DOHA, QATAR - JANUARY 11: Head coach Josep Guardiola gestures during a training session at day six of the Bayern Muenchen training camp at Aspire Academ on January 11, 2016 in Doha, Qatar. (Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Miasanrot Roundtable: Der König ist tot…

Tobi Trenner 15.01.2016

Die Entscheidungen sind getroffen, am Ende ging es ganz schnell. Pep Guardiola wird seinen Vertrag beim FCB nicht verlängern und sich stattdessen in das Abenteuer Premier League stürzen. Geradezu im gleichen Atemzug verkündete der Verein, dass mit dem erfahrenen Carlo Ancelotti schon ein Nachfolger verpflichtet wurde. Nach dem Spanier und seiner taktischen Flexibilität jetzt also der von der Autonomie seiner Spieler überzeugte Italiener.

Dennoch muss man sagen: Auch wenn die große Frage inzwischen beantwortet ist, so bleiben weiterhin Fragezeichen bei den Bayernfans. Um einige dieser Fragezeichen zu beseitigen, hat sich Miasanrot hochkarätige Unterstützung gesichert. So haben sich mit Alex Truica (Sportjournalist, Barca-Fan und Autor der Pep Episodes) und Alex Feuerherdt (uns allen durch den exzellenten Schiedsrichter-Podcast Collinas Erben bekannt) zwei Fachleute dazu bereit erklärt, zusammen mit Miasanrot-Autor Tobi einige der wichtigsten Fragen zu behandeln.

Was hat Pep bei Barca und Bayern ausgezeichnet? Welches Fundament hat er gelegt, von dem Bayern auch nach seinem Abgang profitieren kann?

Tobi: Die Besonderheit von Pep Guardiola ist es ja, dass er kein normaler Trainer ist. Im Normalfall will ein Trainer für ein paar Jahre das Maximum aus dem Kader rauspressen, Wenn ein solcher Coach den Verein verlässt, dann ist er auch wirklich weg, inklusive seiner Arbeit. Erfolg statt Entwicklung.

Guardiola ist hier der Prototyp der neuen Generation, die gerne als Konzepttrainer bezeichnet werden. Sie sehen den Erfolg als ein natürliches Produkt einer übergreifenden Strategie, die langfristig und vom gesamten Verein verfolgt werden soll. Erfolg durch Entwicklung.

Dennoch hat Guardiola weder bei Bayern noch bei Barca den Verein in ein Konzept gedrängt, sondern lediglich auf höchstem Niveau weiterentwickelt. Den Grundstein der Spielphilosophie legten eher Cruyff bzw. van Gaal – die ewigen Rivalen haben also durchaus Gemeinsamkeiten.

Guardiola nur an den Erfolgen zu messen ist also nicht falsch, Erfolge sind beim FCB immer wichtig, aber definitiv zu kurz gedacht. Vereine wie Chelsea oder Manchester United sind kurz nach CL-Titeln in die zweite Reihe Europas zurückgefallen. Bayern konnte den Status an der Spitze zumindest wahren, wenn nicht sogar festigen. Das zeigte auch die Reaktion auf die Verpflichtung Ancelottis: vor einigen Jahren hätte man sich noch gefragt, ob Bayern denn gut genug für einen solchen Mann ist, inzwischen bezweifelt man eher, ob ein Ancelotti gut genug für Bayern ist (dazu später mehr).

Die Etablierung des Vereines an der Weltspitze und dazu eine ungeahnte taktische und positionstechnische Flexibilität innerhalb des Kaders – Stichwort Martinez als IV, Lahm als ZM, Alaba als alles – davon wird der FC Bayern noch einige Jahre profitieren, wenn man nicht viel falsch macht.

