FC Bayern: Hilft nur noch Florian Wirtz? Schmerzhafte Gnabry-Erinnerung gegen den BVB
Ein Tor wie ein Gemälde. Ein Tor, das an das erinnert, was Serge Gnabry einst versprach, als er zum FC Bayern München wechselte. Vom Flügel aus nimmt der 29-Jährige das Tempo auf, dribbelt an drei Dortmundern vorbei und schiebt den Ball gekonnt rechts unten ins Tor.
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Zwei Dinge waren an dieser Situation beim 2:2 gegen den BVB erschreckend, eine macht Hoffnung. Dass Gnabry überhaupt noch dazu fähig ist, dieses Selbstvertrauen und Tempo aufzubringen, um ein derart schönes Tor zu erzielen, ist ein Strohhalm der Hoffnung für die Münchner vor dem Duell mit Inter Mailand im Rückspiel des Champions-League-Viertelfinals.
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Erschreckend wiederum ist das Dortmunder Abwehrverhalten auf zwei Ebenen: Rein individuell, aber auch von der Art und Weise der mentalen Herangehensweise her. Denn es schien fast so, als hätte der BVB nicht damit gerechnet, dass ein Bayern-Spieler Geschwindigkeit aufnehmen könnte. Und das lässt Rückschlüsse auf die großen Offensivprobleme des FCB zu – sowie darauf, warum Florian Wirtz das alles bestimmende Thema rund um die Säbener Straße ist.
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FCB vs. BVB: Abwehrfehler des Grauens
Auf individualtaktischer Ebene gab es mehrere Szenen in diesem Spiel, die man Abwehrspielern in den Nachwuchsakademien des Landes zeigen kann, um Fehleranalyse zu betreiben. Allen voran das orientierungslose Verhalten von Minjae Kim beim 0:1. Der Südkoreaner machte zwar zwei Schulterblicke, ließ einen dritten aber während der Flanke vermissen und orientierte sich nur am Ball statt gleichzeitig seinen Gegenspieler im Blick zu haben.
Aber auch bei Gnabrys Tor gab es so manchen Dortmunder, der für dieses Niveau seltsam einfache Fehler machte. Niklas Süle zum Beispiel. Der Ex-Münchner positionierte sich mit seinem Rücken zur Innenseite, signalisierte damit die Bereitschaft für einen Sprint, sobald Gnabry außen an ihm vorbeigeht. Der aber zog nach innen und Süle hatte mit seiner Körperhaltung gar keine Chance, diesen Weg mitzugehen.
Schon früh lernt man in der Ausbildung zum Verteidiger, dass man immer den Weg zum Tor versperren sollte und den Gegenspieler so nach außen drängt, weil er dort eine geringere Wahrscheinlichkeit auf einen Treffer hat. In dem Fall käme hinzu, dass der linke Fuß Gnabrys schwächerer Fuß ist. Süle aber öffnet ihm alle Türen für den Lauf nach innen.
FC Bayern: Gegen Inter Mailand wird es nicht so leicht
So einfach wird es am Mittwochabend für den FC Bayern nicht, ein Tor zu erzielen. Die Abwehrspieler von Inter Mailand sind nicht nur bestens geschult, sie machen auch kaum Fehler. WhoScored hatte vor dem Hinspiel geteilt, dass Alessandro Bastoni in bis zu diesem Spiel 223 erfassten Spielen für Inter nur einen Fehler gemacht hat, der zu einem Tor führte. In München war der 26-Jährige einer der besten Spieler, gewann beeindruckende acht seiner neun Zweikämpfe am Boden.
Schaut man sich den Saisonverlauf des FC Bayern an, dann muss beim Gnabry-Tor davon ausgegangen werden, dass es wohl keine Initialzündung war, sondern ein Geschenk des BVB, das dankbar angenommen wurde. Und doch war dieses Tor die Erinnerung daran, was der Offensive von Vincent Kompany am meisten fehlt: Überraschungsmoment und Individualismus.
