FC Bayern: „Ich war platt!“ Erfolgscoach Alexander Straus erklärt Abschied
Alexander Straus hat die Frauen des FC Bayern München drei Jahre lang trainiert und sie dabei fußballerisch weiterentwickelt und zuletzt mit dem Double einen historischen Erfolg eingefahren. Nun zieht es ihn in die USA.
KEINEN ARTIKEL MEHR VERPASSEN – JETZT UNSEREN WHATSAPP-KANAL ABONNIEREN!
Zwar hat sich der Norweger hier und da bereits erklärt, aber im Gespräch mit Miasanrot nimmt er sich die Zeit, ins Detail zu gehen und Aspekte seiner Entscheidung offenzulegen, die bisher unbekannt sind. So habe unter anderem mentale Müdigkeit zu seiner Entscheidung geführt. Außerdem geht er hart mit sich ins Gericht, wenn es um die diesjährige Champions-League-Saison geht.
Straus blickt dennoch optimistisch in seine eigene Zukunft, aber auch in die des FC Bayern. Auch in der Königinnenklasse glaubt er an einen baldigen Fortschritt.
- „Bleibende Spuren“: Bianca Rech mit emotionalem Abschied an Straus
- Die neue Podcastfolge: Wirtz-Knall beim FCB! Wie geht es jetzt weiter?
- Novum im deutschen Fußball: Wann zieht Bayern nach?
Alexander Straus: „Ich war platt“
Miasanrot: Zunächst einmal die Frage, die jeder gestellt hat: Warum? Was waren die Gründe, München zu verlassen und in die USA zu gehen? Sie sagten, es sei eine Mischung aus einer neuen sportlichen Herausforderung und familiären Gründen. Wie viele Details können Sie uns nennen?
Alexander Straus: In den letzten zwei Jahren gab es in fast jeder Pause, also jedes halbe Jahr viele Optionen und Angebote und wir haben immer gesagt: ‚Nein, das ist nicht möglich. Wir wollen dieses Projekt vorantreiben.‘ Es waren große Clubs in Europa und in den USA, aber es war nie eine Option. Ich muss etwas ausholen und auf die letzte Saison schauen (2023/24, Anm. d. Red.). Diese Saison war sehr hart und schwierig. Es war brutal. Ich denke, wir hätten in der Champions League besser abschneiden müssen, aber wir waren auch etwas unglücklich gegen Paris. Wenn wir weiterkommen, hätten wir gegen Häcken in der nächsten Runde gespielt. Unsere Chance auf das Halbfinale war da, aber wir haben diesen Moment nicht genutzt. Davon abgesehen müssen wir sehr bescheiden und selbstkritisch sein in Bezug auf die Heimspiele und die beiden Spiele gegen Ajax und Rom, wo wir nicht gut genug waren. Das war eine große Enttäuschung für mich persönlich. Ich bin selbst mein größter Kritiker, wenn Dinge nicht gut laufen.
Also war es ein Gefühl der Leere nach den Enttäuschungen?
Ich habe viele Gespräche mit mir selbst geführt, aber jedes Jahr gab es die Situation, in der wir uns selbst analysieren. Wir haben nach dem Champions-League-Aus alles in die Liga investiert und das nimmt dir viel Energie. Wir haben auch das Pokalfinale erreicht, das wir unglücklicherweise verloren haben, aber die Saisonphase nach dem PSG-Spiel war richtig, richtig gut. Aber dafür brauchte es viel Aufwand, Energie und Prioritätensetzung. Für uns war es eine kleine Wiedergutmachung nach der Enttäuschung in der Champions League. Das letzte Spiel dieser Saison war in Hoffenheim, wo wir gewonnen haben und ich war wirklich müde. Ich hätte nicht einen Tag mehr aushalten können. Ich war platt. Also habe ich Urlaub gemacht, habe mit niemandem im Club und auch niemand anderem für die nächsten drei Wochen gesprochen, um meine Batterien wieder aufzuladen.
Aber Sie sind trotzdem in die neue Saison gegangen. Was ist passiert?
