Vincent Kompany gibt Anweisungen

Szenenanalyse: Was Vincent Kompany schon jetzt anders macht als Thomas Tuchel

Justin Trenner 04.08.2024

Testspiele eignen sich hervorragend dazu, früh in der Saison vollkommen überzogene Annahmen zu treffen, die in den folgenden Monaten keine große Rolle mehr spielen. Hier ein Talent, das eine gute Leistung zeigt und dann von der Bildfläche verschwindet, dort ein Stammspieler, der kaum zum Zug kommt und dann doch durchstartet.

Und doch ist es interessant, zu beobachten, was Trainer mit diesen Testspielen anfangen. Am Samstag spielte der FC Bayern München in Südkorea gegen Tottenham und gewann mit 2:1. Eine Frage, die derzeit noch gar nicht richtig beantwortet werden kann, ist, wie Vincent Kompany den Rekordmeister taktisch umbauen wird.

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Annahmen dazu gibt es ausreichend. Im Vergleich zu Thomas Tuchel ist wohl eine deutlich offensivere Herangehensweise zu erwarten. Höheres Pressing, mehr Spieler im letzten Drittel, direkteres Spiel in die Spitze – und der Abschied von einer „kontrollierten Offensive“, die immer zuerst die Defensive im Blick hat.

In Südkorea ließ sich zudem beobachten, dass die Bayern wieder häufiger mit Positionswechseln arbeiten. Während unter Tuchel sehr auf Positionsdisziplin geachtet wurde, um kompakt zu bleiben und dem Gegner keine Räume anzubieten, wenn man den Ball verliert, scheint Kompany den Ballvortrag wieder dynamischer gestalten zu wollen.

Gegen Tottenham hat Miasanrot beim FC Bayern vor allem auf dem rechten Flügel ein Muster beobachtet, das in der ersten Halbzeit so oder so ähnlich mehrfach durchgeführt wurde. Wir analysieren die letzte Szene vor dem Pausenpfiff.

Vincent Kompany arbeitet gegen Tottenham mit Rochaden

Die Ausgangssituation ist ein ruhiger, tiefer Spielaufbau. Der Ball läuft durch die Viererkette und Tottenham positioniert sich im Pressing so, dass Min-jae Kim nicht mehr die Option hat, den Ball ins Zentrum zu spielen. „Wenn du gegen ein Team wie Tottenham spielst, die eines der höchstpressenden Teams in England sind, die Nummer zwei nach Liverpool“, analysierte Kompany auf Nachfrage von Miasanrot zu seiner Aufstellung: „Und die den höchsten Ballbesitz nach ManCity haben. Wenn du Spiele dieser Art hast, dann hast du nicht viel Ballbesitz in der Mitte des Spielfelds.“

Und genau das zeigt sich auch in dieser Szene. Die Bayern werden nach außen gezwungen, haben aber eine gute Lösung parat. Noch bevor Kim den Ball erhält, hat sich Sacha Boey von der rechten Außenbahn in den Halbraum geschoben. Serge Gnabry wiederum bietet sich tief in einer Außenverteidigerposition an und zieht dabei seinen Gegenspieler mit. Auch Thomas Müller, der sich in Richtung Boey bewegt, und Aleksandar Pavlovic, der im Vollsprint auf die rechte Seite läuft, um auszuhelfen, antizipieren, was demnächst passieren wird.

Denn: Boey verlässt seine Position im Zentrum wieder und läuft in die offensive Position, die zuvor Gnabry besetzt hatte. Dabei zieht er den Gegenspieler von Müller weg, der den Flügel schließen muss. Müller ist jetzt also vollkommen frei, kann aber nur schwer angespielt werden, weil Gnabry mit dem Rücken zur gegnerischen Hälfte läuft. Hier kommt Pavlovic ins Spiel, der sich als dritte Anspielstation anbietet und so eine Raute mit Gnabry, Müller und Boey bildet.

Gnabry spielt Pavlovic an, der direkt auf Müller weiterleitet. Der kann aufdrehen und Bayern hat nun eine Fünf-gegen-vier-Überzahlsituation gegen Tottenhams Abwehrkette – inklusive großem Zwischenraum. Auf der linken Seite ist es sogar eine Drei-gegen-zwei-Überzahl.

