Roundtable: 5 Fragen zum Topspiel gegen Dortmund

Jan Trenner 02.10.2015

Unsere beiden Autoren Tobi und Steffen werden von den Journalisten Stephan Uersfeld, (ESPN FC und »Dembowski ermittelt«) und Marcus Bark (u.a. Sportschau) unterstützt. Wir freuen uns auf Eure Diskussionen im Kommentarbereich.

Roundtable zum Topspiel gegen Dortmund

1. Wie hat sich der BVB in den vergangenen Wochen unter Thomas Tuchel verändert?

Stephan: Der BVB ist kühler geworden. Kalkulierter. Ruhiger. Abgeklärter. Suchen Sie sich etwas aus. Nach der Eingewöhnungsphase hat Tuchel potentielle Unruheherde wie Kevin Großkreutz oder auch den durchaus beliebten Kuba abgeschoben. Das passierte in einer Phase des sportlichen Erfolgs, und konnte auch nur dort passieren.

Jetzt hat der BVB etliche stromlinienförmige Spieler im Kader – und Großkreutz sorgt sich nur noch in der Ferne. Die neue Generation kann natürlich aus sportlicher Sicht bislang überzeugen. Trotz der beiden Unentschieden neulich. Das darf man sich als „Herausforderer“ erlauben. Klar, die 11 Siege in Folge haben die Erwartungshaltung an die Mannschaft in die Höhe schnellen lassen, jedoch hat der BVB nun bereits auch 13 Pflichtspiele gespielt und ist nach der Phase der Euphorie ein wenig in der Realität angekommen. Auf dem Platz zeigt sich, dass die Borussen jetzt ein wenig mehr mit dem Ball anfangen können und weniger panisch einfach nur lang auf einen Zielmann in der Sturmmitte spielen, sondern die Angriffe durch die hochstehenden Außenverteidiger variabler vortragen können.

Der klassische Spielzug: Ein Mittelfeldspieler spielt den Ball von außerhalb des Strafraums tief in Richtung Grundlinie, dort steht meist der in der Offensive erstaunliche Ginter und legt in die Mitte ab. Sieht schön aus. War sogar erfolgreich. Der BVB ist geduldiger geworden, bricht Angriffe ab, spielt noch einmal zurück. Wartet auf die Lücken. Im Mittelfeld erstaunt Weigl und sogar Hummels will nicht mehr nur lang und hoch eröffnen, spielt jetzt gezieltere Pässe. Stark. Und natürlich, das darf man nicht vergessen, wie fit sie auf einmal wirken. Diese Ernährungsumstellung, der sportliche Erfolg. Vom Kloppschen Vollgasfußball zum Tuchelschen Herausforderprinzip, das alles ein wenig in Frage gestellt hat.

Tobi: Ich würde es so ausdrücken, dass der BVB innerhalb des Spiels dominanter geworden ist. Nach dem sagenhaften Aufstieg mit dem teilweise wilden, Chaos suchenden Klopp-System musste man sich nach und nach der wachsenden Favoritenrolle anpassen. Wenn man als europäische Topmannschaft wahrgenommen wird, dann braucht man im Alltag die spielsichere Variante, denn irgendwann mauern die Gegner halt nur noch. Diese Entwicklung hatte ich erwartet und unter Klopp immer mehr vermisst.

Die Verpflichtung von Tuchel war dabei ein riesiger Glücksgriff für den Verein. Während ein Favre wohl eher das bestehende System angepasst hätte, gab es nun dank Tuchel einen echten Umbruch. Der Schritt hin zum aktiv gestaltenden und dominierenden Ballbesitzspiel ist dabei symbolisch für eine dringend benötigte Änderung der gesamten Mentalität.

Klopps Art hatte vielleicht sogar noch mehr zu diesem Vereinsbild als frecher Herausforderer beigetragen als die Spielweise. Doch wohin führt so eine Mentalität, wenn man schon oben war? Der BVB konnte die Bayern ärgern und dennoch verlor man 2013 die größte Schlacht. Die Niederlage im Pokalfinale 2014 war dann wohl der Genickbruch. Jahrelang konnte man sich im Kampf gegen den FCB nach oben pushen, doch nach diesen Niederlagen musste die Luft aus dieser Mentalität raus sein. Der Tuchel-BVB scheint mir weniger auf diesen Kampf gegen Goliath fixiert zu sein, was schon das System zeigt. Man macht sein Spiel, wird natürlich versuchen die Bayern zu besiegen, aber das ist nicht das große Ziel. Erfolge sollen aus der eigenen Spielstärke resultieren. Langfristig ist das meiner Meinung nach sowohl statistisch als auch mental die bessere Variante.