Die Batterien waren wieder aufgeladen und wir haben ein paar Veränderungen vorgenommen, was überhaupt nichts mit den Qualitäten von irgendjemandem zu tun hatte. Wir haben gefühlt, dass wir ein paar neue Stimmen brauchen, um für frischen Wind zu sorgen. Ich habe meinen Assistenztrainer von früher bekommen. Es hat uns geholfen, Anpassungen vorzunehmen. Also sagten wir: ‚Lass es uns noch einmal versuchen.‘ Ich muss aber ehrlich sein: Ungefähr im Oktober des letzten Jahres habe ich gespürt, dass dieses Gefühl von Fatigue zurückkommt. Ich habe viel mit Martin Walz gesprochen (Sportpsychologe des FC Bayern, Anm. d. Red.). Danach haben wir – auch mit meiner Familie – entschieden, dass wir bis zur Winterpause weitermachen und schauen, wie es weitergeht. Innerhalb des Clubs habe ich darüber nur mit Martin gesprochen.
Auch im Winter entschieden Sie sich dann, Trainer des FC Bayern zu bleiben. Warum?
Wir hatten einige Wochen frei und waren ziemlich glücklich mit dem ersten Teil der Saison, was die Ergebnisse anbelangt. Wir hatten einige richtig schlechte Leistungen wie in Freiburg, aber wir haben trotzdem gezeigt, dass wir großartiges Potenzial haben. Wir haben fünf Tore gegen Arsenal zu Hause erzielt. Wir hinterließen einen stabilen Eindruck. Wir glauben auch, dass wir in den Duellen mit Arsenal noch mehr verdient gehabt hätten. Aber es war okay. Also sagte ich mir: ‚Lass uns diese zwei Wochen nutzen, um die Batterien erneut aufzuladen und los geht’s.‘ Aber wenn du an diesem Punkt angekommen bist, geht eine Menge in deinem Kopf vor.
„Ich bin den Leuten beim FC Bayern sehr dankbar“
Nehmen Sie uns mit: Was waren Ihre Gedanken?
Ich war bereits über der Halbzeit dieses Projekts und da waren wieder Clubs im Winter, die mich wollten. Auch Nationalteams. Ich sagte immer wieder, dass ich Bayern nicht verlassen werde. Auch in diesem Winter, weil die Clubs mich mitten in der Saison haben wollten. Es gab bereits einen Vertrag, der meiner Agentur vor Weihnachten vorlag, aber ich sagte, dass es nicht möglich ist. Im Februar kamen sie zurück und sagten, dass sie mit Bayern verhandeln würden, wenn ich Interesse habe. ‚Wir können auf dich warten, weil wir dich wollen. Du bist unsere Priorität.‘ Und dann ging der Denkprozess wieder los. Was ist für das Team am besten? Was ist für mich und meine Entwicklung am besten? Ich liebe dieses Team. Ich könnte bestimmt noch zwei oder drei Jahre so weiter machen und ich denke, wir hätten das wirklich gut gemacht. Die Resultate wären gut gewesen, aber ich bin nicht sicher, dass ich die beste Version von mir hätte sein können.
Also geht es auch darum, neue Dinge zu erleben und aus dem Rhythmus auszubrechen, den Sie die letzten Jahre hatten?
Es ging ein bisschen darum, wer ich in diesen drei Jahren war. Wie wird das in zwei Jahren aussehen? Es geht auch um Integrität. Vielleicht brauche ich das neue Umfeld und etwas, das mir hilft zu wachsen. Eine andere Kultur, ein anderes Team, einen komplett neuen Kontext. Im Februar sagte ich erstmals, dass es vielleicht an der Zeit ist. Es gibt im Fußball kein richtiges Timing. Es war nicht richtig, wenn ich zu Bayern kam. Ich hatte ein gutes Projekt in Brann, aber Bayern brauchte einen Trainer. Der Sommer nach meiner Anstellung hätte mir besser gepasst. Und jetzt ist da wieder eine Herausforderung, die aufregend ist. Ich glaube auch, dass Bayern langfristig eine neue Stimme gebraucht hätte. Wer kann das weiter vorantreiben? Das machen, was wir gut gemacht haben und einige Anpassungen vornehmen, um den nächsten Schritt zu gehen. Deshalb habe ich auch gesagt, dass es nicht für mich endet. Wenn sie die Champions League in den nächsten drei Jahren gewinnen, werde ich immer noch das Gefühl haben, dass ich ein Teil davon bin. Wir mussten den richtigen Moment dafür finden, für mich, meine Familie, das Team, das ich immer an die erste Stelle gesetzt habe. Dann haben wir die Entscheidung getroffen. Ich bin den Leuten beim FC Bayern sehr dankbar. Bianca (Rech, Anm. d. Red.), Francisco (De Sá Fardilha, Anm. d. Red.) und Max (Eberl, Anm. d. Red.) hatten ein gutes Verständnis, haben mir aber auch gezeigt, dass sie wollten, dass ich bleibe.
