80 Minuten Unterzahl – FC Bayern München verliert mal wieder in Gladbach
Der FC Bayern München. Als Hegemon Deutschlands herrscht er unerbittlich und holt sich eine Meisterschaft nach der anderen. Widerstand gegen diese Regentschaft ist zwecklos, das ganze Land hat das Team aus dem Freistaat besetzt. Das ganze Land? Nein! Ein kleines gallisches Dorf zwischen Köln und Düsseldorf leistet seit Jahren unerbittlichen Widerstand!
Der FC Bayern kann so gut drauf sein, wie er möchte, kaum ist sein Gegner Gladbach mutiert der Gladbacher Keeper zu Oliver Kahn, der Mittelfeldspieler zu Xavi und der Mittelstürmer zu Ronaldo. Ob zu Hause in München, wie vor einem halben Jahr, als der Noch-Gladbacher Sommer einen neuen Bundesligarekord an Paraden aufstellte, oder wie nun wieder auswärts, an dessen Ort vor gut eineinhalb Jahren der Rekordmeister aus dem DFB-Pokal deklassiert wurde, gegen Gladbach sind die Favoriten-Rollen vertauscht.
Falls Ihr es verpasst habt
Die Aufstellung
Julian Nagelsmann nahm einige überraschende Wechsel im Vergleich zum kräftezehrenden Champions-League-Kracher unter der Woche vor. Daley Blind feierte in einer 3er-Kette sein Startelfdebüt, dazu durfte (endlich, endlich) sein holländischer Mannschaftskollege Ryan Gravenberch sich in der Rückrunde von Beginn an zeigen. Überraschenderweise durfte er dies in einem Dreier-Mittelfeld zusammen mit Kimmich und Goretzka tun. Über außen kamen Davies und Gnabry, im Sturm lauerten Müller und Choupo-Moting.
Dreierkette und Dreier-Mittelfeld: Gegen den Favoriten wollte der Trainer ganz offenbar erst einmal die Null halten.
1. Halbzeit
Das Spiel begann eigentlich gut, Bayern zeigte sich spielfreudig, erlang auch sogleich zwei Halbchancen, doch nach acht Minuten war alles Makulatur. Nach einem langen Ball war Pléa auf und davon auf dem Weg zum Duell mit Sommer, Upamecano setzte nach und berührte diesen scheinbar an der Schulter, was zu dessen zeitversetzten Fall führte. Der Schiedsrichter entschied auf Platzverweis, euphemistisch ausgedrückt eine sehr harte Entscheidung.
Es kam wie es kommen musste, natürlich nutzte Gladbach diese wenigen Minuten an Chaos und Wut bei den Bayern. Mit dem übernächsten Freistoß legte Hofmann einstudiert flach nach links, wo Stindl zum präzisen Distanzschuss ansetzte, 1:0 (13.).
In Rückstand konnte Julian Nagelsmann nun endlich auch seinen gewünschten Spielerwechsel vornehmen. Cancelo kam, doch zur Überraschung aller nicht für den jungen Gravenberch, sondern Kapitän Müller. Die ohnehin nicht mehr vorhandene Dreierkette wurde aufgelöst, fortan war es ein 4-4-1.
Bayern stabilisierte sich nun durchaus achtsam und beruhigte die Partie. So sehr, dass Gladbach in der 35. Minute sich offenbar zu sicher war. Eine Sekunde lang vergaß man offenbar Davies’ Speed, der ließ sich nicht zweimal bitten und schaltete blitzartig in den siebten Gang. Fast an der Grundlinie angekommen, folgte die überlegte flache Hereingabe in die Mitte, wo Choupo-Moting das Spielgerät aus vollem Lauf in die Maschen bolzte. Eine turbulente Halbzeit ging in Folge allmählich zu Ende.
2. Halbzeit
Bayern wechselte zur Halbzeit zwei weitere Male: Musiala und Sané kamen für Gravenberch und Gnabry, Bayern stellte nun auf 3-4-2 um, Kimmich rückte ins Zentrum der Innenverteidigung, Goretzka und Musiala bildeten die neue Doppelsechs, Sané war fortan das freie Angriffsradikal um Choupo-Moting.
In den ersten Minuten der zweiten Hälfte überfiel der FC Bayern Gladbach gekonnt mehrfach, doch die guten Chancen konnte er nicht verwerten. Besser war da Gladbach, das sofort mit der ersten brauchbaren Aktion des zweiten Spielabschnitts zur erneuten Führung traf. Hofmann spielte einen fabelhaften Schnittstellenpass zwischen Kimmich und Blind auf Pléa, der dann seitlich zurück zum deutschen Nationalspieler gab, dessen Linksschuss unhaltbar einschlug (55.).