Das System selbst scheint bisher stark auf den linken Halbraum fixiert zu sein. Dort überlädt man, um die Ballqualitäten von Mkhitaryan, Kagawa und Gündogan in engen Räumen optimal auszunutzen. Der rechte Flügel bleibt so im Normalfall vom Gegner ungedeckt, was insbesondere der Rechtsverteidiger ausnutzen soll. Ginter scheint sich in dieser Rolle wohlzufühlen, ob er auf der Position außerhalb dieses Systems eine Zukunft hat, bleibt abzuwarten.

Ich bin mir aber sicher, dass Tuchel bereits an anderen Systemen arbeitet, denn das aktuelle ist doch stark von individueller Klasse und schlechter Anpassung der Gegner abhängig. Irgendwann wird es geknackt und dann muss die nächste Variante schon sitzen.

Steffen: Das stimmt. Die Spielanlage des BVB ist insgesamt reifer geworden. Es ist durchaus beeindruckend wie schnell es Thomas Tuchel gelungen ist, zuvor fehlende Automatismen im Ballbesitz-Spiel auch gegen tiefstehende Gegner zu verankern. Es gibt die wiederkehrenden Muster mit Halbraumüberlagerungen, dem Herauskippen von Gündogan, Isolationen auf den Flügeln, Hebern in den Rücken der gegnerischen Defensive um nur einige zu nennen. Das war nach dem fußballerischen Burnout unter Klopp erfrischend mit anzusehen – zumal der FC Bayern den Dortmunder Pressing-Fußball zuletzt ziemlich entschlüsselt hatte und den Großteil der direkten Duelle dominierte. Tuchel ist es bisher gut gelungen die individuelle Qualität der Dortmunder durch eine kollektive Struktur zu unterstützen.

Nicht ganz erklären kann ich mir bisher die weiter vorhandenen Schwächen in der Defensive. Wer zwei Tore gegen Hannover und Darmstadt oder fünf Tore gegen Odds BK kassiert, hat hier ein Problem, das nicht ausschließlich mit individuellen Fehlern zu erklären ist. Ich bin sehr gespannt, wie Tuchel das gegen Bayerns zuletzt überragende Offensive lösen will.

Marcus: Es ist ja schon hinlänglich erläutert und von meinen Mitstreitern hier beschrieben worden, dass der BVB jetzt mehr über den Ballbesitz kommt, die Außenverteidiger noch höher stehen, die Verlagerungen (meistens auf die rechte Seite mit Ginter) geduldig vorbereitet werden. Deshalb von mir ein Aspekt, den ich für weitaus wichtiger halte als taktische Änderungen. Tuchel hat es geschafft, Spieler wie Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan wieder auf ihr Toplevel zu bringen. Auch körperlich machen viele Spieler wieder einen deutlich besseren Eindruck als in der vergangenen Saison.

2. Wird der BVB versuchen das neu entdeckte Ballbesitzspiel gegen den FCB umzusetzen oder gibt es eine Rückkehr zu Gegenpressing und Umschaltfußball?

Marcus: Ich gehe stark davon aus, dass er gezwungenermaßen mehr auf Umschaltfußball setzen muss. Die Bayern werden, Normalform vorausgesetzt, die Partie dominieren und dank ihres Positionsspiels und der Ball- und Passsicherheit mehr Aktionen am Ball haben. Der BVB dürfte mit variablem Spiel gegen den Ball antworten, also mal hoch und aggressiv pressen, mal zwei tiefe Viererketten formieren.

Tobi: Das klassische Duell Ballbesitz gegen Konter gab es ja schon in den letzten Jahren nicht immer. Bayern wird Dortmund ähnlicher und Dortmund wird Bayern ähnlicher. Dennoch gehe ich davon aus, dass die Ballbesitzquote an den FCB geht. Die defensiv ausgerichteten Auftritte der Bayern gab es eigentlich nur bei Personalmangel und dank starker Kaderplanung besteht der gerade kaum. Dortmund wird wohl einige Phasen des Ballbesitzspiels aufweisen können, aber auch schnell merken, dass man dem Gegner aus der Deckung heraus effektiver und sicherer wehtun kann.