Was denken Sie über den Zeitpunkt der Bekanntgabe?
Ich verstehe die Kritik von der Medienseite. Das Wichtigste war, und ich hoffe, jeder kann das verstehen, dass wir zu diesem Zeitpunkt in drei Wettbewerben waren. Wir wollten erfolgreich sein. Um das zu gewährleisten, wollten wir nichts durcheinanderbringen. Also behielten wir es so lange wie möglich für uns. Wir haben so weitergemacht wie immer und wollten nichts riskieren. Ich denke, am Ende haben wir das sehr gut hinbekommen. Das Timing, als wir es dann mit der Öffentlichkeit geteilt haben, war gut geplant, weil es eine Pause gab. Und wenn mehrere Menschen etwas wissen, dann wird es gefährlich. Ich habe das schon mal gesagt: Bei Verhandlungen sind immer mehrere Leute involviert. Agenten, Anwälte, zwei Clubs und mehr und mehr Leute erfahren davon innerhalb der Clubs. Wir kamen an einen Punkt, an dem wir wussten, dass es problematisch wird, zu schweigen, ohne dass es Gerüchte gibt.
War das Frankfurt-Spiel der Punkt, wo Sie sich sicher genug gefühlt haben?
Ja, wir mussten zu diesem Spiel kommen, weil wir vorher nichts zerbrechen wollten. Damit waren wir erfolgreich. Beide Clubs waren sehr professionell. In den ersten zwei Monaten waren es nur sehr wenige Leute, die davon gewusst haben und die konnten es für sich behalten. Nach dem Frankfurt-Spiel kam es dann heraus. Das war gut. Es war ein entscheidendes Spiel für uns in der Liga. Wir wussten, dass wir an dem Punkt angelangt waren, an dem das Risiko für ein Leak stieg. Und natürlich hatte auch Angel City FC Bedürfnisse. Sie waren für vier, fünf Monate ohne neuen Trainer. Sie mussten sich vielen Fragen stellen. Was passiert da? Wer ist es? Wann wird es bekanntgegeben? Da gab es eine Menge Interesse, das berücksichtigt werden musste.

Foto: Gualter Fatia/World Sevens Football via Getty Images
Wann haben Sie die Spielerinnen informiert?
Die Spielerinnen hatten das Wochenende nach dem Frankfurt-Spiel frei, also konnten wir die Bombe vorher platzen lassen. Jeder hatte zwei oder drei Tage Zeit, um an den Emotionen zu arbeiten. Am Morgen nachdem wir die Spielerinnen informiert hatten, wurde es öffentlich gemacht. Ich verstehe, dass es Frustration gab, dass wir nicht mit mehr Details an die Öffentlichkeit gingen. Für mich ging es darum, dass wir Freiburg schlagen, um Meister zu werden. Und dann wollten wir eine historische Leistung schaffen. Das war auch das erste, was ich nach der Lyon-Niederlage gesagt habe. Es war schwierig, aber wir hatten immer noch die Chance, Geschichte zu schreiben.
Alexander Straus: „Wenn solche Spielerinnen fehlen, kommst du in Schwierigkeiten“
Hat es in Ihrem Kopf eine Rolle gespielt, dass es schwierig werden würde, noch mehr mit Bayern zu erreichen? Also, dass Sie auf einem Hoch sind, das sehr bald ein Tief sein könnte?
Um ehrlich zu sein: Nein. Wir haben jetzt etwas zurückgelassen, das von jemand anderem erreicht werden kann und ich denke, das ist ein guter Weg, darauf zu blicken. Ich denke auch, dass Bayern deutlich näher am Top-Level ist als viele denken. Wir haben gegen Lyon ohne Glódis (Perla Viggósdóttir, Anm. d. Red.), Georgia (Stanway, Anm. d. Red.) und auch Lena (Oberdorf, Anm. d. Red.) gespielt, bei der wir alles reingeworfen hatten, weil sie das fehlende Puzzleteil sein könnte. Dann hat sie sich bei der Nationalelf verletzt, bevor sie überhaupt richtig mit uns trainiert hat. Verglichen mit dem Jahr davor könnte man argumentieren, dass wir in manchen Kaderteilen wegen der Verletzungen einen schwächeren Kader hatten. Gegen Lyon ohne diese Spielerinnen zu spielen, ist hart – das wäre es auch für Arsenal, Chelsea oder andere Teams. Wenn solche Spielerinnen fehlen, kommst du in Schwierigkeiten in der K.-o.-Phase.
