Vorschau: FC Bayern München – FK Rostov

Justin Trenner 12.09.2016

Hinter diesem rapiden Aufstieg des russischen Vizemeisters steht ein Mann, der bereits Rubin Kazan 12 Jahre lang erfolgreich trainierte. Die Rede ist von Kurban Berdyev, der mit Kazan die ersten beiden Meistertitel der Vereinsgeschichte gewann und auch für den ersten Pokalsieg verantwortlich war. Von 2001 bis 2013 war der 64-Jährige Russe dort als Trainer und später zusätzlich als Vize-Präsident tätig. In der Champions League sind ihm punktuell ebenfalls große Erfolge gelungen. So schlug Kazan 2009 Pep Guardiolas Barcelona im Camp Nou mit 2:1.

Nachdem die Ära, die er dort zweifelsohne prägte, 2013 zu Ende ging, standen Berdyev alle Türen offen. Viele spekulierten, dass er nun eine größere Herausforderung im Ausland suchen würde. Seine Entscheidung wusste aber zu überraschen. Zunächst stand eine einjährige Pause auf dem Programm und dann entschied der Erfolgstrainer sich für einen Verein, der in Russland kurz vor dem Abstieg stand.

Der FK Rostov war zum Zeitpunkt seiner Verpflichtung sportlich, finanziell und organisatorisch in katastrophaler Verfassung. Alles deutete darauf hin, dass der Klub keine Chance mehr auf den Klassenerhalt haben würde. Doch Berdyev stellte endgültig unter Beweis, dass er ein hervorragender Trainer ist. Mit seinem bevorzugten 3-5-2-System änderte er die Struktur und Organisation des Teams komplett. Oder um es anders zu sagen: Beides kam mit ihm überhaupt erstmals zu Stande. Rostov hielt die Klasse und wurde im Jahr darauf fast Meister. Lediglich ZSKA Moskau war um zwei Punkte besser als der nächste Bayern-Gegner.

Mit nur 20 Gegentoren stellte die Mannschaft urplötzlich die beste Defensive der Liga. In der Saison 2014/15 waren es mit 51 Gegentoren noch die meisten aller 16 Mannschaften. Berdyev schaffte es also, dass aus einem chaotischen Trümmerhaufen innerhalb von kürzester Zeit ein strukturiertes, durchorganisiertes und gefährliches Team wurde. Dabei halfen ihm auch die Neuverpflichtungen einiger Ex-Spieler. Christian Noboa, der für die Mittelfeldorganisation zuständig ist, ist einer davon. Doch auch der junge Stürmer Sardar Azmoun sowie der erfahrene spanische Innenverteidiger César Navas zählen zu den Säulen dieses Teams. All diese Transfers waren nur dank des Trainers möglich.

Den Beweis dafür lieferte er höchstpersönlich diesen Sommer. Der FK Rostov wird katastrophal geführt. Aufgrund von ausbleibenden Zahlungen und fehlender Perspektiven wollte Berdyev den Verein verlassen. Er beendete die Zusammenarbeit, was direkt nach dem sensationellen 2:0-Auswärtserfolg in der Champions-League-Qualifikation gegen Anderlecht öffentlich wurde. Gerüchten zu Folge starteten Verhandlungen mit Spartak Moskau. Sowohl Noboa, als auch andere Spieler äußerten sich sehr wechselwillig und betonten, dass sie nur wegen des Trainers bei Rostov wären.

Dmitri Kirichenko, vorher Co-Trainer, war zunächst sein Nachfolger, aber die Geschichte nahm einen kuriosen Verlauf. Berdyev blieb völlig überraschend trotzdem im Verein. Keiner kann genau sagen was wirklich passiert ist, aber Fakt ist, dass der 64-Jährige nach seinem Rücktritt weiterhin die Spiele seines Vereins besuchte und einen großen Einfluss auf die Champions-League-Qualifikation hatte. Die Spiele gegen Ajax trugen ganz klar seine Handschrift. Speziell im Rückspiel spielte Rostov wie entfesselt und besiegte die Niederländer mit 4:1.

Heute scheint klar zu sein, dass Berdyev dem Verein als Berater erhalten bleibt. Außerdem wurde auch Kirichenko am 9. September schon wieder ersetzt. Cheftrainer ist nun Ivan Daniliants, der ebenfalls ein Co-Trainer von Berdyev war. Kirichenko assistiert dem neuen Coach aber weiterhin. Zudem soll Berdyev laut transfermarkt.de ab Sommer 2017 die Rolle des Vize-Präsidenten übernehmen. Bereits am Ende seiner Zeit in Kazan führte er eine Doppelrolle bestehend aus dem Trainerposten sowie der Position des Vize-Präsidenten aus. Es ist eine äußerst fragwürdige Geschichte, die für den FK Rostov aber sehr positiv sein dürfte. Kurban Berdyev ist der Macher des extrem kurzfristigen Erfolgs und er steht für den Fußball, der diese Mannschaft in die Gruppenphase der UEFA Champions League gebracht hat. Trotz aller Umstände und Probleme, die sich vor allem in der Führungsetage des Klubs finden lassen.

