Warum der FC Bayern Alphonso Davies halten sollte
Der Sommer naht. Max Eberl ist im Amt. Die Trainersuche läuft, aber auch einige wichtige Entscheidungen über Vertragsverlängerungen namhafter Spieler stehen an.
Einer davon ist Alphonso Davies, dessen Zukunft mit oder ohne den FC Bayern in diesem Sommer entschieden werden sollte. Sollte Davies gehen oder sollte Davies bleiben? Eine spannende Frage. Unterziehen wir sie einer Prüfung.
FC Bayern und Alphonso Davies: stay or go?
Spätestens seit vor einigen Wochen Max Eberl mit Verantwortlichkeit für den Bereich Sport in den Vorstand der Bayern eingezogen ist, kann sich der Club in einem geordneten Zustand um die sportliche Planung für die nähere und mittlere Zukunft kümmern.
Für Außenstehende am spannendsten zu verfolgen ist sicher der Bereich Personal und dort die Suche nach dem neuen Trainer, aber auch für die Weiterentwicklung des Kaders stehen einige spannende und wegweisende Entscheidungen an.
Wie die Verträge von Leroy Sané, Joshua Kimmich, Eric Dier, Thomas Müller und Manuel Neuer läuft auch der von Alphonso Davies im Sommer 2025 aus, was den Verein aufgrund der üblichen Mechanismen des Geschäfts aus kaufmännischen Gründen zwingt, bereits in diesem Sommer eine Entscheidung über dessen weiteren Verbleib zu fällen: Soll Davies gehen – und dann noch in diesem Sommer – oder soll er über das Jahr 2025 hinaus im Verein gehalten werden?
Vor diesem Hintergrund sind Davies und die Möglichkeit seines Wechsels in den letzten Wochen verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. Die Meinungen sind gespalten. Manche können Davies gar nicht schnell genug die Koffer packen sehen – Real Madrid soll Interesse zeigen -, andere würden mit ihm gerne um jeden Preis verlängern.
Warum ergibt eine Vertragsverlängerung, wenn auch nicht um jeden Preis, aber das ist banal, für den FC Bayern am meisten Sinn? Dafür gibt es einige Gründe.
Grund 1: Der Preisvorteil
Erstens: Verlängern „um jeden Preis“ hebt eines der wichtigsten Entscheidungskriterien bei Vertragsverlängerungen bereits sprachlich hervor: den Preis. Im Falle von Davies entspricht der Preis seiner Verlängerung seinem Gehalt, denn eine Ablöse wird für ihn nicht fällig.
Damit hat er vom Start weg einen Konkurrenzvorteil gegenüber jedem potentiellen Ersatz, der noch zu kaufen wäre, denn für diesen würde neben dem jährlichen Gehalt auch noch eine Ablöse fällig.
Dies bedeutet, dass die Bayern bei gleicher finanzieller Belastung bei Davies‘ Gehalt höher gehen können als bei einem sportlich gleichwertigen, gekauften Ersatz; beziehungsweise dass ein sportlicher Ersatz, der das gleiche Gehalt beziehen soll wie Davies (nach einer Verlängerung), je nach Ablöse schon um Einiges besser sein müsste als dieser, um seinen finanziellen Nachteil wieder auszugleichen.
Ein ähnliches Argument machte auch Michael Reschke jüngst in einem Gespräch mit ran. Bei Vertragsverlängerungen spiele es eine Rolle, dass man als Klub wisse, „was man von dem Spieler erwarten kann“, während ein Neuzugang mit Gehaltskosten und Ablösesumme ein Risiko darstelle, „wo du nicht weißt, ob er genauso gut ist und ob er in den Kader reinpasst.“ Somit könnte ein Spieler mit hohem Gehalt bei einer Verlängerung insgesamt günstiger sein als ein Neuzugang mit niedrigerem Gehalt.
Hinzu kommt, dass die Bayern je nach Verfügbarkeit von Alternativen auf dem Transfermarkt nach einem Verkauf von Davies im schlechtesten Fall auf einem Berg Geld sitzen, ohne dass sie einen sportlichen Ersatz für ihn verpflichten können. Von diesem Geld als Transfergewinn müssten sie dann mit der nächsten Steuererklärung knapp die Hälfte in Form von Steuern an den Staat entrichten, was aufgrund der doppelten sportlichen und wirtschaftlichen Schwächung die schlechteste aller Welten wäre.
Grund 2: Die sportliche Ausnahmestellung
Zweitens hat Davies einen sportlichen Wert eigener Art. Davies ist einer der wenigen Spieler, die qua ihrer Spielanlage der Mannschaft, in der sie spielen, ein einzigartiges spielerisches Moment verleihen, das sie ohne sie nicht hätte. Er kann im Spiel nach vorne wie aus dem Nichts mit nur einer geschickten Aktion eine Situation großer Gefahr für das gegnerische Tor heraufbeschwören, vielleicht die seltenste und wertvollste Qualität eines Spielers im modernen Profifußball überhaupt. Nur Musiala und Coman ähneln im Kader der Bayern Davies in dieser Hinsicht.