Alex Truica: Viel besser hätte ich’s auch nicht formulieren können. Guardiola entwickelt Teams, ist ein Architekt, Denker, Künstler, Tüftler. Durch seine Detailverliebtheit und seine intensive Arbeitsweise hat er ein ein vielköpfiges bayrisches Fußballmonster geschaffen, völlig unausrechenbar und stets von der Gier nach mehr angetrieben. Und er hat nicht nur die Bayern, sondern auch sich selbst weiterentwickelt. Ihm fehlte in seiner Zeit bei Barça der Plan B gegen Teams, die sich zynisch hinten einmauerten. Bayern hat er nun aber eine ganze Palette an Plänen mitgegeben. Das Fundament ist das mit Abstand beste im ganzen Weltfußball, und sieht man sich den Bayern-Kader an, so fehlt es Bayern wirklich an nichts. Das Team harmoniert, ist so taktisch flexibel wie kein anderes Team, denn es kann alle möglichen Systeme spielen und so auf jeglichen Rückschlag oder Gegenwind reagieren. Auch hat er Spieler weiterentwickelt und besser gemacht (siehe z.B. Alaba, Boateng, Costa, sogar Robben).

Guardiola hinterlässt ein fantastisches Erbe, ein Team, dass sicher auch ohne ihn schlau genug ist, die ganzen eingeschüchterten und zurückgezogenen Bundesligateams auseinander zu nehmen. Und doch: Wie sehr es ein “bevor und nach” Pep geben wird, werden wir erst bemerken, wenn Ancelotti da ist. Die Guardiola-Bayern wird es so kein zweites Mal geben. Fußballerisch geht es mit einem Team nach Peps Abgang naturgemäß immer bergab – auch wenn sich das nicht zwingend in Titeln widerspiegeln muss oder wird.

Alex Feuerherdt: Jérôme Boateng hat einmal in einem Interview geäußert: „Kein Trainer hat mir je gesagt: ‚Jérôme, du musst eine Abwehr organisieren. Das und das musst du dafür tun.‘ Guardiola ist der erste Trainer, der mir taktische Dinge beigebracht hat, die ich vorher nicht kannte.“ Folgt man Martí Perarnau, dann hat Boateng vorher „ganz einfach geglaubt, die Kunst des Verteidigens sei angeboren“. Wenn man den Prä-Guardiola-Boateng mit dem heutigen vergleicht, merkt man, welchen immensen Einfluss dieser Trainer auf ihn hat, wie sehr er ihn verbessert hat. Und ja nicht nur ihn, sondern wirklich alle Spieler, selbst einen eher limitierten Fußballer wie Rafinha.

Was die Spieler unter Pep Guardiola gelernt haben – taktisch, spielerisch, physisch –, wird bleiben. Ihr gesamtes Repertoire an Möglichkeiten und Fähigkeiten ist erheblich gewachsen, und das werden sie auch unter einem anderen Trainer abrufen können. Ich finde die Bezeichnung „Projektmanager“ für Guardiola übrigens noch passender als den Begriff „Konzepttrainer“. Das klingt zwar kalt und etwas seelenlos, trifft aber den Kern dessen, was ein Coach im modernen Spitzenfußball ist. Das Wort „Projekt“ bezeichnet ein Vorhaben, das nach einer gewissen Zeit abgeschlossen ist. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass es nicht nachhaltig ist, um einen weiteren Terminus aus der Welt außerhalb des Fußballs zu verwenden. Auch diese Nachhaltigkeit zeichnet Guardiolas Wirken aus, selbst wenn der Bayern-Fußball in der Post-Pep-Ära erst mal ein bisschen anders aussehen wird.

Guardiola hat die Mannschaft grandios weiterentwickelt, ohne sie dabei in einen Rahmen zu zwingen. Er hat ihr eine ungeheure Flexibilität, einen großartigen Variantenreichtum vermittelt, davon wird sie auch nach seinem Weggang profitieren. Außerdem hat jeder einzelne Spieler unter ihm seine Polyvalenz verbessert – Alaba, Lahm, Martínez und Costa sind nur die markantesten Beispiele –, auch das wird für die Zukunft sehr hilfreich und nützlich sein. Das Fundament der Mannschaft ist sehr stabil, auch weil wesentliche Stützen langfristig an den Klub gebunden sind. Unabhängig von Titeln: Guardiola hat das Team nach dem Triple in fußballerischer Hinsicht veredelt.

