Miasanrot-Awards 2022/2023: FC Bayern – Enttäuschung der Saison
Jener Sadio Mané, dessen Transfer als Salihamidžićs Meisterwerk gefeiert wurde. Von Fans, Experten und den Vereinsfunktionären. Was wie eine Hochzeit im Himmel begann, fühlt sich mittlerweile zum Tode betrübt an.
Mané hat die von einigen in ihn gesteckten hohen Erwartungen beim FC Bayern nicht erfüllt. Die zweite Saisonhälfte war sogar desaströs. So unrealistisch und überhöht die Erwartungen an ihn waren, so übertrieben könnte die aktuelle Gegenbewegung sein: die Mané-Saison in der Analyse.
Gutes erstes Halbjahr von Sadio Mané
Abgesehen von zu vielen Abseitsstellungen – das sollte ein roter Faden von Manés Saison werden – und infolgedessen aberkannten Toren, startete Manés Zeit beim FC Bayern durchweg positiv. Zusammen mit Gnabry bildete er die vorderste Reihe in Nagelsmanns neuem 4-2-2-2. Bereits in der Analyse zum ersten Vorbereitungsspiel schrieb ich:
“Die Doppelspitze Mané/Gnabry durfte sich jedoch erstmals gemeinsam versuchen. Und harmonierte gleich wie ein altes Ehepaar. Sie suchten sich, sie fanden sich. Beide beendeten die Halbzeit mit je einem Tor und einer Torvorlage. Zwei weitere Tore von Mané nach Zuspielen von Gnabry wurden wegen Abseits nicht gegeben.”
Auch der Pflichtspielauftakt gelang. Bis Ende August erzielte Mané in den ersten sechs Pflichtspielen fünf Tore. Er überzeugte im Laufe der Hinrunde weniger mit einzelnen Highlight-Momenten, sondern eher durch Beständigkeit. Mané beendete die Hinrunde auf Platz drei in der Einsatzminutenstatistik und mit elf Toren und vier Assists. Gemessen an dem, was er vorher in Liverpool zeigte, war seine Bilanz der ersten Monate nahe am Optimum, an seinem Optimum.
Kurz vor der für ihn als Senegals Starspieler so wichtige Weltmeisterschaft ging seine Hinrunde vorzeitig zu Ende, als er sich das Wadenbeinköpfchen entzündete.
Desaströses zweites Halbjahr nach WM-Blues und Verletzung
Vielleicht fiel er in ein mentales Loch, als er die Weltmeisterschaft und den Einzug ins Achtelfinale seiner Teamkollegen verpasste. Vielleicht war die Verletzung ausschlaggebend. Wir wissen es nicht. Aber der Sadio Mané, der 2023 für den FC Bayern auflief, fand nie zu seiner Form zurück.
Er spielte eine Rückrunde zum Vergessen. In 15 Spielen gelang ihm nur noch ein Tor, zudem verlor er seinen Stammplatz. Nagelsmann setzte ihn zweimal von Beginn an ein, Tuchel viermal. In den wichtigen “Champions League”-Duellen gegen Paris und Manchester City kam er insgesamt nur auf 55 Minuten Spielzeit. Die überraschende Meisterschaft am letzten Spieltag in Köln verfolgte er 90 Minuten lang von der Bank.
In Köln erhielten Müller, Coman, Sané, Gnabry in der Startelf, und später, als der FC Bayern offensiv wechselte, Choupo-Moting, Tel und Musiala alle den Vorzug vor dem zweitplatzierten in der jüngsten “Ballon d’Or”-Wahl. Sinnbild von Manés tiefem Fall 2023.
Mané ist die Enttäuschung der Saison aber auch Opfer zu hoher Erwartungen und einer Überreaktion
In sechs Jahren Liverpool traf Mané im Durchschnitt alle 180 Minuten.
In einem Jahr München traf Mané im Durchschnitt alle 184 Minuten.
Der FC Bayern wollte einen Weltstar, der FC Bayern bekam einen Weltstar. Was der FC Bayern aber nie bekommen konnte, war ein Scorer auf Weltklasse-Niveau. Mané traf in seiner Karriere nie auf dem Niveau der ganz großen, und Vorbereiter war er noch weniger.
Er war Weltstar in der Kombination aus beständiger sehr guter Leistung, gepaart damit, Teil der populären Liverpooler Sturmreihe zu sein und den Senegal als Kapitän zu dessen erster Afrikameisterschaft zu führen. In seinen sechs Jahren in Liverpool scorte er nie weniger als 21-mal, aber nie öfter als 34-mal. Ribérys Bestwert liegt bei 44. Lewandowskis Bestwert liegt jenseits der 60, Ronaldo und Messi schafften es in nochmal andere Dimensionen.
