Spieler der Saison 2019/20: Robert Lewandowski

Maurice Trenner 31.08.2020

In der redaktionsinternen Abstimmung zum Spieler der Saison setzte sich Robert Lewandowski mit zehn Stimmen gegen die weiteren Nominierten durch. Die Abstimmung fand dabei noch vor dem Champions-League-Finalturnier statt.

55 – Rekordjäger Lewandowski

Wenn es um die aktuelle Saison von Robert Lewandowski geht, kann man an den nackten Zahlen kaum vorbeikommen. 34 Bundesliga-Tore sind nicht nur die persönliche Bestleistung des Polen, sondern auch die beste Marke in der Bundesliga seit Dieter Müller 1976/77. Da vor den beiden nur noch der große Gerd Müller liegt, kann Lewandowski mit Stolz von sich sagen, der erfolgreichste Torschütze einer Bundesliga-Saison zu sein, der nicht Müller heißt. Den Titel des besten ausländischen Torjägers nahm er seinem Nachfolger beim BVB, Pierre-Emerick Aubameyang, ab (31, 2016/17). In der heimischen Liga traf Lewandowski, der drei Spiele verletzt verpasste, im Schnitt alle 81 Minuten bzw. 1,1 Mal pro Spiel. Bei beiden Werten wird er nur vom Bomber übertroffen. 

Quellen: (Foto: Stuart Franklin/Getty Images) ; (Foto: KAI PFAFFENBACH/POOL/AFP via Getty Images)

Es liegt darüber hinaus nur an einer offensichtlichen Schwachstelle der Berechnung, dass Lewandowski den Titel des besten Torschützen Europas dennoch nicht gewinnen durfte. Der goldene Schuh ging an Ciro Immobile, der für Lazio Rom 36 Treffer erzielte – allerdings in Italien aufgrund der 20er-Liga 38 Spiele dafür Zeit hatte und zudem 14 Elfmetertore benötigte. 

Doch damit nicht genug: Im DFB-Pokal traf Lewandowski sechsmal in fünf Partien, dabei gleich doppelt im Finale. Nur in der zweiten Runde gegen Bochum ging er leer aus, im Viertelfinale gegen Schalke fehlte er verletzt. 

Die Krone setzte sich Lewandowski allerdings in der Champions League auf. In der durch die Corona-Pause auf zehn Spiele reduzierten Saison traf er fünfzehn Mal (!). Die beste Torausbeute eines Stürmers in der Geschichte des Wettbewerbs, der nicht Cristiano Ronaldo heißt. Den All-Time-Rekord des Portugiesen von 17 Treffern verpasste er nur knapp. Bis auf das Finalspiel traf er zudem in jeder Partie. Die neun aufeinanderfolgenden Spiele mit Toren sind dabei die zweitlängste Serie hinter CR7 (gleichauf mit van Nistelrooy). Außerdem stellte er den Europapokalrekord von Jürgen Klinsmann für einen Spieler aus der Bundesliga ein. Der Schwabe hatte 1996 im UEFA-Cup für die Münchner ebenfalls 15 Tore erzielt. Zu guter Letzt stellten Lewandowski und Gnabry den Rekord von Bale und Ronaldo mit 23 Treffern als erfolgreichstes Duo ein.

In Summe macht das 55 Tore für den Polen, der damit seinen persönlichen Rekord von 43 Treffern aus der Saison 2016/17 pulverisierte. Und nun das Unglaubliche: Gerd Müller kam in seiner erfolgreichsten Saison 1972/73 ebenfalls auf 55 Tore. Eine Anmerkung ist dann allerdings doch nötig: Der Bomber erzielte in diesem Jahr in sonstigen Wettbewerben 12 weitere Tore, weshalb sein Rekord von offiziell 67 Treffern in einer Saison bis 2012 Bestand hatte, bis Lionel Messi ihn übertraf. Für Lewandowski war es die fünfte Saison in Folge mit mehr als 40 Pflichtspieltreffern, das schafften im 21. Jahrhundert nur Messi und Ronaldo, bei den Bayern bisher sowieso nur Gerd Müller (1969-1974). 

Er ist nach Roy Makaay 2004/05 zudem der erste Bayern-Spieler, der europaweit die meisten Pflichtspieltore in einer Saison erzielte. Dem Holländer reichten damals übrigens 34 Treffer. Er ist zudem der erste Spieler der in der nationalen Liga, im nationalen Pokal und in der Champions League Torschütze wurde und gleichzeitig jeden dieser Wettbewerbe gewann.

Seit 1990 haben es bisher sechs Spieler geschafft, mehr als 50 Tore in einer Saison zu erzielen. Die beiden Außerirdischen CR7 und Messi jeweils mehrfach, wobei beide die 55 Tore von Lewandowski dreimal überboten. Außer dem Polen waren es: Suárez (58 Tore in 52 Spielen; 15/16), Ibrahimović (50 Tore in 51 Spielen; 15/16) und Eto’o (50 Tore in 74 Spielen; 10/11). Und nochmal: Lewandowski (55 Tore in 47 Spielen; 2019/20). Das schafften kein Ronaldo Fenomeno, kein Ràul, kein van Nistelrooy.