Direkt danach verhinderte einzig und allein Wolfs mangelhafte Technik eine noch höhere Führung, als Gladbach eine Überzahlsituation fast perfekt ausspielen konnte.
Nagelsmann reagierte mit einem erneuten Doppelwechsel und Systemumstellung: De Ligt und Tel kamen für den gelb vorbelasteten Goretzka und Choupo-Moting. Die Dreierkette wurde erneut aufgelöst, Kimmich kehrte ins Mittelfeld zurück. Bayern beruhigte die Partie anschließend und setzte sich vorne fest. Doch ordentliche Chancen reichten an diesem Nachmittag nicht für den Torerfolg, so konnte sich Gladbach in der 84. Minute zur scheinbaren Entscheidung kontern. Dem besten Mann auf dem Platz, Jonas Hofmann, wurde erneut zu viel Raum zuteil, so konnte auf Marcus Thuram gespielt werden, der sich nicht bitten ließ.
Welz krönte seine bestenfalls unglückliche Leistung, indem er einem solch hitzigen Spiel mit etlichen Unterbrechungen, Wechseln und Verletzungspausen gerade einmal vier Minuten Nachspielzeit gab. Wer fragt, woher der augenscheinlich plötzliche Kreuzzug der FIFA gegen zu kurze Nachspielzeiten kommt, wird hier fündig. Womöglich dachte Welz das Spiel sei bereits entschieden bei 3:1, doch Bayern kam noch einmal heran. Lainer köpfte ohne Not im Strafraum zu Davies, der direkt auf Tel ablegte. Dieser schloss mühelos ab, Bayern war zurück im Geschäft, doch war nun nur noch eine Minute übrig. Die Gladbacher waren zwar merklich verunsichert, doch ihre Führung hielt. Borussia Mönchengladbach besiegte zehn Bayern mit 3:2.
Dinge, die auffielen
1. Der Platzverweis
Machen wir uns nichts vor: Das Thema des Spiels ist natürlich Dayot Upamecanos Platzverweis nach gerade einmal acht Spielminuten. Schnell wurden Rufe nach dem VAR laut und wieso dieser in dieser Szene ausblieb. Hier muss man sich allerdings vor Augen führen, wie der Videoassistent operiert.
Der VAR fragt den Schiedsrichter auf dem Feld dessen Wahrnehmung ab und vergleicht dies mit den TV-Bildern. Tobias Welz wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit diesem den Schulterkontakt geschildert haben. Sofern er keine vermeintliche Berührung im Fußbereich wahrnahm, ist die Eingriffsschwelle für den VAR somit sehr hoch gesetzt. Denn dieser bittet den Schiedsrichter nur sich die Bilder selbst anzuschauen, sofern es eine glasklare Fehlentscheidung -und es gab nun einmal den Kontakt im Oberkörperbereich- oder es einen sogenannten “Missed Serious Incident” gab, sprich einen Wahrnehmungsfehler des Feldschiedsrichters, wie ein sich eingebildeter Fußtreffer.
Welz allerdings hatte beste Sicht und wertete offenbar den Oberkörperkontakt als ursächlich für den Sturz. Dem Videoassistenten sind hier die Hände gebunden, das Problem saß hier nicht in Köln, sondern pfiff in Gladbach. Ein besserer Schiedsrichter erkennt, dass Ursache und Wirkung hier nicht kompatibel sind. Pléa fällt merkwürdig zeitversetzt, weshalb es nicht einmal glasklar ist, ob überhaupt Kontakt bestand. Für Welz kam Pléa wahrscheinlich ins Straucheln und fiel deshalb nicht sofort, tatsächlich fällt er aber augenscheinlich freiwillig.
Ein besserer Schiedsrichter erkennt und traut sich hier den Marciniak (Gelb für Schwalbe Thuram im WM-Finale) zu machen. Ein besserer Schiedsrichter erkennt und traut sich hier gegen 55.000 auf Täuschungsversuch zu entscheiden.
2. Harte Zeiten für Oranje-Reservisten
Julian Nagelsmann wollte seinen holländischen Dauerreservisten endlich Spielpraxis geben und entwarf ein Spielsystem maßgeschneidert für Blind und Gravenberch. In der Dreierkette und mit Davies an seiner Seite, sollten Blinds Tempodefizite nicht auffallen. Gravenberch hingegen bekam nicht einen aus Kimmich und Goretzka, sondern gleich beide zur Seite gestellt, so sollte seine nicht immer sichere Ballbehauptung nicht negativ auffallen.