Kurban Berdyev ist der große Kopf des Erfolgs der letzten Jahre. In diesem Sommer sorgte er für reichlich Verwirrung.(Foto: Virginie Lefour / AFP / Getty Images)
Kurban Berdyev ist der große Kopf des Erfolgs der letzten Jahre. In diesem Sommer sorgte er für reichlich Verwirrung.
(Foto: Virginie Lefour / AFP / Getty Images)

Gegnervorschau

Wie bereits angeschnitten, fokussierte sich Berdyev darauf den Defensivverbund zu strukturieren. Die Vizemeisterschaft resultierte aus der besten Abwehr der Liga und einem flexiblen 3-5-2-System, das gegen den Ball ein massives 5-3-2 wird. Das Team verschiebt klug und versucht den Gegner in ungünstige Unterzahlsituationen auf den Flügeln zu bringen. Schaffen es die Russen diese Momente zu kreieren, so greifen sie – meist durch Herausrücken des Flügelverteidigers und/oder unterstützenden Bewegungen des ballnahen Achters – an. Auch der jeweilige Stürmer in der Nähe des Spielgeräts versucht die Räume so eng wie möglich zu machen.

Gleichzeitig steht die Mannschaft aber auch sehr massiv im Zentrum. Cesar Navas, zentraler Innenverteidiger, ist hauptverantwortlich dort, teilt sich diese Aufgabe aber auch mit dem Taktgeber im Mittelfeld, Christian Noboa. Letzterer ist der Dreh- und Angelpunkt im Spiel der Mannschaft.

Erobert Rostov den Ball, versuchen sie blitzschnell umzuschalten. Über die schnellen Flügelverteidiger und den Angreifer Azmoun, der in der Qualifikation in vier Spielen zwei Tore erzielte, wird dann gerne attackiert. Doch auch die Spielstärke im Zentrum ist nicht zu unterschätzen. Noboa kann dem Spiel dort den entscheidenden Rhythmus im richtigen Augenblick verpassen.

Trotz aller Stärken gibt es aber natürlich auch Schwächen im Spiel der Russen. Speziell auf hohem Niveau gibt es immer wieder Probleme mit der sauberen Staffelung. Schaffen es die Bayern ein besseres Positionsspiel als auf Schalke hinzubekommen und die Räume zwischen den Ketten richtig zu besetzen, so kann es ganz schnell gefährlich werden für den FK Rostov. Speziell die Ballzirkulation wird am Dienstagabend aus Sicht des Gastgebers wichtig sein. Mit der richtigen Positionierung und vielen Dreiecken im Halbraum sowie auf den Flügeln, dürfte die Defensive der Gäste zu knacken sein. Wenn der Vizemeister aus Russland versucht auf der Außenbahn zu pressen, können die Bayern mit schnellen Aktionen hinter die herausrückenden Flügelverteidiger kommen.

Vieles wird darauf ankommen wie selbstsicher die Elf von Carlo Ancelotti mit dem Ball auftritt. Neben der mannschaftstaktischen Struktur, die auf Schalke etwas abging, ist natürlich auch die individuelle Qualität wieder gefragt. Eins-gegen-Eins-Situationen sind speziell gegen eine gut organisierte Fünferkette immer sehr wichtig. Vielleicht sehen die Bayern-Fans erstmals in dieser Saison zwei echte Flügelspieler in einem Pflichtspiel. Doch auch die Abschlussqualitäten von Lewandowski und/oder Müller sind gefragt. Bis zum ersten Tor sind Begegnungen mit gut organisierten Defensivmannschaften immer sehr zäh. Auch deshalb wäre es wichtig gleich die erste Chance zu nutzen.

Spannend wird natürlich auch die Arbeit der Münchner gegen den Ball. Wie bereits erwähnt, spielt der FK Rostov sehr gerne Konterfußball. Speziell gegen so starke Gegner wie es die Bayern sind. Die Rückwärtsbewegung muss da natürlich nicht nur schnell, sondern auch organisiert erfolgen. In den vergangenen Spielen hat Ancelottis Mannschaft das aber häufig sehr gut gemacht. Auch gegen Schalke ließ der amtierende Deutsche Meister nur wenig zu. Es gab aber auch dort, wenn man perfektionistisch denkt, ein, zwei kleine Wackler, die den Rückstand hätten kosten können.

Alles in allem ist der FC Bayern gewarnt vor einer Mannschaft, die bereits Ajax Amsterdam vorgeführt hat. Zwar sind die Gastgeber ganz klarer Favorit, aber Rostov wird es dem fünfmaligen Champions-League-Sieger mit einer guten Organisation so schwer wie möglich machen. Auch die Tatsache, dass Berdyev weiterhin seine Finger im Spiel zu haben scheint, macht die Aufgabe nicht einfacher. Ein frühes Tor könnte der wichtige Schlüssel zum Erfolg sein.

Die Bayern treffen erstmals auf den FK Rostov und niemand weiß so richtig was sie erwartet. Zwischen einem potentiellen Absteiger und dem 4:1 gegen Ajax liegen nicht mehr als zwei Jahre.

