125 Jahre FC Bayern: „An der Spitze der Innovation“! Wie der FCB zum Weltclub wurde
Die turbulenten Jahre seit dem Bundesliga-Debüt der Bayern mit der legendären Achse aus Sepp Maier, Franz Beckenbauer und Gerd Müller kennen die meisten. Doch die Geschichte, wie es dazu kam, dass aus einem Verein von “Zugeroasten” im Weinhaus Gisela am 27. Februar 1900 der spätere Weltverein wurde, wissen die wenigsten. Daher hat sich Miasanrot zum Gespräch mit Sachbuchautor und Fußballhistoriker Dietrich Schulze-Marmeling getroffen, um diese sechzigjährige Zeitreise zu beleuchten.
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Dietrich Schulze-Marmeling veröffentlichte diverse Sachbücher über die Geschichte des Fußballs in Deutschland und weltweit. Seine 2021 erschienene und über eintausend Seiten umfassende Chronik “Die Bayern Chronik” ist wohl die umfassendste historische Abhandlung über den Verein.
Dazu veröffentlichte Schulze-Marmeling, der privat dem Erzrivalen aus Dortmund die Daumen drückt, die Aufarbeitung der Kriegs- und Nachkriegsjahre der Bayern unter dem Titel “Der FC Bayern und seine Juden” sowie eine Biografie von Kurt Landauer. Alle Bücher von ihm findet ihr hier.
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FC Bayern: Gründung durch „Zugeroaste“
Miasanrot: Herr Schulze-Marmeling, zeichnen Sie uns das Bild der Sportlandschaft in Deutschland, als sich am 27. Februar 1900 siebzehn Mitglieder des Turnvereins MTV München im Gasthaus Gisela des Münchner Stadtteils Schwabing treffen, um ihren eigenen Fußballverein zu gründen.
Dietrich Schulze-Marmeling: Um die Jahrtausendwende ist Turnen der beliebteste Sport in Deutschland, obwohl in diesem Kontext das Wort Disziplin wohl besser angebracht wäre. Turnen war kein Sport im heutigen Sinne, denn es gab keine Wettkämpfe. Vielmehr trat Turnen in die Fußstapfen des Militarismus. Turnen war konservativ, starr und strukturiert – kein Angebot für kreative Menschen.
In dieses Rollenbild wollten sich immer mehr junge Männer der künstlerischen, bohemischen Stadtteile Münchens nicht mehr einpassen. Statt Disziplin und Form, wollten sie sich im Wettkampf mit anderen messen. Ihren Ausweg sahen sie in der Sportart, die in England bereits viele Jahre zuvor großen Zulauf gewann – dem Fußball. Der Ballsport stand für Moderne. Und als modern galten damals auch Elemente des “english way of life”. Fußball war noch kein Arbeitersport, sondern eher etwas für Akademiker, Künstler und Kaufleute – also durchaus ein bisschen elitär.
Von den Führern der Turnbewegung wurde diese Entwicklung kritisch beäugt. Fußball galt als “undeutsch”, eben englisch, ein Turnvater sprach von einem “englischen Aftersport”, der Wettkampf als etwas, was korrekte moralische Vorstellungen zersetzen konnte. In dieses Spannungsfeld fällt also auch die Gründungsgeschichte des FC Bayern München.
Dessen Großteil der Gründungsmitglieder damals Mitglied beim lokalen Großverein MTV München waren und an jenem Abend im Gasthaus Gisela nichts weniger als die Revolte planten?
Wie viele Fußballer in der damaligen Zeit waren auch die späteren Gründer des FC Bayern unter dem Dach eines Turnvereins organisiert, des MTV München. Der MTV war ein etablierter Verein in der Landeshauptstadt. Unter anderem war dort mit Walter Bensemann einer der Pioniere des frühen Münchner Fußballs aktiv.
