Lewandowskis zäher Start in München: Mehr als nur Tore

Steffen Trenner 23.09.2014

„Warum trifft Lewandowski beim FC Bayern nicht?“

„Bayerns Problemzone ist die Offensive.“

„Lewandowski – die magere Quote des Bayern-Stürmers.“

Die Überschriften in den einschlägigen Sportportalen waren vorhersehbar nach dem eher wenig inspirierenden 0:0 der Münchner am Wochenende gegen den HSV. Die medialen Mechanismen greifen nach nur einem Treffer von Robert Lewandowski in sechs Pflichtspielen. Zwei weitere torlose Spiele in dieser Woche gegen Paderborn und Köln würden die öffentliche Diskussion mit Sicherheit noch einmal verstärken. Die Fans des Rekordmeisters blieben bisher angenehm geduldig. Lewandowski bekam bei seinen Auswechslungen stets freundlichen Applaus – wohl auch weil die Zuschauer ein gutes Gespür dafür haben, dass dort einer extrem bemüht ist die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen. Fleiß ist Lewandowski nicht abzusprechen. Glücklos wirkt er manchmal trotzdem – auch wenn die Gesamtbilanz durch drei Torvorlagen in Bundesliga und Pokal deutlich aufgewertet wird. Vielleicht hat gerade die enorm starke Vorbereitung dazu beigetragen, dass viele überrascht sind über den Anpassungsbedarf des polnischen Nationalspielers und amtierenden Bundesliga-Torschützenkönigs. Besonders hängen blieb vor allem eine Szene aus dem Telekom-Cup gegen Mönchengladbach. Lewandowski verarbeitete einen abgewehrten Schuss 12 Meter vor dem Tor mit der Hacke, drehte sich gegen zwei Mönchengladbacher Verteidiger auf engstem Raum und lupfte den Ball dann unter Bedrängnis seelenruhig über den gegnerischen Torwart hinweg ins Netz. Die Überschriften danach waren andere als heute. Auch weil Lewandowski ansonsten in der Vorbereitung bemerkenswert eingespielt wirkte und auf dem Weg schien die hohen Erwartungen an ihn von Beginn an zu erfüllen.

Verändertes Anforderungsprofil in München

Beim Blick ins Detail ist es allerdings keineswegs überraschend, dass der gebürtige Warschauer in München mit ein paar Anpassungsproblemen zu kämpfen hat. Er ist nicht der erste Stürmer, der sein Spiel in München anpassen und umstellen muss. Mario Gomez sagte über seine Startschwierigkeiten im roten Dress einmal: „Beim VfB habe ich sechs Jahre an der Mittellinie gewartet und gekontert. Bayern braucht einen Mittelstürmer, der auch Platz schafft für die Mitspieler. Man braucht Gefühl für diese Position, das geht nicht von heute auf morgen.“ Giovane Elber traf 1997 bei seinem Start in München in den ersten 13 Bundesliga-Spielen nur 2 Mal und nahm erst dann richtig Fahrt auf. Claudio Pizarro brauchte 2000 bis zum 7. Bundesliga-Spieltag für seinen zweiten Treffer. Lukas Podolski traf nach seinem Wechsel vom 1. FC Köln in den ersten 20 Bundesliga-Spielen nur einmal und selbst Roy Makaay musste sich nach zwei quasi unsichtbaren Spielen zum Start der Saison 2003/2004 erste kritische Fragen gefallen lassen. Auch Gomez, der am Ende seiner Zeit in München die beste Torquote seit Gerd Müller aufweisen konnte, traf nur 3 Mal in den ersten 12 Spielen. Bis auf Podolski schafften aber alle mittelfristig die Umstellung auf das ballbesitzintensive Spiel der Bayern gegen zumeist tief stehende Gegner.