Ist das Verletzungsthema etwas, wo Sie selbstkritisch mit umgehen? Oder war es vor allem Pech?
Für mich war das sehr frustrierend. Auch im Jahr davor hat uns bei der Niederlage in Amsterdam beispielsweise manche Schlüsselspielerin gefehlt. Wenn es in die entscheidenden Phasen ging, sind uns zu viele Spielerinnen ausgefallen. Das liegt vielleicht auch am Glück oder Pech. Es liegt vielleicht aber auch an vielen anderen Dingen und wir haben probiert, uns anzupassen und zu verändern. Wenn Sie sich unseren Umgang mit dem Kader anschauen, haben wir uns als Trainerstaff und ich mich als Cheftrainer über die drei Jahre entwickelt. Wie können wir die Belastung reduzieren? Wir haben versucht, mehr zu rotieren und wir waren damit sogar erfolgreich, weil wir allen Spielerinnen vertraut haben und wir auf eine Art und Weise trainieren, bei der alle involviert sind und so die taktischen Prinzipien verstehen. Wir haben viel angepasst, aber uns haben immer noch viele Spielerinnen gefehlt. Das war ein harter Rückschlag für uns.
Sie haben gerade angedeutet, dass Bayern nicht weit entfernt davon ist, auch in der Champions League noch erfolgreicher zu sein …
Wir haben zweimal gegen Arsenal gespielt in dieser Saison und ich sehe keinen großen Unterschied zwischen ihnen und uns. Ich denke nicht, dass sie besser sind als Bayern München. Und sie haben die Champions League gewonnen. Wir haben sieben Tore gegen sie in zwei Spielen geschossen. In einem K.-o.-Duell mit zwei Spielen hätten wir gewonnen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir viele unserer wichtigsten Spielerinnen verfügbar. Da hat man das Level dieses Teams gesehen. Das hoffe ich auch für meinen Nachfolger. Außerdem hoffe ich, dass die Medien das in ihre Bewertung mit einbeziehen. Wenn fast alle fit sind, sieht man das Potenzial und die Entwicklungsfähigkeit.
„Am meisten enttäuscht von mir selbst“: Wo Straus hart mit sich ins Gericht geht
Gibt es neben den Verletzungen noch andere Dinge, mit denen Sie selbstkritisch umgehen, wenn wir über die diesjährige Champions-League-Saison sprechen?
Da gibt es etwas, was mich sehr stört. Ich schaue immer zuerst in den Spiegel, weil das die Kultur ist, die wir hier über drei Jahre etabliert haben. Ich denke, wir hätten im Heimspiel gegen Lyon mehr tun müssen. Wir waren nicht mutig genug. Wir hatten nicht genug Courage. Und das ist meine Verantwortung. Es hat uns in eine schlechte Ausgangslage für das zweite Spiel gebracht. Ich glaube, wir hatten zu viel Respekt und da spreche ich vor allem und zuerst über mich. Wir haben zwar Tore kassiert, die wir nicht kassieren dürfen und es geht nicht um strukturelle Themen, aber wir haben vorn auch wenig kreiert. Die erste Halbzeit des Auswärtsspiels haben wir fantastisch gespielt, wir hätten 2:0 führen können. Ihre Qualität ist natürlich hervorragend, dass sie uns für unsere Fehler eiskalt bestrafen und dann war es vorbei. Aber das Heimspiel hätte dieses Jahr komplett verändern können – auch aus persönlicher Sicht. Ich bin am meisten enttäuscht von mir selbst. Das hatte auch nichts mit der Rotation zu tun, ich würde heute genau dasselbe Team wieder aufstellen. Es geht nicht um die Spielerinnen, sondern darum, wie wir das Spiel angegangen sind und das ist meine Verantwortung.
Die Erwartungshaltung beim FC Bayern ist deutlich größer als bei Ihrem Amtsantritt. Wie haben Sie diesen Teil ihres Alltags erlebt?