Was erwartet uns nach Peps Abgang in München?

Alex Feuerherdt: Einiges wird nicht zuletzt davon abhängen, wie diese Saison verläuft und endet, vor allem international. Was ist, wenn Guardiola mit dem Champions-League-Titel geht, womöglich sogar mit dem Triple? Ist die Luft dann ein bisschen raus, der Appetit erst mal gestillt? Oder ist ein neuer Trainer in einer solchen Situation genau das Richtige, um den Anreiz hochzuhalten? Und was ist, wenn im Achtel- oder Viertelfinale das Aus kommt? Macht es das für Ancelotti einfacher? Oder wegen der Erwartungshaltung schwerer? Da sind aus meiner Sicht noch einige nicht unwesentliche Fragen zwangsläufig offen, deshalb fällt mir eine Prognose zum jetzigen Zeitpunkt nicht ganz leicht.

Alex Truica: Wenn man einen Blick auf Ancelottis Meisterschaftsausbeute bei seinen bisherigen Stationen wirft: ein ausgeglichenerer Titelkampf. Ich glaube, dass die aus der Pep-Ära gewohnte Dominanz etwas abnehmen wird, was zum einen an Ancelotti, zum anderen an Tuchels BVB liegen wird. Carletto ist weniger versessen und ideologisch, was den Ballbesitz anbelangt. Uns erwarten also womöglich weniger Dominanz, weniger klar gewonnene Spiele, womöglich also weniger Langeweile in der Bundesliga. Was die Berichterstattung betrifft, erwartet uns weniger Aufregung. Der italienische Gentleman wird sicher gut ankommen mit seiner unaufgeregten, lässigen Art. Und er ist viel weniger verschlossen als Pep es ist.

Tobi: Medial wird es ruhiger werden, da sich die Reporter und Sport1-Fachmänner nicht mehr am unantastbaren Mythos Guardiola abarbeiten können. Ancelotti wird sie mit dem Charme eines gelassenen Mannes von Welt überzeugen und beruhigen.

In Sachen Ergebnisse müssen wir uns überraschen lassen. Die Kombination aus Münchner Trainerwechsel und Dortmunder Weiterentwicklung könnte durchaus Probleme bereiten. Ob die mentale Entlastung der Spieler, die das maßgeschneiderte Ancelotti-System bringen soll, zu einem Leistungssprung oder einer Schwächung führt, ist offen.

Wird Ancelotti eine Wahrung der taktischen Flexibilität, einen Rückschritt zum Standardfußball oder eine Weiterentwicklung in eine andere Richtung bringen?

Alex Truica: Er bringt erst einmal Ruhe, Stabilität, in gewisser Weise unaufgeregte Kontinuität. Er wird vielerorts ja als Verwalter eingeschätzt, der zwar wenig eigene taktische Finesse einbringt, aber es eben versteht, ein Erbe zu verwalten. Radikalität ist seines nicht. In gewisser Weise wird es eine Mischung aus Wahrung, Rückschritt und Weiterentwicklung geben, so komisch das auch klingen mag. So taktisch flexibel wie unter Pep wird der FCB nicht spielen, demzufolge ist jeder andere Trainer in dieser Hinsicht ein Rückschritt. Ancelotti wird die Bayern in manchen Aspekten, z.B. der Abgeklärtheit und dem Konterspiel aber wohl weiterentwickeln können. Insgesamt wird Ancelotti wenig ändern, demzufolge auch einiges am derzeitigen Spiel wahren. Betreffend Standardfußball: Ancelotti ist kein Ideologe wie Pep, sondern vielmehr Pragmatiker. Er tut, was für den Erfolg nötig ist. Siehe Hinspiel CL-Halbfinale Real Madrid – Bayern: Da igelten sich Ancelottis Madrilenen im heimischen Bernabeu ein, siegten so nach einem Konter 1:0 (im Rückspiel bekanntlich 4:0, dank dreier Standards und einem Konter). Es hat Erfolg gebracht, klar, aber eigentlich war es nicht nach dem Selbstverständnis des Madridismo. Das deutliche Ergebnis natürlich schon, die Spielweise – besonders im Hinspiel – nicht.