Darüber hinaus ist er nach Sané vielleicht der beste Ballschlepper im Team, ein Spieler, der mit dem Ball am Fuß aus einer tiefen Position mehrere Dutzend Meter zurücklegen und dabei mehrere Gegner abschütteln und überlaufen kann, ohne den Ball dabei preiszugeben.
Wenn Davies sich mit dem Ball am Fuß auf den Weg in Richtung des gegnerischen Strafraums macht, ist ähnlich wie bei Sané Alarm für die gegnerische Verteidigung angesagt. Dass Davies sein ganz spezielles spielerisches Moment unter Tuchel nicht allzu häufig hat ausspielen können, ist ursächlich weniger bei Davies selbst als dem Zustand der Mannschaft insgesamt zu suchen, denn für viele andere Spieler im Bayern-Kader ist unter Tuchel ein permanentes Untererfüllen ihrer Möglichkeiten ebenso festzustellen und Davies hat unter anderen Trainern und in anderen Zeiten seine außergewöhnliche Klasse bereits bewiesen.
Sein gegenwärtiges Schwächeln kann daher unter einem neuen Trainer schnell wieder in spektakuläre Stärke umschlagen und liefert kein stichhaltiges Argument für einen Verkauf wegen Leistungsschwäche.
Grund 3: Das Potential
Drittens ist Davies mit seinem Alter von 23 Jahren immer noch sehr jung und hat noch sowohl sportliches als auch wirtschaftliches Entwicklungspotenzial. Sportlich gilt, dass wenn mehr Erfahrung im Profifußball Spieler wirklich besser macht, Davies mutmaßlich noch nicht an seinem Leistungszenit angekommen ist und sogar noch eine Menge Zeit hat, noch besser zu werden, als er heute bereits ist, bevor er irgendwann aus biologischen Gründen zwingend wieder schlechter werden muss.
Wirtschaftlich gesehen sind 23-jährige Spieler statistisch noch nicht am Zenit ihres Marktwertes angekommen, dies als allgemeine Regel genommen weist auch bei Davis auf einen in den kommenden Jahren noch wachsenden Marktwert hin.
Selbst wenn Davies momentan in bestechender Form wäre – was er nicht ist – und potentiellen Interessenten daher eine entsprechend hohe Ablöse entlocken könnte – was er nicht kann -, wäre es daher aus einem sportlichen wie wirtschaftlichen Kalkül der Bayern nicht völlig abwegig, Davies noch ein paar weitere Jahre zu halten und dann zu einem noch höheren Betrag zu veräußern, wenn denn wirtschaftliche Überlegungen handlungsleitend sein sollten, oder die sportlichen Früchte seiner weiteren Entwicklung ausgiebig zu ernten, wenn er bis zur Rente gehalten werden soll. Diese Überlegung gilt a fortiori in Anbetracht seiner gegenwärtigen Form.
Grund 4: Die Markenbildung und der nordamerikanische Markt
Viertens und letztens ist Davies der einzige nordamerikanische Spieler im Kader der Bayern. Aus wirtschaftlicher Sicht bedauerlicherweise ist er nicht US-Amerikaner, aber immerhin Kanadier. Die Bayern legen seit Jahren viel Wert auf Präsenz und Stärkung ihrer Marke auf dem nordamerikanischen Kontinent.
Seit über zehn Jahren haben sie ein Büro in New York, sie unternehmen regelmäßig “Summer Tours” in die USA. Fußball ist ein Sport, in dem der Aufbau einer Markenbindung für fremde Personen zum großen Teil über die Identifikation mit den Spielern, die für diese Marke spielen, funktioniert. Physische Präsenz vor Ort ist der Königsweg dafür, skaliert aber extrem schlecht, Spieler aus dem Land in seinem Kader zu haben, in dem man Fans gewinnen möchte, ist der wesentlich praktikablere zweitbeste Weg.
Alphonso Davies ist ein Markenbildungs-Hebel für den nordamerikanischen Markt, einer der wenigen in der Bundesliga und der einzige im Kader der Bayern. Ob es für die Bemühungen der Bayern um die Eroberung des nordamerikanischen Marktes kontraproduktiv wäre, ihn abzugeben, sollte daher in den Überlegungen zur Vertragsverlängerung Davies’ neben all den anderen Argumenten ebenfalls Berücksichtigung finden.
Unter dem Strich ist damit festzuhalten, dass die Chance, die in einem Verbleiben von Davies – auch zu stark verbesserten Bezügen – liegt, in keinem Verhältnis zu dem sicheren Verlust steht, der daraus resultierte, ihn heute abzugeben. Davies muss bleiben. Fast um jeden Preis.
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