EM-Blog, Tag 11: Das Ende des kleinen Mozarts

Daniel Trenner 25.06.2024

Ein vorgezogenes K.o.-Spiel?

Es gibt kaum eine schlimmere Redewendung im Fußball ist, als der Versuch eine Gruppen- oder Ligapartie zu einem “K.o.-Spielen” umzudeuten. Schlimm deshalb, weil es zum einen immer nur für die eine Mannschaft gilt – die andere kann meist mit einem Remis gut leben – und zum anderen, weil dies die simple Magie von K.o.-Spielen untergräbt. Knockout-Games, da beginnt es für beide Mannschaften bei 0:0 und am Ende der 90 oder 120 Minuten muss eine dieser Zahlen in irgendeiner Form erhöht worden sein. Sprich: Irgendwann muss es irgendwie Tore geben.

Nein, Kroatien – Italien war nicht unser erstes K.o.-Spiel. Kroatien musste gewinnen, aber Italien wäre mit einem Punkt vollkommen d’accord gewesen, nein falsche Sprache, va bene? Das passt besser. In jedem Fall wäre Italien mit einem Punkt sicher Gruppenzweiter, weil sie den direkten Vergleich mit Albanien gewonnen hatten, eine Überraschung im Parallelspiel hätte also auf unsere Freunde im Süden keine Auswirkungen gehabt.

Und genau so begannen sie dann auch, fast mit Spielanpfiff wurde an der Uhr gedreht. Dieses Verhalten, in Kombination mit ihrem erschreckend zahnlosen zweiten Spiel, erzürnte mich, wie hörbar auch viele Stadionbesucher. Wiedergutmachung nach einer gefühlten Klatsche wollte man doch eigentlich leisten, aber mit Zeitlupen-Einwürfen schafft man eher das Gegenteil. Jeder Italiener strahlte aus, mit einem 0:0 sehr zufrieden zu sein.

Kroatien hingegen begann zunächst mit einem Feuer, doch bei Italien war nach gut zwanzig Minuten die Spanien-Aufarbeitung doch beendet, man nahm nun mehr am Spiel teil, lief Kroatien früher an, verlegte die Partie weg von Donnarumma. Nun war es Torhüter Livaković, der sein Team wiederholt im Spiel, im Turnier hielt, insbesondere seine Parade gegen Bastonis Kopfball in der 27. Minute war Extraklasse.

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Luka Modrić – Ein Mann weniger, aber umso wichtigerer Tore

Mit dem Seitenwechsel fing die Show an. Kroatien brachte mit Budimir einen dezidierten Mittelstürmer, schob mit der gesamten Mannschaft nach vorne. Beide Halbzeitstarts ähnelten sich zunächst, nun allerdings fiel auch das alles verändernde Tor. Luka Modrić scheiterte zunächst mit einem Foulelfmeter am erneut überragenden Donnarumma, verwandelte dann 31 Sekunden später jedoch einen weit schwierigeren Drehschuss.

Luka Modrić ist schon ein Phänomen. Ähnlich wie sein spanisches Pendant früherer Tage, Andrés Iniesta, ist er kein Mann der vielen Tore. Gerade einmal 28 Tore in 359 Spielen erzielte er über 12 Jahre verteilt bei Real. Selbst in seiner meines Erachtens besten Saison 2016/17 erzielte er gerade einmal ein einziges Ligator. Für Kroatien wird die Quote besser, aber immer noch nicht bemerkenswert. Fast genauso viele Treffer machte er im karierten Trikot, wohlgemerkt jedoch in etwa halb so vielen Spielen. Und doch hat der sogenannte „kleine Mozart“ die Eigenart eben genau wie WM-Siegtorschütze Iniesta in den alles entscheidenden Spielen zu treffen. Dies war sein sechstes Tor in großen Turnieren, frühere Treffer waren beinahe ausnahmslos wichtige, siegbringende Tore.

Dass dieses Kroatien nicht wieder ein Halbfinale erreicht, war spätestens nach dem zweiten Spiel klar. Sie sind mittlerweile zu alt, mit zu wenig neuem Talent gesegnet, dazu erstaunte Trainer Dalić immer wieder mit merkwürdigen Aufstellungen. Doch für Luka Modrić wollte ich ihr Weiterkommen. Modrićs EM- oder gar Nationalmannschaftskarriere hat nicht mit einem Vorrunden-Aus zu enden. Eine gute Leistung, ein enges Spiel, ein knappes Ausscheiden, das wäre Modrić-würdig gewesen.

Nun ist Modrićs Aus doch in der Gruppe passiert, aber ausnahmsweise muss ich die oben kritisierte Floskel kassieren. Mit Modrićs Tor wurde es zu einem Sechzehntelfinale.

Dalić dreht das Spiel mit unheimlich mutigen Wechseln

Die Kroaten verschanzten sich in Folge des Tores direkt am eigenen Strafraum. Die nun überall beginnenden Rechenspiele, wie Italien denn als Gruppendritter weiterkäme, schienen verfrüht, denn so tief wie die Karierten standen, schien es völlig ausgeschlossen, dass hier eine halbe Stunde lang ein Vorsprung verteidigt werden könnte.

