Miasanrot-Roundtable zur Niederlage des FC Bayern in Manchester

Maurice Trenner 13.04.2023

Wir schaffen es diese Woche leider nicht, einen Podcast aufzunehmen. Da es nach der Niederlage viele Fragen gibt, beantworten wir die dringendsten im Miasanrot-Roundtable.

Es gab auch positive Aspekte

Was lief gut?

Justin: Die Spielanlage an sich war gut. Einerseits war es zwar der Plan von City, Bayern etwas kommen zu lassen. Andererseits war es sicher nicht der Plan, dass sich die Münchner in der gegnerischen Hälfte derart festsetzen dürfen. Wie so oft in den letzten Wochen passten die ersten beiden Drittel im Spielaufbau. Vor allem die Phase zu Beginn der zweiten Halbzeit war sehr stark. Das 1:1 lag in der Luft. Auch defensiv fand ich es bis zum 0:2 recht stabil. City ist die beste Mannschaft der Welt, die kannst du nicht komplett verhindern. Dafür gelang es aber doch ganz gut, sie meistens vom Tor wegzuhalten. Bis Upamecano die Skyblues so sehr einlud, dass sie nicht anders konnten, als zu treffen. 

Georg: Justin spricht die wesentlichen Punkte an. Ich bin mir sicher, dass es ein Paralleluniversum gibt, in dem es zur Halbzeit 0:0 steht, ein weiteres, in dem Sané zum 1:1 ausgleicht und irgendwo sogar eins, in dem der FC Bayern durch Musiala mit 1:0 in Führung geht. Wie das Spiel dann ausgeht? Die Anlagen waren da, dass der FC Bayern etwas aus Manchester mitnimmt. Viel Konjunktiv, aber das ist das Wesen der Fußballanalyse, wenn sie über ergebnisdominierte Narrative hinausgeht. 

Aber mehr Negatives

Was lief schlecht?

Justin: Die Form passt einfach nicht. Auch die Verunsicherung durch den Trainerwechsel sowie die wechselhaften Ergebnisse war dem Team anzumerken. Offensiv ging dadurch zu wenig. Die Abstimmung passt nicht, Gnabry war abermals kaum zu sehen und auch Coman war trotz großer Bemühungen nicht zielstrebig genug. Insgesamt ist das dann auch schon zu wenig, um die vielleicht beste Defensive überhaupt zu knacken. Natürlich fehlt ein Neuner, aber auch ohne wäre gestern mehr möglich gewesen. Musiala, Sané und Pavard hatten gute Chancen. Auch bei Standards war etwas drin. Wirklich schlecht fand ich dennoch nur die Phase nach dem 0:2, in der das Team auseinanderfiel. Das darf nicht passieren. Schon nach dem 0:1 gab es einen kleinen Durchhänger, wodurch das 0:2 hätte fallen können. Trotz der Überlegenheit Citys finde ich, dass das xG-Ergebnis von 1,9 zu 0,9 (Opta) die Kräfteverhältnisse eher widerspiegelt als das reale Ergebnis. Aber so ist Fußball. City war brutal effizient. 

Maurice: Justin hat es schon angesprochen, aber die offensive Spielidee der Münchner ohne Stoßstürmer ist weiterhin nicht zu erkennen. Der waghalsige Plan der sportlichen Führung, ohne echten Lewandowski-Ersatz in die Saison zu gehen – Sorry, Choupo! – wird noch unglaublicher, wenn man die fehlende taktische Blaupause für ein solches Spiel berücksichtigt. Über weite Strecken der Partie fehlte den Bayern schlicht jegliche Idee, wie man mit dem Ball die kompakte und dennoch aggressive Verteidigung von City überwindet. Viel zu selten bespielten die Münchner schnell und vertikal die Räume zwischen den Ketten von Manchester. Viel zu oft fehlte ein Stürmer als Anspielstation, die den Ball gegen Druck festmachen und behaupten kann, oder als Zielspieler für Halbfeldflanken, das Mittel der letzten Monate. Daher endeten viele Angriffe in verzweifelten Distanzabschlüssen, über deren xG-Wert Guardiola an der Seitenlinie sicherlich schmunzelte. Sein Plan ging auf, City gab Bayern den Ball, die damit jedoch stehend K.O. waren.

Der Vergleich zwischen dem FC Bayern und Manchester City

Wo liegen aktuell die Unterschiede zwischen Manchester und Bayern?