Gemäß Karl-Heinz Rummenigge lässt Ancelotti “variantenreichen Fußball” spielen, da gehe ich nicht unbedingt d’accord. Bei variantenreichem Fußball denke ich an Guardiola oder Thomas Tuchel – also an Trainer, die sich immer etwas Neues einfallen lassen, die nicht ausrechenbar sind und das auf ihre Teams übertragen. Wenn ich an Ancelotti denke, kommt mir Variabilität im Spielsystem eher nicht in den Sinn, zumindest nicht unbedingt im Sinne eines Lobes. Ich sehe keine besondere Spielweise, für die er steht. Dass er weder für das Gute (Ballbesitz), noch für das Böse (Zerstörungsfußball) steht, könnte man natürlich wohlwollend variabel nennen, denn er passt sich den Umständen an. Aber ein besonderes Credo, eine spezielle Idee, die vermisse ich bei ihm. Auch glaube ich nicht, dass er Spieler unbedingt verbessert, zumindest entwickelt er sie nicht mit der Pepschen Versessenheit fürs Detail weiter.
Er ist wie gesagt pragmatisch, stellt sein Team also in schweren Auswärtsspielen auch mal defensiver auf. Uns erwartet also zuweilen sicherlich punktuell eine Abkehr von der totalen Dominanz von Ball und Gegner. Wenn man nicht wie ich, also weniger ideologisch, veranlagt ist, kann man mit Carletto sicher sehr gut leben. Alle Heynckes-Jünger da draußen dürfen sich freuen.

Tobi: Die Wahrheit liegt tatsächlich irgendwo in der Mitte. Er wird das Rad nicht neu erfinden, er wird aber auch nicht die Arbeit Guardiolas verwerfen. Die wahrscheinlichste Variante ist eine grundsätzliche Wahrung der momentanen Spielidee mit geringfügigen Änderungen, wobei die Flexibilität abnehmen wird. Aus dem Chamäleon FC Bayern wird wohl wieder ein (durchaus ballverliebter) Gepard werden.

Alex Feuerherdt: Auch ich erwarte mehr Pragmatismus als unter Guardiola, ohne dass deshalb mit einem gänzlich anderen Fußball zu rechnen wäre. „Sein einziges Dogma ist die Viererkette“, hieß es kürzlich in einem Beitrag der „Zeit“. Wenn Ancelotti wirklich ein guter Erbverwalter ist, wird er wissen, wie er mit dem Vermächtnis von Pep Guardiola umzugehen hat, und behutsam an den Stellschrauben drehen. Die Mannschaft fühlt sich nachweislich wohl mit dem dominanten Ballbesitzfußball, er gehört gewissermaßen zu ihrer DNA, und daran wird auch Ancelotti nichts Grundsätzliches ändern. Er sei ohnehin, so stand im erwähnten Artikel zu lesen, „mit Taktikpredigten sehr vorsichtig geworden, weil seine besten Spieler mindestens so gut Bescheid wüssten wie er selbst“, und das dürfte für den FC Bayern nach drei Jahren Guardiola-Schule in besonderem Maße gelten. Im Idealfall ergibt sich aus Ancelottis bekanntermaßen sehr gutem Verhältnis zu seinen Spielern und deren taktisch-spielerischer Vorprägung eine geschmeidige und fruchtbare Kombination.

Ein erfahrener “Players’ Coach”, der die taktische Entwicklung des Vorgängers vergolden könnte – inwieweit ist die Verpflichtung Ancelottis mit der von Jupp Heynckes vergleichbar?

