EM-Blog, Tag 9: Dankeschön für Fans, Familie & Torwärte

Katrin Trenner 23.06.2024

Ein Märchen, das sich bei vielen offensichtlich von der Kinderstube ins Erwachsenenalter gerettet hat, geht so: Es war einmal eine Ballsportart, die Menschen aus aller Welt – egal welchen Alters, welcher Religion und welcher Hautfarbe – alle zwei Jahre in einem rauschenden Fest zusammenbrachte; und in diesen vier Wochen kümmerte sich niemand um politische Gesinnungen, sondern lagen sich feiernd in den Armen, hatten sich lieb und lebten glücklich bis an ihr Lebensende.

Dass der Fußball natürlich immer politisch ist, passt in diese Geschichte nicht ganz so gut rein. In unserem EM-Blog gestern hat Justin aber darüber berichtet, dass es auch und angesichts der aktuellen schwierigen Lage in Europa gerade bei diesem Turnier schon einige rechtsextremistische Vorfälle gegeben hat, die in der Öffentlichkeit aber entweder nicht wahrgenommen oder bewusst ignoriert werden.

Das heißt aber nicht, dass man diese Europameisterschaft nicht trotzdem genießen kann und soll. Natürlich – und zum Glück – gibt es auch die andere Seite, die dem Märchen im Grundtenor schon recht nahekommt: Das Turnier macht richtig viel Spaß bislang, und das liegt eben unter anderem auch daran, dass der Großteil der Fans – vielleicht auch gerade angesichts der angespannten Weltlage, in der man sich mehr als sonst nach Ablenkung sehnt – ausgelassen, friedlich und harmonisch miteinander interagieren, trotz aller Rivalitäten auf dem Platz.

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Fanfreundschaften: We heart the Scots!

Die tanzenden Niederländer*innen, die jubelnden Ukrainer*innen, die feiernden Türk*innen: Die meisten Bilder rund um die Fußballpartien bereiten gute Laune. Aber die schönste Liebesgeschichte, die diese Europameisterschaft bislang hervorgebracht hat, ist die zwischen den schottischen und deutschen Fußballfans. Es ist vielleicht noch etwas zu früh, von „den besten Fans des Turniers“ zu sprechen, aber mal ernsthaft: Wer wird den schottischen Fans noch das Wasser (oder das Bier oder den Whisky) reichen können?

In den sozialen Medien (von schottischer Seite stark angetrieben von der @TartanArmyGroup, Netzwerk und Anlaufstelle für Schottland-Fans) überbieten sich schottische und deutsche Fans mit gegenseitigen Liebesbekundungen. Unzählige Videos und Reels bezeugen ihre Sympathie zu- und den Respekt voreinander: Von zwei schottischen Fans, die geduldig eine ältere Dame mit Rollator unter ihrem Regenschirm von A nach B bringen, damit sie nicht nass wird, zu Fans, die Lieder auf Kölsch in Begleitung von Dudelsack-Musik singen, bis hin zu einem Anwohner Kölns, der von seinem Balkon freudestrahlend Bierflaschen an die vorbeiziehenden schottischen Fans verteilt – es ist alles ganz herzallerliebst und erfrischend und wirklich einfach nur schön.

So schön, dass sogar die Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, ein offizielles Statement auf X veröffentlichte, in dem sie den Fans von Herzen für die wundervolle Zeit dankte, und es inzwischen eine Petition gibt, die den DFB dazu auffordert, ein jährliches Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Schottland einzuführen.

Wir sagen „Tapadh leit“ (laut Internet bedeutet dies „Danke“ auf Gälisch) und drücken die Daumen für das letzte Gruppenspiel gegen Ungarn. Ach, und unseren nächsten Urlaub verbringen wir selbstverständlich in den Scottish Highlands.

Die heutigen Partien im Kurzüberblick

Ach ja, Fußball gespielt wurde natürlich auch, und zwar die letzten Partien dieses zweiten Spieltags, bevor es in den nächsten Begegnungen für die einzelnen Nationen um den Einzug in die K.o.-Phase geht (bis auf Deutschland, Spanien und Portugal, die sind sicher dabei, und nun ja, Polen, die schon sicher ausgeschieden sind).

  • Georgien – Tschechische Republik: Giorgi Mamardashvili! Diesen Namen werde ich nicht mehr vergessen, so oft wie der Torwart dank seiner vielen Paraden in dieser Begegnung erwähnt wurde. Im Miasanrot-Scouting für einen möglichen Nachfolger Manuel Neuers fiel er uns schon 2022 auf. Schade, dass daraus (noch?) nichts wurde, denn seinen Namen könnte ich nun ganz geschmeidig in der Allianz Arena in den Münchner Nachthimmel rufen. Aber da es vor allem Mamardashvili zu verdanken war, dass EM-Debütant und mein Lieblings-Underdog Georgien das 1:1-Unentschieden und somit auch Chancen aufs Weiterkommen wahren konnte, habe ich das eben kurzerhand vor dem Fernseher gemacht.
  • Türkei – Portugal: Während Mamardashvili glänzte, konnte einem der Torwart der Türkei, Altay Bayindir, wirklich leidtun. Ein Missverständnis zwischen Keeper und seinem Mitspieler Samet Akaydin führte zu einem unglücklichen Eigentor mit Slapstick-Charakter.
    Portugal besiegte die Türkei am Ende im Dortmunder Westfalenstadion klar mit 3:0. Obwohl sich die Türken, nach vorne gepeitscht von ihren lautstarken Fans, darum bemühten, das Spiel zu drehen, konnten sie die Wende nicht mehr einleiten. Portugal zieht somit als Gruppensieger ins Achtelfinale ein, der Türkei reicht gegen die Tschechen ein Punkt zum Weiterkommen.
  • Belgien – Rumänien: Aha, die Roten Teufel sind da! Nach einer deutlichen Leistungssteigerung gegenüber dem letzten Spiel erspielten sich die Belgier mit 2:0 ihren ersten EM-Sieg gegen Rumänien. Das einzige Manko war die mangelnde Chancenverwertung, der Sieg hätte deutlich höher ausfallen können.
    Auch die tapfer kämpfenden Rumänen hatte einige gute Möglichkeiten, scheiterten aber wiederholt am bisweilen sehr gut aufgelegten Torwart Koen Casteels (der übrigens mit seinem langen Abschlag der Vorlagengeber für das zweite Tor von Kevin De Bruyne war).
    Damit gehen nun alle Teams in Gruppe E mit 3 Punkten ins letzte Gruppenspiel – eine Konstellation, die viel Spannung für kommenden Mittwoch verspricht.