Justin: In all den Jahren, die dieses Team größtenteils unter einem Trainer zusammen gespielt hat, hat Guardiola auch dort etwas Einzigartiges geschaffen. Gestern haben sie gezeigt, wie flexibel sie sind. Taktisch war das herausragend, obwohl auch City nicht am Optimum gespielt hat, was Präzision angeht. Bayern hingegen hat zu viele Spieler, die außer Form sind. Hinzu kommt der Trainerwechsel, der für zusätzliche Unsicherheit gesorgt haben könnte. Tuchel kann und will ich da keinen Vorwurf machen. Die Anlage war gut, aber unter den aktuellen Umständen – wozu auch Verletzungen zählen – reicht es auf diesem Niveau einfach nicht. 

Maurice: Es war erschreckend zu sehen, dass die Lücke der Münchner zu einem über die Jahre akribisch verbesserten City mittlerweile ähnlich groß wie die Differenz in den Transferausgaben (1,73 Milliarden Euro zu 0,89 Milliarden Euro seit 2012) ist. Die Abstimmung zwischen den Spielern, die Automatismen im Zusammenspiel und die individuelle Konzentration sowie Intensität in jeder Aktion waren bei City Masterclass und wirkten bei Bayern verwahrlost. Allerdings ist dies natürlich auch der Unterschied, wenn ein Team die klare Handschrift eines Maestros über Jahre entwickeln konnte, während dem anderen Team dessen vor Jahren etablierten Muster höchstens noch elementarpädagogisch bekannt sind.  

Es war nicht die erste krachende Niederlage des FC Bayern

Zu welchem Champions-League-Aus der letzten Jahre seht ihr Parallelen?

Georg: Ich mag diese Vergleiche. Sie helfen beim Einordnen. Letztlich ist die Frage, woran man es festmacht: an der wahrgenommenen Stärke der beiden Teams vor dem Spiel in Relation zum Ergebnis? Am Spielverlauf? An den ausgelösten Emotionen? Alles kann, muss aber nicht miteinander zusammenhängen. 

Für mich bleiben Bayern und City in Summe die beiden stärksten Teams der Saison 2022/23. Das würde am ehesten den deutlichen Niederlagen während Peps Trainerzeit gegen Real und Barcelona 2014 und 2015 passen. Auch damals war Bayern kurz vorher Champions-League-Sieger, ein Großteil der Champions spielte noch in der Mannschaft und Bayern gehörte zu den Top-3 in Europa. Und scheiterte doch deutlich an jenen, die vielleicht noch ein kleines bisschen weiter waren. 2009 und 2019 waren die Abstände zu Barcelona und Liverpool größer. 

Der Vergleich zu allen vier deutlichen Niederlagen zeigt aber auch eins ganz deutlich: Nach dem 0:4 2009 dauerte es nur ein Jahr, bis der FC Bayern ins Finale einzog. 2014 und 2015 ist heute trotz der klaren Niederlagen als eine der besten Phasen in der Geschichte des Vereins im kollektiven FC-Bayern-Gedächtnis verankert. Nach dem Aus gegen Liverpool 2019 dauerte es nur 17 Monate bis zum Triple. Anders gesagt: Solche Niederlagen gehören dazu. Sie sind kein Grund zur Verzwergung oder Verzweiflung.

Justin: Ich mag die Vergleiche nicht so, weil jedes Aus unterschiedlich ist. Bayern ist nicht so weit weg von Europas Spitze wie noch 2019 gegen Liverpool. Da sollte man sich vom Ergebnis nicht täuschen lassen. Die letzten Duelle mit Real Madrid waren sehr kampfbetont und wirkten insgesamt weniger taktisch geprägt. 2015 war die Situation ebenfalls recht speziell. Damals fehlten viele Spieler verletzt, einige kehrten erst kurz zuvor zurück. Man ging auf dem Zahnfleisch und zeigte dennoch eine gute Leistung in Barcelona, ehe man am Ende überrollt wurde und nichts mehr ging. Insofern: Der Spielverlauf war diesmal ähnlich zu damals. Die Umstände etwas anders. Aber auch in diesem Jahr ist man aus verschiedenen Gründen nicht auf seinem besten Level. Insofern ist 2015 kein schlechter Vergleich. Jeder sollte wissen, dass Bayern es besser kann und nicht viel fehlt, aber es reicht derzeit dennoch nicht. Obligatorischer Hinweis: Noch ist Bayern ja nicht raus. Auch wenn ich nicht glaube, dass sie es noch packen. 