Alex Truica: Sehr interessanter Vergleich, der mir auch sofort bei der Verkündung Ancelottis in den Sinn kam. Ich denke, man könnte ihre Regentschaft, ihre Art des Coachings und des Man Managements durchaus vergleichen. Es kommt aber darauf an, wie man “Players’ Coach” definiert. Macht er die Spieler besser, bringt er sie taktisch, spielerisch nach vorne, so wie Guardiola es tat? Das wohl eher nicht. Aber wenn man “Players’ Coach” als der “gute Onkel / väterliche Freund” der Spieler auslegt, dann trifft’s schon ziemlich gut auf Ancelotti zu. Er weiß mit Stars hervorragend umzugehen, sie für seine Sache zu gewinnen. Er befriedet Vereine gemeinhin ja, siehe z.B. nach Mourinhos Abgang in Madrid. Die Spieler der Blancos wollten ihn nicht gehen lassen und bereuten seinen Abgang, nachdem Real-Präsident Florentino Perez ihn (meiner Ansicht nach fälscherlicherweise) entließ. Ancelotti kommt bei den Spielern mit seiner ruhigen, sachlichen und besonnenen Art sehr gut an, das erinnert durchaus an Heynckes.

Tobi: Der Vergleich liegt nahe. Auf den versessenen van Gaal, der besonders intern für Unruhe sorgte, folgte der Vorstandsfreund Heynckes. Nun also Spielerfreund und Medienexperte Ancelotti als Ersatz für Guardiola, wobei dieser den Großteil der extern entstandenen Unruhe ja nur indirekt zu verantworten hat, weshalb er ja auch gar nicht gehen sollte.

Noch interessanter wird der Vergleich, wenn man bedenkt, dass sich niemand von Heynckes einen Fortschritt erwartete. Man suchte Wahrung, Balance und Frieden – ähnlich wie jetzt. Schon im ersten Jahr unter Heynckes verbesserte sich das Spiel, der Trainer konnte dem System sogar neue Elemente hinzufügen.

Nun ist das Spielsystem im Jahr 2016 nicht so fehlerhaft wie das im Jahr 2011, dennoch könnte es durchaus sein, dass auch Ancelotti sein eigenes System (mein Tipp: eine Art 4-1-3-2) in die Nähe des Optimums bringen kann. Darüber hinaus entscheiden dann noch externe Faktoren. So profitierte Heynckes durchaus von einem Jahr der Schwäche im europäischen Fußball, besonders Barcelona litt 2013 unter der Krankheit des Trainers und gewisser Verletzungsprobleme.

Alex Feuerherdt: In mancherlei Hinsicht ist Ancelotti sicherlich eine ähnliche Antithese zu Guardiola, wie es Heynckes zu van Gaal war. Aber die Umstände, die zur Verpflichtung der jeweiligen Antithese geführt haben, könnten unterschiedlicher kaum sein. Diesmal geht es nicht um eine Befriedung des Klubs; die Gründe dafür, dass die Wahl auf Ancelotti fiel, sind andere und haben viel damit zu tun, dass ein erfahrener und erfolgreicher Trainer gesucht wurde, der schon vom Namen und Renommee her zum deutlich gestiegenen internationalen Stellenwert des FC Bayern passt.

Das Fundament, auf dem Ancelotti aufbauen kann, ist deutlich besser als jenes, das Heynckes vorgefunden hat. Es wird schon eine Herausforderung sein, das Niveau der Mannschaft zu konservieren. Die Voraussetzungen dafür sind aber gut, zumal sich der Klub, die meisten Fans und auch die Medien mit Trainertypen der Marke Heynckes, Hitzfeld, Ancelotti leichter tun. Und die Spieler werden es gewiss auch nicht als Nachteil empfinden, dass da einer kommt, der in Sachen Menschenführung einen glänzenden Ruf hat. Vielleicht führt diese Gemengelage tatsächlich dazu, dass dem Team unter Ancelotti ein weiterer Schritt nach vorne gelingt – wie damals unter Heynckes, als auch kaum jemand damit gerechnet hat.