Ich erinnere mich an mein erstes Spiel. Sie haben mich über die drei Jahre kennengelernt und wissen, wie ich spreche und was meine Philosophie ist. Nach den negativen Reaktionen zu dem 0:0 in Frankfurt und all den kritischen Fragen danach zu meiner Person habe ich zu mir selbst gesagt: ‚Okay, Alex. Du musst dich auf andere Sachen fokussieren. Du musst all diese Sachen ausblenden und dich auf das konzentrieren, was intern wichtig ist.‘ Ich habe eine Strategie entwickelt, wie ich über all das öffentlich spreche, um den Menschen zu vermitteln, was wir tun, um vorwärts zu kommen. Die Resultate sind, was sie sind. Meistens bekommen wir das, was wir uns verdienen und ich denke, das haben wir. Ich denke nicht, dass Bayern nicht noch mehr erreichen kann, aber ich denke, dass die kommenden Jahre sehr interessant für sie werden – und sie auch in der kommenden Saison erfolgreich sein werden.

Foto: Catherine Steenkeste/Getty Images
Ist es möglich, dass Sie ihre Entscheidung in Zukunft bereuen werden, wenn sie zum Beispiel sehen, dass das Team eine großartige Saison spielen sollte? Oder haben Sie bereits Ihren Frieden mit der Entscheidung geschlossen?
Ich bereue meine Entscheidung jeden Tag. Ich fühle, dass das immer noch mein Team ist, aber der Wechsel wird auch gedanklich bald kommen, wenn ich mit einem neuen Team starte. Das war auch so, als ich hier ankam und mein altes Team verlassen hatte, das ebenfalls sehr erfolgreich war. Und das ist auch gut so, so zu fühlen. Es bedeutet, dass all das einem etwas bedeutet, dass du Emotionen geteilt hast, dass du es vermissen wirst. Es wäre anders, wenn alles nur seitwärts gegangen und wir unerfolgreich gewesen, vielleicht im Streit auseinander gegangen wären. So, wie es jetzt ist, ist es für mich emotional deutlich besser. Und ich weiß, dass ich immer zurückkommen kann, ich werde immer ein willkommener Gast in München sein. Wer weiß? Die Fußballwelt ist ein lustiger Ort. Wenn sie erfolgreich sein werden, werde ich mit ihnen feiern, mich als Teil davon fühlen und stolz darauf sein.
FC Bayern Frauen: Wie Straus sich auf sein Team anpasste
Sie haben 2022 ein Team übernommen, das zwar auch schon die Bundesliga gewann, in den großen Spielen aber oft etwas schüchtern wirkte. Vom ersten Tag an wollten Sie eine klare Identität in den Club bringen. Drei Jahre später hat Bayern einen dominanten Spielstil, der auch ohne Logo auf dem Trikot klaren Wiedererkennungswert hat. Wie sind Sie damals vor allem die ersten Monate angegangen?
Ich würde ungern über das sprechen, was vor mir war, weil sie das schon gut gemacht haben und 2021 den Titel gewannen. Aber wir sind verschieden und wir alle sehen den Fußball etwas unterschiedlich. Ich denke, Bayern hatte damals schon ein sehr gutes Pressing und einen sehr direkten Spielstil, der das Spiel vielleicht ein bisschen mehr in die Umschaltmomente verlagert hat, als mir persönlich lieb ist. Ich habe das Team analysiert, als klar war, dass ich übernehmen würde – und auch schon davor. Ich habe mir sehr viele Spiele angesehen, viele Male, von der Saison davor und als sie Meister wurden. Ich habe all die Spiele und all die Spielerinnen gesehen und hatte einen sehr klaren Blick auf die Qualitäten des Teams. Dann wollte ich all das in meinen eigenen Kontext überführen. Wie lasse ich mit denselben Spielerinnen spielen? Sie wissen, dass ich in Norwegen ein 3-4-3 genutzt habe. Das habe ich in der Vorbereitung mit Bayern auch versucht und es dann nach zwei Pflichtspielen oder so verändert …
… das müsste nach dem Duell mit Real Sociedad in der Champions League gewesen sein.