Zudem kann es sich Tuchel kaum leisten, eine der großen Schwächen der Bayern zu ignorieren: Die mangelnde Pressingresistenz des Xabi Alonso. Ein Aubameyang wartet doch jetzt schon auf eventuelle Ballverluste im Mittelfeld. Ebenso auf der Gegenseite ein eventuelles Umschaltduell zwischen Ginter und Costa. Dortmund wird Risiken minimieren, da ein Unentschieden in München ein Erfolg ist. Bayern wird Risiken minimieren, da ein Unentschieden für die Tabelle ein akzeptables Ergebnis ist. In dieser Partie muss keine Mannschaft gewinnen.

Am Ende dürfte sich der BVB bei 40-45% Ballbesitz einfinden in einem Spiel, das hohe offensive Flexibilität beinhaltet. Von beiden Mannschaften.

Steffen: Tuchels Ziel ist es ja ohnehin beide Stile miteinander zu verbinden und so insgesamt variabler, aber auch effizienter zu werden. Ich würde momentan eigentlich keinem Gegner des FC Bayern raten ein hohes Pressing zu spielen, weil Bayern hierfür zuletzt glänzende Lösungen gefunden hat. Zum Beispiel mit den präzisen Diagonalbällen von Alonso und Boateng auf Douglas Costa. Das ist extrem schwer zu verteidigen, wenn man gleichzeitig versucht eins gegen eins Situationen auf dem Flügel zu verhindern. Ich gehe aber wie Tobi davon aus, dass Tuchel versuchen wird Alonso und Vidal zu attackieren. Beide haben Probleme im Spielaufbau wenn sie unter hohem Druck stehen. Gleichzeitig werden Dortmunds Ballbesitzphasen länger sein als in den meisten Duellen unter Klopp. Es gibt keine Notwendigkeit mehr das Mittelfeld jedes Mal zu überbrücken, wie in weiten Teilen der Klopp-Ära. Dortmund wird Bayern mit Gündogan, Weigl und Mkhitaryan auch spielerisch herausfordern.

Ich glaube aber, dass genau aus diesem Grund die Ballbesitzwerte der Münchner im Vergleich zu den Duellen des Vorjahres eher wieder steigen werden. Guardiola forderte Dortmund im Pokalfinale 2014 oder im Auswärtsspiel in der Liga 2015 ja durchaus heraus ein wenig mehr für das Spiel zu tun, weil er wusste, dass es Dortmund so schwer fallen wird Tore zu erzielen. Der Respekt ist in diesem Jahr wieder größer. Deshalb wird es Bayern um Ball- und Spielkontrolle gehen.

Stephan Bayern hat in dieser Saison auch nicht jeden Gegner einfach hergespielt, sondern in der Zentrale des Spiels auch immer mal wieder eher mit langen vertikalen Verlagerungen auf die Flügel agiert. Dann über Boateng, oder den tiefen Alonso, der doch immer ein Schlüssel für den Gegner ist. Passwege zustellen, anlaufen, seine Geschwindigskeitdefizite in eine frühe Verwarnung umwandeln. Das ist keine Raketentechnik, das haben Trainer vor Tuchel probiert, und das wird Tuchel sicher auch so fordern. Interessant wird die Rolle von Gündogan, der defensiv ein wenig mehr gefordert sein wird und sich nach Ballverlusten schneller nach hinten orientieren muss.

Als groben Richtwert für den Ballbesitz in der ersten Halbzeit dürfen wir von ziemlich exakt 57.3% ausgehen. Natürlich für die Bayern, die das Spiel trotz der langen und manchmal arg einfallslosen Bälle auf die Flügel auch aus der Mitte heraus kontrollieren wollen.

Tuchel schonte gegen PAOK seine Schlüsselspieler, um zumindest den Nachteil der Mehrbelastung durch die — im desaströsen Pokalfinale selbstverschuldeten — Europa-League-Qualifikationsspiele ein wenig zu reduzieren. Die Müdigkeit, die Reisestrapazen ziehen als Argument somit nicht mehr. aber es ist ohnehin so, um auf die eigentliche Frage zurückzukommen, dass die Tuchel-Borussia im Prinzip ja nicht nur über den Ballbesitz funktioniert, sondern das schnelle Umschaltspiel, wenn es überhaupt einmal möglich war, ein Bestandteil des Spiels ist, wie der wunderbare Treffer gegen Gladbach eindrucksvoll gezeigt hat. Oder eben Gegenpressing wie es gegen Leverkusen hin und wieder zu sehen war. Ich erwarte, bis das Spiel dann um die 65. Minute entschieden sein wird, einen bunten Stilmix der Dortmunder, der in den Ruhephasen der Bayern auch auf Ballbesitz basieren wird.