Gibt es Spieler, die vom Trainerwechsel besonders profitieren können?

Tobi: Spätestens seit der beliebten Aussage, dass Robben unter Guardiola keine Chance haben wird, sollte man mit solchen Voraussagen vorsichtig sein. Dennoch liegt hier besonders ein Name nahe: Mario Götze.

Seine bisherigen Probleme sind verschiedener Natur. Die wohl beste Position für Götze gibt es im Bayernsystem spätestens seit der Verschmelzung von Lewandowski und Müller kaum noch, hinzu kommen noch Verletzungspech und der Fluch, dass er der beste Flügelspieler der Nicht-Flügelspieler ist. So musste er letzte Saison auf der linken Seite aushelfen und im flügellastigen System den Antreiber geben – eine Rolle, die ihm nicht liegt.

Unter Ancelotti könnte es für Götze etwas einfacher werden. Hier könnte er als hängende Spitze oder im Zentrum glänzen, auch wenn die Konkurrenz mit Thomas Müller und Thiago Alcantara namhaft ist.

Grundsätzlich muss man Götze dazu raten, noch mindestens ein Jahr in München zu bleiben. Denn er ist eher ein Spielertyp, der eine sehr gute Mannschaft noch besser machen kann, als der Alleinunterhalter und Mittelpunkt einer gesamten Elf.

Alex Feuerherdt: Wenn „besonders profitieren“ heißt, dass der betreffende Spieler entweder mehr Einsatzzeit bekommt oder eine Position einnehmen darf, die ihm besser liegt, dann fällt mir in diesem Zusammenhang ebenfalls vor allem Götze ein. Gespannt bin ich, ob Ancelotti sich auf das von Alaba immer mal wieder geäußerte Bedürfnis einlässt, im Mittelfeld eingesetzt zu werden. Angesichts der Tatsache, dass es niemanden gibt, der links in der Viererkette auch nur ansatzweise so stark ist wie Alaba, rechne ich aber eher nicht damit. Ansonsten ist da noch Ribéry, der sich mit einem „Players‘ Coach“ nachweislich leichter tut, aber bei ihm muss man natürlich abwarten, ob er einigermaßen verletzungsfrei bleibt und seine Dynamik halten kann.

Alex Truica: Schwer zu sagen. Auffällig war bei Ancelottis Madrid jedenfalls, dass er eine feste Stammelf hatte und kaum rotierte, was ihm im Winter/Frühjahr zum Verhängnis wurde, als er z.B. Modric und Benzema verheizte. Bei Bayern ist der Kader aber viel ausgeglichener als damals bei Real. D.h. er kann (so er denn will) mehr rotieren. Wenn man von einem 4-2-3-1 (offensiv gerne auch 4-3-3) ausgeht – Ancelottis System bei Real – könnte Götze, wie von Tobi angesprochen, auf der Zehn zum Einsatz kommen, was ihm sicherlich zugute kommen würde. Die Frage ist aber viel eher: Welches System lässt der Italiener spielen? Erst dann kann man auf einzelne Spieler schließen. Denn spielt er wirklich ein 4-2-3-1, ist (theorisch) eher wenig Platz für Thomas Müller. Man muss also schlicht abwarten, welches System er bevorzugt.

War Ancelotti tatsächlich die beste Wahl, wie von vielen Medien und Experten behauptet wird?

Tobi: Ich bezeichne ihn gerne als die beste schlechte Lösung. Optimal wäre natürlich ein Verbleib Guardiolas gewesen. Variante zwei, Thomas Tuchel, ist momentan nicht machbar. Hier würde mich nebenbei gesagt mal interessieren, ob sich Tuchel nicht ein bisschen ärgert, dass er ein Jahr zu früh zurückgekehrt ist – ohne den BVB auch nur irgendwie schlecht reden zu wollen, wäre die Nachfolge Guardiolas wohl noch etwas reizvoller gewesen.

