Zur Not mit Hockey-Assists

Steffen Trenner 11.04.2014

Im Eishockey gibt es für Aktionen wie die von Götze einen Scorer-Punkt. Die vor-Vorlage, der vorletzte Pass wird deshalb auch gern Hockey-Assist genannt. In offiziellen Fußball-Statistiken taucht dieser Wert nicht auf. Trotzdem darf auch Götzes Hockey-Assist gegen United nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem 21-Jährigen seit Wochen nicht so recht gelingt den Unterschied auszumachen. Es ist kein Zufall, dass Guardiola gegen United kurz nach dem 1:1 Götze herausnahm, um mit Rafinha die Statik des Rekordmeisters etwas zu verändern. Zwar lobte der Bayern Coach die Leistung seines Edeltechnikers nach dem Spiel in höchsten Tönen und sprach dabei vor allem von seinen klugen Überladungen auf den Flügeln, doch Guardiola lobt meistens. Vor allem nach Siegen. Ich bleibe dabei, dass Götze auch gegen United die Durchschlagskraft fehlte für die der FC Bayern ihn verpflichtet hat.

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Ein Schuss aufs Tor. Ein Schlüsselpass vor dem 1:1. 44 Ballkontakte, 31 Pässe, 1 erfolgreiches Dribbling. Wenig insgesamt. Es gab eine Phase zwischen Ende Oktober und der Winterpause da war Götze angekommen im Spiel der Münchener. In acht Bundesliga-Spielen gelangen ihm in dieser Phase vier Tore und vier Torvorlagen. Darunter das so wichtige 1:0 im Auswärtsspiel in Dortmund. In der Champions League traf Götze in vier Spielen drei Mal und bereitete einen weiteren Treffer vor. Die Erfolge waren dabei unabhängig von seiner Position. Mal traf er als nomineller 9er, mal als 10er, mal als Flügelspieler. Götze war in dieser Saisonphase ein Spieler, der den Unterschied ausmachte, der die Mischung aus Ball- bzw. Spielkontrolle und effizientem Zug zum Tor gefunden zu haben schien. Guardiola hatte in dieser Phase sein 4-1-4-1 etabliert, das den fünf Offensiven extrem viele Freiheiten und Möglichkeiten eröffnete. Götze harmonierte hier gerade mit Thiago exzellent. Zunächst sah es so aus als könnte Götze die tolle Form des Spätherbsts mit ins neue Jahr herüber retten. Zwei Treffer in den ersten drei Bundesliga-Partien der Rückrunde klangen vielversprechend. Seitdem wurde es zäh. Seit Anfang Februar machte Götze genau ein richtig, richtig gutes Spiel. Beim Meisterball in Berlin, als er Teil der wohl fluidesten Münchener Offensivperformance der gesamten Saison war. Ein Tor, eine Vorlage steuerte Götze zum 3:1-Erfolg bei. 93 Pässe spielte Götze gegen Hertha. Fünf Mal schoss innerhalb des Strafraums aufs Tor. Fünf Mal ging er erfolgreich ins Dribbling, war ständiger Unruheherd in der Hertha-Defensive.

Trotzdem blieb das Hertha-Spiel eine Ausnahme. Vielleicht auch weil Guardiola zunehmend auf ein etwas statischeres 4-2-3-1 zurückgestellt hat. Seit Anfang Februar hat Götze in 13 Pflichtspieleinsätzen in Bundesliga und Champions League zwei Tore erzielt und ein Tor vorbereitet. Er hatte dabei meist die wenigsten Ballkontakte. In den drei Champions League-Spielen gegen Arsenal (Rückspiel) und Manchester United von Anfang an, schoss er insgesamt sechs Mal aufs Tor und bereitete fünf Chancen vor. Ein Treffer oder Assist gelang ihm dabei nicht – auch weil er zum Teil früh ausgewechselt wurde.  Zum Vergleich: Arjen Robben schoss in den genannten Partien 16 Mal aufs Tor und leitete weitere 6 gute Chancen ein. Auch Franck Ribéry und Thomas Müller waren mit Blick auf die Statistik deutlich mehr involviert und deutlich häufiger an Torabschlüssen beteiligt.

Natürlich sind Torchancen und Torschussbeteiligungen nicht die einzige Größe, um einen Offensivspieler zu bewerten. Aus meiner Sicht sind diese Werte zur Einschätzung von Götzes Leistungen aber gerade deshalb so wichtig, weil Götze hier perspektivisch die wichtigste Funktion in München hat. Robben (30) und Ribéry (31) werden nicht mehr allzu lange 40-50 Spiele pro Saison auf diesem Niveau machen können. Die beiden Ausnahmespieler waren seit 2009 allein in der Bundesliga an 197 Tore Bayern-Toren beteiligt. Diese Lücke, die in naher Zukunft entsteht, wird zu füllen sein. Andere junge Spieler, die diesen Verein in Zukunft prägen könnten wie Kroos (24), Thiago (23) oder Højbjerg (18) sind eher balancegebende Spieler. Götze (21) kann von den Anlagen her schon eher in diese Rolle hineinwachsen.