Wir versuchen einige interessante Fakten und Statistiken für das erste Aufeinandertreffen beider Klubs aufzulisten.

Statistiken zum Spiel

Fun Facts

  • Der FC Bayern München ist in der Champions League seit 12 Heimspielen ungeschlagen. Das 2:2 nach 90 Minuten gegen Juventus war in der vergangenen Saison das einzige Unentschieden. Die letzte Niederlage gab es in der Allianz Arena gegen Real Madrid am 29.04.2014 (0:4). In der darauffolgenden Serie erzielten die Münchner 41 Tore und kassierten nur 7 Gegentreffer.
  • Schaffen sie den 13. Sieg in Folge (der Sieg gegen Juventus nach Verlängerung wird gewertet), stellt die Elf von Carlo Ancelotti einen UEFA-Champions-League-Rekord auf. Den aktuellen hält Manchester United.
  • Der FK Rostov ist in der Königsklasse noch ungeschlagen. In ihren ersten vier Spielen gewannen sie ein Mal in Anderlecht und ein weiteres Mal zu Hause gegen Ajax. Die anderen beiden Spiele endeteten im Duell mit diesen beiden Teams jeweils Unentschieden. Es ist also die erste Teilnahme der Russen.
  • In der UEFA Europa League (2 Spiele, 1 Unentschieden, 1 Niederlage) und im UEFA Intertoto Cup (8 Spiele, 2 Siege, 1 Unentschieden, 5 Niederlagen) sammelte der Bayern-Gegner seine bisher einzige internationale Erfahrung vor dieser Saison.
  • Die historischen Erfolge der Russen beschränken sich auf die Vizemeisterschaft in der letzten Saison, den Pokalsieg 2014, einem Pokalfinale 2003 sowie der Meisterschaft in der russischen zweiten Liga 2008.
  • Die Bayern haben zu Hause erst ein Mal gegen einen russischen Gegner verloren. Fünf Siege, drei Unentschieden und eine Niederlage gab es insgesamt. 1995/96 verloren die Münchner in der 1. Vorrunde des UEFA Cups daheim gegen Lokomotive Moskau mit 0:1. Das Auswärtsspiel wurde mit 5:0 gewonnen und später gewann man den Wettbewerb.
  • Rostov fährt zum ersten Mal nach Deutschland, hat aber schon gegen Ancelotti gespielt. Dmitri Kirichenko, Vorgänger von Ivan Daniliants, musste sich 1999 als Spieler gegen Juventus geschlagen geben. Trainer der Italiener war der jetzige Coach der Bayern. Die alte Dame gewann insgesamt mit 9:1 im UEFA Intertoto Cup gegen Rostov, die dort ihr Debüt in UEFA-Wettbewerben gaben.
  • Vor dieser Saison kam Rostov auf insgesamt zehn Auftritte in europäischen Wettbewerben. Alleine in der vergangenen Saison hatten die Bayern in der Champions League zwei mehr.
  • Ancelotti konnte als Trainer bisher gegen jeden russischen Gegner gewinnen. Das angesprochene 9:1 in Addition gegen Rostov gehört dazu, aber auch Lokomotive Moskau (2002/03 mit Milan) und Spartak Moskau (2010/11 mit Chelsea) konnte er jeweils zwei Mal schlagen.
  • Als Spieler traf Kirichenko zwei Mal im UEFA Intertoto Cup auf deutsche Klubs. Mit dem FC Moskau verlor er 2006 gegen Hertha BSC mit insgesamt 0:2 und auch mit dem FC Saturn Moskovskaya Oblast gab es 2008 eine 1:3-Niederlage in Addition gegen den VfB Stuttgart. Im Hinspiel hatte er beim 1:0-Sieg getroffen.
  • Kingsley Coman erzielte sein erstes Länderspieltor für Frankreich gegen Russland.
  • Im Eröffnungsspiel der Copa América 2015 traf Arturo Vidal bereits auf Christian Noboa und Ecuador. Der Chilene traf beim 2:0 Sieg.
  • In den letzten vier Spielen für Klub und Nationalmannschaft traf Robert Lewandowski acht Mal.
  • Der Bayern-Kader ist in der Theorie (bis auf Badstuber) wieder komplett. Für Robben und Boateng dürfte ein Einsatz gegen Rostov jedoch zu früh kommen. Coman trainierte zwar schon mit voller Belastung, wird aber ebenfalls nicht im Kader stehen.
  • Rostov ging in den letzten drei Auswärtsspielen in Führung, gewann aber keine dieser Partien.

Fünf Thesen zum Spiel

  1. Den Bayern gelingt ein relativ schneller Treffer (erste halbe Stunde).
  2. Lewandowski baut seine Serie aus und erzielt wieder mindestens ein Tor.
  3. Erneut werden die Münchner ein Pflichtspiel zu Null beenden.
  4. Ancelotti wird im Vergleich zu Freitag auf maximal zwei Positionen rotieren.
  5. Eines der Bayern-Tore wird nach einem Standard fallen.

Leider waren nur zwei der fünf Thesen aus der Schalke-Vorschau korrekt. Das drückt die Gesamtbilanz auf 7/15.