Nur wenige Tage vorher gewann der FC Barcelona gegen Borussia Dortmund mit 4:0. Es war eine Demonstration der eigenen Stärke. Vor allem auch deshalb, weil die Katalanen fast nie in den Vollgasmodus mussten. Zwischenzeitlich ließ diese Herangehensweise die Gäste nochmal am Ausgleich schnuppern, doch spätestens im zweiten Durchgang spazierte man dann zum deutlichen und verdienten Sieg.
FC Barcelona als Vorbild
Barça hat unglaubliches Talent in der Offensive. Raphinha, Lamine Yamal und Robert Lewandowski spielen eine außergewöhnliche Saison und harmonieren unwiderstehlich gut miteinander. Die Spielfreude, die Lust aufs Angreifen, ihre Gier nach Toren und das technische Niveau – all das ist zutiefst beeindruckend. Gerade im Kontrast zum Auftritt der Münchner gegen Dortmund wirkt es nochmal so, als würden mehrere Level zwischen Bayern und Barça liegen – und auch das direkte Duell zu Beginn der Saison ging trotz ausgeglichener erster Halbzeit deutlich an die Katalanen.
Ist das alles eine Frage des Systems? Nicht unbedingt. Die große Stärke von Hansi Flick ist es, den Spielern die Angst vor dem zu nehmen, was defensiv passieren kann, wenn der Plan offensiv nicht aufgeht. Seine Spieler agieren furchtlos, sie kennen das Wort Risiko nicht. So gewann der FC Bayern 2020 in besonderen Umständen die Champions League und so hat Barcelona die größte Chance seit vielen Jahren auf den Henkelpott.
Aber es ist nicht so, dass die Angriffe einer besonderen taktischen Tiefe folgen. Es bleibt abzuwarten, wie nachhaltig das System Flick sein kann. Beim FC Bayern kam es nicht dazu, die Langlebigkeit seiner Philosophie überprüfbar zu machen, beim DFB zeigte sich zumindest, dass es schwer für ihn wird, wenn er nicht diese enorme Qualität in der Offensive zur Verfügung hat.
Zu wenig Qualität in der Offensive?
Doch zurück zu den Münchnern. Sind Harry Kane, Michael Olise, Leroy Sané, Kingsley Coman und Serge Gnabry so viel schwächer als das Barça-Trio? Zumal normalerweise mit Jamal Musiala noch ein weiterer außergewöhnlicher Fußballer hinzukäme.
Auch die Bayern erzielen viele Tore. In 45 Partien trafen sie 120-mal. Barcelona wiederum erzielte in 49 Spielen 146 Tore. Beides sind gute Werte, die der Katalanen sind nochmal um ca. 0,3 Tore pro Partie besser. Die Münchner sind vor allem in der zweiten Jahreshälfte etwas eingebrochen, kommen „nur“ noch auf 2,3 Tore pro Spiel statt auf 3 in der ersten.
Ein großer Unterschied zur Hinrunde ist das fehlende Tempo. Das Spiel der Bayern ist deutlich berechenbarer geworden. Besonders auf den Flügelpositionen ist das zu merken. Wie oft gab es in dieser Saison Situationen, in denen ein Spieler so mutig und temporeich durch die gegnerische Abwehr dribbelte wie Gnabry am Wochenende?
Statistisch lässt sich eine derartige Diskrepanz zu anderen Top-Mannschaften wie Barcelona zwar nicht nachweisen. Neben Musiala (ca. sieben Dribblings pro 90 Minuten, 51 Prozent Erfolgsquote) haben laut FBref auch Coman (5,64 und 53 Prozent), Olise (5,31 und 52 Prozent) und Sané (5,16 und 38 Prozent) viel Quantität in ihrem Spiel, wenn es um Dribblings geht. Zum Vergleich: Bei Barça ragt nur Yamal mit 9,77 Versuchen und 49 Prozent Erfolgsquote heraus. Der Rest bewegt sich auf Bayern-Niveau.
