Harry Kane in der Krise? Der unterschätzte Spielmacher des FC Bayern
Es gibt Dinge im Leben, die uns scheinbar schon immer begleiten, gar zu einer Konstante entwickelt haben. Hierzu gehört zweifelsohne die Bundesliga, welche die Zuschauer seit 61 Jahren in ihren Bann zieht. Unzählige ruhmreiche Siege wurden seitdem gefeiert, sowie Tränen nach beklagenswerten Niederlagen vergossen.
Eine Liga, in der das Spektakel trotz namhafter Konkurrenz aus dem Ausland nie zu kurz kam. Über die Jahre hinweg fieberten die Anhänger mit ihren Vereinen und bewunderten im Zuge dessen Spieler, die ganze Generationen prägten.
Ob Harry Kane ähnliches gelingen wird, steht in den Sternen geschrieben. So manch einem fällt es noch immer schwer zu glauben, dass Kane, seines Zeichens ein Produkt der Jugendakademie von Tottenham Hotspur, der im Laufe der Jahre zum alleinigen Rekordtorschütze und Ikone des blau-weißen Teils von London wurde, seit über einem Jahr für den FC Bayern auf Torejagd geht.
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Nach München gekommen, um Trophäen zu gewinnen, wurde Kane in seiner ersten Saison außerhalb der englischen Heimat von der Ironie des Schicksals eingeholt. Der Verein, der über Jahre hinweg ein Dauerabonnement für die Meisterschaft bei der Liga hinterlegte und sich Jahr für Jahr reelle Chancen in der Champions League ausrechnet, hatte bei Saisonende keinen Grund zum Feiern.
Daran konnten Kanes 44 Tore in 45 Pflichtspielen, sowie unzählige gebrochene Ligarekorde und persönliche Bestmarken auch nichts ändern. Eine Tatsache, die seine starke Debüt-Saison wohl immer überschatten wird und regelmäßig Fluch-Debatten in den sozialen Netzwerken auslöst, die fernab jeglicher Professionalität liegen.
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FC Bayern: Starker Start ins zweite Jahr für Kane
Für Harry Kane gilt es sich in seinem zweiten Jahr in München zu beweisen. Paradox für einen Spieler, der zurzeit als bester Stürmer der Welt bezeichnet werden kann. Hierbei kreuzen sich Kanes Wege mit einer weiteren Personalie, die sich im gnadenlosen Umfeld des FC Bayern beweisen muss: Vincent Kompany. Vor Saisonbeginn noch despektierlich als Notnagel bezeichnet und Trainerqualitäten infrage gestellt, reiten beide momentan auf einer nicht brechend wollender Erfolgswelle.
In den ersten acht Saisonspielen erzielte Kane 10 Tore, darunter ein Dreierpack gegen Bundesliganeuling Holstein Kiel und ein Viererpack in der Champions League gegen den kroatischen Traditionsverein Dinamo Zagreb. Zudem glänzte Kane wettbewerbsübergreifend mit 5 Assists in der Rolle als Vorbereiter, was einem vereinsinternen Bestwert entspricht.
Kane, ein heimlicher Gewinner der noch jungen Amtszeit Kompanys, profitiert dabei von der Spielidee des Belgiers, welche intensive Pressing-Elemente mit den individuellen Stärken der einzelnen Spieler vereint. Im Kompany-System nimmt Kane eine Rolle ein, deren Ausführung als Paradebeispiel für Einzigartigkeit gilt. Schon unter früheren Trainern perfektionierte Kane über Jahre hinweg sein Walten als tief stehender, mitspielender Stürmer.
Eine Genialität, die nicht jeder zu schätzen weiß. Oftmals werden kritische Stimmen laut, dass Kane nicht die klassischen Räume eines Stürmers besetzt. Abgesehen davon, dass es sich hierbei um eine belegbare Falschaussage handelt, hilft genau diese umstrittene Spielweise dem FC Bayern ungemein.
Harry Kane: May I assist you?
