Lewandowski & Müller: Die dominante Doppelspitze
Stürmerpaare – ein nahezu mystischer Begriff. Obwohl der Fußball der letzten zehn Jahre eindeutig die Ein-Sturm-Systeme, insbesondere das 4-2-3-1 präferierte, bleibt die Idee eines perfekt abgestimmten und einander ergänzenden Angriffsduos ein Heiligtum.
Von der traditionellen englischen Besetzung zweier komplett unterschiedlicher Spielertypen bis zur meist ineffizienten Kooperation von zwei Strafraumstürmern ist auch für jede Spielidee etwas dabei. Deshalb überrascht es kaum, dass der FC Bayern unter Guardiola dieser Tage eine gemäßigte Revolution zurück zur Tradition erlebt: Die Rückkehr zum zweiköpfigen Angriffsmonster.
Rückkehr der Doppelspitze
Ob der Bayern-Coach dieses taktische „Zurück in die Zukunft“ geplant oder eher improvisiert hat, bleibt ungewiss. Die Probleme Guardiolas, eine Position für den unkonventionellen Thomas Müller zu finden, sind durchaus überliefert. Der verzweifelte Versuch der Mittelfeldetablierung brachte ebenso wenig eine Lösung wie die unregelmäßigen Probeläufe als Sturmspitze. So gab es fast zwei Jahre lang Kopfschmerzen für den Trainer. Denn Müller spielt immer, doch wo genau blieb lange offen.
Die Erlösung kam in Form einer Qual. Eine intensive Kaderkrise im Frühjahr 2015 zwang Pep Guardiola dazu, das etablierte Flügelspiel des Rekordmeisters vorübergehend aufzugeben. Diese Probleme fanden ihren Höhepunkt im Dortmunder Westfalenstadion, hier entschied man sich im Rückrunden-Duell in der Bundesliga bewusst für eine überraschend defensive und destruktive Spielweise mit Fünferkette und drei defensiv-zentralen Mittelfeldspielern. Für die Offensive zuständig waren nur zwei Spieler: Robert Lewandowski und Thomas Müller.
In den folgenden Wochen etablierte sich dieses Stürmerpaar so sehr, dass es auch in der aktuellen Saison eine fast zwingende Option ist. Müller fand seine Position als hängender Freigeist, während Lewandowski dank der zentralen Unterstützung etwas mehr Raum gewann. Auch wenn das Bayernspiel inzwischen längst zum Flügelfokus zurückgekehrt ist – die (taktisch oft nicht auf einer Linie befindliche) Doppelspitze bleibt. Lewandowski profitiert von Müllers kreativen Läufen auf die er mit eigenen Bewegungen reagieren kann. Szenen aus Lewandowskis erster Saison in der der Pole häufig fast verzweifelt am Strafraum alleine nach Lücken suchte, sind selten geworden. Wettbewerbsübergreifend bereitete Müller allein in der laufenden Saison sechs Tore seines kongenialen Partners vor.
Historische Einordnung
Aktuell haben die Bayern in dieser Bundesligasaison genau 50 Tore erzielt. 33 dieser 50 Tore gehen auf das Konto der deutsch-polnischen Spitze – somit erzielen diese beiden Spieler aktuell 66% der Tore des FCB. Zum Vergleich: Letzte Saison erreichten sie noch einen Wert von 38%.
Diese 66% sind auch historisch ein bemerkenswerter Wert. Als Einordnung analysierten wir die Werte der beiden Topscorer des FC Bayern der letzten 20 Jahre und darüber hinaus noch die stärkste Saison ausgewählter Doppelspitzen der Bundesligahistorie, die auch das Kicker Sportmagazin in dieser Woche in seiner Titelgeschichte aufführt.
Vereinsintern kommt keine Kombination an diesen Wert heran. In der Saison 1971/72 erzielten Gerd Müller und Uli Hoeneß zusammen zwar 53 Tore, dies entsprach aber nur 52% in dieser treffsicheren Mannschaft. Selbst bei Hinzufügen der Vorlagen liegen die Prozentwerte von G.Müller/Hoeneß mit 81% noch unter den 84% von T.Müller/Lewandowski.
Andere Bayernpaare, die zusammen über die Hälfte der Tore erzielten, waren Rummenigge/Breitner (52%, 1980/81), Elber/Pizarro (51%, 2002/03) und Toni/Ribery (51%, 2007/08).
Auch unter Berücksichtigung anderer historischer Duos bleibt die aktuelle Leistung von Müller und Lewandowski bemerkenswert. So sind sie in der Rangliste der von uns bewerteten Pärchen in einem Viererblock, der die Listen mit Abstand anführt. So erzielten Uwe Seeler und Charly Dörfel für den HSV 1963/64 65% der Tore (45/69), weshalb sie momentan noch knapp hinter dem Bayernpaar liegen.