Als schlechte Lösung würde ich sämtliche Verwalter bezeichnen, die die Mannschaft nur geringfügig weiterentwickeln können. Ancelotti zähle ich hierzu. Innerhalb dieses Kreises ist er wohl die beste Variante. Darüber hinaus muss man sagen, dass es momentan nur wenige Konzepttrainer gibt, die für diesen Posten geeignet scheinen. Ein Paco Jemez oder Jorge Sampaoli wären ein großes Risiko, das man hätte eingehen können, aber die Entscheidung dagegen ist mehr als verständlich.

Insofern kann man sagen: ja, Ancelotti war wohl die beste Lösung. In jedem Fall war er die sicherste und verständlichste.

Alex Truica: Kommt darauf an, was sich ein Verein wünscht. Überall ist die Rede davon, dass sich der FCB Stabilität, Ruhe, Kontinuität erhofft, hierfür ist Ancelotti sicherlich die beste Wahl. Er weiß einfach große Clubs zu managen. Betreffend seines Fußballstils habe ich wie gesagt leise Zweifel. Karl-Heinz Rummenigge hat Ancelotti nachgesagt, mit “Stars umgehen” zu können – das unterschreibe ich voll. Für den sanften Übergang, die Entschleunigung vom ständig aufgedrehten, besessenen Pep, dafür eignet er sich gewiss hervorragend.

Wie Tobi schätze auch ich Tuchel sehr – ich denke, er hätte Peps Erbe perfekt weitergeführt und weiterentwickelt. Er wäre generell meine erste Wahl gewesen, war aber bekanntlich nicht auf dem Markt. Wie schmerzhaft das noch werden könnte, muss man abwarten – aber blickt man auf Ancelottis Titelhistorie, seinen spielerischen Ansatz, etwaige Sprachprobleme bei ihm und Sattheit beim Team sowie die stetige Weiterentwicklung der Dortmunder, könnte ich mir gut vorstellen, dass man beim FCB Tuchel in der nächsten Spielzeit tatsächlich etwas nachweinen wird.

Alex Feuerherdt: Ancelotti ist sicherlich in vielerlei Hinsicht eine konservative Lösung. Er hat einen guten Ruf, er kann mit Stars umgehen, er ist erfolgreich, er steht für Ruhe, er vermag das Niveau einer Mannschaft zu stabilisieren. All das qualifiziert ihn für einen Klub wie den – ja nur begrenzt experimentierfreudigen – FC Bayern, zumal in der gegenwärtigen Situation. Die Fallhöhe nach Guardiola wird groß sein, da braucht man als Trainer buchstäblich ein breites Kreuz, und das hat Ancelotti. Sportlich wäre eine Verpflichtung von Tuchel, wenn er denn zu haben gewesen wäre, einerseits konsequent gewesen. Andererseits hätte es allenthalben geheißen: Nach dem Lehrmeister kommt nun also sein Lehrling. Und so etwas kann gerade in München ungute Dynamiken auslösen, nicht zuletzt angesichts des aufgeregten medialen Umfelds.

Mit dieser Personalie zeigt der Klub auch, dass er für die großen, internationalen Namen attraktiv ist, dass er ein „Big Player“ geworden ist – das gehört elementar zum Selbstverständnis und spielt deshalb eine wichtige Rolle. Mit der Verpflichtung von Ancelotti wird der FC Bayern weiterhin eine der ersten Adressen für internationale Stars sein, das ist nicht zu vernachlässigen. Fachliche Aspekte sind nur ein Teil der Kriterien bei der Auswahl eines neuen Trainers, wenn auch natürlich ein gewichtiger. Unter Berücksichtigung aller Umstände halte ich Ancelotti deshalb tatsächlich für die beste Wahl.