Über Kanes Qualitäten vor dem gegnerischen Tor sollte es keine zwei Meinungen geben. Als waschechter Vollblutstümer verfügt er über einen überragenden beidfüßigen Abschluss, einen starken ersten Kontakt und herausragende Positionierung im Strafraum aufgrund seines Torinstinkts. Zudem ist Kane dank seiner Körpergröße von 188 cm überaus kopfballstark, was ihn vor allem bei Standardsituationen zu einer echten Bedrohung für die gegnerische Abwehr macht.
Viele Chancen benötigt er dabei nicht, um seinen Namen in die Torschützenliste einzutragen. Selbst in Spielen, die bis dahin auf individueller Ebene schwierig für den Torjäger liefen, wartet Kane geduldig auf die berühmte und viel zitierte eine Möglichkeit. Jedoch würde man ihm großes Unrecht tun, wenn man den Kapitän und Rekordtorschütze der Three Lions nur auf seine Torgefahr reduzieren würde. Denn Kane weiß in Anbetracht seiner Fähigkeiten ebenso als Vorbereiter und Spielmacher zu glänzen.
José Mourinho, der Kane von November 2019 bis April 2021 bei Tottenham trainierte, fand im Rahmen eines Sponsoren-Events nur lobende Worte über seinen ehemaligen Schützling: „Harry ist ein fantastischer, kompletter Spieler, der von überall auf dem Platz Tore schießt, aber nicht egoistisch ist – er assistiert, lässt sich tief fallen, baut das Spiel auf, presst, verteidigt.“
Harry Kane: Kein reiner Strafraumstürmer
Tatsächlich ist Kane kein reiner Strafraumstürmer, der nur auf geeignete Zuspiele lauert. Stattdessen ist er im Aufbauspiel eingebunden und leitet regelmäßig Angriffe selbst ein. Dabei hilft ihm die Erfahrung, die er einst als Jugendlicher in der Spurs-Akademie sammelte, denn dort spielte er zu Beginn als defensiver Mittelfeldspieler. Dank eines gewaltigen Wachstumsschubs und einem strammen Schuss, wurde Kane von seinen damaligen Trainern in immer offensiver werdenden Rollen eingesetzt, bis er schlussendlich aus Stürmer auflief.
Kane weiß wie kaum ein anderer Stürmer innerhalb der großen europäischen Ligen Raum- und Positionsvorteile herzustellen aufgrund seiner flexiblen Rolle und Bewegungsmuster. Die wohl größte Starke von ihm ist dabei das Abkippen in die Tiefe, wodurch Kane meist mehrere Gegenspieler auf sich zieht und dadurch Löcher im Defensivverbund entstehen. Dies wiederum öffnet Räume für seine Mitspieler, die der Engländer als Ballführender Akteur zu nutzen weiß. Hierbei spielt er perfekt getimte Pässe in die sich ergebenden Schnittstellen auf durchstartende Läufer, die so hinter die gegnerische Kette kommen.
Mit Heung-Min Son bildete Harry Kane dank der oben beschriebenen Spielweise über Jahre hinweg ein kongeniales Duo, prägten gemeinsam über Jahre hinweg das Angriffsspiel der Spurs. Unter anderem halten beide den Premier-League-Rekord für die meisten gegenseitigen Assists in einer Spielzeit (14, 9 davon legte Kane Son auf), sowie in der gesamten Geschichte der höchsten Englischen Spielklasse (47). Beim FC Bayern findet Kane ähnliche Voraussetzungen vor.
Mit Michael Olise, Serge Gnabry und Co. stehen im Kader der Münchner schnelle und vor allem sprintstarke Flügelspieler, sowie offensive Freigeister und Welttalente, besser bekannt als Thomas Müller und Jamal Musiala.
Zahlen, Daten, Fakten zu Harry Kane
Shkodran Mustafi, Teil des Weltmeisterteams von 2014, verbrachte einen Großteil seiner Karriere im rot-weißen Teil Londons. Im Dienste des FC Arsenal traf der Innenverteidiger über die Jahre hinweg öfter auf Harry Kane und kann daher bestens seine Qualitäten einschätzen.