Doch die Statistik gibt keine Auskunft darüber, wie viel aus diesen Dribblings entsteht. Man kann Eins-gegen-eins-Situationen am Flügel gewinnen und danach trotzdem den Angriff abbrechen. Oder man gewinnt ein Duell und spielt anschließend den entscheidenden Querpass zum Tor in die Mitte – wie Gnabry beim Ausgleich gegen den BVB.
Wo sind die Überraschungsmomente beim FC Bayern?
Bayern spielt kontrollierter als beispielsweise Barcelona. Das bedeutet, dass sie in Bestbesetzung theoretisch stabiler in der Defensive sind. Sie lassen durchschnittlich weniger Abschlüsse zu und weniger hochwertige Chancen für den Gegner. Trotzdem haben sie es in der Hinrunde geschafft, mit drei Toren pro Spiel einen starken Wert zu erzielen.
Nur wie oft gelang es ihnen, gegen Mannschaften mit viel Defensivqualität viele Tore zu schießen? Schon früh zeichnete sich in dieser Saison ab, dass die besonderen Momente in der Offensive stark abnehmen, wenn der Gegner gut verteidigt. Was einerseits nur eine logische Konsequenz ist. Wer gut verteidigt, lässt weniger zu. Andererseits aber muss es der Anspruch des FC Bayern sein, auch in diesen Spielen deutlich mehr Abschlüsse und Tore zu erzeugen, als es meist gelang.
Und genau hier fehlen diese Überraschungsmomente. Das Tempo und die unwiderstehlichen Dribblings. Die Fähigkeit, Dynamik in die statischen Situationen zu bringen, die automatisch entstehen, wenn der Gegner die Räume am eigenen Sechzehner eng macht. Bayern spiel oft gut und in den meisten Spielen haben sie genügend Abschlüsse, um ein Spiel gewinnen zu können.
Aber neben der reinen Effizienz fällt dann doch auf, dass den Münchnern im Angriff auf sehr hohem Niveau das Besondere fehlt. Die Magie, die das Stadion in nur einer Situation zum Raunen bringt und dafür sorgt, dass die Menschen begeistert nach Hause gehen. Es ist ein enormer Anspruch. Einer, dem man nur schwer gerecht werden kann. Aber es ist einer, der den Unterschied machen kann zwischen einem normalen Spitzenteam und einem Champions-League-Favoriten.
Darum wäre der Transfer von Florian Wirtz so wichtig
Ja, der FC Bayern hat in der Defensive vielleicht die größeren Probleme – insbesondere nach den Ausfällen. Aber es ist vor dem Hintergrund der hier dargelegten Argumentation nur allzu verständlich, dass Florian Wirtz das alles bestimmende Thema ist.
Der Leverkusener ist mit seiner nahezu gnadenlosen Effizienz, seiner Genauigkeit und seiner geringen Fehlerquote womöglich genau das Puzzleteil, das die Offensive des FCB benötigt, um diesen letzten Schritt wieder gehen zu können. Seine Qualitäten sind derart einzigartig, dass sein Transfer fast schon alternativlos erscheint. Wirtz kann mit einzigartiger Präzision ein Spiel im Bruchteil einer Sekunde verändern. In der Bayern-Offensive können das auch viele Spieler – aber nicht so konstant und nicht so oft innerhalb einer Saison wie Wirtz.
Für den Moment aber kann Kompany nicht auf irgendwelche Gerüchte und Wünsche vertrauen. Seine Aufgabe ist es vor dem Rückspiel mit Inter wieder etwas mehr Furchtlosigkeit in die Offensive zu bekommen. Mehr von dem, was Gnabry gegen den BVB zeigen konnte. Ob der ehemalige Nationalspieler dabei Teil der Lösung sein kann, ist fraglich. Zu oft hat er in der Vergangenheit sein Potenzial angedeutet, um dann wieder zu enttäuschen. Vielleicht aber kann er jetzt mal wieder eine seiner berüchtigten kurzen Serien starten.
Sie käme für den FC Bayern zum richtigen Zeitpunkt.
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