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Es ist das vielleicht spannendste Experiment der bisherigen Vorbereitung. Der etatmäßige Rechtsverteidiger Philipp Lahm agierte in den Testspielen gegen Hansa Rostock, Borussia Mönchengladbach und den FC Barcelona in Guardiolas neuem 4-1-2-3 auf der rechten Halbstürmer-Position. Sicherlich ist dies auch den Ausfällen von Mario Götze und Bastian Schweinsteiger geschuldet, trotzdem lässt es aufhorchen, dass Guardiola Lahm und nicht etwa Shaqiri Spielpraxis auf der offensiven Halbposition verschafft. Weil der Nationalmannschaftskapitän in neuer Rolle bisher restlos überzeugte stellt sich allmählich die Frage, ob Lahm als Halbstürmer mehr sein könnte als nur ein Experiment. Guardiola sagt nein. Spielerisch spräche aber nicht viel dagegen.
Grundsätzlich muss einmal festgehalten werden, dass Lahm eine fußballerische Ausnahme-Erscheinung ist. Außer Lothar Matthäus hat es in den vergangenen 30 Jahren wohl keinen deutschen Spieler gegeben, der auf zwei Positionen über mehr als ein halbes Jahrzehnt absolute Weltklasse verkörpert hat. Lahm war, egal ob als Links- oder Rechtsverteidiger in den vergangenen sieben Jahren die absolute Konstante beim FC Bayern und im deutschen Fußball insgesamt. Im Vorjahr krönte Lahm, der wie so viele seiner Generation als unvollendet galt, seine Karriere mit dem Gewinn der Champions League. Lahm spielte dabei selbst eine Ausnahmesaison. 11 Torvorlagen in der Bundesliga, 4 Assists in der Champions League. Kein Spieler kreierte in der abgelaufenen Champions League Saison mehr klare Torchancen als der Rechtsverteidiger Philipp Lahm. Allein diese Werte beweisen, dass sich Lahm auch etwas weiter vorn sehr wohl fühlen dürfte.
Lahm passt auch auf Grund seiner Größe und Spielanlage optimal in die Philosophie von Guardiola. Der Katalane möchte im offensiven Zentrum mit kleinen, wendigen und ballsicheren Spielern agieren. Lahm gehört seit Jahren zu den passsichersten Spielern der Welt. Er verliert kaum einmal den Ball, kann die Kugel abschirmen und gleichzeitig schnelle Richtungswechsel vollziehen. Er löst auf dem Feld Drucksituationen exzellent und vor allem konstruktiv – all das prädestiniert ihn für eine Position in Guardiolas Offensivkonzept.
Ein weiterer Aspekt der für Lahm auf der offensiven Halbposition spricht, ist seine enorme Zweikampfstärke, die bis heute unterschätzt wird. Lahm gewann in der abgelaufenen Bundesligasaison 62 Prozent seiner Zweikämpfe (am Boden). Diesen Wert erreicht in der Bundesliga mit Ausnahme von Tony Jantschke von Borussia Mönchengladbach (62 Prozent) kein anderer Stamm-Außenverteidiger. Zum Vergleich: David Alaba gewann 58 Prozent seiner Duelle, Marcel Schmelzer (53 Prozent) oder Lukas Piszczeck (47 Prozent) hängen hier noch viel weiter zurück. Darüber hinaus kassierte Lahm keine gelbe Karte. Guardiola braucht in seiner Offensivreihe zweikampfstarke Spieler weil sein Kalkül mit nur einem Sechser nur aufgeht, wenn ein kontrolliertes, schnelles Umschalten des Gegners durch hohen Pressingdruck verhindert werden kann. Auch das würde also für Lahm sprechen.
Das einzige was ihm für die offensivere Position fehlt, ist eine gewisse Abschlussstärke. Trotz seiner drei Tore in den bisherigen Testspielen haben ihm die Götzes, Kroos und Shaqiris hier einiges voraus. Andererseits gibt es neben ihm genügend torgefährliche Spieler in der Münchener Offensive.
Viel hängt im Hinblick auf einen möglichen Positionswechsel Lahms von Rafinha ab. Er wäre der letzte verbliebene Rechtsverteidiger mit internationalem Format. Mitchell Weiser könnte diese Position zwar spielen, hat jedoch so gut wie keine Erfahrung auf höchstem Niveau. Guardiola muss sich fragen ob er Rafinha auch in den großen Spielen zutraut die rechte Seite defensiv dicht zu machen und offensiv zu beflügeln, oder ob er doch mit Lahm auf Nummer sicher gehen will.
Klar ist: Fußballerisch spricht vieles dafür, dass Lahm als ballsicherer Fixpunkt häufiger die offensive Halbposition einnehmen könnte. Es geht deshalb weniger um die Frage, ob ihm dies zuzutrauen ist, als um die Frage, ob die Lücke, die er hinten rechts hinterlassen würde, nicht zu groß ist. Guardiola hat sich nach dem Spiel gegen Barcelona auf Nachfrage eher abweisend geäußert und auf die fehlenden Alternativen durch Verletzungen und Trainingsrückstände einzelner Spieler hingewiesen, die ihn zu Anpassungen gezwungen hätten. Das spricht eher dafür, dass Philipp Lahm als Halbstürmer, trotz seiner fußballerischen Vorzüge ein vorübergehendes Experiment bleibt. Ein charmantes war es allemal.