Zur damaligen Zeit existierte bereits der Verband Süddeutscher Fußball-Vereine und ein Teil der Spieler des MTV wollte diesem beitreten, die Turner waren dagegen. Aus dieser Meinungsverschiedenheit entstand die Abspaltung des FC Bayern, wobei der Anstoß dafür von außen kam.
Der Engländer Gus Manning, der beim FC Freiburg aktiv war, überzeugte Franz John, den späteren ersten Präsidenten des FC Bayern, dass der Süddeutsche Verband einen Verein aus München benötigte. Dazu wollte Manning aus Freiburg mit Spielern unterstützen – damit sich der Verein in München schnell sportlich etabliert. Der FC Freiburg, der 1907 Deutscher Meister wurde, agierte in den Anfangsjahren des FC Bayern gewissermaßen als Pate.
Wie darf man sich die Gründer des FC Bayern vorstellen?
Am Abend des 27. Februar kamen im Gasthaus Gisela elf Spieler zusammen, die gemeinsam eine Absichtserklärung unterzeichnen wollten, nachdem am selben Abend die Spielabteilung des MTV den Beitritt zum Süddeutschen Verband abgelehnt hatte. Unter ihnen ist der erwähnte Franz John sicherlich als Initiator zu sehen.
Als weitere Gründer waren Josef Pollack, erster Schriftführer des Vereins und einer von zwei jüdischen Gründungsmitgliedern, sowie die beiden Kapitäne Paul Francke und Wilhelm Focke zu nennen. Die elf einte zum einen die Zugehörigkeit zum bürgerlichen Milieu mit vielen Anknüpfungspunkten an die Künstlerszene in München und zum anderen, dass der Großteil nicht aus München oder gar Bayern stammte. Franz John selbst stammte aus Berlin-Pankow, Pollack aus Freiburg, Francke aus Leipzig und Focke aus Bremen – er war der Sohn des Bremer Senatssyndikus Dr. Johann Focke, nach dem in Bremen ein Museum benannt ist. Viele der Gründer lebten in der Maxvorstadt, in der Nähe von Universität und Kunstakademie. Allein die Brüder Fritz und Carl Wamsler waren einheimische Münchner. Ihr Vater sollte erster Mäzen des Vereins werden und den Verein unterstützen.
Auf der Gründungsurkunde stehen am Ende neben den elf Spielern noch sechs weitere Namen, die wohl später eingesammelt wurden. Einer darunter ist der aus Dortmund stammende jüdische Künstler Benno Elkan, der später Weltruhm errang. Zu seinen Werken gehört die Große Menora vor der Knesset in Jerusalem.
Ausgerechnet ein Verein aus “Zugeroasten”, wie man im Freistaat sagen würde, nennt sich also FC Bayern München. Ist überliefert, wie man zu dem Namen kam?
Nein, das ist nicht bekannt. Eine mögliche Erklärung wäre, dass besonders die Nicht-Münchner damit ihre Identifikation mit der Wahlheimat bekennen und Vorurteilen Einhalt gewähren wollten. Dass diese explizit eine Wahlheimat war, sieht man daran, dass die meisten Gründer später in ihrem Leben München und Bayern verließen.
Turbulente erste Jahre beim FC Bayern
Wie tritt der FC Bayern in den ersten Jahren nach der Gründung in Erscheinung?
Der Verein besteht bis 1908 laut Vereinssatzung nur aus Wehrpflichtigen mit höherem Schulabschluss und rekrutiert seine Mitglieder aus der Künstler- und Studentenszene in der Maxvorstadt und Schwabing. Die beiden Stadtteile, die damals für die Boheme standen und Kunstakademie sowie Universität beherbergten. Der Verein darf daher durchaus als weltoffen und liberal bezeichnet werden. Auch nach dem 2. Weltkrieg blieb der FC Bayern eine Anlaufadresse für Künstler.
In den folgenden Jahren folgten zwei Fusionen und relativ schnelle Trennungen mit dem Münchner Sport-Club und dem TV Jahn München. Wie kam es dazu?