Maurice: Hier muss ich Justin widersprechen, denn die Bayern von 2015 waren Barcelona näher als die Münchner von 2021 den Sky Blues, auch wenn die Leistung im Camp Nou im selben Resultat endete. Für mich war das Aus gegen Liverpool tatsächlich deutlich näher an dem diesjährigen Spiel. Die Elf von Klopp war damals ebenso klar überlegen und auch wenn die Münchner über Strecken gut mit- und dagegenhielten, konnte der Sieger nur eine Mannschaft sein. 

Harter Schlag für den neuen Trainer Thomas Tuchel

Was bedeutet das Spiel für Tuchel?

Daniel: Es ist auch Thomas Tuchels Niederlage. Er machte mit seiner Aufstellung big calls. Er ließ Müller auf der Bank. Er setzte auf den formschwächsten Angreifer im Kader, Serge Gnabry. Er ließ Upamecano durchspielen.
Und wir kennen doch die deutsche Medienlandschaft. Das wird man ihm nie vergessen.

Dazu wählte er einen sehr konterorientierten Ansatz, mit dem die Mannschaft insbesondere in den ersten 35 Minuten arg fremdelte. Zudem macht er sich mit den doch sehr schönmalerischen Aussagen nach dem Spiel keine Freunde.

Justin: Ich finde nicht, dass man Tuchel einen Riesenvorwurf machen kann. In die Personalentscheidungen wird viel reingelesen, sie ergaben auf dem Papier aber durchaus Sinn. Taktisch war Bayern gut eingestellt, nur fehlte von allem ein bisschen was im letzten Drittel. Das lag jedoch nicht an Tuchel. Gewünscht hätte ich mir, dass er nach dem 0:2 direkt reagiert. Upamecano war vollkommen von der Rolle. Viel schlimmer wäre es beispielsweise mit Stanisic wohl auch nicht geworden. Oder eine Systemumstellung. Irgendwas. Mir waren die Wechsel insgesamt etwas zu unkreativ. Seine Aussagen nach dem Spiel finde ich ebenfalls nicht dramatisch. Ich sah es nicht ganz so rosarot, aber in dem Moment die Mannschaft öffentlich zu stärken, finde ich richtig. Er zieht damit auch viel auf sich, was ebenfalls gut ist. Überwiegend zufrieden wäre ich mit der Leistung bis zum 0:2 als Bayern-Trainer auch gewesen. Gerade unter den Vorzeichen.  

Salihamidžić und Kahn im Kreuzfeuer

Was bedeutet das Spiel für die sportliche Leitung?

Daniel: Die sportliche Leitung hat sich mit dem Trainerwechsel unnötig angreifbar gemacht. Wären diese beiden Pokal-Ergebnisse mit Julian Nagelsmann gekommen, hätte man leicht auf die vielen Verletzungen, den fehlenden Neuner, den WM-Blues verweisen können.

Doch sie wollten mehr. Indem sie vollmundig von der “Rettung der Saisonzielen” sprachen und durch die Blume auf das Triple schielten, griffen sie nach den Sternen und verbrannten sich dabei die Finger.

Mehr noch, es muss darüber gesprochen werden, ob sie der Mannschaft nicht direkt geschadet haben. Bei all den Problemen, die dieser Kader unter Julian Nagelsmann hatte, war er nicht verunsichert und im Chaos befand er sich ebenfalls nicht. Das Chaos, die Verunsicherung wurde von oben in diese Mannschaft getragen, indem zwei Spiele nach der besten Saisonleistung gegen Paris der Trainer geschasst wurde.
Völlig unabhängig von Thomas Tuchels Qualität, der Trainerwechsel hat diese Mannschaft erst einmal verschlechtert.

Ohne den Trainerwechsel hätte man über den fehlenden Neuner und der gesamten Bewertung der beiden Transferfenster wohl auch Milde walten lassen. Nun richtet sich der gehobene Zeigefinger auf den Sportvorstand. Nun ist alles voll von Spott für den Verein. Die sportliche Leitung hat diesen Spott provoziert und sie verdient es, Hauptadressat für diesen zu sein.

Für gewöhnlich ist dies eine typische Gemengelage, indem Kritisierte sich zusammenschließen und einen Sündenbock von der Klinge springen lassen. Man wird schauen, wie der Sportvorstand sich hält.

