FC Bayern auf der Suche nach dem Mia-Gefühl
Der zweite Teil ist einfach zu beantworten: 290.000 Vereinsmitglieder umfasst der Verein und ist damit der größte Sportverein der Welt. Der erste Teil ist komplizierter. Die Interessen von Verein und AG auf der einen und Mitgliedern und Fans auf der anderen Seite scheinen sich bei einigen Themen voneinander weg bewegt zu haben – was sich symbolträchtig auf der letzten Jahreshauptversammlung zeigte.
Um Szenen wie diese zukünftig zu verhindern, und zwar idealerweise einvernehmlich statt durch formale Hürden, versucht der FC Bayern München e.V. seine Mitglieder (wieder) besser kennenzulernen. In diesem Zuge lud der Verein 32 Mitglieder zu einem gemeinsamen Workshop in der vereinseigenen Akademie im Norden Münchens ein, einem in dieser Art einmaliges Zusammenkommen – wenngleich sich ein Teilnehmer an ein vergleichbares Zusammentreffen vor über 30 Jahren erinnerte.
Georg war als Teilnehmer dabei und berichtet für MSR.
Auswahl der Teilnehmenden und Ablauf
Teilnehmende
Da es sich um Mitgliedsthemen handelt, wurde der Workshop vom FC Bayern e.V. veranstaltet. Der Verein lud 32 Mitglieder zum Workshop ein. Kiki vom Orgateam erklärte: “Die Auswahl der Teilnehmenden erfolgte teils geplant, teils zufällig per Los. Wir hatten frühzeitig den Arbeitskreis Fandialog mit einbezogen und einige Ehrenmitglieder eingeladen. Darüber hinaus, haben wir uns bemüht, eine diverse Gruppe zusammenzustellen.”
Divers war die Gruppe in der Tat: jung und alt, Kutte und Anzug, Männer und Frauen, aus München, Zürich, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland.
Wenngleich Benny Folkmann, Geschäftsführer des FC Bayern München e.V., selbstkritisch anmerkte, dass die Anhängerschaft des FC Bayern noch nicht die komplette Diversität der Gesellschaft abbilde.
Transparenzhinweis: Meine Teilnahme war nicht meiner Arbeit für Miasanrot geschuldet. Ich gehörte zu den zufällig ausgelosten Teilnehmenden.
Compliance
Die Teilnahme am Workshop war natürlich kostenlos. Umgekehrt gab es keine Zuwendungen in Form von Spesen oder sonstigen Aufwandsentschädigungen. Während des Workshops stellte der FC Bayern übliche Häppchen, Softdrinks und ausreichend Kaffee zur Verfügung.
Wer nachmittags noch das Spiel gegen den BVB schauen wollte, aber im Vorfeld kein Ticket gekauft hatte, dem bot der FC Bayern ein Ticket zum Normalpreis an.
Ein wie ich finde richtiges Vorgehen vom Verein. Eine Gratiskarte zum Spiel wäre einerseits nur den wenigen zu gute gekommen, die noch keine hatten – vor allem aber hätte das ein Geschmäckle haben können: Diskutiert man genauso kritisch, wenn man ein Ticket geschenkt bekommt?
Workshop-Regeln
Der Workshop wurde als “World Café” durchgeführt. Die 32 Teilnehmenden wurden in vier Gruppen aufgeteilt, die sich rollierend jeweils 30 Minuten einem von vier Themenblöcken widmeten.
Den Teilnehmern und Teilnehmerinnen wurde seitens des FC Bayern und untereinander Vertraulichkeit zugesichert. Der FCB erlaubte uns natürlich, einen Artikel zu dem Event zu verfassen, bat aber darum, keine vertraulichen und persönlichen Informationen zu veröffentlichen. Auch dies eine wichtige und richtige Maßnahme, um während des Workshops ungefiltert und offen diskutieren zu können.
Deshalb beschreibt dieser Artikel auch in erster Linie den Prozess und Workshop als solchen und geht nur sehr kursorisch auf die einzelnen Themen und geäußerten Meinungen ein. Die folgend im Artikel aufgeführten Zitate wurden im Anschluss an den Workshop getätigt und sind explizit für den Artikel freigegeben.
Spielbericht
Bei den Themenblöcken handelte es sich um Mitgliederdialog, Mitgliederservice, Rahmenbedingungen der Jahreshauptversammlung sowie eine Sammelstelle für Verschiedenes.
Generell zeigten die Mitglieder ein großes Engagement und füllten den Workshop mit Leben. In bester Bayernmanier: erst die Arbeit, dann die Brezn.
Auch wenn es viel zu tun gibt, war allen klar: Es läuft auch einiges gut an Säbener und Ingolstädter Straße. Die Mitglieder lobten beispielsweise das Engagement des Vereins gegen Rassismus und das sichtbare Bemühen beim Ticketing.
Doch im weiteren Verlauf entwickelte sich eine lebhafte Diskussion mit kontroversen Meinungen. Die Teilnehmenden konnten die ihnen wichtigen Themen bei den jeweiligen Themenblöcken einbringen.
Die eine schätzt die deutlichen Worte auf der Jahreshauptversammlung und würde für weitere Wortmeldungen auch noch ein bis zwei Stunden dran hängen, ein anderer würde die JHV lieber verkürzen und seriös abwickeln.