Der FC Bayern war häufiger heimatlos und auf der Suche nach Spielstätten. Der Münchner Sport-Club war da ein besonders interessanter Partner, da der MSC finanzstark war und über eine der besten Sportanlagen der Stadt verfügte. Der MSC galt als international und elitär, was zu dem damaligen Charakter der Bayern passte, diesen sogar noch verstärkte. Sein Hauptquartier schlug er im Hotel Vier Jahreszeiten auf.
Der MSC war ein Mehrspartenverein mit dem Fokus auf Tennis und Hockey. Unter diesem Dach gedieh der FC Bayern und erhielt starken Zulauf. Zwischenzeitlich agierten 26 Betriebs- und Hobbymannschaften unter dem Namen. Im Jahr 1907 zog der Verein an die Leopoldstraße und spielte auf dem ersten Münchner Fußballplatz mit überdachter Tribüne.
Ein Überbleibsel aus der damaligen Zeit waren die Vereinsfarben rot und weiß, die man vom MSC übernahm. Schnell etablierte sich daher auch der Spitzname “Die Roten”, der sich bis heute hielt. Auch beim Zusammenschluss mit dem TV Jahn München ging es vor allem um die Spielstätte. Der TV Jahn hatte eine zeitgemäße Anlage auf dem Gelände eines ehemaligen Golfclubs. Solche Fusionen mit anderen Vereinen waren für die damalige Zeit nicht unüblich. In dieser Zeit wird der Verein immer mehr zum Münchner Verein, dessen Klientel nicht nur auf Studenten und Künstler aus der Maxvorstadt beschränkt ist.
Und wie liefen diese Jahre sportlich für den FC Bayern?
Der FC Bayern avancierte schnell zu einem Münchner Spitzenklub. Die Tabellen aus den 1910er Jahren zeigen einen Dreikampf zwischen dem MTV München, 1860 München und eben den Roten, die im Schnitt am besten abschnitten. Die Blauen waren damals ein Gegner von vielen. Die Rivalität der beiden Vereine entsteht erst viele Jahre später. In der Weimarer Republik schaffen es die beiden Teams und Wacker München, sich vom Rest abzuheben und spielen nicht nur in Süddeutschland, sondern auch darüber hinaus eine größere Rolle.
In den Jahren vor und während des ersten Weltkriegs waren die Münchner Mannschaften selbst in Süddeutschland nicht als Spitzenmannschaften bekannt. Tonangebend waren die Vereine vom Oberrhein wie Freiburg und Frankfurt oder aus Franken wie Nürnberg und Fürth.
In der damaligen Zeit verpflichtete der Verein vorrangig Trainer von den britischen Inseln. Womit ist dieser Trend zu erklären?
Bereits der erste Münchner Spielertrainer, Willem Hesseling, später auch Präsident des Vereins, war kein Deutscher, sondern Niederländer. Durch die internationale Prägung des Klubs fiel der Blick schnell auf das Mutterland des Fußballs England und seinen Nachbarn Schottland. Die Schotten hatten den Spielstil revolutioniert. Sind die Schotten heute eher für ihren rustikalen Spielstil bekannt, hatten sie damals das schnelle und kombinationsreiche Flachpassspiel als Gegenentwurf zum englischen Kick-and-Rush entwickelt.
William Townley war zwar Engländer, gilt aber als der Begründer dieser Spielidee in Süddeutschland und war gleich zweimal Trainer beim FC Bayern, wo er seinen Fußball etablierte. Das erste Mal unterschrieb er im Dezember 1913. Vor Townley hatte bereits dessen Landsmann Thomas Taylor bei den Bayern angedockt, das war in der Saison 1908/09 gewesen. Erster hauptamtlicher Trainer wurde dann 1911 Charles Griffith. Solche Verpflichtungen unterstrichen die Ambitionen des jungen Klubs und brachten Professionalität in den Verein.
