Roundtable: FC Bayern vor dem German Classico
Großer Schalter oder leichte Gegner?
Das Weiterkommen gegen Lazio und zwei Kantersiege in der Liga – zuletzt lief es beim FC Bayern wieder besser. Die erste Frage ist daher einfach: Welchen Schalter hat Tuchel bei seiner Elf umlegen können?
Alex: Ganz einfach: Tuchel hat einige kritische Personalumstellungen vorgenommen, die das Leistungspotential seines Teams unter den Bedingungen der ihm zur Verfügung stehenden Spieler und zu besetzenden Positionen optimieren. Im Spannungsfeld Sechs-RV hat er Kimmich auf die RV-Position gezogen und dafür Pavlović zur ersten Wahl neben Goretzka auf der Doppel-Sechs befördert, was für die Zuordnung von Spielern zu Positionen auf RV und Sechs momentan das teamweite Leistungspotentialoptimum darstellt. Dazu hat er die IV auf das Paar de Ligt und Dier umgestellt, welches hinsichtlich des bestmöglichen Kompromisses aus defensiver Stabilität und offensiver Kreativität besser – und sehr gut – funktioniert als alle anderen Paarungen in der IV in dieser Saison bisher. Drittens hatte er aber auch Glück, dass die bisherigen drei mit dem neuerlichen Aufschwung verbundenen Spiele gegen Lazio, Darmstadt und Mainz keine echten Prüfungen waren und die Mannschaft unter, salopp formuliert, besseren Trainingsbedingungen einiges an neuem Selbstvertrauen tanken und Wohlfühlmomentum aufbauen konnte, was dem Leistungspotential hilft und was, wenn man es als Schalter verstehen wollte, ein Schalter ist, den Tuchel durch seine Umstellungen indirekt umgelegt hat.
Andreas: Wie Alex denke ich, dass Mainz und Darmstadt tatsächlich nicht die Übermannschaften sind. Daher war es wohl kein allzu großer Schalter, der umgelegt werden musste. Natürlich waren die Niederlagen gegen Werder und Bochum schmerzhaft, aber Siege gegen die vorher genannten Teams sollten für den FC Bayern eigentlich immer möglich sein. Und auch Lazio war kein Gegner, der als Maßstab für eine große Wende gelten sollte. Dennoch scheint möglicherweise in den Köpfen etwas frei geworden zu sein. Ob dem wirklich so ist, kann man vielleicht nach den Spielen gegen Arsenal sagen. Auch (sorry BVB-Fans) Dortmund muss zu Hause eigentlich klar geschlagen werden.
Florian: Ich glaube fest daran, dass eine Mannschaft, besonders wenn es nicht gut läuft, neben Erfolgserlebnissen vor allen Dingen eines braucht: Routine. Eine einfache Strategie, eine klare Rollenverteilung. Und dankbare Gegner. All das ist in den letzten Wochen passiert. Mit Dortmund kommt nun erstmal wieder ein vermeintlich harter Brocken. Mal schauen, wie schnell der Schalter wieder in die andere Richtung springt.
Der zwölfte Mann
Seit seiner Entlassung hat Tuchel sich bei seiner Stammelf festgelegt. Welcher Spieler, der aktuell außen vor ist, hat am ehesten Chancen sich gegen Dortmund in Szene zu setzen?
Alex: Keiner. Ich gehe fest davon aus, dass Tuchel gegen Dortmund keine Experimente eingehen, sondern seine in den letzten Spielen mit positivem Momentum eingegroovte Mannschaft so unverändert wie möglich weiterverwenden wird. Wenn Kane nicht mehr rechtzeitig fit wird, wird Gnabry sich Einsatzchancen ausrechnen können, die er gegebenenfalls nutzen kann, um sich in Szene zu setzen. Mit etwas Glück hat Kim eine Chance auf einen Einsatz, auch wenn ich es mir nur schwer vorstellen kann, dass Tuchel für ihn das Paar de Ligt und Dier, das momentan so gut performt, aufbrechen möchte.
Maurice: Bei der aktuellen Verletztenlage besteht bei einigen Spielern die Chance zum Einsatz und damit die Gelegenheit sich wieder in den Fokus zu spielen. Besonders wichtig könnte dies für Davies werden, der intern nach seiner Verletzung hinter Tuchel-Liebling Guerreiro gefallen ist und weiterhin mit einem Wechsel im Sommer liebäugelt. Prinzipiell sollten die Dortmunder als Gegner und speziell deren offensiver Linksverteidiger Wolf dem Kanadier liegen.
Andreas: Richtig außen vor ist er ja nicht, aber trotzdem hat für mich Mathys Tel mehr Spielzeit verdient, nach der Verletzung von Harry Kane, wäre es für Tel möglicherweise eine Chance von Beginn an ran zu dürfen, auch wenn wie Alex sagt auch Serge Gnabry mit den Hufen scharren dürfte. Aber mit Tels Vertragsverlängerung im Rücken könnte es einen richtigen Schub geben für ihn.
Die Key Player
Ein Musiala in Überform und ein Kane auf Rekordjagd. Welchen Spieler sollte man am Samstag zusätzlich besonders im Auge haben?
