EM-Blog-2024, Tag 15: Organisations-Chaos ums Stadion

Daniel Trenner 29.06.2024

Letzten Freitag war es für mich endlich soweit. Nach Tagen des Bloggens sollte ich endlich ins Turnier eingreifen. Der Bundestrainer verzichtete leider aus unerfindlichen Gründen auf mich, sodass ich nur als Zuschauer einem EM-Spiel live beiwohnen konnte.

Organisatorisches Chaos ums Stadion

Zur kinderfreundlichen Anstoßzeit von 15 Uhr besuchte ich also in der Merku-ähh, (*blätter, blätter*) ”Düsseldorf Arena“ das Spiel Ukraine – Slowakei. Es war nicht mein erstes Spiel im Heimstadion der Fortuna gewesen, ich kannte mich also soweit aus und begann auch nicht zu schwitzen, als wir leider später als vorgenommen bei der Endhaltestelle am Stadion angekommen waren.

Da allerdings begann das völlige Chaos. Die Geschichten von Gelsenkirchen oder den fehlenden Shuttle-Bussen bei der Allia-arg, nein, Franz-Becke-AUCH NICHT? Wieso denn eigentlich nicht? (*google, google*) Munich Football Arena! Ich wusste also schon, dass wieso-auch-immer für die EM die gleichnamige Bahn-Haltestelle des Düsseldorfer Stadions einfach kurzerhand geschlossen wurde und man eine Haltestelle früher auszusteigen hatte.

Die U-Bahn verlassend und wohlwissend, dass wir uns noch einen guten Kilometer von der Arena entfernt befanden, war die Verwirrung dann doch sehr groß, als man direkt eine riesige Menschenmenge sah, die sich partout nicht fortbewegte. Auf einmal schien die Dreiviertelstunde bis Spielbeginn gar nicht lange und schon gar nicht ausreichend.

So ging es ganz offensichtlich vielen anderen Mitdenkenden, denn die mit grünen Leibchen umhüllten Freiwilligen wurden belagert von verwirrten Fragestellenden, ob denn hier wirklich der Nord-Eingang wäre und es nicht noch andere Einlass-Orte gäbe. Die Auskunft in gebrochenem Englisch (Deutsch versuchten sie gar nicht erst) war dann, dass sehr wohl noch andere Einlass-Möglichkeiten existierten und dass diese höchstwahrscheinlich (sehr beschwichtigend) weniger Zulauf hätten, schließlich kämen dort nur Autofahrer an.  Ebenfalls beschwichtigend war zudem die Auskunft, man wisse überhaupt nicht, ob die vor uns sich entfaltende Schlange überhaupt vorankäme und man eigentlich nur dafür eingeteilt war, Regenschirme einzusammeln.

Nachdem wir dann einmal den Weg zurückgingen, weil die freundlichen, aber offensichtlich unwissenden Freiwilligen-Auskünfte uns in einen abgesperrten Weg führten, nahmen wir kurzerhand die Beine in die Hand und umrundeten die Arena in großem Bogen, gingen effektiv die eine gesperrte Bahnhaltestelle zu Fuß ab – wohlgemerkt in strömendem Regen, nunmehr eine halbe Stunde vor Spielanpfiff.

So wie wir, machten das viele, alle ungläubig ob des völligen Chaos. Keuchend und außer Atem war unsere Odyssey Punkt fünf Minuten vor Spielbeginn zu Ende. Als wir den Rasen endlich sahen und die Treppen gerade hochstiegen, erhob sich das Stadion für die ukrainische Nationalhymne.

Wäre es ein normales Spiel der Fortuna gewesen, mit der normalen dafür gedachten Endhaltestelle am Stadion, hätten wir geschätzt allerspätestens um 14:25 Uhr unsere Plätze einnehmen können. So kamen wir eine halbe Stunde später an – und dabei kürzten wir ja noch ab.

Mitschuld der UEFA

Ja, die deutsche Bahn ist eine Katastrophe. Weiß jeder, darüber muss man nicht sprechen. Tausende Engländer und Serben am Bahnhof Gelsenkirchen und kein Zug weit und breit – diese Geschichten überraschen niemanden in Deutschland. Doch nicht alle Infrastruktur ist schlecht in diesem Land. Züge können wir Deutschen nicht, aber tausende Fans innerhalb einer Stadt von A nach B bringen – das kriegen wir schon hin. Auch wenn die Bahnen ekelhaft voll werden.

Für diese EM wurde kein einziges neues Stadion gebaut, überall fand die UEFA eine völlig funktionsfähige Infrastruktur vor. Man hätte einfach nach dem letzten Bundesliga-Spiel in allen Stadien die EM-Paletten, Poster und Schilder anbringen müssen und wäre fein raus. Das hätte ausgereicht. Städte, die Derbys zwischen Fortuna Düsseldorf und dem 1. FC Köln oder Schalke und Dortmund organisieren können, schaffen das auch mit einer horde Nationalmannschaftsfans, die im Stadion angekommen, bis auf die Kurven sowieso wild durchgewürfelt sitzen werden.

Doch die UEFA ist die UEFA und die UEFA muss extra Ideen haben. Hier eine geschlossene Haltestelle, da keine Shuttle-Busse und überhaupt scheint der Verband kein Problem damit zu haben, von Menschen kilometerlange Fußmärsche zu erwarten.

Miguel Delaney vom britischen Independent setzte dies letzte Woche in einem ZDF-Beitrag in einen größeren UEFA-Kontext. Das Champions-League-Finale dieses Jahr in Wembley: Chaos. 2022 in Paris: Noch ein viel größeres Chaos. Dieses Spiel musste sogar um 37 Minuten verschoben werden. Chaos zieht sich durch UEFA-Veranstaltungen und daran ist nicht einfach bloß die deutsche Bahn schuld.