Doch all diese Pläne wurden durch den Platzverweis durchkreuzt. Gravenberch durfte wenigstens eine ganze Halbzeit spielen, fiel auch nicht negativ auf. Allerdings musste er es ohne Sicherheitsnetz und mit einer merklich verunsicherten Mannschaft tun. Der junge Niederländer konnte sich kaum profilieren, was allerdings auch kaum seine Schuld ist.
Daley Blinds Nachmittag war ebenfalls ganz anders, als angedacht. Statt Absicherung durch viele Mittelfeldspieler und Davies, musste der langsame Routinier ständig das halbe Spielfeld verteidigen. Zwar verrichtete er dies gewissenhaft, doch ist dies einfach nicht sein Spiel. Blind muss richtig eingesetzt werden, um seine Mängel zu kaschieren, das hohe Spiel mit zehn Mann forcierte diese jedoch nur. An beiden Gegentoren in der zweiten Halbzeit war er entscheidend beteiligt. Ihm fehlte der Speed um mitzuhalten.
Hier muss auch Julian Nagelsmann hinterfragt werden. Offenkundig wollte er auf Teufel komm raus Daley Blind durchspielen lassen, insbesondere de Ligts Hereinnahme für Goretzka statt dessen Landsmann überraschte. Blind mag es verdient haben und kann noch eine Waffe in dieser Saison werden. Doch eher nicht bei Unterzahl gegen flinke, wuselige Konterstürmer.
3. Nagelsmanns Umstellungen und Wechsel
Die Verweigerung zur Herausnahme Blinds war nicht die einzige bemerkenswerte Entscheidung des Trainers an diesem Nachmittag. Kaum einmal hat ein Bayern-Team seit den Zeiten Guardiolas so oft während des Spiels seine Formation gewechselt. 3-1-5-1, 4-4-1, 3-4-2, 4-1-3-1, Platzverweis und Gegentore zwangen den Trainer tief in die Trickkiste.
Insgesamt waren die Umstellungen erfolgreich. Gleich zweimal konnte so das Spiel beruhigt und Gladbacher Sturmläufe unterbrochen werden (jeweils nach den jeweiligen Führungstoren) und Bayern schaffte es jeweils, sich vorne festzusetzen und Torchancen herauszuspielen.
Dass es am Ende nicht reicht, hat dann auch mit Spielglück zu tun. Mit nur zehn Mann gegen einen guten Gegner müssen Cancelo, Kimmich und Sanés Distanzschüsse dann einfach präziser kommen. Freilich erkennt man hier auch ein Problem dieses Spiels, man hat eher die falschen Spieler in Abschlussposition gebracht, doch auch hier sei erneut der Faktor der Unterzahl erwähnt. Chaos ist dann vorprogrammiert.
Ambivalenter als Nagelsmanns Umstellungen, sind hier allerdings seine Spielerwechsel erwähnt. Thomas Müller statt Ryan Gravenberch zu opfern mag eine noble Geste für das Talent zu sein, doch ob ein Auswärtsspiel in Mönchengladbach bei Unterzahl für so eine Überlegung der rechte Zeitpunkt sein sollte, scheint fraglich.
Blind durchspielen zu lassen, war schlichtweg eine Fehlentscheidung und dann gibt es noch die Causa Mathys Tel. Den jungen 17-jährigen Franzosen bei einem solch hitzigen Spiel 30 Minuten in vorderster Front zu geben, ist bemerkenswert. Es ist ein Vertrauensvorschuss ja, allerdings auch ein Stahlbad. Mehrfach war Tel umgangssprachlich schlicht zu “grün” für diese Situation, ihm versprangen Bälle und er ging in falschen Situationen in ausweglose Dribblings.
Allerdings schießt er auch das Anschlusstor, wonach er und der Trainer in gewisser Weise “alles richtig gemacht” haben. Sein Treffer wird die Fehler davor überstrahlen. Dass Tel trotz des Stahlbads wach bleibt und am Ende sein Tor macht, zeigt einmal mehr sein Ausnahmetalent. Der Trainer sollte sich jedoch in Zukunft vielleicht noch einmal überlegen, ob solche schwierigen Spiele wirklich der richtige Zeitpunkt für junge Talente ist.