Wer also erwartete, Mané würde vom offensiven Beitrag her Lewandowski ersetzen, legte die Messlatte unerfüllbar hoch.
Kritik an seiner Saison ist dennoch angebracht und erklärt die Wahl zur Enttäuschung der Saison:
- Auch wenn man keine Rekorde erwarten durfte, sind zwölf Tore und sechs Assists (Platz sechs in der FCB-internen Scorerrangliste) insgesamt zu wenig.
- Spielerisch war es zu dürftig. Sein übertriebenes Zocken an der Abseitskante ist nur der sichtbarste Beleg. Aber auch daneben wirkte er zu oft wie ein Fremdkörper im Spiel. Zu oft waren technische Schwächen in der Ballannahme sichtbar.
- Die Entwicklung ist negativ, wie die enttäuschende Rückrunde zeigt.
Ausblick: Missverständnis beenden oder zweite Chance?
Wie geht es weiter? Ein erneuter Wechsel wäre eine denkbare Lösung. Spieler wie Mané haben immer einen Markt – und sei es in Saudi-Arabien. Verbuchen als Fehleinkauf. Passiert. Ibrahimović beim FC Barcelona. Jović bei Real Madrid. Rivaldo beim AC Milan. Für sie alle und viele weitere lief es kurz nach einem großen Transfer beim neuen Club nicht wie gedacht und sie zogen nach kurzer Zeit weiter. Wahrscheinlich käme der FC Bayern ohne größeren finanziellen Schaden aus dem Transfer heraus.
Eine andere Lösung: Mané bleibt. Inwieweit das sportlich sinnvoll ist, hängt unter anderem davon ab, ob er wieder zu seiner Form findet.
Bedenkt man die alte Hitzfeldsche Faustregel, wonach ein Spieler so lange braucht, um in Form zu kommen wie er verletzt war, wäre Mané Ende Mai gerade wieder in Form gekommen. Seine Verletzung war gravierender als sie wirkte. Zwar verpasste Mané wegen der langen Winterpause nur neun Pflichtspiele. Doch er fiel von November bis Februar mehr als drei Monate aus. Vielleicht hätte er für seine Rückkehr mehr Zeit gebraucht, als er sich selbst geben wollte.
Ob der FC Bayern noch Platz für Mané haben wird, hängt von der Kaderplanung und taktischen Ausrichtung ab. Was plant Tuchel? Welcher Stürmer kommt? Und was macht Gnabry?
Kommt ein Stürmertyp wie Kolo Muani oder Firmino, der sich auch und gerade dadurch auszeichnet, mitzuspielen, nach außen auszuweichen, sich in den Zehnerraum fallenzulassen, dann braucht der FC Bayern Torgefahr aus dem Mittelfeld oder von außen.
Torgefahr, wie Sadio Mané sie grundsätzlich mitbringt. Mané schießt doppelt so viele Tore wie er vorbereitet. Pro Assist schießt er zwei Tore. Sein Tor-Assist-Verhältnis von 2,0 ist näher an Choupo-Moting (2,4) als an Thomas Müller (1,1), Sané (1,0) oder Coman (0,9).
Gnabrys ist mit seinen 1,7 Toren pro Assist ein vergleichbarer Abschlussspieler. Der FC Bayern sollte nicht beide gleichzeitig ziehen lassen, ohne weitere Torgefahr vom Flügel einzukaufen. Ohne Torgarantie des neuen Stürmers kreiert Musiala (1,5) alleine zu wenig Torgefahr.
Kommt hingegen ein Stürmertyp wie Lewandowski (Tor-Assist-Verhältnis 3,8), der in erster Linie den Strafraum besetzt und Abschlüsse sucht, ist die Torgefahr vom Flügel nicht so wichtig. Dann ist Zuarbeit wichtiger, z.B. durch Dribblings und Ablagen von Coman und Sané.
So falsch es war, Manés Verpflichtung messianisch zu feiern, so berechtigt die Kritik an seiner Debütsaison ist, so falsch wäre es, ihn komplett abzuschreiben. Klar ist: Mané kann mehr, als er in der Rückrunde zeigte, und es gibt ein Szenario, in dem der FC Bayern von Manés Stärken und Stil profitieren kann. Es gibt ein Szenario, in dem Mané in der zweiten Saison doch noch wertvoll für den FC Bayern wird.