Alex: de Ligt und Dier: Werden sie defensiv weiter so stabil bleiben wie in den letzten Spielen, als die Herausforderug aber auch nicht allzu groß war? Und wird Dier offensiv abermals ein paar so schöne Pässe im Fuß haben, wie es in den vergangenen Spielen häufiger der Fall war? Dann Goretzka: Der kürzliche Wahrnehmungsumschwung bezüglich seines Mehrwerts für das Team war bemerkenswert. Es wird spannend zu sehen, ob er die noch frischen Lorbeeren leistungsmäßig wird bestätigen können. Der erste echte Test von Pavlović gegen einen namhaften Gegner, der sich sicher nicht von einem 19-Jährigen eine Lektion in unbedrängtem Spielaufbau geben lassen möchte, wird auch interessant zu beobachten.
Maurice: Ich greife Alex‘ letzte Antwort auf. Der junge Pavlovic gegen ein durchaus physisches und erfahrenes Dortmunder-Mittelfeld wird spannend werden. Defensiv wird es für ihn darum gehen, gegen ein flexibles Dortmunder Offensivkonstrukt den Überblick zu behalten, während er im Spielaufbau sicherlich häufiger auf den Ex-Münchner Sabitzer treffen wird. Ob Pavlovic auf diesem Niveau bereits bestehen kann, konnte er aufgrund seiner Erkältung unter der Woche bei der Nationalelf nicht unter Beweis stellen. Gegen Dortmund bekommt er nun die nächste Chance.
Georg: Mich interessiert, wie die Nationalspieler auf der Kippe reagieren werden. Dazu gehören die genannten Goretzka und Pavlović, aber auch der nicht von Nagelsmann berücksichtigte Gnabry und der für den DFB gesperrte Sané. Auch wenn es gegen den BVB normal keine Extra-Motivation braucht, die vier dürften sie mitbringen. Können Sie Nagelsmann und den übrigen 83 Millionen deutschen Bundestrainern zeigen, dass sie in die Nationalelf gehören? Das Spiel gegen den BVB wäre der passende Rahmen dafür.
Quo vadis, Bundesliga?
Mit Dortmund und Bayern treffen die letzten beiden verbliebenen deutschen Champions-League-Teilnehmer aufeinander mit zehn respektive zwanzig Punkten Rückstand auf den Tabellenersten Leverkusen aufeinander. Was bedeutet das für den deutschen Fußball?
Alex: Ein 0:4 und ein Team mit dann 23 Punkten Rückstand auf Leverkusen. Nein, im Ernst, aus Sicht der Liga ist es doch beruhigend zu sehen, dass trotz der finanziellen Dominanz der Bayern auch ein anderes Team Meister werden kann und dass der BVB ernsthaft um einen Champions-League Platz kämpfen muss, weil es inzwischen mehrere Kandidaten gibt, die realistische Ansprüche auf die Top 4 anmelden können. Und aus Sicht der Bayern kann es doch nur gut und zu begrüßen sein, dass es endlich einen echten Wettbewerb in der Bundesliga gibt, der sie zwingt, aus ihrem etwas zu selbstverständlich gewordenen Siegesschlummer aufzuwachen, sich zu prüfen, zu hinterfragen und wieder zu straffen, wo Straffung notwendig ist.
Georg: Ein anderer Meister tut der Liga gut, das sehe ich wie Alex. Beruhigend für die Liga finde ich das nicht, denn es ändert wenig an der grundsätzlichen Überdominanz des FC Bayern. Spannender finde ich die Frage, was es für die Hackordnung hinter dem FC Bayern bedeutet. RB Leipzig holte zuletzt zweimal den Pokal, Leverkusen steht diese Saison vor dem Double. Ist der BVB noch die Nummer zwei im deutschen Fußball? Ich glaube ja, aber sein Platz wackelt.
Andreas: Leverkusen hat einfach ein absolut magisches Jahr erwischt, ich denke nicht, dass Bayer in den nächsten Jahren wieder mit so einem Vorsprung in der Tabelle sein wird. Insofern würde ich das nicht überbewerten. Grundsätzlich ist es schön, dass mit dem BVB noch eine weitere Mannschaft aus der Bundesliga in der Champions League vertreten ist, es wäre natürlich noch schöner, wenn weitere deutsche Teams die Runden überstanden hätten. Für mich ist es jetzt auch eher spannend, wer die Nummer zwei hinter dem FC Bayern sein wird. Hier gibt es einige Kandidaten und das macht die Liga oben doch sehr spannend. Eigentlich wäre im letzten Jahr der BVB ja schon dran gewesen, dieses Jahr ist Leverkusen vorne. Im nächsten Jahr sehe ich aber klar den FC Bayern an der Spitze.
Schützenfest oder knappe Kiste?
Bleibt nur noch die Schlussfrage: Wie oft muss BVB-Keeper Kobel am Wochenende hinter sich greifen?
Jakob: Der Schweizer wird den Ball am Ende des Tages zweimal aus dem eigenen Netz holen müssen, währenddessen Ulreich einen ruhigen Abend verlebt.
Alex: Vier Mal, wenn Kane spielt, sonst zwei Mal.
Andreas: Einmal reicht es, wenn wir unseren Kasten sauber halten.
Maurice: Wie immer, wenn der BVB zu Gast ist in München, wird es deutlich: 4 Tore schießt der Rekordmeister sicher.