Harry Kane und seine Mitspieler vom FC Bayern München feiern den Gewinn des Supercups im Konfetti-Regen.
Bild: Daniela Porcelli/Getty Images

„Einer der kleinsten Kader“ ist breiter als sein Ruf

Justin 19.08.2025



Harry Kane ist „not amused“, könnte man sagen. „Es ist vermutlich einer der kleinsten Kader, in dem ich je gespielt habe“, sagte der Engländer nach dem Supercup-Erfolg des FC Bayern München am vergangenen Samstag.

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„Wir sind ein bisschen dünn besetzt, aber das liegt nicht in der Macht der Spieler“, so der Stürmer weiter. Auch Christoph Freund räumte ein, „dass wir von der Quantität her nicht so groß aufgestellt sind“.

Aber ist das wirklich so? Wenige Tage vor dem Liga-Start am Freitagabend drehen sich die Diskussionen vor allem um das Thema, wie viele Spieler der FC Bayern eigentlich noch braucht. Ein Blick in die Vergangenheit – und auf andere Topclubs.

Der Status-quo: So ist der FC Bayern im Vergleich zum Vorjahr aufgestellt

Im Tor sind die in der Regel drei verfügbaren Positionen allesamt besetzt. Manuel Neuer, Jonas Urbig und Sven Ulreich. Letzte Saison startete man mit Daniel Peretz als Backup, im Winter kam dann Urbig dazu. Drei Torhüter reichen aber aus. Kaderbreite: Optimal.

In der Defensive gibt es auf der rechten Seite weiterhin ein Überangebot. Josip Stanišić, Konrad Laimer und Sacha Boey sind eigentlich einer zu viel. Da sich Laimer und Stanišić aber durch ihre Polyvalenz auszeichnen, ist das in Ordnung. Denn so kann Stanišić beispielsweise auch als Innenverteidiger Nr. 4 aushelfen, solange Hiroki Ito ausfällt – und er kann in Abwesenheit von Alphonso Davies auch links helfen.

Dort hat man mit Adam Aznou einen Spieler verloren, der allerdings ebenfalls eher in die Kategorie „Überangebot“ fiel. In der Innenverteidigung wurde Eric Dier mit Jonathan Tah ersetzt. Auf dem Papier also alles gleich geblieben – abzüglich Aznou, der aber sowieso keine Spielzeit sammelte. Qualitativ hat man mit Tah sogar eher zugelegt. Das dürfte es Vincent Kompany einfacher machen, schon in der Hinrunde zu rotieren. In der relevanten Quantität hat sich nichts verändert. Kaderbreite: Optimal.

Kadercheck: Vorn fehlt ein Spieler

Auch im zentralen Mittelfeld hat sich wenig getan. Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Aleksandar Pavlović sind weiterhin da, Tom Bischof kam für João Palhinha. Bisher spielte Bischof noch nicht die gewünschte Rolle, aber vom Profil her passt der ehemalige Hoffenheimer besser ins System als der Portugiese. Auch seine Entwicklungsfähigkeit ist ein wichtiges Argument. Kaderbreite: Optimal.

Bevor wir auf den eigentlichen Knackpunkt zu sprechen kommen, schauen wir noch kurz auf die Neunerposition: Rein auf dem Papier fehlt hier mit Mathys Tel ein Backup für Harry Kane. Der Franzose kam dort aber fast nie zum Einsatz. Die wenigen Minuten, in denen Kane nicht spielte, kann man wohl mit Luis Díaz, Serge Gnabry oder eben Jonah Kusi-Asare auffangen. Kaderbreite: Wie im Vorjahr „okay“.

Die Dreierreihe dahinter ist der Bereich, der den Unterschied in der Bewertung machen kann. Aktuell haben die Bayern hier vier gestandene Spieler für drei Positionen. Hinzu kommen der 17-jährige Lennart Karl und im Moment noch Paul Wanner, der mit 19 Jahren ebenfalls noch als Talent gilt. Mit Jamal Musiala, Michael Olise, Thomas Müller, Kingsley Coman, Leroy Sané, Gnabry und mit Abstrichen Tel war man hier im Vorjahr deutlich breiter aufgestellt – eigentlich sogar zu breit, wie der Abgang von Tel zeigte.