Lewandowski war zuletzt in Dortmund häufig die erste Anspielstation nach Ballgewinn. Am letzten Spieltag der Bundesliga-Saison des Vorjahres beim 4:0-Erfolg der Dortmunder gegen die Hertha erhielt Lewandowski 38 Pässe. Allein 18 davon kamen von den Abwehrspielern Hummels, Piszczek, Schmelzer und Torwart Weidenfeller. Ein typisches Bild für Dortmunds Spielweise. In München wird das Mittelfeld deutlich seltener überbrückt. Der 1,85-Mann bekommt bisher die meisten Zuspiele von Mario Götze, David Alaba oder Xabi Alonso. Lewandowski hatte in Dortmund seine stärksten Momente, wenn er flache oder hohe vertikale Pässe nach Ballgewinn mit dem Rücken zum Gegner verarbeiten konnte, seine Nebenmänner auf den Außen geschickt in Szene setzte und dann nach einem klugen Lauf und schneller Kombination in Strafraumnähe abschloss. Die Ruhe vor dem Tor, die er dabei entwickelte, war bemerkenswert. 66 Tore erzielte der Stürmer so allein in der Bundesliga in den vergangenen drei Spielzeiten. Bei Bayern gibt es Situationen wie diese selten. Kürzere Pässe auf engerem Raum sind die Folge. Auch Momente der Unordnung in der gegnerischen Defensive, die Dortmund durch disruptive Ballgewinne immer wieder erzeugt, sind in München auch auf Grund des häufig zurückhaltenden Offensivspiels der Gegner eher die Ausnahme. Auch wenn das Ballbesitzspiel der Bayern in dieser Saison etwas zielgerichteter ausgerichtet zu sein scheint, geht es häufig um das geduldige Suchen nach der Lücke in der gegnerischen Hälfte gegen meist dicht gestaffelte Defensivformationen.

Mehr als nur Tore

Lewandowskis Anpassungsbedarf an die veränderte Spielweise ist dabei in Zahlen nachzuvollziehen. Und dabei ist weniger der Blick auf die erzielten Tore entscheidend. 34 Ballkontakte und 23 Pässe verbucht Bayerns Nummer 9 in dieser Saison laut Bundesliga.de pro 90 Minuten. 45 und 27 waren es im Vorjahr in Dortmund. Und dass obwohl die Münchener in dieser Saison insgesamt fast 200 Pässe mehr pro Spiel zum Mitspieler bringen als die Schwarz-Gelben im Vorjahr. Lewandowski ist also deutlich geringer ins Spiel eingebunden als noch bei Schwarz-Gelb – was den Wandel des Anforderungsprofils unterstreicht.

Auch die Zahl der Zweikämpfe sinkt im Vergleich zum Vorjahr von 34/90 Minuten auf 21/90. Die Zweikampfquote geht dabei von 43 auf 36 Prozent leicht zurück. In Dortmund war Lewandowski in der Vorsaison an 7 Torschüssen/90 Minuten beteiligt – in München bisher an 4. Zudem wurde er in der Vorsaison knapp drei Mal pro 90 Minuten gefoult. In München bisher nicht Mal einmal pro Spiel. Positiv ins Gewicht schlagen die beiden Torvorlagen von Lewandowski in der Bundesliga (plus eine im Pokal gegen Münster). Im Vorjahr kam er in der Bundesliga insgesamt nur auf 8 Assists in 33 Spielen.

Lewandowski macht im Moment den gleichen Anpassungsprozess in München durch, wie viele Weltklasse-Stürmer vor ihm. Er muss sein Spiel ein Stück weit neu erfinden und nach Wegen suchen seine auch in der Anfangsphase der Saison immer wieder aufblitzenden Stärken in einem stark veränderten System zur Geltung zu bringen. Er ist kein Spieler wie Mandzukic, der durch ein extrem physisches Spiel und eine enorme Kopfballstärke Fähigkeiten einbringt, die auch ohne intensive Einbindung ins Offensivspiel Wirkung entfalten können. Lewandowski muss einbezogen werden, damit die Mannschaft von seinen Qualitäten im Kombinations- und Umschaltspiel profitieren kann. Genau deshalb ist er schließlich nach München gekommen. Guardiola will weg vom häufig flankenintensiven Spiel der Vergangenheit – das zum Beispiel im Champions League-Halbfinale gegen Real Madrid an seine Grenzen stieß – und hin zu schnelleren Kombination im und durch das Zentrum. Lewandowskis ist hier von seinem Fähigkeitenprofil her eine Idealbesetzung, weil er Qualitäten im Abschluss mit eben jener spielerischen Klasse paart. Die drei Torvorlagen in den ersten sechs Pflichtspielen waren hier ein erster Vorgeschmack. Trotzdem muss seine Einbindung besser und intensiver werden – eine Aufgabe auch für Lewandowskis Teamkollegen, die durchaus in der ein oder anderen Szene den vielversprechenden, aber riskanten Pass auf den sich gut bewegenden Stürmer scheuten. Hier sollte der Fokus bei der Bewertung der Entwicklung des Stürmers in den kommenden Wochen liegen.

Die Tore kommen dann wahrscheinlich sowieso von allein – vor allem wenn Leistungsträger wie Robben, Ribéry oder Thiago endlich fit werden sollten. Die Überschriften, das haben schon Elber, Makaay, Gomez und Co. in München gelernt sind spätestens dann auch wieder andere.