Justin: Hier stimme ich Daniel schon eher zu. Ich habe schon oft betont, dass ich den Kader nicht balanciert genug finde. Salihamidžić hat zu viele Spieler verpflichtet, die sich gegenseitig die Idealpositionen wegnehmen. Dadurch spielen viele Spieler auf Positionen, die ihnen nicht am besten liegen. In der Offensive fällt das besonders auf. Hinzu kommen große Ausgaben für einen Mané, der nicht funktioniert. Der Kader schafft mehr Probleme als Lösungen. Auch die Gnabry-Verlängerung zu deutlich besseren Konditionen muss man mittlerweile kritisch sehen. Genauso wie die Tatsache, dass das Thiago-Loch nie gefüllt wurde. Mit der Entscheidung, Nagelsmann zu entlassen, ist man jetzt nochmal ins Risiko gegangen. Kurzfristig hat das womöglich mindestens einen Titel gekostet. Man weiß nicht, wie Nagelsmann abgeschnitten hätte, aber in den wichtigen Spielen war Bayern unter ihm oft da. Für Tuchel gilt es eh erst so richtig ab nächster Saison. Aber es ist ärgerlich aus Bayern-Sicht, dass er jetzt so startet. Alles in allem ein sehr unglückliches Management, finde ich. Und ich bin ebenfalls gespannt, wie lange es noch beim Raunen bleibt und wann die Kritik lauter wird. 

Georg: Was die Trainerentlassung angeht, fehlen dem Management jetzt die Argumente. Der diesbezüglichen Kritik müssen sie sich stellen. Das macht die Entscheidung nicht falsch. 

Auf den ersten Blick ist auch die Kritik am Kader plausibel. Zumal nach diesem Spiel, in dem etwa die angesprochenen Gnabry oder Mané keine Werbung für sich machen konnten. Und der fehlende klassische Neuner beim FC Bayern fast noch mehr auffiel als der anwesende Neuner von Manchester City. 

Und doch will ich eine Lanze für die Zusammenstellung und damit für die sportliche Leitung brechen. Versuch macht klug und hinterher ist die Analyse einfach. Aber blicken wir zurück in den Sommer und die Zusammenstellung des Kaders. War es wirklich so offensichtlich, dass es ohne 1-zu-1-Ersatz für Lewandowski nicht gehen würde? 

Liverpool hat fünf Jahre ohne klassischen Mittelstürmer sensationellen Fußball gespielt (nein, Firmino ist das nicht). Mané-Müller-Gnabry hätten die bairischen Mané-Firmino-Salah werden können.

Auch Manchester City dient als Blaupause. Bereits letztes Jahr wurden sie als bestes Team Europas gehandelt. In der Premier League spielten sie deutlich stärker und souveräner als in der laufenden Saison, in der Champions League schieden sie denkbar knapp im Halbfinale aus. Ihre Offensive? Der ansatzweise als Mittelstürmer durchgehende Gabriel Jesus (und auch der ist mit seinen 1,75 Meter kein Lewy-Haaland-Typ) spielte keine große Rolle. Die wichtigsten Offensivspieler nach Minuten und Toren waren die Winger und Mittelfeldspieler Mahrez, de Bruyne, Foden, Sterling und Bernardo Silva.

Die Erkenntnis, dass man ohne Mittelstürmer nicht erfolgreich sein könne, ist für mich eine zu oberflächliche auf Basis der aktuellen Bayernschwäche und des Kaders. 

Bereits am Mittwoch hat der FC Bayern die Chance zu einer Reaktion

Wie muss das Team im Rückspiel reagieren? Was ist dort ein Erfolg?

Daniel: Auf keinen Fall darf man erneut so eine Packung kassieren. Gut wäre es zu treffen, und im besten Fall gewinnt man das Rückspiel auch. Hier liegt Justins oben bereits gezogener Vergleich mit 2015 nahe. Das Rückspiel gewann man und schied so versöhnlich und erhobenen Hauptes aus dem Wettbewerb aus. 

Hier ist der Vergleich mit PSG von vor 4 Wochen wertvoll. Nicht nur das erneute Scheitern deren Projektes wurde da verspottet, sondern auch die Unfähigkeit, auch nur ein einziges Tor zu schießen, trotz der nominell besten Offensive der Welt.

Justin: Sich als Mannschaft präsentieren wie 70 Minuten im Hinspiel. Mit Leidenschaft angreifen, möglichst früh ein Tor erzielen und die Arena nochmal kochen lassen. Dann mal sehen, was noch geht. Das Team muss brennen. Ein Erfolg wäre nur das Weiterkommen. Da das unwahrscheinlich ist, muss man sich wenigstens vernünftig verabschieden. 

Georg: Ich will während des Spiels träumen dürfen. Dann bin ich zufrieden.