Müde Liga & Themen in der Kurve

Jan Trenner 29.04.2013

Christian Streich hüpft in seiner blauen Jacke wie Rumpelstilzchen höchstpersönlich in seiner Coaching Zone umher, wirbelt mit den Armen, reißt den Mund weit auf und dirigiert seine Spieler. Ihm zuzuschauen zaubert einem fast automatisch ein kleines Grinsen ins Gesicht. Der Mann hat Ehrgeiz und würde am liebsten selbst wie ein Wilder über den Platz rennen. Seine Spieler haben es ihm nicht gleich getan, obwohl unsere Münchner ebenfalls nicht die größte Spielfreude an den Tag legten. Am Ende war es eine eher müde Partie am Samstagnachmittag. Ein paar Torchancen, etwas Bewegung aber viel Ball hin- und herschieben ohne ernsthaften Zug zum Tor zu entwickeln.
Am Ende stach Xherdan Shaqiri etwas hervor und verwandelte (nicht seinen ersten) Freistoß gekonnt in die lange Torwartseite. Fehler des Freiburger Keepers Baumann, irgendwie noch leicht den Kopf von Emre Can gestreift und trotzdem ist das ein Treffer für den Schweizer. Der war in der restlichen Partie einer der Besseren, aber nicht mehr so stark wie man ihn in Erinnerung hatte. Allen fehlte der letzte Wille oder Zug zum Tor. Mario Mandzukic machte das in einer Szene deutlich und Diego Contento traute sich nicht einfach mal abzuziehen.

Der 1:0 Heimsieg ist das Ergebnisse der etwas besseren Klasse unserer (B-)Mannschaft und der Einzelleistung von Shaqiri. Auf der Anzeigetafel lief die Zeit herunter und nach Abpfiff war das nächste Spiel erledigt. Die Liga ist müde. Vielleicht hätte man auch die (historische) Siegesserie – inzwischen sind es 14 Spiele – mehr promoten könne. Aber wen interessiert das schon, wenn Pokale in Reichweite liegen.

Bei so einem Spiel beschäftigt man sich eben mit anderen Themen. Eines war schön bzw. interessant und das andere hat im Stadion für allerhand Unmut gesorgt.

Emre Can durfte erneut einen Platz in der Startformation einnehmen und agierte von Beginn an auf der linken Außenbahn. Vor Diego Contento auf der ansonsten von Franck Ribéry besetzten Position. Bei der Veröffentlichung der Aufstellung rätselten wir noch wie (und wo) er spielen wird, denn diese Position ist ziemlich ungewöhnlich für ihn. Neben Pierre-Emile Höjbjerg ist er wohl eines der vielversprechendsten Talente die ansonsten in der zweiten Mannschaft, den FC Bayern Amateuren unter (noch) Trainer Mehmet Scholl spielen. Höjbjerg meist im Mittelfeld auf der »6«, während Emre Can zwischen zentralem Mittelfeld und Innenverteidigung wechselt. In den letzten Wochen konnte ich einige Spiele unserer Amateure besuchen und selbstverständlich beobachtet man diese beiden Talente besonders. Wahrscheinlich sogar mit einem strengeren Blick, aber ihnen wird durchaus die Chance für die erste Mannschaft bescheinigt.
Der deutsch-türkische Fußballspieler Can wechselte 2009 aus der Jugend von Eintracht Frankfurt an die Isar und gehört seit 2011 zu den Bayern Amateuren. Mit 12 absolvierte er dort eher weniger Saisonspiele (zum Vergleich Höjbjerg 24, Weihrauch + Buck 28). Seine Spielanlage ist gut, er wirkt extrem austrainiert und im Unterschied zu einigen der anderen Jungs kräftig. Den haut so schnell nichts um und trotzdem hat er sich einen guten Antritt bewahrt. Er fordert seine Bälle – speziell in der Innenverteidigung – und versucht dann einen geschickten Spielaufbau einzuleiten. Das gelingt nicht immer, aber er strahlt eine gewisse Ruhe aus die dem Spiel der Amateure durchaus hilft. So zumindest mein Eindruck. Ab und an spielt er mir ein wenig zu lässig. Zu cool, oder abgeklärter als er es eigentlich ist oder mit seinen 19 Jahren schon sein sollte. Auswirkungen oder Konsequenzen hatte das noch nicht.

Ich vermutete, dass er seinen Weg ins zentrale Mittelfeld machen wird, soll – so hörte bzw. konnte man lesen – aber eher ein Innenverteidiger werden. Davon haben wir ja aktuell genug, aber mit Ausleihe und in dem jungen Alter egal. Möglicherweise einer für die Zukunft.

Kommen wir also zum traurigeren Teil des Nachmittags. Aufregung, Proteste, Vorstand und Verein gegen die Fans. All das sind Themen die uns in München seit langer Zeit beschäftigen und immer wieder die Gemüter erhitzen. Beim Neuer Transfer eskalierte es, Inferno Bavaria erlaubte sich eine Banneraktion, der Club Nr. 12 ist um Aufklärung bemüht aber alles was man hört zeigt leider nur ein Bild: die Fronten sind extrem verhärtet und niemand glaubt an eine Besserung der Lage. Und das waren nur wenige Beispiele. Für den seltenen Stadionbesucher mag das dann komisch sein und ihn vielleicht sogar verärgern, aber die Atmosphäre (oder das Fehlen einer solchen) ist nicht nur den Ultras geschuldet. Andere Gruppen wollen (und können) die Stimmung nicht ersetzen, werden beim Versuch behindert und grundsätzlich ist kaum jemand um Aufklärungsarbeit bemüht. Diejenigen die an dieser Front kämpfen sind nicht nur langsam und sicher, sondern ziemlich sicher der Verzweiflung nahe.