Wir konnten nur zwei Kombinationen finden, die einen Wert über 66% hatten, und auch dies nur sehr knapp. Denn Klaus Allofs und Pierre Littbarski waren für 67% der Tore des 1. FC Köln 1984/85 verantwortlich. Den ersten Platz belegt zur Zeit ein Sturmduo, an das wir uns alle noch erinnern können. Auch die Bayern dürfen sich zu den Opfern des Torterrors von Edin Dzeko und Grafite zählen. Sie verhalfen dem VfL Wolfsburg im Jahr 2009 mit 54 Toren zur Meisterschaft – dies entspricht 68% der Tore der Mannschaft. Das Münchner Duo liegt nur 2% dahinter.
Saison | Verein | Spieler | Tore | Mannschaftstore | % aller Tore |
---|---|---|---|---|---|
08/09 | Wolfsburg | Dzeko/Grafite | 54 | 80 | 68% |
84/85 | Köln | Allofs/Littbarski | 46 | 69 | 67% |
15/16 | Bayern | Lewandowski/Müller | 33 | 50 | 66% |
63/64 | Hamburg | Seeler/Dörfel | 45 | 69 | 65% |
67/68 | Nürnberg | Brungs/Strehl | 43 | 71 | 61% |
65/66 | Dortmund | Held/Emmerich | 42 | 70 | 60% |
00/01 | Schalke | Sand/Mpenza | 35 | 65 | 54% |
71/72 | Bayern | Müller/Hoeneß | 53 | 101 | 52% |
03/04 | Bremen | Ailton/Klasnic | 41 | 79 | 52% |
80/81 | Bayern | Rummenigge/Breitner | 46 | 89 | 52% |
Abhängigkeit oder Rollenverteilung?
Was lässt sich hieraus schließen? Zunächst wird deutlich, dass Lewandowski und Müller möglichst nicht wieder getrennt werden sollten. Dies hat aber auch niemand vor, wenn man von Überreaktionen bei Ruhepausen absieht.
Doch es gibt noch einen zweiten Gedanken, welchem man durchaus Beachtung schenken sollte. Ist eine solche Abhängigkeit von zwei Spielern bei einem solch breiten Kader überhaupt gesund? Ist es nicht irgendwo alarmierend, dass diese Mannschaft nicht im Kollektiv Tore erzielt? Im Triplejahr 2013 zum Beispiel erzielten Mandzukic und Müller nur 29% der Tore, der eindeutige Tiefstwert in unserer Liste.
Saison | Spieler | Tore | Mannschaftstore | % aller Tore |
---|---|---|---|---|
15/16 | Lewandowski/Müller | 33 | 50 | 66% |
71/72 | Müller/Hoeneß | 53 | 101 | 52% |
80/81 | Rummenigge/Breitner | 46 | 89 | 52% |
07/08 | Toni/Ribery | 35 | 68 | 51% |
02/03 | Elber/Pizarro | 36 | 70 | 51% |
10/11 | Gomez/Müller | 40 | 81 | 49% |
11/12 | Gomez/Ribery | 38 | 77 | 49% |
01/02 | Elber/Pizarro | 32 | 65 | 49% |
04/05 | Makaay/Ballack | 35 | 75 | 47% |
05/06 | Makaay/Ballack | 31 | 67 | 46% |
06/07 | Makaay/Pizarro | 24 | 55 | 44% |
00/01 | Elber/Jancker | 27 | 62 | 44% |
03/04 | Makaay/Ballack | 30 | 70 | 43% |
09/10 | Robben/Müller | 29 | 72 | 40% |
95/96 | Klinsmann/Scholl | 26 | 66 | 39% |
14/15 | Lewandowski/Müller | 30 | 80 | 38% |
99/00 | Elber/Sergio | 27 | 73 | 37% |
97/98 | Elber/Jancker | 24 | 69 | 35% |
98/99 | Elber/Jancker | 26 | 76 | 34% |
96/97 | Klinsmann/Basler | 23 | 68 | 34% |
13/14 | Mandzukic/Müller | 31 | 94 | 33% |
08/09 | Toni/Ribery | 23 | 71 | 32% |
12/13 | Mandzukic/Müller | 28 | 98 | 29% |
Können die beiden Angreifer ihren aktuellen Schnitt halten? Und falls nein, können dies andere Spieler auffangen? Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob aus der kongenialen Partnerschaft auch eine gewisse Abhängigkeit im Angriffsdrittel entstanden ist.