FCB: Erfolgreich zwischen zwei Weltkriegen
Wie wirkt sich der erste Weltkrieg auf die Entwicklung des Vereins aus?
Während des Krieges kommt der Fußball teilweise zum Erliegen oder wird nur reduziert ausgetragen. Viele Mannschaften müssen Spieler abstellen, die an der Front zum Einsatz kommen. Doch nach dem Ende des Krieges kam es zu einer starken Weiterentwicklung des Sports. Durch die Einführung des Acht-Stunden-Tags können Arbeiter endlich einen Teil ihres Tages mit Freizeit und Sport verbringen. Zugleich fördert die öffentliche Hand den Sport durch den Bau von Sportstätten. Dadurch kann auch der Spielbetrieb regelmäßiger stattfinden und die Saisons verlängert werden.
Fußball erfährt eine rasante Entwicklung zum Zuschauersport. Gab es vorher nur in den wenigsten Fällen hohe vierstellige Zuschauerzahlen, werden diese nun häufiger. Vor dem ersten Weltkrieg waren die 12.000, die 1911 das Meisterschaftsfinale zwischen Viktoria 89 Berlin und dem VfB Leipzig sahen, Rekord. Im Juni 1920 drängeln sich dann beim Finale Nürnberg gegen Fürth 35.000 auf dem Germania-Platz in Frankfurt. Der deutsche Fußball holt damit jene Weiterentwicklung nach, die in England bereits weit vorher stattgefunden hat.
Ich spreche hier immer von der ersten sozialen Ausbreitung des Spiels, eine zweite erfolgt nach der WM 1990, aber diese ist ein anderes Thema.
Welche Rolle spielte dabei der Deutsche Fußball-Bund, der ebenfalls wie der FC Bayern im Frühjahr 1900 gegründet wurde?
Der DFB stand dieser Entwicklung äußert kritisch gegenüber. Bei den Konservativen war der passive Sportkonsument, also die Entwicklung des Fußball zum Zuschauersport, nicht erwünscht. Der Breitensport und die körperliche Betätigung standen für den DFB im Vordergrund, während das Erlebnis Sport als “Amerikanisierung” verpönt war.
Einher geht diese Entwicklung auch mit steigenden Einnahmen für die Vereine, welche dadurch die Professionalisierung vorantreiben. Zwar war der Profisport in Deutschland damals verboten, doch Spieler werden unter der Hand bezahlt oder von Sponsoren eingestellt. Auch dies war dem DFB ein Dorn im Auge. Präsident Felix Linnemann sprach gar von einer “Seuche, die man bekämpfen müsse”. Der Profifußball sei ein Zeichen für den Niedergang des Volkes. Im DFB dominierte eine kulturpessimistische Attitüde.
Deutschland fuhr damals einen Sonderweg. Österreich hatte den Profifußball bereits 1924 legalisiert, es folgten die Tschechoslowakei (1925), Ungarn (1926) Italien (1926), Spanien (1928) und Frankreich (1933). Und in England wurde bereits seit 1885 legal bezahlt. In Deutschland war der Sportsmann die ideologische Fortsetzung des Soldaten, der rein und edel nur für die Sache und Ehre kämpft und seinem Verein gegenüber absolute Loyalität pflegt.
Wie sah denn der FC Bayern die Professionalisierung des Sports?
Der FC Bayern wünscht eine Lockerung der harschen Regeln, zumindest eine Teil-Professionalisierung. Treibende Kraft ist hier Präsident Kurt Landauer. Man muss dazu wissen, dass der DFB in der damaligen Zeit den Spielbetrieb mit den Profis Prag, Wien und Budapest zeitweise verbot. Für einen Verein wie den FC Bayern, aber auch für deren bayerische Nachbarn aus Nürnberg und Fürth, war das fatal.