Bei Sky hob Mustafi, der mittlerweile seinen Ruhestand genießt, Kanes Spielverständnis hervor: „Dann bietet er sich auch immer in den Räumen an, die geschaffen werden. Wenn sich die Sechser fallen lassen, kommt er dahinter. Er stellt den Verteidiger vor die Situation: ‘Geh ich raus, geh ich nicht raus?’“ und ergänzt: „Als Verteidiger spielst du gegen solche Spieler nicht so gerne, weil sie dich permanent dazu bringen, eine Entscheidung zu fällen. Und wenn man ihm im Sechzehner ein bisschen Platz gibt, ist es schon zu spät.“
Mustafis Worte werden von den zugehörigen Zahlen untermauert. Das nachstehende Ranking von Datenanbieter fbref visualisiert anhand von ausgewählten, individuellen Werten der letzten 365 Tagen die Stärken von Harry Kane anhand einer Sortierung in vergleichende Perzentil-Kategorien.
Wenn man die ersten beiden Balken betrachtet, fällt sofort auf, dass Kane deutlich mehr Vorlagen erzielt, als eigentlich von ihm erwartet werden. Zum Vergleich: Erling Haaland, der seine Treffsicherheit Woche für Woche im Dienste von Manchester City beweist, kommt auf 0.11 Assists pro 90 Minuten. 53 Prozent aller Stürmer der Top-5-Ligen liegen vor ihm. Seine Expected Assists liegen bei 0.10 (58 Prozent vor ihm), was nur einer minimaler Abweichung entspricht. Harry Kane übertrifft beide Werte deutlich und sichert sich einen Platz im oberen Perzentil-Bereich.
Harry Kane: Auch im Vergleich zu anderen Top-Stürmern Weltklasse
Bei den schusserzeugenden Situationen handelt es sich um einen sehr variabel deutbaren Begriff. Fbref versteht darunter eine Involvierung in „zwei vorangegangenen Offensivaktionen, die direkt zu einem Torschuss geführt haben“. Hiervon kann Kane 2.77 pro 90 Minuten vorweisen. Zu Beginn scheint dies ein schlechter Wert zu sein für einen Stürmer, der beim FC Bayern spielt und idealerweise mit Zuspielen gefüttert wird.
Daher ist eine Einordnung zwingend notwendig. Ein Spieler, mit dem Kane häufig – meist aufgrund der gleichen Nationalität – verglichen wird, ist Ollie Watkins von Aston Villa. Dieser kommt pro Spiel auf 2.33 schusserzeugende Aktionen und selbst Robert Lewandowski, der hoch dekorierte Vorgänger von Kane beim FC Bayern, rankt im unteren Drittel, hat einen Wert von 2.11.
In enger Verknüpfung stehen hierbei die Aktionen, die zu einem Tor geführt haben. Kane befindet sich hierbei im achtzigsten Perzentil, wird beispielsweise übertroffen von Ligakollege Victor Boniface (Bayer 04 Leverkusen). Dieser weist den Höchstwert vor mit 0.83 Aktionen pro 90 Minuten.
Zahlen zeigen, dass der Engländer sich am Spiel beteiligt
Gleichzeitig gehören Kanes progressive Passwerte mit zu den höchsten in Europa innerhalb des letzten Jahres. Mit einem Perzentil-Ranking von 95 % gibt es nur wenige Spieler, die besser sind als er. Den Positionsdurchschnitt eines Stürmers von 2.10 pro 90 Minuten übertrifft Kane deutlich. Selbst Erling Haaland, wahrscheinlich Kanes größter Konkurrent im Bezug auf mediale Anerkennung, hat hier erneut das Nachsehen.
Mit 0.97 progressiven Pässen ist der Norweger, der sich selten tief fallen lässt, kaum ein Vergleich zu Kane. Im Vergleich hierzu beweist Kane erneut seine Fähigkeit den Ball effektiv nach vorne zu bringen, was ihn nicht nur vor dem Tor, sondern auch beim Aufbau eines Angriffs zu einem Aktivposten macht.
All das spricht dafür, dass Kane nicht nur in der Spitze darauf wartet, von seinen Mitspielern bedient zu werden, sondern bei der Spielgestaltung tätig wird. Das lässt auf einen Stürmer schließen, der von seinen Kollegen gesucht wird und somit stark eingebunden ist. Ihm eine solche Teilnahme am Spielverlauf zu untersagen, würde dem Allrounder eine seiner größten Stärken berauben.