Will ich mit alldem aufzeigen, dass Mario Götze beim FC Bayern scheitern wird? Nein, nicht im Geringsten. Aber die letzten 8-10 Wochen zeigen wie groß der Anpassungsbedarf gerade für Offensivspieler in München ist. Mario Gomez sagte zwei Jahre nach seinem Wechsel nach München einmal Folgendes: „Beim VfB habe ich sechs Jahre an der Mittellinie gewartet und gekontert. Bei Bayern braucht es aber einen spielenden Mittelstürmer, der auch Platz schafft für die Mitspieler. Man braucht Gefühl für diese Position, das geht nicht von heute auf morgen.“ Nun ist Mario Gomez ein anderer Spielertyp als Mario Götze, aber klar ist auch, dass auch Götze sein Spiel im Vergleich zu seiner Zeit in Dortmund anpassen muss. Dort war er gleichsam Spielmacher im Umschaltspiel wie auch Freigeist auf dem Flügel und im offensiven Zentrum, der von Klopp viel Gestaltungsspielraum auch für Einzelaktionen bekam.

In München ist das Spiel ein völlig anderes. Die Räume sind gerade gegen tiefstehende Gegner viel enger, das Umschaltspiel gerade unter Guardiola deutlich langsamer und die Risikobereitschaft bei Ballbesitz insgesamt geringer. Götze hat keine Probleme in der Anpassung wenn es um das Ballbesitzspiel geht. Ballsicher, passsicher auch auf engstem Raum ist er (86 Prozent Passquote). Schwieriger fällt die Anpassung, wenn es darum geht aus langen Phasen den Ballbesitzes Torgefahr zu kreieren. Wo Ribéry und Robben mit Tempodribblings agieren, wo Müller als robuster und geschickter Unruheherd für Gefahr sorgt, wo Mario Mandzukic mit enormer Wucht und Kopfballstärke seine Fähigkeiten einsetzt, sucht Götze seit einigen Wochen noch zu häufig nach dem richtigen Mittel.

Er ist kein Tempodribbler wie Ribéry, er ist kein Rauminterpret wie Müller und schon gar kein Kopfballspieler wie Mandzukic. Er ist kein Typ, der wütend wird, wenn es nicht läuft und im Zweifel Dinge erzwingt, wie Arjen Robben es in engen Situationen so häufig getan haben. Auch aus der Distanz ist er nicht wirklich gefährlich. Er muss deshalb seine Nische finden. Eine Nische, die am ehesten mit der Funktion eines Nadelspielers umschrieben werden könnte. Es wird eine der wichtigsten Aufgaben für Pep Guardiola sein Götze das nötige Rüstzeug an die Hand zu geben, um diese Rolle in München konstant effektiv auszufüllen. Und wer wäre dafür besser geeignet als Guardiola, der so akribisch an individuellen Bewegungsmustern und der optimalen Raumnutzung arbeitet wie wohl kaum ein anderer Trainer?

Eins sollte man bei allen Diskussionen über Mario Götze nicht vergessen. Er ist 21 Jahre alt. Franck Ribéry war mit 21 in einer fußballerischen Selbstfindungsphase in Istanbul. Arjen Robben machte in diesem Alter einen Reifeprozess beim FC Chelsea durch. Götze ist bereits drei Mal Deutscher Meister. Götze ist einerseits ein Versprechen auf die Zukunft und muss doch schon jetzt allerhöchsten Anforderungen genügen. Er hat auf die Saison gesehen die Erwartungen ganz sicher nicht enttäuscht. Dass auch er jetzt eine Phase erlebt in der ihm die Anpassung schwer fällt, ist wahrscheinlich normal. Er wird daran wachsen, wenn er bereit ist konsequent daran zu arbeiten, Lösungen in Bayerns Offensivsystem zu finden und seine einzigartigen Fähigkeiten am Ball zur Geltung zu bringen. Guardiola wird ihm dabei helfen (müssen), weil er weiß, dass Götze einer ist, der den Unterschied für den FC Bayern ausmachen kann auf dem Weg zum Maximalziel Triple-Verteidigung, aber auch und gerade in den Jahren danach.

Ich würde so weit gehen, dass die sportliche Entwicklung von Mario Götze sehr eng mit der gesamten sportlichen Entwicklung des FC Bayern in den nächsten Jahren verknüpft ist. Gerade wenn der altersbedingte Umbruch in zwei, spätestens drei Jahren ansteht. Vielleicht schaue ich deshalb so genau hin, beim ehemaligen Dortmunder. Vielleicht wünsche ich mir deshalb mehr Szenen, wie die vor dem 1:1 gegen Manchester United. Auch Guardiola wird Aktionen wie diese häufiger sehen wollen. Gesetzt ist Götze für die entscheidenden Spiele in der Champions League gegen Real Madrid und im DFB-Pokal nach der eher schwächeren Phase zuletzt jedenfalls nicht. Er wird sich anbieten müssen. Zur Not mit Hockey-Assists.