3. Pierre-Emerick Aubameyang ist herausragend in die Saison gestartet. Was macht seine Rolle unter Thomas Tuchel aus?

Marcus: Da muss ich zunächst mal an die Antwort auf die erste Frage verweisen. Die enormen Leistungssteigerungen bei seinen Zulieferern (mit Ausnahme Marco Reus, der aktuell in einer Delle steckt) erleichtern Aubameyang die Arbeit. Wichtig bei ihm ist, dass er im Abschluss nervenstärker geworden ist. Auch schwächere Phasen (wie die erste Halbzeit gegen Darmstadt) lassen ihn nicht nervös werden. Sein Tempo ist logischerweise ein Vorteil, um den entscheidenden Schritt vor dem Innenverteidiger zu sein. Aubameyang hält in dieser Saison mehr die Position im Zentrum und weicht weniger auf die Flügel aus, was seine Präsenz in der gefährlichen Zone erhöht. Auch das zum Vorteil des BVB.

Stephan: Aubameyang hat sämtliche Freiheiten, sagt Zorc. Dann stimmt das wohl. Trifft recht regelmäßig, hat immer noch einen explosiven Antritt, aber neuerdings auch das geschulte Auge eines Stürmers. Er bringt sich in torgefährliche Situation, ist kopfballstark, und technisch beschlagen. Natürlich passt es ihm auch ins Konzept, dass die Borussia unter Tuchel wieder über die Flügel stattfindet. Seine schnellen, kurzen Antritte bringen ihn dann in torgefährliche Positionen.

Aber, Hand aufs Herz, drei seiner 9 Tore erzielte er vom Elfmeterpunkt. Und in der Rückrunde war er die Lebenslinie des Vereins. Ohne seine Tore keine Europa-League-Reisen nach Baku. Mal sehen, wie lange wir ihn noch ganz vorne sehen werden, oder ob das Januzaj-Experiment jetzt häufiger auf den Platz gebracht wird. Wenn beide zusammen auf dem Platz standen, ging Aubameyang meist auf den rechten Flügel. Sicher auch, da er in der Rückwärtsbewegung ein wenig erfahrener ist. Aber Sonntag sehen wir in natürlich in vorderster Front im besten Torjägerduell aller Zeiten!

Tobi: Für den Stammtisch ist Aubameyang ja eigentlich keine klassische Neun. Ob Flügelspieler oder hängende Spitze im britischen 4-4-2, eine solche Geschwindigkeit scheint auf den ersten Blick ganz vorne etwas verschwendet.

Nur hat Aubameyang schon in Saint-Etienne als Stürmer in einem 4-2-3-1 bzw. 4-3-3 funktioniert und erzielte in seiner letzten Saison 0,9 Scorerpunkte pro 90 Minuten. Auch wenn das “nur” die Ligue 1 war und das System doch eher auf Konter ausgelegt, so zeigt eine solche Zahl, dass er auch vor dem Tor zu gebrauchen ist. Auch wenn er so manche Großchance liegen lässt… Mal davon abgesehen, dass er kein Odonkor ist, der sich nur über das Tempo definiert – ein solcher Antritt bietet auch im Strafraum riesige Vorteile. Dortmund erzielt (zumindest gefühlt) viele Tore nach Querpässen innerhalb des Strafraums. Wenn da ein explosiver Stürmer in Richtung Tor zieht, bewegen sich die Verteidiger meist mit und lassen den Hintermann am Elfmeterpunkt ungedeckt. Oder sie kommen erst gar nicht hinterher. So oder so eine sehr gute Torchance, die für den Torwart als Direktabnahme schwer zu stoppen ist. Genau diese Situationen gab es auch bei den Bayern häufiger, als Mario Gomez stürmte, der ja auch diesen Explosivantritt beherrscht. Mit Auge und gutem Timing ist ein schneller Stürmer im Strafraum ein gefährlicher Stürmer. Und in Umschaltsituationen ja sowieso.

Eine interessante Alternative könnte es sein, dass Aubameyang auf dem rechten Flügel den isolierten Spieler gibt, der die freien Räume mit Sprints hinter die gegnerische Abwehr nutzen könnte. Dafür kommt das Spiel gegen Bayern aber definitiv zu früh.