In der damaligen Zeit war die Saison kurz und den Rest des Jahres mussten die Vereine durch Testspiele zu Einnahmen kommen. Der FC Bayern bewegte sich gewissermaßen in zwei Kontexten: einem nationalen und einem mitteleuropäischen.
Ungarns Einfluss auf den FC Bayern
Wieso waren denn gerade die Vereine von der Donau so attraktive Gegner?
Zum einen gab es sicherlich die räumliche Nähe, doch der wichtigere Grund war sicherlich, dass gerade Ungarn und Österreich in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg zum neuen Zentrum des kontinentalen Fußballs wurden und somit auch für einen Verein wie den FC Bayern zum Maßstab. Ein einschneidendes Erlebnis für die Münchner Spieler, Funktionäre und Öffentlichkeit war dabei sicherlich der Gastauftritt von MTK Budapest im Jahr 1919 vor 15.000 Zuschauern auf dem Sportplatz des MTV. Die Ungarn gewannen mit 7:1 und dominierten die Bayern nach Belieben. Ein Spiel, das in Deutschland großen Eindruck machte.
Anschließend verpflichtete Bayern dann auch vorrangig Trainer aus den Fußballschulen von Budapest und Wien: Dori Kirschner, Leo Weisz, Kalman Konrad und Richard Dombi, Bayerns erster Meistertrainer. Der Fußball von der Donau ist die Weiterentwicklung jenes Spielstils, den Anfang des Jahrtausends die Schotten nach München gebracht hatten: Ein gepflegtes Flachpassspiel mit vielen Kombinationen.
Nun haben wir gerade schon mit Richard Dombi die erste Münchner Meisterschaft 1932 angeschnitten. Was bleibt davon bis heute hängen?
Die meisten Ihrer Leserinnen und Leser dürften sich sicherlich an den sogenannten “staubigen Elfmeter” erinnern. Bei hochsommerlichen Temperaturen im Juni 1932 trat der bayerische Toptorjäger Oskar “Ossi” Rohr an. Sein Schuss auf vertrocknetem Rasen wirbelte dabei eine Staubwolke auf, daher der Name. Die Münchner gewinnen das Spiel gegen Eintracht Frankfurt mit 2:0 und werden anschließend in der Presse als die spielerisch beste und unterhaltsamste Mannschaft gefeiert.
Der Torjäger Oskar Rohr kann durchaus als der erste Münchner Gerd Müller gesehen werden. Weil ihm der Weg zum Fußballprofi in Deutschland verwehrt ist, verlässt er den Verein später nach Frankreich, wo er noch sehr erfolgreich aktiv ist. Ansonsten bleiben sicherlich die vielen frenetischen Zuschauer aus München in Erinnerung, die teilweise auf dem Rad oder sogar zu Fuß den Weg nach Nürnberg angetreten hatten. Der FC Bayern und der Fußball waren voll in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit angekommen. Die Meisterelf von 1932 war spielerisch das Beste, was der deutsche Fußball damals zu bieten hatte.
Kann man den damaligen Präsidenten Kurt Landauer als Vater des Erfolgs bezeichnen? Was für eine Art Funktionär war Landauer?
Landauer war für seine Zeit sicherlich ein Visionär und sehr fortschrittlich. Bereits früh setzte er sich für eine Versicherung seiner Spieler ein. Die Testspiele gegen attraktive Gegner aus Österreich und Ungarn fädelte er aus drei Gründen an: Erstens waren sie eine finanzielle Einnahmequelle, zweitens konnte man in diesen Spielen viel lernen und drittens förderten sie die Völkerverständigung.
Landauer, der insgesamt vier Amtszeiten beim FC Bayern hatte, war ein sehr energetischer Mensch. Und sicherlich auch unbequem. Vor allem der DFB konnte davon ein Lied singen. Mit dem Verband lag er ständig über Kreuz. Themen dafür gab es ausreichend: Die eng gestrickten Amateurregeln, der „Ausländerparagraph“, die Abstellungen für Lehrgänge der Auswahlmannschaften, das bereits erwähnte Verbot von Spielen gegen die Teams aus Budapest, Prag und Wien etc.
