FC Bayern – Szenenanalyse: Thomas Tuchels Tiefenproblem
Thomas Tuchel wirkt oftmals etwas ratlos, wenn er vom Transfer der Trainingseinstellung seiner Spieler auf den Platz spricht. Wenn es einfach zu erklären wäre, so der Trainer vor dem Spiel gegen Bremen, dann würde er es lösen.
Langsamer Fußball hinterlässt bei Fans oft den Eindruck, dass es an der grundsätzlichen Einstellung mangelt. Auch die Spieler und Tuchel selbst sprachen hinterher davon, dass man mit dieser Einstellung nicht weit käme. Dass die Lust gefehlt habe. Das kann einmal passieren. Vielleicht zweimal. Doch für die Bayern ist es bereits eine Erfahrung, die sie häufiger gemacht haben.
Steht ein Gegner tief, fehlen die Lösungen. Aber ist es tatsächlich eine Einstellungsfrage? Ein Versuch, Tuchels Ansatz gegen Bremen taktisch aufzuarbeiten – und zu zeigen, woran die Bayern gescheitert ist.
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Szenenanalyse: Tuchels Idee gegen Werder
Anders als gegen die TSG Hoffenheim spielten die Bayern sehr viel über die Flügel. Allerdings fehlte es an Tempo und an Aktionen, mit denen man hinter die Kette kam. Das Problem zeigte sich in mehreren Szenen. Ein Beispiel in der Anfangsphase zeigt die Ambivalenz des Ansatzes. Denn obwohl der Ballvortrag problematisch schleppend verlief, kam man immerhin zu einem Durchbruch.
Die Ausgangslage in dieser Szene ist typisch für das grundsätzliche Problem im Spielaufbau: Das zentrale Aufbaudreieck der Bayern ist auf sich gestellt. Vor allem Joshua Kimmich werden keine Lösungen angeboten. In der recht engen grünen Zone passiert nichts, in der wichtigen grauen Zone zwischen den Linien gibt es ebenfalls kaum Bewegung.
Eigentlich muss es das Ziel der Bayern sein, genau in diesen Bereich zu kommen. Gegen Hoffenheim klappte das oft noch gut, dann fehlte es aber an der Anschlussaktion, weil die Flügel nicht ausreichend besetzt waren. Kommen die Bayern in die grau markierte Zone, zieht sich die Formation des Gegners wahrscheinlich zusammen und es gibt Raum in der Halbspur und auf den Außen. Gegen Bremen passierte das allerdings fast nie.
Kimmich musste den Ball oft lange halten, war stets auf der Suche nach einer Anspielstation in den markierten Zonen. Doch es gab einfach keine. Auch Verlagerungsoptionen gab es nie. In diesem Fall schoben Leroy Sané und Alphonso Davies weit in den Halbraum. Also spielte Kimmich quer auf den rechten Flügel.
Immerhin: Dank Jamal Musiala und Kingsley Coman kamen die Bayern hier dennoch zu einem Durchbruch. Vermutlich war das auch die Grundidee von Tuchel: Zwar recht vorhersehbar am Flügel eröffnen, dann aber mit gegenläufigen Bewegungen und klugem Nachrückverhalten im Zentrum durchbrechen.
Hier ist es Coman, der sich erst zum Ball bewegt, seinen Gegenspieler mitzieht und dann in die Tiefe startet. Mit einem Pass ist er rechts frei durch. Nur aus der Aktion wird am Ende nichts, weil das angesprochene Nachrückverhalten nicht existent ist. Die restlichen Bayern-Spieler schauen größtenteils zu und es gibt damit keine Anschlussaktion.
Szenenanalyse: Ballverlust vor dem Gegentor ist symptomatisch
In beiden Halbzeiten gab es allerdings zu viele Angriffe, die nicht mal so weit ausgespielt werden konnten wie in der 16. Minute. Stattdessen gab es zahlreiche Ballverluste. Auf der linken Seite waren Sané, Davies und der weit nach außen schiebende Raphaël Guerreiro meist in Gleich- oder Unterzahlsituationen auf sich gestellt. Angebot aus dem Zentrum? Fehlanzeige. Ballfern wurde meist nur zugeschaut.