Steffen: Ihr habt die wichtigsten Punkte angesprochen. Aubameyang ist nach seinen Anlaufschwierigkeiten im ersten Jahr (indem er ja auch schon 17 Scorer-Punkte sammelte) als Spieler etwas unterschätzt worden. Seine Variabilität ist für Tuchel Gold wert. Er kann innerhalb eines Spiels je nach Bedarf die Positionen wechseln und auch auf den Flügel rücken. Ich halte ihn nicht für einen herausragenden Abschlusstürmer, aber er passt mit seinem Stil und seiner Explosivität im Moment sehr gut rein.

Bayern hatte in den vergangenen Duellen durchaus ein paar Probleme mit ihm. Ich erinnere an das “Laufduell” mit Xabi Alonso vor dem 0:1 durch Reus im Hinspiel der Bundesliga-Saison 2014/2015. Insgesamt mache ich mir aus Bayern-Sicht aber weniger Sorgen um Aubameyang, als um Reus, Mkhitaryan und Gündogan. Sie machen letztendlich den Unterschied aus für den BVB.

4. Wie kann Bayern dem BVB am Sonntag weh tun?

Stephan: Obwohl der BVB eine super, super, super Mannschaft hat und Thomas Tuchel einer der besten Trainer der Welt ist, der auch von Pep Guardiola sehr geschätzt wird, hat das Dortmunder System natürlich seine Schwächen.

Die hochstehenden Außenverteidiger laden den Gegner immer wieder zu Flügelangriffen ein. Schmelzer ist aufgerückt, der jetzt hinter ihm positionierte Weigl wird umspielt und eilt zurück. Gemeinsam mit Schmelzer jagen sie den Stürmer, Hummels rückt raus, Sokratis steht in der Mitte und Ginter versucht die Lücken zu schließen, während Gündogan eilt und eilt. Aber das eben auch manchmal recht gemächlich. Das läuft dann manchmal blöd. Die Ballverluste im Spielaufbau wurden zwar durch die Passschulung ein wenig reduziert, doch hin und wieder hat Hummels, über den immer noch ein Großteil des Aufbauspiels läuft — kein Wunder bei den doch eher im Zerstören liegenden Qualitäten seines Partners Sokratis – den Schlendrian drin und versucht die zugestellten Passwege mit einem besonders gelungen Ball zu umgehen. Das kann ein Ball direkt auf den zugestellten Mitspieler sein, oder auch einer direkt in die Füße des wartenden Gegenspielers.

Bei Standardsituationen segelt Bürki gerne auch am Ball vorbei, oder streift ihn mit seiner Faust. Der Weidenfeller-Nachfolger hat ebenfalls ein paar Schwächen bei Distanzschüssen offenbart, die er hin und wieder recht unorthodox abwehrt.

Marcus: Matthias Ginter hat in den vergangenen Wochen starke Leistungen gezeigt, vor allem aber in der Offensive. Daher bin ich sehr gespannt auf die Herausforderung, Douglas Costa zu stellen (es sei denn, Guardiola kommt wieder auf irgendwelche, für mich wären es schräge Ideen). Die taktikimmanenten Probleme, dass er aus seiner hohen Stellung zu spät zurück ist, können ihm nicht angekreidet werden. Aber auch im Zweikampf offenbarte er (siehe Hannovers Tor zum 2:2) Probleme. Für mich sind die Außenverteidiger des BVB der wahrscheinliche Ansatzpunkt der Bayern. Das noch größere Problem für die Dortmunder ist aber: Der FC Bayern hat eine in allen Belangen so starke Mannschaft, dass er über ein gesamtes Spiel zu einigen Chancen kommen wird.

Tobi: Aus Bayern-Sicht müssen Costa und Thiago einen guten Tag erwischen, denn nur so kann Bayern sowohl von außen als auch zentral Gefahr ausstrahlen. Wenn Douglas Costa einem Ginter Kopfschmerzen bereiten kann und Thiago in der Zentrale große Präsenz ausstrahlt, kann die defensiv noch nicht optimale Dortmunder Mannschaft nur schwer beide Gefahren verteidigen. Anders formuliert: Bayern darf es Dortmund gar nicht erst erlauben, dass Costa gedoppelt wird.
Bei Dortmunder Ballbesitz ist, wie bereits erwähnt, der Halbraum wichtig. Hier würde ich auf Vidal im Zerstörermodus setzen, doch ein Einsatz scheint weiter fraglich. Zieht man stattdessen Philipp Lahm in die Mitte? Oder geht man großes Risiko mit Alonso auf Halbrechts? Ohne Frage überzeugte er bisher, aber der BVB ist ein anderes Kaliber.