Der Spieler hinter den Zahlen

Die Zahlen mögen die Leserinnen und Leser erdrücken und doch sind sie zwingend erforderlich, um die Außergewöhnlichkeit dessen auszudrücken, was wir als Fans in der abgelaufenen Saison erlebt haben. Was sie nicht beschreiben können, ist der Spieler Lewandowski. Viel wurde schon geschrieben über den Polen, der als vermeintlicher Einzelkämpfer zu seiner Durchreisestation Bayern München kam und nun sechs Jahre später all das erreichte, weshalb er 2014 an die Isar wechselte: Der Henkelpott, das Triple und vielleicht sogar doch noch den Ballon d’Or?

Über die Jahre haben wir eine einmalige Entwicklung erlebt, die auf diesem Niveau ihres Gleichen sucht. Lewandowski kam als Zielspieler, der seinen Platz im Kunstwerk der Passmaschine FC Bayern unter Guardiola erst finden musste. Immer wieder musste der Pole auf Anweisung aus dem Zentrum rücken, um die Zone 14 freizumachen. Dabei wollte er doch im Zentrum lauern und die Vorlagen der Mitspieler nutzen.

Voll in München und im Team angekommen: Unsere Nummer Neun.
(Foto: Rafael Marchante/Pool via Getty Images)

In der zweiten Saison lernte er von Guardiola und der Katalane von ihm. Lewandowski war nun besser eingebunden. Gegen Wolfsburg gelangen ihm fünf Tore in neun Minuten. Doch zum großen Wurf sollte es nicht reichen. Jahrelang eilte ihm der Ruf nach, in großen Spielen abzutauchen. Die Erinnerungen an seinen Viererpack 2012 gegen Real waren verblasst und wurden durch unglückliche Aktionen im Halbfinale 2015 gegen Barcelona ersetzt. Was dabei nur allzu oft vergessen wird: Der Pole ging angeschlagen in die Partie und spielte trotz eines Oberkieferbruchs.

Doch trotz der besseren Einbindung fremdelten viele Bayern-Fans weiterhin mit ihrem Stürmer. Vor allem ein fehlendes Bekenntnis zum Verein ließ die Beziehung frösteln. Seine oft gegenüber Mitspielern vorwurfsvolle Gestik auf dem Platz tat ihr Übriges. 

Ein Wendepunkt war dann sicherlich die Vertragsverlängerung bis 2021 im Winter 2016. Ab diesem Zeitpunkt wirkte Lewandowski, der schon von Tag Eins an ein Vorbild in Sachen Ehrgeiz und Einsatz gewesen war, noch fokussierter und noch besessener. Statt Abwinken gab es nun für Mitspieler immer öfter aufmunternden Applaus oder Zuspruch. Zudem ging sein Blick jetzt häufiger zum besser positionierten Mitspieler, statt einen Abschluss aus allen Lagen zu erzwingen. In der Saison 2018/19 legte er seinen Sturmpartnern zehn Tore auf. Auch in dieser Saison schenkte er Coutinho einen Elfmeter, obwohl er zu diesem Zeitpunkt selbst auf Rekordjagd war.

Komplettester Stürmer der Welt

Was Robert Lewandowski auszeichnet, ist, dass er wohl einer der komplettesten Stürmer der Welt und der Geschichte ist. An dieser Stelle geht es mir um traditionelle Neuner, weniger um die flinken Dribbler, die immer mal wieder im Sturmzentrum eingesetzt werden. Und in den für einen Neuner wichtigen Kategorien gibt es einfach keinen Bereich in seinem Spiel, der merklich abfällt.

Da wäre zuerst sein Abschluss, der aus allen Lagen brandgefährlich ist. Kommt der Pole im Sechzehnmeterraum an den Ball, hat die Defensive meist verloren. Neun Treffer erzielte er mit dem ersten Kontakt, sieben weitere mit dem zweiten. Er hat ein überragendes Raumgefühl, weiß wo er sich aufhalten muss, wie er den Ball annehmen muss und wo das Tor steht. Spätestens seitdem er sich als gelegentlicher Freistoß-Spezialist hervortut, ist auch sein Abschluss außerhalb des Strafraums nicht zu vernachlässigen. Zwar trifft er bevorzugt mit rechts, doch auch sein linker Fuß ist gefährlich. 

Sein Kopfballspiel ist spätestens seit letzter Saison auf einem speziellen Level. Es ist teilweise absurd, aus welchen Lagen Lewandowski noch Druck hinter den Ball bekommt. Dabei profitiert er ungemein von seiner beeindruckenden Physis, die ihm erlaubt, gefühlte Minuten in der Luft zu stehen.

