»Meine« Generation mit der Krone Europas
Für die glorreichen 1970er Jahre bin ich zu jung. Knapp am Ende der 80er und 500 Kilometer weit entfernt von München geboren sind die 90er an mir ehrlicherweise eher vorüber gegangen. Fußballtechnisch zumindest. Da hat man dem Opa und seiner Fußballübertragung im Radio beim Spielen im Garten gelauscht. München wurde im Urlaub aus einem Kinderwagen heraus mit großen Augen angeschaut. Kindheit eben. An den 23. Mai 2001 erinnere ich mich aber sehr gut. Während der Schulwoche Abends im Bett liegen, das Spiel läuft auf einem für heutige Verhältnisse winzigen Fernseher und mehrmals handle ich mir Ärger mit Frau Mutter ein. Es wäre längst Zeit zum Schlafen gewesen aber so einen Abend unterbricht niemand. So sehe ich aber wie die Generation Kahn, Effenberg, Scholl unsterblich wird und purer Wille zur Krone Europas geführt hat.
2010. Ein Jahr nachdem sich mein Lebensmittelpunkt an die Isar verlagert hatte, standen wir vor dem Rathausbalkon und feierten das Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal. Im Finale der Königsklasse hat es gegen Inter Mailand einfach nicht gereicht und man akzeptierte den verdienten Sieger aus Italien. Punkt. Irgendwie ging es zwar bergab, aber erkannt habe ich das damals nicht.
Zwei Jahre später im Mai 2012 hätte München die größte Party der Stadtgeschichte erleben können. Borussia Dortmund hatte in der Liga und beim Endspiel in der Berlin zwar die Nase vorn, aber mit dem »Finale Dahoam« kam unser Highlight. Der Tag war perfekt. Strahlender Sonnenschein, Kaiserwetter, unterwegs mit den besten Leuten und bis zur Haarspitze vom Titel überzeugt. Wir waren im Olympiastadion, feierten in der 83. Minute Thomas Müller und danach brach eine Welt zusammen. Eine gefühlte Ewigkeit saßen wir nach Spielschluss noch auf unseren Plätzen und schauten einfach nur ins Leere. Da war nichts mehr. Man hatte uns den Boden unter den Füßen weggezogen und in die Tiefe gestürzt. Mit der überfüllten U-Bahn ging es in Todstille nach Hause. Männer standen mit tränenverschmierten Gesichtern auf der Suche nach Trost an ihre Frauen gelehnt, beste Kumpels hielten sich in den Armen, gaben keinen Ton von sich und wussten nicht was sie eigentlich gerade erlebt hatten. So einen Moment vergisst man nie mehr. Wir alle waren mit den Nerven am Ende, verstört, eines Traumes beraubt und mit wenig Hoffnung. Gewinnen wir wirklich keinen internationalen Titel? Gibt es den Fluch?
Bastian Schweinsteiger hat nach dem verlorenen Finale in München lange Zeit geschwiegen. Im September 2012 gab er der Süddeutschen Zeitung ein Interview. Seine Worte las ich am Flughafen München, denn ein Geburtstagsheimflug zwang mich raus ins Erdinger Moos. Der Chef war zurück und kritisierte nicht nur die Nationalmannschaft sondern machte mir auch Hoffnung. Bei den Überlegungen vor diesem Beitrag kam mir dieser Moment wieder in den Sinn, denn natürlich gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen Finale, Artikel und dem Sieg am Samstagabend. Aber die Geschichte dahin ist von einzelnen Erlebnissen und Gedankenfetzen geprägt. Die Erkenntnis an diesem kalten Septembermorgen war: Wenn die Mannschaft sich aufrichten konnte dann werden auch wir Fans den Blick erneut auf die großen Ziele richten. Hoffnung haben. Vertrauen. Scheiss auf irgendeinen Fluch. Wir wollen den Pott. Wir holen das Ding!
Am 25. August begann die Rekordsaison mit einem 3:0 Auswärtssieg gegen Greuther Fürth. Davor bezwang man bereits Regensburg im DFB-Pokal. Von Sieg zu Sieg marschierte unsere Mannschaft mit einer beinahe unfassbaren Überzeugung und purem Willen. Wir feierten nationale Erfolge, stellten einen Rekord nach dem anderen ein und haben uns von keinem Gegner aufhalten lassen. Haushohe Siege in allen Wettbewerben, Ausrutscher noch im Laufe der Saison ausgebessert und sogar die wahrscheinlich beste Mannschaft der letzten Jahre in Europa dominiert. Heimstark, Auswärtsdominant und immer spielfreudig. Die vor der Saison getroffenen Entscheidungen, Verpflichtungen und Transfers schlugen ein. Irgendwann wurde allen Roten dann wohl klar, dass sich diese Spielzeit wieder zu einem absoluten Höhepunkt steigern wird. In der Woche vor dem Endspiel in Wembley war ich absolut entspannt und durfte mir mehrfach dumme Sprüche wegen meiner totalen Überzeugung vom Finalsieg anhören. Aber warum auch nicht? Die Mannschaft hat uns in keinem wichtigen Spiel enttäuscht und nur darauf musste man schauen. In Wembley würde es nicht anders sein. War es auch nicht.
»Meine Generation« – geprägt von Lahm, Schweinsteiger, Ribéry und Robben – ist zur Goldenen Generation geworden. Die Generation die ich so bewusst erlebte wie keine Andere bisher. Sie wurden zu den verdienten Siegern der Champions League und Trägern eines internationalen Titels. Mit Kampf, spielerische Klasse, Glück in wichtigen Momenten und herausragenden Leistungen ging der FC Bayern München als Gewinner vom Platz. Endlich Europapokalsieger!
Zeitsprung, denn eine Spielanalyse wird irgendwann mal geschrieben werden. Nicht heute. Montagmorgen gegen halb zwei Uhr im fast leeren Bus auf der Heimfahrt von einer Überraschungsgeburtstagsparty wurde mir der Titelgewinn dann so richtig bewusst. Diese Samstagnacht vom Europapokalsieg werde ich nie wieder vergessen. Die Erfolge, Niederlagen, Jubelschreie, Enttäuschungen der Vergangenheit, Bierduschen, Stunden vor einem Spiel in dieser Saison, egal ob in Liga, Pokal oder Champions League, die Minuten, Sekunden, Augenblicke die sich seit so langer Zeit von Spiel zu Spiel und der traurigsten aller Niederlagen zu diesem einen Moment gesteigert haben als Philipp Lahm den Henkelpott in den Londoner Nachthimmel reißt. Zurücklehnen, kurz die Augen schließen und merken wie die Mundwinkel in diesen Tagen ganz automatisch ein Grinsen formen. Europapokalsieger. Wir alle. Danke Jungs!