Rhythmus-Störung in Zahlen

Steffen Trenner 12.05.2014

Es ist fraglos menschlich und erklärbar, dass nach eineinhalb beinahe perfekten Jahren mit Triple, europäischem Supercup, Klub-WM und erneuter Meisterschaft im März 2014 irgendwo auf der Strecke die letzte Portion Präzision, Fokus und Selbstverständlichkeit verloren ging. Das deutliche Aus gegen Real Madrid ist nicht allein damit zu erklären. Aber die offensichtliche kleine Sinnkrise, die das Bayern-Spiel schon in den Spielen davor in der Bundesliga erfasste, hat im Hinblick auf die Duelle mit dem Team von Carlo Ancellotti gewiss nicht geholfen.

Es war ein Stück selbst gemachtes Leid, das wohl auch Pep Guardiola mit zu verantworten hat. „Die Liga ist für uns vorbei“, sagte Guardiola vor dem Spiel gegen den FC Augsburg am 29. Spieltag. Es war diese Aussage, die ein völlig falsches Signal an die Mannschaft und das komplette Umfeld des Vereins setzte. Nach 53 Ligaspielen ohne Niederlage war genau das der Moment in dem die Mannschaft sichtlich durchpustete und sich selbst den Schwung der Vorwochen nahm. Viele machten Guardiolas Rotation für die Rhythmus-Störung verantwortlich. Aber das war es nicht. Schon Heynckes hatte im Vorjahr nach gewonnener Meisterschaft am 28. Spieltag in der Woche drauf seine Mannschaft auf 8 Positionen verändert. Er brachte mit Can und Højbjerg sogar einen Bundesliga-Debütanten mehr als Guardiola gegen Augsburg mit Sallahi. Heynckes-Bayern gewannen damals allerdings gegen Nürnberg mit 4:0.

Guardiola hatte Recht mit der kräftigen Rotation in der Bundesliga rund um das Champions League-Viertelfinale. Richtig wäre jedoch gewesen, Spieler wie Shaqiri, Weiser, Højbjerg oder eben Sallahi in die Pflicht zu nehmen und Spiele wie die gegen Augsburg als Bewerbungsphase für Ihre Zukunft beim Rekordmeister auszurufen. Das Unentschieden gegen Hoffenheim, die Niederlage gegen Ausgburg, eine komplizierte Aufgabe gegen Manchester United und eine Klatsche gegen Dortmund. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass das Momentum und die Selbstverständlichkeit im Münchener Spiel, die die lange Serie zuvor erst möglich machte, vorbei war. Die Mannschaft ist trotz des Aufwärtstrends zuletzt bis heute auf der Suche nach dieser Selbstverständlichkeit.

Die Gründe dafür sind gewiss vielschichtiger und nicht allein auf Guardiolas Aussagen zurück zu führen. Fakt ist: Die Rhythmus-Störung nach der gewonnen Meisterschaft ist handfest. Sie lässt sich an Zahlen und Indikatoren ablesen. Über die Saison gesehen erzielte der FC Bayern 2,7 Tore pro Partie. In 11 Spielen der Rückrunde bis zum Meisterspiel gegen Hertha BSC Berlin waren es sogar 3,3 Tore pro Partie. In den sieben verbleibenden Partien sank dieser Schnitt auf 2,1 Tore. Die Anzahl der Gegentore stieg von zuvor 0,45 auf 1,2 Gegentore pro Partie nach gewonnener Meisterschaft. Der Punkteschnitt von 1,8 pro Partie in den letzten sieben Spielen hätte hochgerechnet auf die gesamte Saison nicht mal für Platz 3 der Tabelle gereicht. Auch weitere Indikatoren belegen den Bruch im Bayern-Spiel nach gewonnener Meisterschaft. Die Passquote sank von zuvor 89 Prozent auf 84 Prozent. Fünf Mal lag die Passquote in einem Spiel der Rückrunde über 90 Prozent. Nach der gewonnen Meisterschaft erreichte die Guardiola-Elf diesen Wert nie wieder. Vor der Meisterschaft erspielten sich die Münchener im Schnitt vier Großchancen pro Partie. Nach der März-Meisterschaft nur noch drei. In drei der sieben Spiele stand nach 90 Minuten sogar nur eine echte Großchance zu Buche. Ein weiterer kritischer Wert für das Münchener Spiel sank ebenfalls deutlich. Die Anzahl der Ballrückeroberungen, der beste Indikator für aggressives und erfolgreiches Gegenpressing sank laut der FourFourTwo Stats Zone App (powered bei opta) von 22 Ballrückeroberungen pro Spiel vor der Meisterschaft auf 9 Ballrückeroberungen pro Partie nach der Meisterschaft. Auch die Zahl der Fouls stieg insgesamt an.

Es ist also mehr als ein Gefühl, dass dem FC Bayern nach dem 3:1-Sieg in Berlin und der gleichbedeutenden Meisterschaft am 27. Spieltag der Rhythmus verloren ging. Es ist erklärbar, es ist in weiten Teilen sogar logisch. Trotzdem ist es ärgerlich, da dieser Saison trotz des Meistertitels zumindest öffentlich ein Hauch der Unvollkommenheit umweht.

Es bleibt ein Spiel. Ein Sieg gegen Dortmund und unterm Strich steht eine der erfolgreichsten Saisons der letzten 10-15 Jahre für den FC Bayern zu Buche. Auch bei einer Niederlage bleibt es eine gute Saison – auch wenn öffentlich erneut Untergangsszenarien gezeichnet werden sollten. Allerdings ist eine Sache dann nicht mehr wegzudiskutieren. Die Sache mit der Rhythmus-Störung hat mit dazu beigetragen, dass die Krönung dieser guten Saison am Ende misslang.