FC Bayern und England: Gesicht des Scheiterns?
Dennoch herrschte in den vergangenen Wochen ein ganz anderer Eindruck, ausgerechnet in seinem Heimatland. Gerade die englischen Fans jedoch sollten mit den Stärken von Harry Kane vertraut sein, schließlich galt er über Jahre hinweg als eines der Gesichter der Premier League und hinterließ auch in der Nationalmannschaft tiefe Spuren, die nach einem etwaigen Karriereende in den kommenden Jahren wohl kaum jemand mit ähnlicher Leistung füllen kann.
Der als Tormaschine bekannte Kane ist bei britischen Medien, einigen Experten und vor allem bei zahlreichen Fans massiv in die Kritik geraten und ihre Vorwürfe wiegen dabei schwer. Während der vergangenen Europameisterschaft sei Kane augenscheinlich nicht fit gewesen, eine Rückenverletzung nicht auskuriert.
Er wäre angeblich kein Faktor im Spiel der Engländer gewesen, teils hätte er die Mannschaft mit seiner Unbeweglichkeit gar in ihrer Entfaltung gehindert. Manche forderten sogar einen Bankplatz für Kane, da sie den jüngeren Ollie Watkins und den skandalbehafteten Ivan Toney bevorzugten. Doch Gareth Southgate hielt bekanntlich an seinem Kapitän fest, was Kane wiederum nur noch tiefer in den Abwärtstrend der Anschuldigungen zog. Er wurde zum Gesicht des Scheiterns.
Diese Zeilen sind nicht frei erfunden, sondern stammen aus verschiedenen Beiträgen, die unter anderem vom Guardian und Sky verfasst wurden, sowie von einigen Social-Media-Plattformen. Goal.com ging sogar noch einen Schritt weiter und schrieb: „Die Wahrheit ist, dass Kane schon lange nicht mehr nützlich ist“.
Plötzlich Diskussionen um Kane
Die gnadenlose Kritik führte zu heißen Diskussionen, die fast alle die selbe Kernfrage hervorbrachten: Ist die Zeit des Harry Kane vorbei? Verdrängt wurde die Tatsache, dass die gesamte Mannschaft im Turnier nur wenig überzeugend auftrat. Als großer Favorit auf den Titel gehandelt, kamen die Engländer zwar bis ins Finale, spielten jedoch zu keinem Zeitpunkt ansehnlichen Fußball.
Das zweifelsohne vorhandene Talent der mit Stars gespickten Mannschaft blitzte nur stellenweise auf. Häufig schienen die Spieler gefangen in ihren eigenen Köpfen und in einem unausgeglichenen System, in dem sie ihre Stärken nicht entfalten konnten.
Trotz einer weiteren Auszeichnung als Torschützenkönig für die individuelle Sammlung, war die Europameisterschaft in Deutschland nicht das beste Turnier von Harry Kane. Doch zu keinem Zeitpunkt war er das Problem. Eher wurde Kane zu einem Symptom einer Nation, die ihren eigenen Ansprüchen hinterherlief. Beispielhaft hierfür ist die Tatsache, dass laut The Analyst Kanes Beteiligung am Spielgeschehen einen dramatischen Rückgang erlebte, obwohl er ständig in Bewegung war.
Nach den ersten Spielen der Gruppenphase passte Flügelspieler Phil Foden häufiger zu Torwart Jordan Pickford (3 mal) als zu Harry Kane (1 mal)! Und das obwohl Kane vor dem Halbfinale rechnerisch laut Opta mehr Druck auf den Gegner ausgeübt hatte, als jeder andere Spieler (503 mal), sowie am öftesten innerhalb der gegnerischen Hälfte (326 mal) und im letzten Drittel (187 mal). Mangelnder Elan oder eine schwindende Verfügbarkeit Kanes war somit sicherlich nicht ausschlaggebend für das schlechte Zusammenspiel in vorderster Reihe.