Hinten erwarte ich beim FCB eine Dreierkette aus Alaba, Boateng und Martinez. Die tiefen Läufe Ginters dürfte dann Douglas Costa mitgehen. Die Wahl zwischen Götze und Coman könnte das Spiel mitentscheiden, da sind wir aber erst im Nachhinein schlauer. So blöd das klingt: Man tut dem BVB am besten mit einem kompletten Spiel weh. Sowohl in Ballbesitzphasen als auch im blitzschnellen Umschaltspiel muss man gefährlich sein, sonst bietet man dem Gegner einen Ausweg.

Über die Schwächen des BVB kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel sagen, da sie noch nicht die reagierende Mannschaft waren. Das Umschaltspiel in der Defensive ist noch verbesserungswürdig. Man lässt nur wenige Torschüsse zu, diese sind dann aber oft nicht ungefährlich, was eher auf Abstimmungs- als auf Systemprobleme schließen lässt. Ein Patentrezept gibt es in dieser Partie aber für keine Seite. Gerade das macht dieses Spiel so spannend, da streikt sogar die Glaskugel.

5. Was ist für euch das Schlüsselduell am kommenden Sonntag?

Stephan: Douglas Costa gegen Matze Ginter anyone? Das ist zumindest eine Option. So stark Ginter bislang in der Offensive war, so selten musste er in der Defensive überzeugen. Böse Zungen sagen: Zum Glück. Mal sehen, wie sich die Dortmunder Verteidigung auf die Bayern-Flügel einstellen wird.

Ansonsten: Das hochgejazzte Duell Lewandowski gegen die Dortmunder Abwehr wird sicher von großer Bedeutung sein. Kann der in der aktuellen Form überhaupt verteidigt werden? Können die Pässe auf ihn verteidigt werden? Mit Sicherheit. Ein Lauf dauert nicht ewig, schrieb ich das Phrasenschwein füllend, und verweise auch auf das Duell Kagawa gegen Alonso. Warum ich das für besonders wichtig halte, das habe ich ja bereits oben ausgeführt.

Steffen: Aus Dortmunder Sicht ist es Matze Ginter gegen Douglas Costa. Bei allem Respekt vor Ginters Leistungen in den letzten Wochen – der BVB kann nicht wollen, dass die beiden im eins gegen eins aufeinandertreffen. Aus Bayern-Sicht ist für mich die große Frage wer die Kreise von Gündogan stört. Er ist für mich die Schlüsselfigur. Wenn Vidal bis Sonntag fit wird könnten beide häufig aufeinandertreffen. Andererseits wäre Vidal auch ein Kandidat, um Mkhitaryan das Leben schwer zu machen.

Etwas Sorgen mache ich mir auch um Philipp Lahm, der irgendwie einen Schritt verloren zu haben scheint. Das fiel bisher nicht besonders auf, aber für Lahm wird das Spiel ein richtiger Test. Wenn Dortmund wieder den linken Halbraum so stark überlagert wird in seinem Verteidigungsbereich sehr viel stattfinden. Egal ob Mkhitaryan oder wie gegen Hoffenheim zuletzt Reus dort beginnt. So richtig wohl ist mir bei diesem Gedanken nicht.

Tobi: Costa gegen Ginter, Alonso gegen wen auch immer, Boateng gegen Aubameyang, Sokratis gegen Costa-Flanken. Ohne Aufstellungen schwer zu entscheiden. Das Schlüsselduell wird durch den einen Fehler entschieden, den es geben wird. Infrage kommen dafür alle Spieler, inklusive beider Torhüter. Außer Müller, dessen einziger Fehler ist sein Gehfehler.

Das größte Potenzial haben aber sicherlich die Duelle von Costa und Alonso. Diese beiden Spieler werden das Münchner Fieberthermometer sein. Funktionieren sie, wird Bayern gut spielen. Funktionieren sie nicht, wird es schwer mit dem Sieg.

Marcus: Da ich das Glück habe, als Letzter hier meinen Senf abzugeben, verweise ich auf Stephan. Zusatz: Wie reagiert der BVB auf die wirren Laufwege von Thomas Müller? Wer rückt raus und öffnet damit Räume, um ihn zu attackieren? Wie funktioniert die Absprache zwischen Weigl und der Viererkette in dieser Beziehung? Sehr oft ist es Müller, der den Pass auf die Flügel zu Costa und Götze (oder wem auch immer) gibt, nach dem es dann gefährlich wird.