Seit er bei den Bayern Elfmeterschütze ist, schläft jeder Bayern-Fan ruhiger. 35 seiner 38 Strafstöße für den Rekordmeister hat er verwandelt. Sein ganz eigener Stil mit eingesprungenem Startschritt und leichter Verzögerung lässt den meisten Torhütern keine Chance. Tatsächlich ist Manuel Neuer der einzige Bundesliga-Keeper, der je einen Elfmeter von Lewandowski parieren konnte.

Eine weitere unterschätzte Stärke der Nummer Neun ist das Festmachen von langen Bällen. Gerade im direkten Spielansatz von Hansi Flick, der viel mit langen Bällen operiert, ist Lewandowski Gold wert. Gegen seinen massigen Körper, den er zudem noch extrem geschickt einzusetzen weiß, stehen viele Verteidiger auf verlorenem Posten. Durch seinen starken ersten Kontakt schafft er es, nur wenige Bälle zu verlieren.

Elfmeter in Perfektion: Eine der vielen Stärken von Robert Lewandowski
(Foto: KAI PFAFFENBACH/POOL/AFP via Getty Images)

Die Physis und der erste Kontakt helfen ihm auch im Sechzehnmeterraum beim Abschluss. Er verfügt dabei über eine weltweit fast einmalige Fähigkeit, einen zu ihm gespielten Ball – selbst aus ungünstigsten Lagen – in Sekundenbruchteilen mit einer einzigen durchgängigen, flüssigen Bewegung übergangslos zu verarbeiten und aufs Tor abzugeben. Seine Geschmeidigkeit lassen diese komplexen Bewegungsablauf aus Annahme, Drehung und Ball auf den starken Fuß legen so leicht wirken, während unsereins – und so mancher Verteidiger – nur ein Knoten in den Füßen bleibt. 

Besonders gut klappt das Zusammenspiel mit Thomas Müller, der durch seine Läufe immer wieder Räume für seinen Stürmerkollegen öffnet. Doch Lewandowski kann auch den schnellen Doppelpass auf engem Raum spielen.

In dieser Saison war eine zusätzliche Waffe das Rausrücken auf den Flügel, das Lewandowski bereits unter Guardiola immer wieder praktizierte. Im Gegensatz zu damals wirkt er aber heute weniger widerwillig. Durch sein Verschwinden aus dem Strafraum reißt er Lücken in die Defensive, die er dann durch schnelle Läufe in den Sechzehner perfekt ausnutzen kann. Hierbei profitiert er einmal mehr von einem hervorragenden Stellungsspiel, das ihm erlaubt, im Rücken der Gegner den Weg zum Ball zu finden. Oft scheint er zu wissen, wo ein Ball endet, bevor dieser überhaupt gespielt wurde.

Und dennoch bleibt dieses kleine bisschen mehr, das man vor dem Fernseher Lewandowski immer wieder zutraut. Scheinbar einfachste Bälle scheint er teilweise nicht zu verwandeln. Ein Blick auf die Statistik expected Goals hilft. Seine 31,2 xG diese Saison wusste er um mehr als zwei Tore zu übertreffen. Allerdings liegt der Wert vergleichbar mit seinen sonstigen Saisons bei den Bayern. Ausgerechnet in der Saison 2018/19 als er mit 22 Treffern in der Liga “schwächelte”, hatte er Chancen für 33,1 Tore. Insgesamt konnte er in sechs Jahren für die Münchner drei Mal seine xG schlagen, während er auch drei Mal hinter der Erwartung zurückblieb. Alles in allem scheint der Eindruck vor dem Fernseher also zu täuschen, oder Lewandowski liebt es einfach aus schwierigen Abschlüssen Tore zu erzielen. 

Eine Kaltschnäuzigkeit wie Roy Makaay, eine Agilität wie Giovanne Elber, eine Physis wie Mario Mandžukić und ein Sinn für Abstauber wie Luca Toni – Robert Lewandowski hat alles. Spätestens nach dieser Saison gehört er auf den Mount Rushmore der großen Bayern-Stürmer. 

Was andere über ihn sagen

Die außergewöhnliche Saison des Polen wurde bereits an vielen Stellen gewürdigt, so wurde er von Fußball-Historiker Lukas Tank zu seinem Spieler der Saison gewählt –als erster nicht Barça-Spieler. Daher hier eine Sammlung von Links zu Artikeln über Lewandowski.

Team of the Season 2019/20 | Football Arguments | Lukas Tank

Robert Lewandowski hätte den Ballon d’Or verdient | Web.de | Steffen Meyer

Bundesliga: Torschützenkönig Robert Lewandowski: Der Perfektionist | DER SPIEGEL | Tobias Escher

Robert Lewandowski 2019/20 – scout report | Total Football Analysis

Robert Lewandowski is still the best | Statsbomb