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Musiala, Olise und Gnabry sind noch da, Díaz wurde für Sané dazugeholt. Um den Status-quo des Vorjahres zu erreichen, braucht es also noch zwei weitere Spieler. Einer davon soll Karl sein. Plant man mit dem Linksfuß wirklich seriös, dann darf es hier auch keine Einschränkungen geben. Ihn nicht als Teil der sechs Positionen im Kader zu bewerten, die hinter Kane an Spielzeit kommen können, würde ihn schnell in dieselbe Situation bringen, die Tel erlebt hat. Hier darf es nur eine hundertprozentige Entscheidung für Karl als Teil des Kaders oder eben gegen ihn geben.

Da die Münchner sich für ihn entschieden haben, bleibt in der Offensive nur noch ein Platz frei. Der müsste noch durch einen gestandeneren Neuzugang besetzt werden, dann ist man auch hier effektiv genauso breit aufgestellt wie im Vorjahr. Kaderbreite aktuell: Noch nicht ausreichend.

Bayerns Kader ist nicht viel dünner als im Vorjahr

Wie wir an anderer Stelle im Kontext des FC Bayern mehrfach analysiert haben, reichte es in der Vergangenheit aus, jede Feldposition im Schnitt 1,5-fach mit Spielern abzudecken, die Stammspielerpotenzial haben. Im Schnitt kommen 17 Feldspieler auf über 1.000 Einsatzminuten und nur 12 auf über 2.000 Minuten pro Saison. Die Basics der Kaderlytics könnt ihr hier nachlesen:

Der Vergleich zur vergangenen Saison zeigt: Bayerns Kader ist nicht so viel dünner als im Vorjahr. Er ist auch nicht viel dünner als in den Jahren davor und ebenfalls nicht viel dünner als in den Jahren, in denen man die Champions League gewann. Die große Frage ist eher, wie man Karl, Paul Wanner und selbst Tom Bischof in die Bewertungen einfließen lässt.

Gefühlt fällt selbst Bischof immer etwas unter den Tisch, wenn Kritiker*innen vom „zu dünnen Kader“ der Bayern sprechen. Dass Karl qualitativ noch ein Fragezeichen ist, ist selbstredend nachvollziehbar. Hinzu kommt die noch offene Zukunft von Wanner. Bleibt der 19-Jährige, wird er realistisch gesehen kaum Chancen auf Spielzeit haben – zumindest dann nicht, wenn die Münchner erwartungsgemäß nochmal in der Offensive nachlegen.

Aus Sicht der Kaderplaner könnte es dennoch sinnvoll sein, ihn zumindest bis zum Winter zu behalten, um den Ausfall von Musiala etwas abzufedern. Denn einen solchen Ausfall kompensiert man in einer rationalen Kaderplanung nicht durch teure Neuzugänge, die anschließend keinen Platz mehr im Kader haben. Mit Wanner und Mr. X, der in der Offensive viele Minuten sammeln kann, wäre das Team sogar exakt genauso aufgestellt wie im Vorjahr: Tendenziell um einen Spieler zu breit. Das wäre mit dem Musiala-Ausfall bis Winter aber durchaus okay.

Wie macht es die internationale Konkurrenz?

Aber wie machen es andere Topclubs eigentlich? Beim FC Liverpool, der in der vergangenen Saison ebenfalls überwiegend im 4-2-3-1 spielte, kamen acht Verteidiger, vier zentrale Mittelfeldspieler und sieben Offensivspieler auf relevante Einsatzzeit – also mehr als 500 Minuten in allen Wettbewerben. Überträgt man das auf den FC Bayern mit neun Verteidigern, vier zentralen Mittelfeldspielern und derzeit sechs Offensivspielern mit Karl und ohne Wanner, dann fehlt auch hier genau ein Offensivspieler zu einem der am modernsten geführten Clubs im Weltfußball.

Gerade die Engländer haben nochmal eine deutlich höhere Belastung als Bundesligisten. Der Vergleich zu Champions-League-Sieger PSG ist dahingehend fast noch sinnvoller. Dort kamen in der vergangenen Saison sechs Verteidiger, fünf zentrale Mittelfeldspieler und sieben Offensivspieler auf relevante Spielzeit – allerdings in einem 4-3-3. Wobei die tatsächliche Besetzung der Positionen oft gar keinen so großen Unterschied zu einem 4-2-3-1 macht.