Ja, wir haben ein paar Spiele in diesem System gespielt. Aber ich hatte das Gefühl, dass die Spielerinnen sich nicht wohlgefühlt haben, mit einer Dreierkette zu verteidigen statt mit einer Viererkette. Sie waren daran nicht gewöhnt. Unsere Gegner in der Bundesliga waren sehr stark, mit einem sehr starken Wolfsburg-Team. Wir wussten, dass wir uns nicht viele Ausrutscher erlauben können und deshalb auch nicht zu viel Zeit mit ‚Trial and Error‘ verbringen können, weil wir dann wichtige Punkte verlieren. Also wurde ich ein bisschen pragmatischer. Es ging niemals um mich, meine Sturheit oder das 3-4-3. Ich denke, dass das System hätte passen können. Aber für mich ging es darum, dass die Spielerinnen komfortabel mit dem sind, was wir tun, ohne dass wir die Identität verändern oder den Weg, wie wir spielen wollen. Es geht nie um Systeme. Systeme, 4-3-3 oder 4-4-2 oder 4-2-3-1 oder 3-4-3 oder was auch immer, halten solange, bis der Schiedsrichter oder die Schiedsrichterin das Spiel anpfeift. Ab diesem Zeitpunkt musst du jeden Moment des Spiels meistern und jeder Situation mit oder ohne Ball.
Zumal Sie das System ja auch aus der Viererkette heraus während einer Partie oft dynamisch angepasst haben.
Das stimmt. Wir hatten Rotationen und haben so in Ballbesitz oft im 3-4-3 gespielt. Zum Beispiel, wenn Georgia in die Abwehr abkippte. Sie lässt sich fallen und wir schieben die Außenverteidigerinnen höher, während unsere Flügelspielerinnen mehr in die Mitte rücken. So hatten wir eine strukturelle Anpassung. Das war ein kleiner Kniff. So hat sich meine Art und Weise, wie ich spielen lassen wollte, nicht verändert, aber die Spielerinnen konnten weiterhin mit einer Viererkette verteidigen und fühlten sich komfortabler, weil sie das schon kannten. Für mich ging es darum, dass wir uns mit solchen Anpassungen schneller entwickeln als in den ersten Wochen. Ich denke, dass es gut war, dass ich nicht beim 3-4-3 geblieben bin. Vielleicht haben wir deshalb auch gleich im ersten Jahr die Meisterschaft gewonnen. Ich denke, wir hätten sie in den zwei darauffolgenden Jahren sowieso gewonnen, aber im ersten Jahr ging es um den Mix aus Ergebnissen und einem Übergang vom einen zum anderen Trainer und darum, eine Identität aufzubauen.
Klara Bühl „litt manchmal ein wenig“ unter Straus
Wahrscheinlich half es auch dabei, die Spielerinnen schneller zu entwickeln?
Wenn wir uns Klara Bühl zum Beispiel anschauen: Ich denke, in der abgelaufenen Saison haben wir viel von dem gesehen, woran wir mit ihr in den drei Jahren gearbeitet haben. Sie ist in einem echten Flow und hatte eine fantastische Saison. Schauen Sie sich die ganzen Assists und Torbeteiligungen an und wir haben jetzt die richtige Balance gefunden, wann sie das Spiel breit macht und wann sie nach innen in den Halbraum geht. Sie war vorher eher eine Old-School-Flügelspielerin, sehr breit positioniert und immer auf das Eins-gegen-eins aus. Ich wollte, dass sie weiter innen spielt und so ihre Spielmacherinnenqualitäten verbessert. Sie kann aus der Zentrale vorbereiten, sie kann zwischen den Linien spielen. Manchmal mussten wir sie ein wenig zwingen, weil es nicht immer komfortabel für sie war. Sie litt manchmal ein wenig darunter. Aber ich denke, dass wir dieses Jahr sehen, dass sie eine bessere Spielerin geworden ist. Ich denke, dass es darum ging, dass die Spielerinnen flüssiger im System agieren und dass wir ihnen mehr Facetten verleihen, sodass sie unterschiedliche Dinge auf dem Platz tun können und so unberechenbarer sind.
Und gleichzeitig waren Neuzugänge notwendig, um sich zu entwickeln. Wie hat Pernille Harder Ihr System verändert?