Das erkannte auch Zlatko Dalić und reagierte mit genialen Wechseln. Der kroatische Nationaltrainer wurde im Laufe des Turniers heftig kritisiert, komische Verteidiger-Paare, Nibelungentreue zum nunmehr in der Wüste spielenden Brozović, doch am heutigen Tag behielt er Recht. Die Rückkehr Gvardiols nach außen stabilisierte die Kette, Brozović machte ein richtig starkes Spiel, vor allem aber erkannte Dalić, was sein Team nach der Führung brauchte.

Fünf Mal sollte Kroatien an diesem Tag wechseln, vier von ihnen Offensivspieler, drei schon bei eigener Führung. Dalić wechselte die Entlastung ein, mit dem ewigen Ivan Perišić und Luka Ivanušec befreite sich Kroatien aus der Verteidigungs-Lethargie, setzte über links wieder offensive Akzente und löste sich aus dem italienischen Klammergriff. Selbst als der bald 39-jährige Modrić erschöpft vom Platz gehen musste, kam für ihn kein Vorstopper der alten Schule, sondern ein noch offensiverer Mittelfeldmann mit dem Wolfsburger Majer. Erst in der Nachspielzeit kam ein defensiver Wechsel, als Juranović dem ziemlich überforderten Stanišić zur Seite gestellt wurde.

Schien Italien kurz nach Kroatiens Führung noch am Drücker, brachten sie nach Dalićs Wechseln nur noch wenig zustande, erst als Calafiori seinen inneren Franco Baresi kanalisierte (oder doch Beckenbauer? Baresi ist allerdings naheliegender) und Kroatien mit einer neuen Angriffsvariante überforderte, ließen sie einen freien Abschluss und das 1:1 zu.

Schon jetzt ein ikonisches Bild: Sekunden vor dem Ausgleich beißt sich Luka Modrić auf das Trikot.
(Foto: Julian Finney/Getty Images)

Kroatien ist nun in der Gruppenphase ausgeschieden. Zwei Punkte bei -3 Differenz werden nicht ausreichen. Und doch ist es eigentlich ganz in Ordnung soweit, denn es wirkt wie ein großer Abgang. Man hatte eine große Fußballnation Sekunden vor der Niederlage, ihr bester Spieler der Geschichte ließ mit 38 Jahren noch einmal alles auf dem Rasen, traf sogar. Dies dürfte das Ende dieser großen kroatischen Generation gewesen sein und es ist ein gutes.

Was sonst noch auffiel:

  • Großes Lob an die Regie beim ZDF. Sie gingen eben nicht in die Werbung, selbst der starke Kommentator Oliver Schmidt wusste zu schweigen. Einfach minutenlang die Bilder der italienischen Ekstase und kroatischer Trauer einsaugen lassen. Mehr brauchte es nicht, so ist es richtig.
  • Ein italienischer Reporter nutzte seine Chance auf der Pressekonferenz und bedankte sich bei Luka Modrić für die Ehre ihn kommentieren zu dürfen, ein toller Moment.
  • Christoph Kramer preist Calafiori als besten Spieler des Turniers. Da hat aber jemand vergessen, wie Calafiori mit allen anderen Italienern gegen Spanien 90 Minuten lang Baden ging.
  • Bessere Argumente hat da Gianluigi Donnarumma. Im Verein überzeugt er mich selten und in der Nationalmannschaft fand ich seine guten Leistungen dezent überschätzt, aber bei diesem Turnier ist er in absoluter Welttorhüter-Form.
  • In der ersten Spielhälfte drehten noch die Italiener an der Uhr und Makkelie gab unverständlicherweise nur eine Minute drauf. In der zweiten machten es die Kroaten und es gab acht. Da verstehe ich, wieso Dalić auf der Pressekonferenz wütet. Tatsächlich scheint mir eher die schlimme Unart schuld zu sein, bei der ersten Halbzeit nur wenig Nachspielzeit geben zu wollen.

Kleiner Exkurs zu Spanien

Rotieren oder nicht zu rotieren, das ist für einige Favoriten die Frage. Nagelsmann verzichtete darauf, Spanien nicht. Außer Aymeric Laporte tauschte de la Fuente zehnmal, inklusive Torwart. Deutschland war vor dem Turnier nicht eingespielt, also machte das Sinn, obgleich ich meine Ansicht nach dem Ungarn-Spiel behalte, dass man gerade auf der Position des Innenverteidigers schon vor Tahs zweiter Verwarnung prophylaktisch hätte tauschen sollen.

Wir werden wahrscheinlich im Viertelfinale sehen, was Erfolg hat. Gefühlt läuft es mir bei Spanien aber alles ein wenig zu glatt. Wann war das letzte Mal ein Turniersieger von der ersten Spielminute an überzeugend? Die in der Gruppenphase noch alles überstrahlenden Italiener begannen 2021 in der K.o.-Phase sich durchzumogeln, in gewisser Weise ein gutes Omen also für Spanien.

Der frühe Stern verglüht aber auch schnell, gilt das für Spanien 2024 genauso wie 22? Ich habe nicht vergessen, dass sie nur durch kroatisches Unvermögen noch gegentorlos sind, nicht vergessen, dass sie mit sehr simplen Mitteln in den letzten Minuten von Italien hinten gefesselt wurden. Nun haben sie erneut ohne Gegenwehr nach vielen Wechseln gewonnen. Im Achtelfinale werden sie wahrscheinlich wieder keine größeren Probleme bekommen, die Gruppen E und F gehören zu den schwächeren im Wettbewerb, ob der Mangel eines wirklich mühsamen Spiels sich noch rächt?

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