Familienbande: Väter und Söhne

Bereits am Donnerstag spielte England gegen Dänemark, und nach der Partie, die in einem 1:1-Unentschieden endete, fand ein ganz besonderes Interview statt. Der dänische Torwart Kasper Schmeichel stellte sich nach seinem 102. Länderspiel den Fragen des Fernsehsenders FOX – und der Reporter war kein anderer als sein Vater Peter Schmeichel, ebenfalls ehemaliger Keeper der dänischen Nationalmannschaft und Europameister von 1992. Nach dem Interview nahm er seinen Sohn in den Arm und sagte: “I do a lot of post-match interviews but I never do this.” Vater Peter bestritt übrigens 129 Länderspiele für Dänemark.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, oder, um es in Fußballsprache zu übersetzen: Der Ball rollt nicht weit weg vom Tor. Neben den Schmeichels gibt es bei diesem Turnier noch eine Reihe anderer Spieler, deren Väter ebenfalls Profifußballer waren und für ihr Land auflaufen durften. Der portugiesische Flügelspieler Francisco Conceição, der heute nur auf der Bank saß, ist der Sohn des ehemaligen Mittelfeldspielers Sérgio Conceição. Die Älteren unter uns werden sich vielleicht an ihn erinnern, wenn auch nur ungern: Bei der Europameisterschaft 2000, die die Deutschen wohl liebsten aus ihrem kollektiven Fußball-Gedächtnis streichen würden, schoss Papa Conceição im Spiel gegen Deutschland drei Tore und Deutschland somit aus dem Turnier.

Weitere Vater-Sohn-Gespanne sind Danny und Daley Blind (Niederlande), Lilian und Marcus Thuram (Frankreich), Enrico und Federico Chiesa (Italien) sowie Gheorghe und Ianis Hagi (Rumänien). Auch in der deutschen Nationalmannschaft wird man fündig: Der Vater von Leroy Sané, Souleymane Sané, war ebenfalls Fußballprofi. Während Leroy allerdings für die deutsche Nationalmannschaft kickt, lief sein Vater für den Senegal auf und erzielte 8 Tore in 55 Spielen.

Was sonst noch auffiel:

  • Positive Regeländerung: Während des Spiels dürfen nur noch die Mannschaftskapitäne mit dem Schiedsrichter über seine Entscheidungen diskutieren. Kommen andere Spieler hinzu und mischen sich zu sehr ein, droht ihnen eine gelbe Karte.
    Zugegeben, vor Turnierbeginn war ich mir nicht sicher, was ich von der neuen Regel halten sollte, jetzt bin ich vollends von ihr überzeugt. Es gibt keine Rudelbildungen und ewig langen Diskussionen mehr, wodurch der Spielfluss weniger unterbrochen wird. Auch die Schiedsrichter selbst sind geschützter, da sie nicht mehr von einer Horde wütender Spieler umzingelt werden.
  • Der Portugiese Rafael Leão bekam in der heutigen Partie eine gelbe Karte, aber nicht wegen Diskussionen mit dem Schiedsrichter, sondern einer Schwalbe. Es ist seine zweite Gelbe in diesem Turnier, und somit ist der Flügelspieler im nächsten Spiel gesperrt. Kurios: Auch seine erste gelbe Karte im Spiel gegen die Tschechen sah er wegen einer Schwalbe. Ganz schön blöd.
  • Cristiano Ronaldo, Ausnahmetalent, Rekordspieler, Weltfußballer, der Ewige. Seit 2003 (!) spielt er für die portugiesische Nationalmannschaft und hat in 208 Spielen 130 Treffer erzielt. Als Sportler ist er eine wahre Ikone und wird verehrt wie kaum ein Zweiter, allein im Spiel gegen die Türkei stahlen sich vier junge Flitzer auf den Platz, um ein Selfie mit ihrem Idol zu ergattern.
    Bei all dieser Fanliebe und Bewunderung werden die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Ronaldo meist konsequent ausgeblendet und so gut wie nie thematisiert, seine Popularität hat nie darunter gelitten. Das großartige Podcast-Kollektiv von Frauen FRÜF hat sich der Causa Ronaldo bereits im Jahr 2019 angenommen, und die Episode ist auch heute noch hörenswert.
  • Es ist und bleibt die EM der Eigentore. Akaydins Eigentor war nach neun Tagen bereits das sechste des Turniers. Zum Vergleich: Bei der vergangenen EM fielen insgesamt 11 Eigentore, im Jahr 2016 nur 3. Ich finde Eigentore einfach nur herzzerreißend, der Trend kann jetzt gerne wieder aufhören. 
  • Heute war der letzte Tag, an dem bei dieser Europameisterschaft eine Begegnung um 15 Uhr angesetzt war. Diese Erkenntnis hat mich zutiefst erschüttert; was soll ich denn bitteschön in den nächsten Tagen bis 18 oder 21 Uhr immer machen?

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