Es ist sehr schwer, jemanden herauszuheben, weil wir so viele gute Spielerinnen hier haben. Aber wenn wir uns Pernille anschauen: Sie kam von Chelsea, ist 32 Jahre alt und dann sehen Sie sich an, wie sie diese Saison absolviert hat. Es ist großartig zu sehen, dass sie sich nochmal weiterentwickelt hat. Sie war ein wichtiger Teil für den nächsten Entwicklungsschritt. In dieser Saison haben wir eine gute Balance gefunden. In der ersten Saison ging es darum, kurzfristig etwas aufzubauen und komfortabel in den engen Räumen zu sein, die Passwege zu verkürzen, den Ball mit vielen Pässen zu kontrollieren. In der zweiten Saison haben sich die Gegner an uns angepasst, wenn sie gegen uns spielten und wir hatten Probleme damit. Und in dieser Saison haben wir eine bessere Balance dafür gefunden, wann wir direkt spielen und wann etwas ruhiger. Ich bin bekannt für das Wort ‚Prozess‘, aber das ist der Prozess und deshalb wird es in der kommenden Saison auch darum gehen, wieder die kleinen Schlüssel auf die Anpassungen der Gegner zu finden.
Wenn es um Transfers geht: Wie lief die Zusammenarbeit mit Bianca Rech und ihrem Team konkret ab, wie viel Einfluss hatten Sie als Trainer?
Wir haben das immer zusammen diskutiert und dabei ganz viele verschiedene Aspekte berücksichtigt. Francisco, Bianca und ich waren da sehr eng im Austausch und es war manchmal ein langer Prozess. Manchmal haben wir viel Zeit miteinander verbracht und am Ende gesehen, dass es aus irgendwelchen Gründen nicht klappt. Manchen Deal haben wir aber auch sehr schnell entschieden, weil wir so eng zusammen gearbeitet haben. Wir haben zunächst immer definiert, was wir brauchen und dann, nach welchem Profil wir schauen. Francisco macht einen großartigen Job und schaut nach potenziellen Zielen und was Sinn ergeben könnte und dann ist Bianca diejenige, die es durchführt und entscheidet, ob es machbar ist oder nicht. Ich habe bei verschiedenen Clubs gearbeitet, aber das war das beste Umfeld, in dem ich bisher gearbeitet habe. Der Club hat immer die Kontrolle und nicht der Trainer. Aber ich konnte immer Input geben. Es wurde nie eine Spielerin verpflichtet, die wir nicht wollten. Manchmal waren wir uns auch nicht einig, was aber auch gut ist. Etwas Reibung kann gut sein, aber wir haben großen Respekt voreinander und für den Club.
Nimmt Alexander Straus Bayern-Spielerinnen mit in die USA?
Lassen Sie uns in die Zukunft schauen: Sie übernehmen Angel City FC. Können Sie uns ein öffentliches Versprechen geben, dass Sie keine Spielerin von Bayern verpflichten werden?
(Lacht) Jede Bayern-Spielerin hat Vertrag. Selbst wenn wir wollten, würde es sehr schwer werden. Wir wissen nie was passiert und ich kann nicht sagen, dass ich nie wieder eine Bayern-Spielerin in Zukunft trainieren werden. Aber im Moment ist da keinerlei Plan, das Bayern-Team zu stören.
Worauf freuen Sie sich am meisten in den USA?
Da gibt es so viele Sachen. Ich muss sagen, dass die NWSL sehr interessant ist. Ich hatte schon früher die Möglichkeit, dort zu arbeiten. Mehr als einmal habe ich abgelehnt. Aber die Liga war schon immer ein Traum. Sie ist riesig. Frauenfußball ist in Amerika ein sehr großer Sport. Das Interesse an der Liga ist enorm. Die Berichterstattung ist enorm. Angel City FC hat durchschnittlich zwischen 18.000 und 22.000 Fans bei jedem Heimspiel. Sie spielen in einem fantastischen Stadion. Das gesamte Projekt von Angel City ist sehr spannend. Sie waren auch sehr erfolgreich, was die wirtschaftlichen Aspekte angeht. Und dann gibt es auf dem Spielfeld noch viel Potenzial für Entwicklung und Erfolg. Den hatten sie bisher noch nicht. Das fasziniert mich und macht es spannend. Es ist eine Chance, etwas zu erleben, das völlig anders ist als alles, was ich bisher gemacht habe. Für mich war es auch wichtig, wie ich bereits gesagt habe, an einen Ort zu gehen, an dem ich etwas anderes machen kann. Nicht einfach zu diesem Zeitpunkt zu einem Team in Europa zu gehen. Dann könnte ich zum Beispiel bei Bayern bleiben. Ich wollte nicht das seltsame Gefühl haben, in vier Monaten in der Champions League gegen Bayern zu spielen. Deshalb war Amerika am Ende vielleicht die einzige Option. Wenn ich gehen wollte, dann entweder dorthin oder irgendwann zu einem Nationalteam.