Auch rechts stand Werder den Bayern sofort auf den Füßen. Keine Verlagerungen, kein Tempo, keine Breite, aber vor allem auch keine Tiefe im Spiel. Symptomatisch dafür ist der Ballverlust vor dem Gegentor.
Die Ausgangssituation ist prinzipiell nicht schlecht. Zwar eröffnen die Bayern wieder vorhersehbar auf den Flügel und Werder kann so schnell verschieben. Doch Musiala zieht seinen Gegenspieler mit sich und ist anspielbar für Konrad Laimer. In der Tiefe gibt es einen riesigen Raum, den Werder nicht abdecken kann.
Ein schneller Pass von Laimer auf Musiala, ein zeitgleicher Tiefenlauf von Harry Kane oder Coman und der direkte Ball in die rot markierte Zone von Musiala – das wäre eine Möglichkeit gewesen, sich selbst eine große Chance herauszuspielen. Doch weder Coman noch Kane reagieren. Was vor allem dem Franzosen vorzuwerfen ist. Denn geht Kane im rechten Halbraum tief, könnten zentral die Optionen fehlen.
Der Ballverlust ist nicht maßgeblich entscheidend für das Gegentor, weil noch eine lange Sequenz folgt. Doch dass es hier nicht die Chance zum 1:0 für die Bayern gab, ist symptomatisch für das gedankenlangsame Spiel der Münchner.
FC Bayern: Ursachenforschung
Aber woran liegt es, dass individuell herausragende Spieler nicht (mehr) in der Lage sind, die entsprechenden Räume zu erkennen und zu bespielen? Dass das Problem nicht ausschließlich bei den Passgebern im Mittelfeld liegt, zeigte sich nach der Umstellung von Tuchel im zweiten Durchgang. Denn der zuvor noch sehr offensiv agierende Guerreiro ließ sich dann mehr fallen und agierte zunehmend in der Nähe von Kimmich.
Das entlastete den Spielaufbau etwas, löste aber die Probleme vorn nicht. Musiala, Coman und auch Sané waren insgesamt entweder zu wenig in Bewegung oder sie erkannten ihre Möglichkeiten zu spät. Auch Kane nahm weniger am Spiel teil, als noch in anderen Partien der letzten Monate. Der Engländer kam laut Sofascore auf unterdurchschnittliche 23 Ballkontakte.
Eine offensichtliche Erklärung gibt es nicht. Anweisungen des Trainers? Dass die Bayern viel über den Flügel spielten, wird Teil des Plans gewesen sein. Wenngleich die fehlende Besetzung der ballfernen Flügel dazu führte, dass man kaum Verlagerungen spielte und sich oftmals festrannte, gab es einzelne Angriffe wie jenen in der 16. Minute oder auch jenen kurz vor dem Gegentor, die angedeutet haben, was möglich gewesen wäre.
Eisiger Winter für den FC Bayern
Tuchel ist dafür in die Verantwortung zu nehmen, dass seine Ideen aktuell nicht aufgehen und das Offensivspiel meist zufällig daherkommt. Auf offensichtliche Probleme wie die Entlastung über ballferne Räume reagiert er bisher nicht. Vielleicht aus der Überzeugung heraus, dass sein Ansatz noch aufgeht und die Fehler dabei helfen könnten. Schließlich sieht er das Team tagtäglich im Training.
Doch der 50-Jährige wird seinen Spielern kaum verbieten, Tiefenläufe zu absolvieren und kreativ zu sein. Dass es hier und da auch an der taktischen Rolle der Spieler liegt, dass Kimmich keine relevanten Anspielstationen findet, lässt sich an Guerreiro gut aufzeigen. Gleichzeitig hat es auch nicht geholfen, den Portugiesen tiefer zu positionieren.
Gegenläufige Bewegungen, Steil-Klatsch-Spielzüge und Tempoläufe in die Schnittstellen sind derzeit Mangelware. All das war unter Tuchel schon besser. Es ist nicht das erste Mal, dass den Bayern eine lange Pause ohne Spielrhythmus nicht gut bekommt. Doch das wäre zugleich eine sehr billige Ausrede. Und so wird sich in der öffentlichen Betrachtung wohl weiterhin vieles um das Thema Einstellung drehen. Für Tuchel und die Bayern wird der Winter jedenfalls sehr eisig. Union Berlin und der FC Augsburg werden den FCB mit denselben Herausforderungen konfrontieren.