FC Bayern im NS-Regime und danach
Ein Jahr später übernimmt das NS-Regime in Deutschland die Macht. Wie sehr trifft das die Münchner, die mit Präsident Landauer und Trainer Dombi gleich zwei jüdische Verantwortliche in ihren Reihen haben?
Der FC Bayern hatte damals einen Anteil von jüdischen Mitgliedern von etwa 12%. Das war im Vergleich zu anderen Vereinen ein sehr hoher Wert. Zudem sind viele Sponsoren des Vereins von jüdischer Abstammung, hier sind insbesondere die lokalen Textilkaufleute zu nennen. Auch Landauer stammte ja aus einer „Textil-Familie“. Da hatte sich ein Netzwerk gebildet, das den FC Bayern unterstützte. Dann verlor man den Meistertrainerr Dombi, der wie seine Vorgänger Kürschner, Weisz und Konrad Jude war. Landauer selbst tritt zurück und geht nach der Reichspogromnacht in die Schweiz. Zuvor war er einige Wochen in Dachau inhaftiert.
Zurückgehend auf die Gründung, bei der ebenfalls bereits zwei der elf Gründer jüdischer Abstimmung sind, hatte der Verein eine Verwurzelung mit der jüdischen Gemeinde und eine besondere Stellung. Landauer glaubt zunächst nur an einen vorrübergehenden Spuk – es wird schon nicht so schlimm werden. So dachten viele Juden. Sein direkter Nachfolger ist mit Siggi Hermann ein enger Freund und Mitstreiter. In den nächsten Jahren verliert der Verein Mitglieder, bleibt erfolglos und entwickelt sich weg vom FC Bayern der Weimarer Zeit.
Die Jugendarbeit, die sich unter Jugendleiter Otto Albert Beer zur größten Jugendabteilung in Deutschland entwickelt hatte und eine wichtige Säule des Vereins war, wurde durch die Beitrittspflicht in die HJ zudem geschwächt. Beer, einer der jüdischen Textilkaufleute, wird später nach Kaunas in Litauen deportiert und von den Nazis ermordet.
Der FC Bayern als Opfer der Nationalsozialisten. Hält diese Sichtweise einem kritischen Blick auf die Zeitgeschichte stand – oder war der Verein am Ende doch mit Tätern besetzt? Immerhin war Präsident Kellner Gauhauptstellenleiter der Nazis.
Gerade Josef Kellner spielt beim FC Bayern jedoch keine große Rolle. Sein Nachfolger Josef Sauter wird sogar nach Kriegsende Vorsitzender der Spruchkammer der Entnazifizierung in Günsburg. Dennoch waren damals auch Täter im Verein. Auch der FC Bayern durchläuft eine Anpassung an die Nazis. Der Verein war auch kein Hort des Widerstands, wenngleich einige Mitglieder im Widerstand waren.
Insgesamt war die Zeit in Nazi-Deutschland für die Münchner eine ambivalente. Der sogenannte “Arierparagraph”, der Nicht-Deutschen die Vereinsmitgliedschaft verbot, wurde vom Verein erst 1935 unterschrieben. Also etwa zwei Jahre später als von den meisten anderen Vereinen, doch waren damals bereits keine jüdischen Vereinsmitglieder mehr aktiv. Der Paragraph wurde unter Druck von NS-Mitgliedern später sogar noch verschärft.
Scheinbar hatten diese das Gefühl, dass man vor dem Hintergrund der jüdischen Vergangenheit besondere Staatstreue beweisen müsste – radikales Reinwaschen von der Vergangenheit.
Nach dem Krieg kehrte Landauer aus dem Exil zurück. Konnte der FC Bayern unter seiner Führung zu alter Stärke zurückfinden?