Entwicklungen, die dem wachsamen Auge nicht unbemerkt blieben. Gary Neville, ein ehemaliger Fußballprofi, der heute als TV-Experte und Podcast-Host tätig ist, äußerte sich am Mikro wie folgt: „Es besteht kein Zweifel daran, dass er [Kane] in diesem Turnier nicht in Bestform war, aber das Team war es auch nicht. Der Service für ihn ist einfach nicht gut“. Im weiteren Verlauf drückte Neville seine Verwunderung aus über die Aussage, Kane würde sich tiefer fallen lassen als sonst und hob hervor, dass er keinen Unterschied zu dem sehe, was Kane zuletzt im Dienste des FC Bayerns tat, bevor er im selben Atemzug ergänzte: „Das macht er schon seit Jahren so.“
FC Bayern und Kane: Neuer Anlauf ins Glück
Ein sich tief fallend lassender Harry Kane scheint also nicht das Problem zu sein. Das Problem ist, wenn ihm keine dynamischen Spieler zur Seite gestellt werden und Rollen nicht klar bestimmt sind, was im Spiel der Engländer zu einer regelrechten Verstopfung von Zonen führte. Die Offensivkünstler standen sich wortwörtlich im Weg und hemmten somit ihren eigenen Drang in Richtung des gegnerischen Tors.
Eine Lektion, die Gareth Southgate seinen Job als Nationaltrainer kostete. Auch wenn Southgate offiziell freiwillig zurücktrat, scheint es so, als hätten die Verantwortlichen der FA ihrem langjährigen Trainer, der kurz vor der Entlassung stand, ein gesichtswahrendes Ende geschenkt.
Vincent Kompany kam zum FC Bayern mit klaren Vorstellungen im Bezug auf den Fußball, den er spielen möchte. Von Beginn an war klar, welche Spieler er hierfür benötigt – und der Name von Harry Kane stand wohl ganz weit oben auf der Spielerliste. Kane soll seinen Teil dazu beitragen eine erfolgreiche Achse zu bilden und bestenfalls die Ideen des neuen Trainers auf den Platz transportieren.
Auch wenn es noch zu früh ist für eine tatkräftige Aussage, da die Saison in den Kinderschuhen steckt, ist unter Kompany ein positiver Trend erkennbar. Daran ändert auch die kürzlich erfolgte Niederlage gegen Aston Villa in der Champions League nichts. Stattdessen sollte man Trainer und Mannschaft Raum zur Entwicklung zugestehen und nicht in Panik verfallen.
Vor allem Kane scheint, trotz zweier torlosen Partien, nach einer schwierigen Zeit aufzublühen und äußerte sich im Rahmen des traditionellen Lederhosenshootings mit Sponsor Paulaner wie folgt: „Ich denke, das passt sehr gut zu meiner Spielweise, sowohl mit als auch gegen den Ball – hoher Druck und Balleroberung in gefährlichen Bereichen, wodurch wir zu Chancen kommen können. Solange ich Chancen bekomme, bin ich zufrieden, denn ich glaube, dass ich sie häufiger verwerten kann als nicht.“
Die Zahlen geben ihm recht.
Drei konkrete Beispiele
1. Spieltag, Auswärts gegen den VfL Wolfsburg (Endergebnis 2:3)
Die Ausgangssituation (Bild 1) lässt sich schnell beschreiben. Harry Kane befindet sich fast auf einer Linie mit der vordersten Offensivreihe. Die Gegenspieler sind derweil auf den Ballführenden Michael Olise konzentriert, weshalb sich in der Tiefe ein Raum für Kane ergibt. In diesen lässt Kane sich nach erfolgtem Zuspiel von Olise (Bild 2) auch fallen und zieht sofort die Aufmerksamkeit von vier Wolfsburgern auf sich.
Doch Kane ist gedankenschnell und benötigt nicht mal eine Sekunde, um den einlaufenden Sacha Boey zu entdecken. Hinter der gegnerischen Abwehr öffnete sich ein Raum, den der Außenverteidiger sofort attackierte (Bild 3). Kane spielte den Steckpass auf den hinterlaufenden Boey und täuschte somit die Wolfsburger, die außerhalb ihrer vorhergesehenen Positionierung nicht mehr rechtzeitig reagieren konnten. Am Ende des Spielzugs stand der Führungstreffer zum 0:1 durch Jamal Musiala.