Ein drittes Beispiel aus der vergangenen Saison: Beim FC Barcelona erreichten acht Verteidiger, vier zentrale Mittelfeldspieler und sechs Offensivspieler eine relevante Spielzeit von mehr als 500 Minuten. Und nehmen wir abschließend Real Madrid noch mit dazu: Acht Verteidiger, sechs zentrale Mittelfeldspieler, sechs Offensivspieler. In der Regel kommen 18-20 Feldspieler bei den internationalen Topclubs auf relevante Spielzeit.

Die Verletzungen führen zu Engpässen

Die Bayern haben aktuell 21 Feldspieler in ihrem Kader. Zieht man davon Paul Wanner und Jonah Kusi-Asare ab, bleiben 19, sieht man selbst in Karl nur ein Alibi für den Transfersommer, bleiben 18, aber das wäre nach dem ihm ausgesprochenen Vertrauen unsinnig. Die Verteilung ist mit neun Verteidigern, vier zentralen Mittelfeldspielern und fünf bis acht offensiven Spielern im Soll – auch im internationalen Vergleich.

Dass das Thema derzeit dennoch so scharf diskutiert wird, hat vor allem zwei Ursachen. Die erste ist die Verletzungsproblematik. Mit Hiroki Ito, Alphonso Davies und Jamal Musiala fallen drei Spieler bis tief in den Winter hinein aus. Das Problem, das die Kaderplaner an dieser Stelle aber haben: Sie können nicht einfach nachkaufen und dann im Januar/Februar/März feststellen, dass das zu Problemen führt.

Also selbst wenn es intern Zweifel daran geben könnte, ob mit Ito vernünftig geplant werden kann, wäre es unvernünftig, einen weiteren Spieler seiner Klasse zu holen und dafür Budget zu binden, ohne ihn verkaufen zu können. Zumal man in der Defensive breit genug aufgestellt ist, um diesen und auch den Ausfall von Davies erstmal aufzufangen.

FC Bayern: Kader ist breiter als sein Ruf

Die zweite Ursache für die scharfen Debatten ist das Missverständnis beim Begriff Kaderbreite. Oft geht es bei Kritik gar nicht darum, ob ein Kader numerisch breit genug ist, sondern ob er qualitativ den Ansprüchen genügt. Und hier kann man die hinteren Positionen, also die Kaderpositionen 16 bis 21 beim FC Bayern durchaus hinterfragen.

Will man aber tatsächlich den Kurs wechseln und Talente entwickeln, ist es notwendig, diese Positionen nicht mit zu vielen Spielern zu besetzen, die beim Trainer nahezu automatisch Vorrang haben. Denn dann bekommt jemand wie Karl ganz sicher keine Chancen.

Wenn Kane jetzt also sagt, dass das einer der dünnsten Kader ist, in denen er je gespielt hat, dann hängt das unter anderem damit, dass er zuvor in England gespielt hat, aber auch damit, dass aktuell einfach ein paar Spieler mehr ausfallen, als man es in der Vorbereitung gewohnt ist. Letztlich ist der Unterschied im Kontext zu anderen Bayern-Saisons aber marginal – es geht tatsächlich „nur“ um einen Spieler, der dieser Mannschaft aktuell noch fehlt.

Alle Positionen dahinter können mit Spielern vom Campus aufgefüllt werden. Hand aufs Herz: Wer hat bereits von Tyler Morton, James McConnell, Trey Nyoni, Jayden Danns, Vitezslav Jaros, Rio Ngumoha, Isaac Mabaya, Trent Kone-Doherty und Amara Nallo gehört? Vermutlich nur jene, die sich etwas intensiver mit dem FC Liverpool befassen. Diese Spieler sind alle 15 bis 22 Jahre alt gewesen und sammelten in der abgelaufenen Saison zwischen vier und 261 Minuten.

Das waren die Kaderplätze 23 bis 31 – mit Torhütern. Überträgt man das und all die anderen Erkenntnisse, die aus dem Blick auf internationale Kaderpolitik entstehen, auf den FC Bayern, ist die Situation gerade weniger alarmierend, als sie gern dargestellt wird. Der Kader ist breiter als sein Ruf, aber gleichzeitig um maximal zwei, eher aber einen Spieler zu dünn. Nichts, was bis Ende des Transferfensters nicht noch repariert werden könnte.

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