Sie hatten gesagt, dass Georgia Stanway Sie tätowieren wird. Gibt es da ein Update?
Sie hat es bereits getan.
Oh, welches Motiv ist es geworden?
Ich werde nichts sagen. Ich werde es irgendwann zeigen. Vielleicht können sie Georgia in einem späteren Interview fragen, was sie gemacht hat. Es symbolisiert die Zeit, die wir hatten. Es ist aber kein München-Logo auf meinem Nacken oder sowas. Es geht mehr um die drei Jahre hier. Es war ein Kampf und ich glaube, wir haben den Kampf gewonnen.
Sie haben Jupp Heynckes erwähnt und ‚auf Wiedersehen‘ gesagt. Wann sehen wir Sie wieder in München?
Ich werde vermutlich schon im November oder Dezember wieder hier sein. Ich muss mir den Kalender genauer anschauen, aber ich hoffe, dass ich es schaffe, mir hier ein Liga- und ein Champions-League-Spiel anzuschauen, wenn die Planung so ist wie letztes Jahr. Die Liga in den USA wird Ende November vorbei sein und dann ist erstmal Pause, während hier noch gespielt wird. Dann werde ich als Freund und Fan zurückkehren und das Team unterstützen. Das andere, was ich gesagt habe, ist vielleicht auch ein Reflex der Selbstverteidigung, wenn du etwas zurücklässt, das du liebst und dir eine Hintertür offen lässt für einen Rückweg. Aber man weiß nie. Wenn die Sterne richtig stehen und das Timing richtig für alle Parteien ist in ein paar Jahren, wird mich vielleicht nichts zurückhalten können, wenn ich erneut aushelfen kann. Wenn Bianca oder der Club glauben, dass sie es brauchen.
Letzte Worte an die Fans: „Gehe nicht davon aus, sowas jemals wieder zu erleben“
Haben Sie letzte Worte an die Fans?
Ich muss sagen, ich habe mich noch nie so verbunden gefühlt. Ich finde das immer wichtig und deshalb bin ich, wer ich bin. Ich versuche, mich mitzuteilen, ich versuche, offen zu sein und ich versuche, authentisch zu sein. Ich versuche, transparent zu sein. Meine Gedanken und meine Stärken möchte ich immer mit anderen teilen. Ich bin selbstbewusst genug, um zu ihnen zu stehen und sie mit allen zu teilen. Ich finde es wichtig, dass die Menschen wissen und verstehen und einen Einblick bekommen, wer wir als Personen und Menschen sind. Die Art und Weise, wie wir Fußball spielen, muss widerspiegeln, wie man als Person ist.
Ich finde, wir hatten eine offene Kommunikation und das war wichtig für mich. Ich werde immer noch ein bisschen emotional, wenn ich darüber spreche, wie ich nach der Bekanntgabe meiner Entscheidung unterstützt wurde. Die Liebe, die ich gespürt habe und die Unterstützung und Zuneigung, die ich persönlich in den letzten Wochen erfahren habe, waren unglaublich und ich glaube, das lag daran, dass ich die beste Version meiner selbst war und dem Team auf die mir bestmögliche Weise geholfen habe, unsere Ziele und letztendlich die Ziele des Vereins zu erreichen. Ohne den Zusammenhalt zwischen den Fans und dem Team wäre das nie möglich gewesen und mir persönlich hat es geholfen, in den letzten Wochen der Saison mein Bestes zu geben.
Ich kann sagen, dass mich diese Liebe und Unterstützung wirklich bewegt haben und das macht mich für immer zu einem Fan des FC Bayern München und diesen Moment noch schwerer. Die Fans haben mir wunderschöne Dinge geschrieben, mir wunderschöne Briefe geschickt und Dinge gesagt, die mir für immer in Erinnerung bleiben werden und ich bin mir nicht sicher, ob ich das jemals wieder erleben werde. Ich gehe nicht davon aus, dass ich solche Dinge jemals wieder erleben werde, und das macht diesen Verein und die Fans zu etwas ganz Besonderem.
Vielen Dank für das offene Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
Weitere Interviews:
- Georgia Stanway: „Die besten drei Jahre meiner Karriere“
- Tuva Hansen: „Gefühl, es sei alles meine Schuld“
- Francisco De Sá Fardilha: „Nicht verhandelbar!“
- Jovana Damnjanović: „Lea ist nicht meine Konkurrentin“