Landauer pflegte über die gesamte Zeit seines Exils hinweg enge Verbindung mit einzelnen Personen im Münchner Umfeld. Daher war seine Rückkehr wahrlich keine Überraschung. Auch sein Mitstreiter Siggi Hermann kehrt zurück. Und Karl Schanagel, im Jahr der Meisterschaft von 1932 Bürgermeister, ist auch zurück im Amt. Vielleicht dachte Landauer, dass man an die Zeit vor 1933 anknüpfen wollte.
Der Verein war stark auf Landauer und seine guten Verbindungen angewiesen. Als von den Nationalsozialisten Verfolgter war er der Türöffner, blieb hartnäckig wenn nötig und hatte gegenüber den Alliierten eine gewisse Glaubwürdigkeit. Mit ihm an der Spitze gerierte sich der FC Bayern gegenüber den Alliierten und der Politik als Partner im Bestreben einer Re-Demokratisierung Deutschlands. Noch 1946 wurde der Ausschluss von NSDAP-Mitgliedern aus dem Verein beschlossen. In der Vereinszeitung sorgt Landauer dafür, dass regelmäßig über die im Exil lebenden ehemaligen Mitglieder berichtet wird.
Man begibt sich sozusagen auf die Suche nach ihnen. Aber als Ex-Nazis in den Verein zurückkommen wollen, legt Landauer auch für sie ein gutes Wort ein. Es lebt der Traum von der Wiederherstellung der alten Bayern-Familie. In diese Zeit fiel auch der Umzug an die Säbener Straße, der ebenfalls von Landauer eingefädelt wurde. Der FC Bayern hat nach Jahren als Nomade endlich seine eigene Heimat gefunden.
Kehrt entsprechend auch der sportliche Erfolg zurück?
Nicht wirklich. Dieser Wunsch von Landauer bleibt unerfüllt. Der Verein durchläuft eine gemischte Entwicklung und verfällt ins Mittelmaß. 1955 stieg man aus der Oberliga ab. Bis heute sollte es der einzige Abstieg des FC Bayern aus der höchsten Spielklasse bleiben. Nach nur einer Saison konnte man jedoch wieder aufsteigen.
Im Winter 1957 gewann man vor 12.000 mitgereisten Fans in Augsburg erstmals den DFB-Pokal. Mit 1:0 setzte man sich gegen Fortuna Düsseldorf durch. Der erste Titel nach fast einem Vierteljahrhundert. In der Liga wurde man jedoch nur Siebter.
Bundesliga-Gründung ohne den FC Bayern
Dementsprechend war es keine Überraschung, dass der FC Bayern 1963 vom DFB nicht für die neue eingleisige Bundesliga nominiert wurde, oder?
Auf dem Weg zur Gründung der Bundesliga gab der DFB ein sehr unglückliches Bild ab. Zunächst sollte die neue Liga 16 Vereine beinhalten, später dann 18 und Bayern forderte gar 20 Mannschaften. Das Punktesystem, mit dem das Abschneiden der Vereine in den letzten Jahren bewertet werden sollte, wurde ebenfalls kurz vor der Gründung über den Haufen geworfen.
Zunächst sollten die Endergebnisse der letzten zwölf Jahre mit über die Zeit steigenden Faktoren berücksichtigt werden. Auf dieser Basis waren sich die Funktionäre des FC Bayern sicher, dass man den Sprung Deutschlands höchste Spielklasse schaffen würde. Doch kurzfristig wurde die Saison 1962/62 übermäßig stark gewichtet, sodass die fünf Meister der Oberliga-Staffeln einen festen Startplatz erhielten. In dieser Spielrunde hatte jedoch ausgerechnet 1860 die Oberliga Süd gewonnen, nachdem die Löwen zuvor mehrere Jahre in der zweithöchsten Klasse verbrachten.