Es ist blanke Hybris immer wieder mit funktionstüchtigen Konzepten konfrontiert zu werden, meinen es besser zu wissen, diese umzuschmeißen und sich dann wundern, wieso die zahlenden Zuschauer alle erbost sind.

Nach dem Spiel lotste uns ein Sicherheitsmann übrigens zu einer weiteren kilometerlangen Wanderung zu einer Bushaltestelle, obwohl wir eigentlich nach der Bahn gefragt haben. Danke dafür!

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Kleiner Nachtrag zum gestrigen Blog

  • Manch einer unkte bei meinem Vorschlag die EM auch mit Gäste-Teams zu expandieren, Brasilien solle doch bitte nicht Europameister werden können. Natürlich nicht, deshalb ja auch die Betonung auf geographische Nähe. Marokko ist in Sichtweite Gibraltars, hat tatsächlich sogar wenig bekannte Landesgrenzen mit Spanien. Der Rest des nordsaharischen Afrikas hat seit über 3000 Jahren enge kulturelle Bindungen zu Europa.
    Und über Brasilien muss sich niemand Sorgen machen: Die Copa América findet ja neuerdings parallel zur EM statt.
  • Haben die Menschen eigentlich auf dem Schirm, wie schrecklich der neue WM-Modus sein wird? Als die Aufstockung auf 48 Teams geplant wurde, beschwichtigte die FIFA noch die großen Verbände, die Teams würden nicht mehr spielen müssen.
    Dieses Versprechen hat die FIFA mittlerweile kassiert. Nach einer 4er-Gruppe kommt es zu einem Sechzehntelfinale. Schlimmer noch: Nachdem etliche Reporter und “Experten” während der Wüsten-WM die FIFA aufforderten, diese Art von Gruppenphase nicht zu ruinieren, bekommen wir nun 12 Gruppen mit 8 sich qualifizerenden Gruppendritten. Himmelherrgott!

Kurze Gedanken vor dem Achtelfinale

  • Danke Niclas Füllkrug für den schwereren Turnierbaum. Vor dem Schweiz-Spiel wollte ich definitiv diesen Turnierweg, aber das war bevor Frankreich es gegen Polen verbaselte. Der Jubel zum 1:1 wird hiermit offiziell kassiert.
  • Apropos Frankreich: Die fliegen mir doch sehr unter dem Radar. Der Umstand, dass sie in einer schweren Gruppe nicht alles kurz und klein schossen, mindert ihren Favoriten-Status nicht.
    2022 fühlten sie sich zu sicher, zu unbesiegbar, spätestens nach ihren unverdienten Siegen über England und Marokko, weshalb das rüde Aufwachen gegen Argentinien in gewisser Weise logisch war. Nun allerdings kann Deschamps auf seinen Welt-Kader anders einreden. Ihnen allerhand Dinge vorhalten. Dass sie sich nicht zu sicher sein sollten, so ganz ohne eigene Tore.
    Gepaart mit einer Weltklasse-Defensive sind sie noch immer Titelanwärter Nummer 1.
  • Österreich kann sein Glück kaum fassen. Die Türkei ist praktisch ein freilos – dafür haben die Türken einfach in allen Spielen zu große systemische Defensiv-Lücken hinterlassen. Mit dem Pressing werden sie nicht zurechtkommen. Danach geht es gegen Holland oder Rumänien und schon winkt das Halbfinale. Oh, das Glück des Turnierbaums…
  • Ein Weiterkommen der Schweiz heute Abend wäre absolut kein Schock. Bis auf die Schotten konnte Murat Yakin sich bislang noch auf jeden Gegner perfekt einstellen.
  • Bayerns Real-Nemesis Szymon Marciniak darf heute eben dieses Achtelfinale pfeifen. Ich finde das gut. Ich bin absolut kein Freund des Hire-&-Fire-ähnlichen Prinzips, welches die UEFA jahrelang bei den Schiedsrichtern verfolgte. Deniz Aytekins internationale Karriere war nach seiner Leitung der Remontada vorüber, obwohl er der beste deutsche Schiedsrichter der letzten zehn Jahre war. Auch Weltklasse-Referees haben schlechte Tage und machen unerklärliche Fehler. Marciniak sollte definitiv keine Deutschland-Spiele leiten, aber es ist richtig, dass er noch im Turnier ist.
  • Auch gegen Slowenien wechselte Gareth Southgate kaum und flüchtete sich nach dem Spiel ins Schönreden, vermutlich wird es also auch im weiteren Turnierverlauf keine großen Wechsel geben. Mein Tipp: Ob gegen die Slowakei oder später: Irgendwann werden sie gewalest. Diese Wortkreation beschreibt Belgiens Ausscheiden als absoluter Topfavorit gegen Wales bei der EM 2016, als sie Probleme über den gesamten Turnierverlauf durchschleppten und es dann schließlich gegen einen Underdog zur Implosion kam.
  • Die Ukraine scheidet trotz 4 Punkten als Gruppenletzte aus. Bitter, sehr bitter. Mich erinnert ihre Gruppenphase an Deutschlands 2022. Die ganze Zeit über rennen sie dem Ei hinterher, welches sie sich selbst ins Nest gelegt haben mit dem ersten Spiel. Mit dem gewaltigen Unterschied natürlich, dass die Gründe für die ukrainischen Formschwankungen gänzlich anderer Natur sind.

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