Unsere Lieblingstrikots: Das Triple-Trikot
Von Stefen Niemeyer
Mein Weg zum Fußball-Fan
Wer in den 70er Jahren aufgewachsen ist und gerne Fußball spielte, ist nicht naturgemäß zu einem Trikot-Fetischisten geworden, der dutzende Leibchen sein Eigen nennt und seine Sammlung in einer großen Schublade archiviert oder ihnen gar ein ganzes Trikotzimmer widmet. Damals war der Fußball bei weitem noch nicht so dominant wie heute, wo manche Sportsendung praktisch zu einer reinen Fußballshow degeneriert ist.
Ich war kein reiner Fußballfan, sondern vor allem Sportfan. Ich ging zum Turnen, war im Handballverein, und im Sportunterricht spielte Fußball gar keine Rolle. Müden an der Örtze, ein herrliches Dorf in der Lüneburger Heide, hat zwar einen großen Sportplatz, aber dort spielten wir Handball, eine Fußballmannschaft gibt es hier bis heute nicht. Der Profifußball war weit, weit weg. Hannover 96 und Wolfsburg waren damals unbekannt und werden für mich ein Fremdkörper in der Bundesliga bleiben, anders als Wuppertal und Saarbrücken, die seltsamerweise irgendwie immer noch dazugehören.
Fußball hieß für mich, stundenlang auf das Garagentor von Opas Haus zu ballern, mit dem Schulfreund auf dem Kopfsteinpflaster-Hof auf die großen grünen Scheunentore zu schießen oder am Rande des Dorfes auf der sandig-holprigen Wiese oberkörperfrei barfuß oder in Sandalen Nachmittage lang Kick-and-Rush-Fußball zu spielen. Begeistert und fasziniert war ich von den Olympischen Spielen 1972 in München. An die Fußball-EM im gleichen Jahr habe ich fast gar keine Erinnerung, außer dass wir sie gewonnen haben. Sonnabendabends wollte ich auf dem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher lieber Daktari oder Bonanza als die Sportschau sehen.
Die Drei-Minuten-Bayern
Das erste große Fernsehfußballerlebnis war die Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland im Haus der Großeltern, wo der Farbfernseher stand. Maier, Müller, Beckenbauer wurden in schwarzen Hosen und weißen Trikots (Maier im hellblauen) die Lieblingsspieler meines siebenjährigen Ichs – und damit war ich irgendwie auch Bayern-Fan. Aber das hieß damals oben im Norden nicht mehr, als dass man die Spieler vielleicht einmal die Woche für paar Minuten in der Sportschau zu sehen bekam. Von Stadionbesuchen träumte ich nicht einmal.
1977 waren wir in die Nähe von Düsseldorf gezogen und ich wurde öfters ins Rheinstadion mitgenommen. Die Fortuna versammelte Nationalspieler und urige Typen, spielte einen guten Fußball, legte die längste Siegesserie eines Klubs im DFB-Pokal hin und wurde im Europapokal der Pokalsieger 1979 erst im Finale von Barcelona gestoppt.
In diese Zeit fiel mein erstes Bayern-Spiel im Stadion, es war ein regnerischer Samstagnachmittag im Dezember 1978. Ich war einer von 26.000 Zuschauern und wollte endlich Sepp Maier spielen sehen. Franz Beckenbauer war schon nicht mehr da. Und so liefen Augenthaler, Breitner und Rummenigge gegen die mir bestens bekannten Gerd Zewe, Egon Koehnen und Wolfgang Seel sowie ein hoffnungsvolles Talent namens Klaus Allofs auf der Fortuna-Seite auf. Nach wenigen Minuten hieß es bereits 2:0, am Ende stand eine verwirrende 7:1-Niederlage – bis heute die höchste Bundesliga-Auswärtsniederlage des FC Bayern.
Was für eine Enttäuschung, als Maier manche Schüsse nahezu regungslos passieren ließ. Ich verstand die Welt nicht mehr, das sollte der beste Torwart der Welt sein? Ich wusste nicht, dass die Spieler ihren Trainer Gyula Lóránt loswerden wollten, der an dem Tag wie so oft den Frevel beging, Gerd Müller nicht aufzustellen. Tatsächlich war es für den Trainer das letzte Bayern-Spiel.
Wer interessiert sich schon für Trikots?
Nicht nur wegen der Niederlage wäre ich nicht auf die Idee gekommen, ein Trikot haben zu wollen. Ich weiß nicht, ob damals überhaupt Trikots oder andere Souvenirs am Stadion verkauft wurden. Außerdem hätten wir für „sowas“ schlicht kein Geld übriggehabt. Das einzige Zeichen der Verbundenheit war ein Aufnäher mit FC-Bayern-Logo. Es schmückte eine hintere Tasche meiner blauen Cord-Hose und sorgte für einigen Spott („Bayern am A…!“). Kein Problem, als Bayern-Fan war man damals an Rhein und Ruhr ein Exot und Außenseiter.
Schnell um 20, 30 Jahre vorgespult, meine Entfremdung vom Bundesliga-Fußball und Generationen schlabberiger oder grässlich gelb oder grau gefärbter Trikots übersprungen, geschieht in den 00er und 10er Jahren etwas Erstaunliches. Ich freundete mich rund um das Sommermärchen 2006 wieder mit dem Sport an. Der Fußball und der FC Bayern begannen neuartige Experimente, wagten ungewöhnliche Schritte – und Uli pöbelte nicht mehr so wie früher. Mein Interesse war neu geweckt.