Doch weswegen schwieg die Südkurve an diesem sonnigen Samstag konsequent über 90 Minuten? Ein paar Stunden vor Anpfiff veröffentlichte der FC Bayern folgende Mitteilung zum »Ticketkontingent in der Südkurve« und schreibt:

Nach zwei Jahren der intensiven Analyse und des ständigen Dialogs mit allen Beteiligten […] dass es ab der neuen Saison 2013/2014 eine elektronische Zugangskontrolle in Form von Drehkreuzen zu allen Blöcken im Unterrang der Südkurve geben wird, wie sie in anderen Bereichen der Arena bereits üblich ist.

Die Spatzen haben es schon längere Zeit von den Dächern gepfiffen und nun ist es Realität. In die Südkurve kommt nur noch derjenige der auch ein Ticket für diese Plätze hat. Grundsätzlich ist das nicht verkehrt, aber im Kontext mit der Nicht-Verfügbarkeit von Jahreskarten oder der Chance, dass junge stimmungswillige Fans dort für 90 und mehr Minuten Support sorgen könnten, ist das durchaus kritisch. In der Champions League haben wir mehrfach gesehen was das bedeuten kann. Beängstigende Stille, keine Gesänge und höchstens monotones Krach machen mit der Klatschpappe. Stimmung gehört für mich ins Fußballstadion und wir (eher ruhigen) Fans sollten die Kurve dabei unterstützen, genauso wie die Kurve auf einen Dialog aus sein muss. Beides hat am Samstag nicht funktioniert. Die festgefahrenen Fronten mit der Vereinsführung zeigen sich 1 zu 1 auch im Stadion. Unwissenheit traf blinden Ärger und sinnlose Beschimpfungen aus der Nord- in die Südkurve. Wir standen im Unterrang der Nordkurve (wo sich durchaus am Samstag 1-2 Trommler mehr und Kuttenträger befanden, die wahrscheinlich aus der Süd rübergewechselt sind) und »Scheiss Schickeria« Rufe waren noch das harmloseste was einige in Richtung andere Kurve riefen. Und wie kann es eigentlich sein, dass in einer eindeutig als »Stehplatzbereich« deklarierten Fankurve ein rentnerhaftes Publikum beharrlich auf den Sitzplatz besteht? Dass man dumm angeschaut wird, wenn man sich nun an die Treppe stellen muss um überhaupt Platz zu finden? Oder ernsthaft jemand versuchte den Trommler an eine andere Stelle zu schicken, weil ihn die Lautstärke genervt hat! Hauptsache zwei Minuten vor dem Halbzeitpfiff wieder die gemütlichen Plätze einnehmen oder das Schauspiel der wenigen singenden Bayernfans, oder der Gäste im Oberrang beobachten. Operettenpublikum! Bitte versteht mich nicht falsch: ich gehöre definitiv nicht zur Kategorie derjenigen die sich 90 Minuten die Lunge nach außen drehen und mit dem Herz in der Hand unsere Mannschaft nach vorn peitschen. Aber ich habe allergrößten Respekt vor ihnen und die Fankurve ist ihr Platz. Dann unterstütze ich wie ich kann. Wenn eine Gruppe nach einem gutem Platz sucht um gemeinsam dem Gesang nachzugehen mache ich Platz. Sitzen kann man woanders und dumme Kommentare können dann im Wirtshaus am Chiemsee ausgetauscht werden. Weit weg vom Fußballplatz. Das nervt, das ist jetzt schon traurig und es hat den Anschein als verschärft sich das in Zukunft noch. Wir sind nicht eine Familie von Bayernfans, sondern viele Gruppen die von ihren Ansprüchen an den Stadionbesuch keinen Millimeter abweichen will um gemeinsam ein großartiges Erlebnis zu kreieren. Oh man, so kritisch sollte dieser Absatz nicht werden.

Was macht die »andere Seite«? Sie protestiert, demonstriert durch Ruhe ihre »Macht« im Stadion, aber vergisst dabei die große Masse aufzuklären. Wie viele der Besucher beim Spiel Bayern gegen Freiburg haben die erwähnte Mitteilung gelesen, oder können den Protest gegen die Konsequenzen der Nachricht richtig einordnen. In der Südkurve viele, im Norden einige und vom Sitzplatzpublikum vielleicht einer von 100. DAS muss sich in Zukunft ändern! Eine Stadionzeitschrift von Fans gibt es nicht und Flugblätter sind vor dem Stadion verboten, aber dann muss über Twitter, Facebook und auf den Seiten der Fanclubs vom Protest berichtet werden. Kurz, prägnant und direkt vor dem Spiel. Pressevertreter müssen darauf aufmerksam gemacht werden und jeder muss ein Verständnis für den anderen entwickeln. Der Club Nr. 12 hat in den letzten Wochen einige Stellungnahmen veröffentlicht und ist auf dem richtigen Weg. Zum Vergleich: die Schickeria schrieb zuletzt im Dezember 2012 etwas auf ihrer Homepage.

Bitte, liebe Fanvertreter und Gremien in Nord- und Südkurve setzt euch zusammen, arbeitet gemeinsam und konstruktiv an Lösungen und bindet die anderen Fans in diesen Prozess ein. Sei es durch Umfragen, Bekanntmachungen oder einfach indem Aufklärung betrieben wird. Das sollte eines der großen Ziele in den kommenden Monaten sein und man kann nur hoffen, dass irgendjemand damit beginnt. Bitte, ich würde es mir sehr wünschen.

Am Mittwoch geht es ins Rückspiel gegen Barcelona. Hoffen wir auf einen grandiosen Erfolg unserer Roten und den Einzug ins Champions League Finale. Europa schuldet uns keinen Titel – in dieser Saison holen wir ihn uns!