit von van Gaal in der Offensive und etablierte in dieser Saison ein Defensivkonzept, das in Europa seines Gleichen sucht. Heynckes reduzierte die Anzahl der wettbewerbsübergreifenden Gegentore von 1,1 pro Spiel in der Saison 2010/2011 auf 0,5 pro Spiel im Spieljahr 2012/2013. Das Pressing der Münchener ist dabei das herausragende Element. Es ist ein wesentlicher Grund für diese historische Bayern-Saison.

Bayerns Pressing in der Analyse

Die Münchener schaffen es bei Ballbesitz des Gegners den bespielbaren Raum zwischen dem letzten gegnerischen Abwehrspieler und der eigenen Viererkette (alles außerhalb dieses Bereichs ist Abseits) extrem zu verengen. Die Außenverteidiger Alaba und Lahm stehen schon in der Grundformation sehr hoch und verengen den Raum zusätzlich. Der Mittelstürmer und der Zehner pendeln den jeweiligen ballführenden Spieler schon im Spielaufbau in der Abwehr an und erzeugen somit einen stetigen Druck. Die beiden Sechser stehen oft gestaffelt und versuchen vor allem die Passwege auf die gegnerischen zentralen Mittelfeldspieler zuzustellen. Diese Spielweise erklärt warum sich in der Bundesliga viele Mannschaften nur mit langen Bällen zu helfen wissen. Bayern hilft es hier zusätzlich, dass in der Innenverteidigung mit Boateng, Dante und van Buyten extrem kopfballstarke Spieler agieren.  Dieses System funktionierte in der abgelaufenen Spielzeit beinah unabhängig vom Personal. Obwohl Heynckes viel rotierte sahen die Spiele des FC Bayern sehr gleich aus.

Ein herausragendes Beispiel für die Münchener Defensivstärke war das Hinspiel im Champions League Halbfinale gegen Barcelona. Die Heynckes-Elf attackierte gerade in München deutlich tiefer als gewohnt und ließ die Innenverteidiger im Spielaufbau beinahe unbehelligt. Dafür wurden die Passwege auf Busquets, Xavi und Iniesta extrem zugestellt. Xavi reagierte darauf, in dem er sich immer wieder zwischen die Viererkette zurückfallen ließ. Das hatte zur Folge, dass sich auch Iniesta deutlich weiter hinten postierte, um Xavi eine Anspielstation zu bieten. Während Busquets fast völlig aus dem Spiel genommen wurde, hielt Bayern die beiden kreativen Köpfe Xavi und Iniesta im Zentrum konsequent weit vom Tor weg. Barcelona hatte nur 4 Torschüsse und Bayern gewann verdient mit 4:0. Der Grundstein fürs Weiterkommen.

 

Schaut man sich die Weiterentwicklung des Münchener Pressings im Vergleich zur Vorsaison an, sind vor allem zwei Transfers zu nennen. Javi Martínez und Mario Mandzukic. Martínez Wert für den FC Bayern habe ich in diesem Blog bereits mehrfach beschrieben. Seine Fähigkeit ballführende Spieler ohne Foul unter Druck zu setzen und Bälle zu gewinnen, sein Timing im Kopfball und im Herausrücken ist so ziemlich das Beste was es auf dieser Position im Moment gibt. Auch Mandzukic physisches Spiel und seine weiten defensiven Laufwege haben Bayern in dieser Saison sehr geholfen.

Gegenpressing als neues Element

Martínez und Mandzukic waren auch immer wieder enorm wichtige Stützen im Gegenpressing, das Heynckes ebenfalls in dieser Saison sichtbar etabliert hat. Nach Ballverlust zogen sich die Münchener nicht zurück, sondern versuchten den Ball direkt zurück zu gewinnen und den Gegner so in einer ungeordneten Situation zu erwischen. Auch Robben und Ribéry waren hier immer wieder mit guten Defensivaktionen und Ballgewinnen zu sehen. Wie sehr diese Spielweise auch der Offensive half, zeigt folgende Statistik. In der Bundesliga schoss Bayern 22 Tore innerhalb von 10 Sekunden nach einem Ballgewinn. Im Vorjahr waren es nur 10. (Für eine tiefgreifende und umfassende Analyse des Bayern-Pressings, empfehle ich jedem diesen Artikel von René Marić von den Kollegen von Spielverlagerung.de.)

All das zeigt: Der FC Bayern hat im Jahr 2013 ein komplexes Spielsystem, das auf mehreren Eckpfeilern fußt. Offensiv gehören die Münchener seit Jahren zur europäischen Spitze. Was fehlte war ein Defensivkonzept, das auch gegen Mannschaften wie Barcelona stand hält und das eigene Spiel durch frühere Ballgewinne auch offensiv unterstützt. Der FC Bayern hat den Weg vollendet auf den er sich im Jahr 2008 begeben hat. Er steht im Sommer 2013 an der Spitze des europäischen Fußballs. Nicht weil er die besten Einzelspieler hat, sondern weil er den besten und modernsten Fußball spielt. Das Heynckes-Pressing ist dafür ein ganz wesentlicher Grund.

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