Eine neue Ära wird spürbar
Strategische Investitionen wie das eigene Stadion paarten sich mit schwachsinnigen (Buddhas) sowie spannenden und am Ende aber doch blauäugigen Experimenten (Klinsmann). Hinzu kamen wagemutige und visionäre Transfers, wie Robbéry, Louis van Gaal, Manuel Neuer, Javi, sowie vielversprechende Spieler aus dem eigenen Nachwuchs. Trainer wurde Jupp Heynckes, den ich 1997 in Madrid am Beginn seiner CL-Sieg-Entlassungssaison mit Real Madrid für die FAZ interviewt hatte und dem ich seitdem vertraute.
Es war spürbar, dass etwas Neues entstand und die Bayern mehr anstrebten, als einfach nur in der Bundesliga um die Meisterschaft zu spielen. Sondern dass der bayerische FCB in Europa endlich wieder eine größere Rolle spielen wollte.
Neue Medien, neue Nähe – ein Trikot muss her
Zugleich stellte die Technik eine völlig neuartige Nähe und Vertrautheit her. Kannte ich früher keine anderen lokalen Bayern-Fans, waren mit Internet, Podcasts, sozialen Medien und den aufkommenden monatlichen Twitterstammtischen wie #tpmuc in München und #tkss in Köln plötzlich echte Menschen mit ähnlichen Interessen greifbar. Sie mussten nicht mehr zufällig in der Nähe leben.
Fußball wurde Teil des Alltags. Ein Auftritt im fehlpass-Podcast hier, Kennenlernen von Berliner Bayern-Fans dank Twitter da, ein Stadionbesuch dort – meine Verbundenheit wuchs weiter, der Wunsch nach einem ersten echten eigenen Trikot kam auf. Das vom Lahmsteiger gelobte mit den dicken roten Streifen kam für mich nicht in Frage. Es gefiel, stand aber für die Finalniederlage 2010 und hatte als Plastikshirt nicht den Charme des echten, alten Leibchens von Anfang der 70er Jahre. Ich bevorzuge das Retro-Original im Rahmen der Trikotreihe der Kurt-Landauer-Stiftung.
Für die Saison 2011/12 stellten die Bayern mit den rein roten Trikots ein großartiges Design vor, über das Katrin hier geschrieben hat. Was mich aber störte, waren die goldenen Rückennummern, die in damals laufende PR- und Werbekampagne der „goldenen Generation“ passen sollten. Gold ist okay nach dem Triumph, aber nicht vorher. Es ist das Ziel, die Belohnung für große Titel. Die Anmaßung, Gold vor den großen Siegen auf die Trikots zu packen, wurde umgehend mit dem bayerischen Vize-Triple inklusive Niederlage im Finale dahoam 2012 in München bestraft. Es fehlte die Demut vor dem Naturgesetz, dass man vorher nicht weiß, wie ein Fußballspiel ausgeht und es erst vorbei ist, wenn der letzte Elfer geschossen ist.
Mit Demut zum Triple und Trikot
Die folgende Saison wurde mit einer bis heute kaum fassbaren Unbeirrtheit, Zielsicherheit und voller Harmonie gespielt, selbst die unrühmlichen Begleitumstände der Nicht-Verlängerung mit Heynckes führte nicht zu einem Einbruch.
Alles lief auf ein grandioses Finale zu, anders als im Jahr zuvor fehlte der leise Zweifel im Hinterkopf. Bis in die Details passte fügte sich alles ineinander. Am Ende sogar das Trikot. Im Mai 2013 stellte der Klub ein Trikot vor, das sofort mein Herz eroberte. Was war das Besondere? Es erinnerte mich zum einen an die Trikots ab Mitte der 70er Jahre, als die Bayern immer in roten Hosen und Trikots oder weißen Hosen und Trikots aufliefen. Zugleich hatte es mit dem V-Ausschnitt ein charmantes Detail (V wie Victory, hombres!), und mit dem Sponsor auf der Brust kann ich auch leben, nutze ich doch dessen Dienste.
Als Rückennummer kam für mich nur die Nummer 8 als Hommage an Javi Martínez infrage, mein Lieblingsspieler in den Jahren. Das Internet war für viele Fußballfans noch immer unerwünschtes Neuland, daher wollte ich ein Zeichen setzen und ließ den Twitteraccount bei der Sonderanfertigung von @subsidesports auch auf die Brust setzen. Hier die erste Aufnahme im Trikot:
(Randnotiz: Im Online-Shop der Bayern ist es acht Jahre später noch nimmer nicht möglich, ein @ zu flocken).
Inzwischen ist das Triple nicht mehr einmalig, langsam verblasst die Erinnerung an unseren Wühlbüffel Javi, aber bis heute ist das erste Triple-Trikot unerreicht. Die späteren sind mal zu wenig weiß, mal zu sehr blau, mal ist das Rot zu hell, mal zu dunkel gewesen. Mal erinnert der Kragen zu sehr an ein Bürohemd, mal fehlen die drei Streifen auf den Ärmeln. Ich gönnte mir das ein oder andere T-Shirt wie das zur 25. Meisterschaft, da es als Hommage an Thomas Müller durchgehen kann. Aber ein Mannschaftstrikot, das ich haben wollte, war nicht mehr dabei. Vielleicht wird es erst beim dritten Triple wieder anders. Ob wir es erleben werden? Ich hoffe es.
PS: Das rote Auswärts-Torwarttrikot übertrug seine magischen Siegeskräfte übrigens kurz vor der WM 2014 auf den WM-Pokal, hier das Beweisfoto.