Auch Müller schaltet schnell und spielt Vidovic an. Für Boey ergibt sich jetzt eine Chance, die er sofort nutzt: Denn Tottenhams Verteidiger im Halbraum rückt aus der Kette, um Müller zu pressen, kommt aber deutlich zu spät. Boey läuft also auf der Abseitslinie nach innen und ist bereit für einen Tiefenlauf, der ihn frei auf das Tor der Spurs zulaufen lassen könnte.

Erneut kommt das Spiel über den Dritten zum Einsatz: Müller spielt nämlich Gabriel Vidovic an und der muss eigentlich nur noch in die Tiefe klatschen lassen, um Boey auf die Reise zu schicken.

Der 20-Jährige ist aber nicht so handlungsschnell oder nimmt Boeys Lauf nicht wahr. Jedenfalls trifft er die falsche Entscheidung und lässt auf Joshua Kimmich klatschen, der sofort auf Guerreiro verlagert. Tottenham kann sich neu sortieren und der Schiedsrichter pfeift zur Pause.

FC Bayern: Vor- und Nachteile von Positionswechseln

In dieser Szene gibt es also gleich zwei Positionswechsel: Boey mit Müller und Boey mit Gnabry. Tottenham verteidigt die Situation nicht gut, wird aber von den Bayern durch die hohe Bewegungsfreudigkeit unter Druck gesetzt und muss Entscheidungen treffen, die außerhalb der Komfortzone sind.

Das ist der größte Vorteil von dynamischen Spielzügen. Gegenspieler können sich nur schwer darauf einstellen, welcher Spieler welche Position besetzt und sie müssen ständig übergeben, sich entscheiden, ob sie herausrücken oder nicht. Das erhöht das Risiko für Fehler. In diesem Fall kommt bei den Bayern noch ein weiteres Prinzip zum Einsatz: Die berühmten gegenläufigen Bewegungen.

Ein Spieler lässt sich fallen, ein weiterer nutzt den Raum, der sich dahinter ergibt, wenn der Gegenspieler mitgezogen wird. So nutzt Boey erst den Raum auf dem Flügel, den Gnabry freizieht, um dann den Raum zu belaufen, den Müller freiläuft.

Nachteile gibt es natürlich auch. Dass Tuchel etwas statischer agieren lässt, hat Gründe. Wichtig: Auch unter Tuchel gab es dynamische Elemente. Kein Trainer der Welt wird mit 100 Prozent Dynamik oder 100 Prozent Statik zum Erfolg kommen. Aber Tuchel ist ein Trainer, der die Regler mehr Richtung Statik schiebt. Spielt man sehr dynamisch, gibt es ein sehr hohes Risiko bei Ballverlusten.

Am konkreten Beispiel erklärt: Wird der Ball hergegeben, wäre Gnabry plötzlich Rechtsverteidiger und Boey halbrechter Achter. Keine dramatische Situation, aber bei einer größeren Rochade könnte es dazu kommen, dass noch mehr Spieler auf Positionen verteidigen müssen, die sie nicht so gut kennen. Auch die Abstände zueinander sind schwerer einzuhalten, wenn man die Positionen überspitzt formuliert ständig wechselt.

FC Bayern: Wohin geht die Reise unter Vincent Kompany?

Noch lässt sich nicht absehen, wie dynamisch das Spiel unter Kompany wird. Schon jetzt wird aber deutlich, dass die Regler wieder in Richtung Dynamik verschoben werden. Das könnte Spielern zu Gute kommen, die im taktischen Gerüst von Tuchel und der damit verbundenen Statik nicht immer ihre Stärken zeigen konnten – beispielsweise Mathys Tel, der in der Rückrunde große Probleme bekam.

Allgemein könnten die Offensivspieler davon profitieren, wenn es mehr gegenläufige Bewegungen gibt und Räume wieder aktiver aufgezogen werden. Gleichwohl sind unter Tuchel nicht gerade wenig Bayern-Tore gefallen.

Die Frage wird also auch sein, wie stabil die Defensive sein wird. Eine erste Annahme dazu lässt sich aber noch nicht formulieren – auch keine überzogene.



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