3. Spieltag, Auswärts gegen Holstein Kiel (Endergebnis 1:6)
Zu Beginn (Bild 1) wird Harry Kane von einem Abwehrspieler in die Manndeckung genommen. Auch wenn die Grafik es nicht ganz visualisiert, möchte ich an diesem Punkt verdeutlichen, dass der Kieler Verteidiger Kane verfolgte wie eine Mücke mich im Sommer.
Dennoch ergibt sich zwischen den Kieler-Ketten einen unbespielten Raum, in den Kane sich fallen lässt, um das lange Zuspiel von Minjae (Bild 2) zu empfangen. Der losgelöste Kane ist nicht mehr greifbar für die Kieler Abwehr, wodurch sich erneut ein Raum öffnet (Bild 3) für die Offensivkünstler Jamal Musiala und Serge Gnabry.
Die Kieler zeigen sich zögerlich und überrumpelt bei der anschließenden Orientierung, weshalb Kane den Ball unbedrängt per Kopf zu Musiala weiterleiten kann, der mit ganz viel Tempo angreift und den Ball auch anschließend zum 0:1 verwandeln kann.
4. Spieltag, Auswärts gegen Werder Bremen (Endergebnis 0:5)
Harry Kane ist mit dem Rücken zum Tor positioniert (Bild 1). Weit und breit herrscht kein Gegnerdruck, weshalb er den Pass von Joshua Kimmich unbedrängt verarbeiten kann. Nach dem erfolgten Zuspiel attackieren die Bremer ihn zwar im Kollektiv (Bild 2), doch Kane zeigt sich hiervon unbeeindruckt und lässt sich noch etwas tiefer fallen, dehnt somit das Spielfeld.
Hierbei verfügt er über einen signifikanten Raum, den er für seine Kreativität nutzen kann. Hiervon profitiert Alphonso Davies, dem die Bremer fälschlicherweise keine Aufmerksamkeit schenken. Kane initiiert durch sein Zuspiel auf Davies (Bild 3) einen schnell ausgeführten Angriff mit makellosem Passspiel, denn Davies findet im Anschluss Michael Olise, welcher sicher den Ball zum 0:3 über die Linie drückt. Gehörig aus dem Konzept gebracht, kann die Bremer Abwehr hier nur die Rolle des Zuschauers einnehmen.
Was bringt die Zukunft?
Nach all dem Erzählten stellt sich die Frage, ob man überhaupt etwas kritisieren kann, was schon seit Jahren gut funktioniert. Wäre es an dieser Stelle nicht richtig, das wertzuschätzen, was Kane dem Spiel gibt, als das Fehlen mancher Elemente zu bemängeln?
Der Erfolg, zumindest auf individueller Ebene, gibt Kane recht und auch die Zahlen bestätigen ihn in seiner facettenreichen Spielweise als mitspielender Stürmer. Bei der Übergabe des Golden Shoe, der Auszeichnung zum erfolgreichsten Torjäger der letzten Saison, bezeichnete Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen voller Stolz Harry Kane als „einer der außergewöhnlichsten Stürmer unserer Zeit“.
Die Saisonziele hingegen sind klar definiert und unterliegen keinen zwei Meinungen: Die Meisterschale gehört zurück nach München, im DFB-Pokal stehen alle Zeichen auf Abteilung Attacke und das Champions-League-Finale im eigenen Stadion gilt als sehnlichstes Wunschziel innerhalb des gesamten Vereins und seinem Umfeld.
Selbst die Leute, die im Moment Witze über Harry Kane und seinen Trophäenfluch reißen, wollen ihn insgeheim auf dem Rathausbalkon sehen. Denn Harry Kane ist der unterschätzte Spielmacher des FC Bayern, der viel zu selten Wertschätzung erhält für seine Arbeit abseits des Balls und nun schon seit vielen Jahren auf seine nicht-royale Krönung wartet.
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