Danach wurden die erarbeiteten Erkenntnisse geclustert und durch die Teilnehmenden priorisiert. Zum Abschluss des Workshops wurden die wichtigsten Erkenntnisse des Tages vor allen Teilnehmenden und den anwesenden Mitarbeitenden des FCB e.V. inklusive des Präsidenten Herbert Hainer präsentiert.
Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen erarbeiteten viele Punkte, die durchaus als Auftrag an den FC Bayern zu verstehen sind: mehr Nachhaltigkeit im Stadion und bei Fanartikeln, ehrlichere Kommunikation, stärkere Mitgliederrepräsentanz außerhalb der JHV.
Bayern-Präsident Hainer zeigte sich beeindruckt von den am Vormittag erarbeiteten Ergebnissen der Workshop-Teilnehmenden und nahm sich im Anschluss viel Zeit für weitere Fragen und Selfies.
Einordnung
Aus Sicht des FC Bayern ein gelungener Auftakt
Beim FC Bayern und den Teilnehmenden zeigte man sich zufrieden mit dem Workshop. Alle lobten den “positiven Vibe und die tolle Atmosphäre”. Benny Folkmann vom FC Bayern konkretisierte und hob positiv “Themenvielfalt, Diskutierfreudigkeit und vor allem den gegenseitige Respekt” hervor. “Wir sind ein gewisses, bewusstes Risiko eingegangen, indem eine sehr heterogene Gruppe zusammengestellt wurde. Wir sind froh, dass die Leute sich gegenseitig befruchtet haben”, so der Geschäftsführer.
Gleichzeitig sind Folkmann und seinem Team klar, dass noch viel Arbeit auf sie wartet. Man werde den Workshop selbst, die dokumentierten Ergebnisse und das Feedback der Teilnehmenden auswerten und dann nächste Schritte planen. Ob in Zukunft ähnliche Workshops, Stammtische zu spezielleren Themen oder ganz andere Formate folgen, werde man sehen. Die Liste möglicher und den Mitgliedern wichtiger Themen sei jetzt jedenfalls klar.
Aus MSR-Sicht ein klarer Auftrag an den Verein
Ich stimme der positiven Einordnung durch den FC Bayern und dem Gros der übrigen Teilnehmenden zu: ein gelungener Workshop, an dem ich gerne teilgenommen habe. Ich wusste im Vorfeld nicht, was mich erwarten würde: Fanbetreuung mit musealer Folklore und “Stern des Südens”-Gesängen? Oder offener und kritischer Austausch an der Schnittstelle zu den Fans und Mitgliedern? Und wenn ja, würde man es schaffen, aus einer heterogenen Gruppe in überschaubaren Zeit vernünftige Erkenntnisse zu erarbeiten?
Das hat der FCB, das haben die Teilnehmenden geschafft. Dafür sorgte die professionelle Durchführung und Teilnehmende, die sich und ihre Arbeit im Workshop ernst genommen fühlten.
Die Einschätzung von Alexander Salzweger, Mitglied der Fanszene, geht in eine ähnliche Richtung: “Gut fand ich vor allem drei Punkte: 1.) das Format mit diversen Themen, aber auch der Möglichkeit, Probleme hier selbst anzusprechen. 2.) dass man deutlich sehen konnte, dass generell alle anwesenden Mitglieder die selben Grund-Punkte sehen und 3.) dass der Vorstand diese Infos nicht gefiltert bekommt, sondern durch Anwesenheit von Herbert Hainer und Benny ungefiltert erfährt.”
Für ein echtes Fazit ist es ihm aber noch zu früh: “Wie ich den Workshop insgesamt bewerte, hängt aber davon ab, was Bayern daraus macht. Gerade die Themen Kommunikation und Ablauf der JHV wurden ja beinahe von jedem angesprochen und auch sehr konkrete Vorschläge gemacht, wie man sie verbessern kann. Schafft man das – und behält auch in Zukunft solche Formate bei – dann war es echt ein guter Workshop.”
Damit bringt er es auf den Punkt. Eine lobenswerte Initiative des Vereins. Ob die Suche nach dem neuen Mia-Gefühl erfolgreich ist und ob es damit mehr als Fanbetreuung gewesen sein wird, kann erst die Zukunft zeigen. Welche Schritte folgen? Und wie ernst wird es dem FCB mit dem Mitgliederauftrag sein, wenn es um größere Einschnitte geht, als auf Ökostrom oder Mehrwegbecher umzustellen? Denn trotz der überragenden Bedeutung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen im Angesicht der Klimakrise, handelt es sich dabei in der Regel um einvernehmliche Reformen. Kritisch wird es, wo Forderungen der Mitglieder ans Selbstverständnis des FC Bayern rund um Satzung, Gremien oder die Jahreshauptversammlung gehen.
Dabei sollten sich weder Verein noch Mitglieder naive Hoffnungen machen: Bei über 290.000 Mitgliedern sind aktive Mitbestimmung und Mitgestaltung durch die Basis kompliziert. Nicht nur der FC Bayern und seine Mitglieder müssen ihre Ansichten unter einen Hut bringen, auch die Mitglieder- und Anhängerschaft selbst ist heterogen.
Gelingen dem FC Bayern die zahlreichen Spagate, dann heißt es vielleicht demnächst wieder: Mia san mia – und über 300.000 Mitglieder.