Ein Umstand, der die Münchner entsprechend erzürnte. Auf Rückfrage kam vom DFB die kurze Antwort, dass der FC Bayern in der Vergangenheit keine großen Erfolge vorweisen konnte. Eine gewissermaßen ironische Antwort, da sich die Bayern nach 1932 deutscher Meister nennen durften, was die lokalen Konkurrenten nicht vollbracht hatten.
…und so ging es für die Münchner zunächst in die neugeschaffene Regionalliga…
Was sich im Nachhinein als absoluter Glücksfall für den FC Bayern erweisen sollte. In der damaligen Zeit hatte der Verein eine starke junge Generation mit Spielern aus dem Umland, die später zu Weltruhm kommen sollten. In der Bundesliga hätte man jedoch fertige Spieler benötigt, sich dafür vielleicht überschuldet und die jungen Spieler nicht ausreichend berücksichtigt.
Nach zwei Jahren Reifung erfolgte dann der Aufstieg in die Bundesliga…
Was damals nicht so geplant war, denn eigentlich wollte der Verein bereits im ersten Jahr aufsteigen. Doch in der Regionalliga Süd vermied man Platz 1, da man in der Aufstiegsrunde Aachen und Hannover unbedingt aus dem Weg gehen wollte. Mit Handbremse verlor man die letzten beiden Spiele in der Liga und wurde so nur Vizemeister. Gegen Ulm unterlag man mit einer halben Reservemannschaft sogar 4:6 nach einer 3:1-Führung. Die Reservisten hatten von dem Plan scheinbar erst zur Halbzeit erfahren.
In der Aufstiegsrunde scheiterte der FC Bayern jedoch an Niederlagen gegen Borussia Neunkirchen und Tasmania Berlin. Die Saison darauf sollte sich das Geschehene nicht wiederholen und mit dem neuen Stürmer Gerd Müller aus Nördlingen wurde man überlegen Meister. Mit 146 Toren in 36 Spielen, davon alleine 33 Treffer durch Müller, dominierten die Roten ihre Staffel und in der Aufstiegsrunde wurden Saarbrücken (5:0) und TeBe Berlin (8:0) abgefertigt.
Es war die Geburtsstunde der legendären Achse Maier-Beckenbauer-Müller und damit aller Erfolge, die den Verein in den kommenden sechzig Jahren prägen sollten. Direkt als Aufsteiger wird das junge Team Dritter in der Bundesliga, punktgleich mit dem Zweiten Borussia Dortmund. Zudem gewinnt man den DFB-Pokal, und im Sommer begeistert ein junger Franz Beckenbauer bei der WM 1966 in England.
Diese Jahre bildeten den Anfang des FC Bayern, wie wir ihn heute kennen. Eine globale Marke und eine internationale Spitzenmannschaft mit zahlreichen Titeln. Sehen Sie einen roten Faden, der sich durch die Vereinshistorie zieht?
Für mich ist beim FC Bayern ein klarer roter Faden vorhanden, eine gewisse Kontinuität in Sachen Identität. Von Anfang an ist es ein moderner Verein, der immer an der Spitze der Innovation läuft und sich, wenn er sich gegängelt und in seiner Entwicklung gehemmt fühlt, mit dem Verband anlegt. Der – sieht man einmal von den NS-Jahren und den 1950ern ab – als treibende Kraft im deutschen Fußball agiert.
Auch verstand es der Verein, sich immer im Umfeld der Kunstschaffenden, Kreativen und Prominenten aufzuhalten. Das begann schon bei der Gründung im Weinhaus Gisela, ging über in der Weimarer Zeit und die Nachkriegszeit, als die Kulturschaffenden in den Verein zurückkehren bis zum Olympiastadion, als der Klub ein neues Publikum erschloss – darunter Prominente aus Politik und Kultur.
Diese Geschichte setzte sich bis heute fort, getrieben durch starke Persönlichkeiten von Franz John, Kurt Landauer, Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß.
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